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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Zum Volksschullärm

meine Herrn! Ich erkenne an, die Katholiken sind Dummköpfe und dürfen
in unserm aufgeklärten Jahrhundert namentlich in der Schule nichts mehr zu
sagen haben. Ich lade demnach zur Lösung der Schwierigkeiten alle pro¬
testantischen Professoren ein, mit Ausnahme etwaiger Stöckerianer -- denn
auch die Schmach des Jahrhunderts muß von dem Heiligtum der Schule
fern gehalten werden, das nur der dreimal große Hermes (groß als Politiker,
als Schulleiter und als Krokodilvater) und seine Brüder vom freien Geiste
zu betreten würdig sind. Diese Herren mögen durch eine von ihnen gewählte
Kommission -- zum Vorsitzenden würde sich der Wotnnspriester Felix Dahn
eignen--folgende Bücher ausarbeiten lassen: eine Religionslehre, eine Sitten¬
lehre, eine Naturlehre, eine Weltwerdungsgeschichte und eine Weltgeschichte,
mit besondrer Hervorhebung der drei wichtigen "Epochen": Entstehung des
Christentums, Reformation, französische Revolution. Wenn diese fünf Bücher
fertig und von sämtlichen Herrn Professoren einstimmig gebilligt worden sein
werden, dann -- ich schwöre es! -- soll kein Kind in ganz Preußen, sein
Vater sei Lutheraner, Kalvinist, Römling, Häckelianer, Egidianer, Jude oder
Türke, nach andern Büchern unterrichtet werden, als nach diesen Urkunden
des neuen deutschen Nationalglaubens! Der Herr Kultusminister dürfte den
Schwur kecklich wagen ohne Gefahr des Meiueids; denn möchten die Herrn
Professoren leben bleiben bis zum Weltuntergange, über die fünf heiligen
Bücher würden sie sich nicht einigen.

Bon einer vernünftigen Auseinandersetzung mit den Schreiern kann natür¬
lich keine Rede sein; aber die Entstehung des Spektakels psychologisch zu
ergründen, das ist von Wichtigkeit. Vier Triebkräfte scheinen zu seiner Er¬
zeugung zusammengewirkt zu haben. 'Erstens der KonfesfionShaß. Wäre dieser
nicht der Hauptbeweggrund, so würden die Deutschfreisinnigen nicht mit den
Nationalliberalen, sondern mit dem Zentrum gemeinsame Sache gemacht haben.
Denn dieses pflichtet nicht allein den Bestimmungen des Entwurfs über die
Privatschulen bei, sondern bekämpft auch den gegen die Dissidenten auszuübenden
Zwang, erstrebt also das höchste Maß von Unterrichtsfreiheit, das in Preußen
nur irgend denkbar und erreichbar ist, während die Nationalliberalen den
Staatszwang bis zu jenem äußersten ausdehnen wollen, dem das Gerechtigkeits¬
und Billigkeitsgefühl des Grafen Zedlitz widerstrebt. (Nebenbei bemerkt: der
Herr Kultusminister hat Recht mit der Meinung, daß jeder gebildete Arbeiter,
der den Christenglauben verliert, ein Sozialrevolutionär wird; aber die Kinder
ungläubiger Eltern gläubig zu machen wird der konfessionellen Schule nicht
gelingen. Freilich wären die armen Würmer zu bedauern, die von Priestern
des modernen Glaubens durch Häckels Anthropogenie mit den schönen Fötus¬
bildern in die Weltgeschichte eingeführt würden anstatt durch das hehre Thor
der Genesis, das Michel Angelo und Schmorr von Carolsfeld mit ihren un¬
vergänglichen Gestalten geschmückt haben.) Der Konfessivnshaß ist nun eine


Zum Volksschullärm

meine Herrn! Ich erkenne an, die Katholiken sind Dummköpfe und dürfen
in unserm aufgeklärten Jahrhundert namentlich in der Schule nichts mehr zu
sagen haben. Ich lade demnach zur Lösung der Schwierigkeiten alle pro¬
testantischen Professoren ein, mit Ausnahme etwaiger Stöckerianer — denn
auch die Schmach des Jahrhunderts muß von dem Heiligtum der Schule
fern gehalten werden, das nur der dreimal große Hermes (groß als Politiker,
als Schulleiter und als Krokodilvater) und seine Brüder vom freien Geiste
zu betreten würdig sind. Diese Herren mögen durch eine von ihnen gewählte
Kommission — zum Vorsitzenden würde sich der Wotnnspriester Felix Dahn
eignen—folgende Bücher ausarbeiten lassen: eine Religionslehre, eine Sitten¬
lehre, eine Naturlehre, eine Weltwerdungsgeschichte und eine Weltgeschichte,
mit besondrer Hervorhebung der drei wichtigen „Epochen": Entstehung des
Christentums, Reformation, französische Revolution. Wenn diese fünf Bücher
fertig und von sämtlichen Herrn Professoren einstimmig gebilligt worden sein
werden, dann — ich schwöre es! — soll kein Kind in ganz Preußen, sein
Vater sei Lutheraner, Kalvinist, Römling, Häckelianer, Egidianer, Jude oder
Türke, nach andern Büchern unterrichtet werden, als nach diesen Urkunden
des neuen deutschen Nationalglaubens! Der Herr Kultusminister dürfte den
Schwur kecklich wagen ohne Gefahr des Meiueids; denn möchten die Herrn
Professoren leben bleiben bis zum Weltuntergange, über die fünf heiligen
Bücher würden sie sich nicht einigen.

Bon einer vernünftigen Auseinandersetzung mit den Schreiern kann natür¬
lich keine Rede sein; aber die Entstehung des Spektakels psychologisch zu
ergründen, das ist von Wichtigkeit. Vier Triebkräfte scheinen zu seiner Er¬
zeugung zusammengewirkt zu haben. 