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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Thatsache, die sich durch ihr dreihundertjähriges Alter längst als daseinsberechtigt
erwiesen hat, und wir haben nichts dagegen, wenn alle eifrigen Protestanten die
Katholiken aus allen Lebensgebieten zurückzudrängen wünschen, wie der eifrige
Katholik die Bekehrung aller Ketzer wünscht. Aber ehe sich so ein Wunsch
in Gesetze eines Verfassungsstaates umsetzt, muß er doch außer dem Hasse noch
andre Gründe geltend zu machen haben. Will man einem reichlichen Drittel
der Staatsbürger den Zwang anthun, gegen ihren Willen den Einfluß ihrer
Geistlichkeit auf die Schule (über dessen Maß und Grenzen sich ja reden läßt)
zu beseitigen, so muß die Behauptung bewiese,? werden, daß dieser Einfluß
staatsgefährlich sei oder staatsgefährlich werden könne. Der Beweis dafür ist
aber nicht zu erbringen, weder aus der Lehre der römischen Kirche noch aus
der Geschichte. Nicht aus der Lehre. Versuche, die Staatsgefährlichkeit aus
der päpstlichen Unfehlbarkeit u. s. w. abzuleiten, sind von vornherein als
phantastisch abzuweisen; denn mit demselben Rechte könnte man beweisen, daß
Luthers Lehre von der evangelischen Freiheit, die reformirte Gemeindever-
fassung, Hegels Eutwickluugsprinzip, der Darwinismus mit der Staatsordnung
unverträglich seien. Hier kommt nur in Betracht, was die römische Kirche
über die Pflichten gegen die Obrigkeit amtlich lehrt. Das in den meisten
Pnstorseminarien eingeführte Moralhandbuch des Jesuiten Gury lehrt nun
auf S. 174, daß den Unterthanen Selbsthilfe gegen eine tyrannische Ne¬
gierung durch Revolution unter keinen Umständen erlaubt sei. Was aber
die Geschichte betrifft, so hat es keinen Sinn, die Geschichten von
Gregor VII., von Ravaillac und von der Pnlverschwörung aufzuwärmen.
Für den Politiker kommt lediglich in Betracht, was der preußische Staat seit
seinem Bestehen mit seinen katholischen Unterthanen und mit der katholischen
Geistlichkeit für Erfahrungen gemacht hat. Die Autwort lautet: die allerbesten;
die Katholiken haben sich, als Katholiken, als katholische Partei, niemals an
einer Steuerverweigerung noch an einem Aufruhr beteiligt und haben in Krieg
und Frieden jederzeit ihre Schuldigkeit gethan. Die katholischen Soldaten, die
die Schlachten von 1864, 1866 und 1870 angeschlagen haben, sind aus deu
von Geistlichen geleiteten Volksschulen hervorgegangen, wie ihre protestantischen
Kameraden aus der Schule der "berüchtigten" Stiehlschen Regulative. Als
am 15. November 1848 die Nationalversammlung zu Berlin das Volk zur
Steuerverweigerung aufgefordert und sich unter anderen auch die Mehrheit
des Breslauer Magistrats für die Volksvertretung gegen den König erklärt
hatte, da erließ der Fürstbischof Diepenbrock, der sich bei seinem Einzuge den
Diözesanen mit den Worten vorgestellt hatte: "Ich stehe hier vor euch als der
Mann deS Papstes", am 18. November ein kurzes Rundschreiben, worin es
heißt: Zur Beseitigung von Gewissenszwcifeln "erkläre ich hiermit vor Gottes
Angesicht und vor aller Welt, daß, da Se. Majestät der König nicht auf¬
gehört hat, unser rechtmäßiger König zu sein, die Pflicht des Gehorsams gegen


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Thatsache, die sich durch ihr dreihundertjähriges Alter längst als daseinsberechtigt
erwiesen hat, und wir haben nichts dagegen, wenn alle eifrigen Protestanten die
Katholiken aus allen Lebensgebieten zurückzudrängen wünschen, wie der eifrige
Katholik die Bekehrung aller Ketzer wünscht. Aber ehe sich so ein Wunsch
in Gesetze eines Verfassungsstaates umsetzt, muß er doch außer dem Hasse noch
andre Gründe geltend zu machen haben. Will man einem reichlichen Drittel
der Staatsbürger den Zwang anthun, gegen ihren Willen den Einfluß ihrer
Geistlichkeit auf die Schule (über dessen Maß und Grenzen sich ja reden läßt)
zu beseitigen, so muß die Behauptung bewiese,? werden, daß dieser Einfluß
staatsgefährlich sei oder staatsgefährlich werden könne. Der Beweis dafür ist
aber nicht zu erbringen, weder aus der Lehre der römischen Kirche noch aus
der Geschichte. Nicht aus der Lehre. Versuche, die Staatsgefährlichkeit aus
der päpstlichen Unfehlbarkeit u. s. w. abzuleiten, sind von vornherein als
phantastisch abzuweisen; denn mit demselben Rechte könnte man beweisen, daß
Luthers Lehre von der evangelischen Freiheit, die reformirte Gemeindever-
fassung, Hegels Eutwickluugsprinzip, der Darwinismus mit der Staatsordnung
unverträglich seien. Hier kommt nur in Betracht, was die römische Kirche
über die Pflichten gegen die Obrigkeit amtlich lehrt. Das in den meisten
Pnstorseminarien eingeführte Moralhandbuch des Jesuiten Gury lehrt nun
auf S. 174, daß den Unterthanen Selbsthilfe gegen eine tyrannische Ne¬
gierung durch Revolution unter keinen Umständen erlaubt sei. Was aber
die Geschichte betrifft, so hat es keinen Sinn, die Geschichten von
Gregor VII., von Ravaillac und von der Pnlverschwörung aufzuwärmen.
Für den Politiker kommt lediglich in Betracht, was der preußische Staat seit
seinem Bestehen mit seinen katholischen Unterthanen und mit der katholischen
Geistlichkeit für Erfahrungen gemacht hat. Die Autwort lautet: die allerbesten;
die Katholiken haben sich, als Katholiken, als katholische Partei, niemals an
einer Steuerverweigerung noch an einem Aufruhr beteiligt und haben in Krieg
und Frieden jederzeit ihre Schuldigkeit gethan. Die katholischen Soldaten, die
die Schlachten von 1864, 1866 und 1870 angeschlagen haben, sind aus deu
von Geistlichen geleiteten Volksschulen hervorgegangen, wie ihre protestantischen
Kameraden aus der Schule der „berüchtigten" Stiehlschen Regulative. Als
am 15. November 1848 die Nationalversammlung zu Berlin das Volk zur
Steuerverweigerung aufgefordert und sich unter anderen auch die Mehrheit
des Breslauer Magistrats für die Volksvertretung gegen den König erklärt
hatte, da erließ der Fürstbischof Diepenbrock, der sich bei seinem Einzuge den
Diözesanen mit den Worten vorgestellt hatte: „Ich stehe hier vor euch als der
Mann deS Papstes", am 18. November ein kurzes Rundschreiben, worin es
heißt: Zur Beseitigung von Gewissenszwcifeln „erkläre ich hiermit vor Gottes
Angesicht und vor aller Welt, daß, da Se. Majestät der König nicht auf¬
gehört hat, unser rechtmäßiger König zu sein, die Pflicht des Gehorsams gegen


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[0477] Zum volksschullärm Thatsache, die sich durch ihr dreihundertjähriges Alter längst als daseinsberechtigt erwiesen hat, und wir haben nichts dagegen, wenn alle eifrigen Protestanten die Katholiken aus allen Lebensgebieten zurückzudrängen wünschen, wie der eifrige Katholik die Bekehrung aller Ketzer wünscht. Aber ehe sich so ein Wunsch in Gesetze eines Verfassungsstaates umsetzt, muß er doch außer dem Hasse noch andre Gründe geltend zu machen haben. Will man einem reichlichen Drittel der Staatsbürger den Zwang anthun, gegen ihren Willen den Einfluß ihrer Geistlichkeit auf die Schule (über dessen Maß und Grenzen sich ja reden läßt) zu beseitigen, so muß die Behauptung bewiese,? werden, daß dieser Einfluß staatsgefährlich sei oder staatsgefährlich werden könne. Der Beweis dafür ist aber nicht zu erbringen, weder aus der Lehre der römischen Kirche noch aus der Geschichte. Nicht aus der Lehre. Versuche, die Staatsgefährlichkeit aus der päpstlichen Unfehlbarkeit u. s. w. abzuleiten, sind von vornherein als phantastisch abzuweisen; denn mit demselben Rechte könnte man beweisen, daß Luthers Lehre von der evangelischen Freiheit, die reformirte Gemeindever- fassung, Hegels Eutwickluugsprinzip, der Darwinismus mit der Staatsordnung unverträglich seien. Hier kommt nur in Betracht, was die römische Kirche über die Pflichten gegen die Obrigkeit amtlich lehrt. Das in den meisten Pnstorseminarien eingeführte Moralhandbuch des Jesuiten Gury lehrt nun auf S. 174, daß den Unterthanen Selbsthilfe gegen eine tyrannische Ne¬ gierung durch Revolution unter keinen Umständen erlaubt sei. Was aber die Geschichte betrifft, so hat es keinen Sinn, die Geschichten von Gregor VII., von Ravaillac und von der Pnlverschwörung aufzuwärmen. Für den Politiker kommt lediglich in Betracht, was der preußische Staat seit seinem Bestehen mit seinen katholischen Unterthanen und mit der katholischen Geistlichkeit für Erfahrungen gemacht hat. Die Autwort lautet: die allerbesten; die Katholiken haben sich, als Katholiken, als katholische Partei, niemals an einer Steuerverweigerung noch an einem Aufruhr beteiligt und haben in Krieg und Frieden jederzeit ihre Schuldigkeit gethan. Die katholischen Soldaten, die die Schlachten von 1864, 1866 und 1870 angeschlagen haben, sind aus deu von Geistlichen geleiteten Volksschulen hervorgegangen, wie ihre protestantischen Kameraden aus der Schule der „berüchtigten" Stiehlschen Regulative. Als am 15. November 1848 die Nationalversammlung zu Berlin das Volk zur Steuerverweigerung aufgefordert und sich unter anderen auch die Mehrheit des Breslauer Magistrats für die Volksvertretung gegen den König erklärt hatte, da erließ der Fürstbischof Diepenbrock, der sich bei seinem Einzuge den Diözesanen mit den Worten vorgestellt hatte: „Ich stehe hier vor euch als der Mann deS Papstes", am 18. November ein kurzes Rundschreiben, worin es heißt: Zur Beseitigung von Gewissenszwcifeln „erkläre ich hiermit vor Gottes Angesicht und vor aller Welt, daß, da Se. Majestät der König nicht auf¬ gehört hat, unser rechtmäßiger König zu sein, die Pflicht des Gehorsams gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/477>, abgerufen am 23.07.2024.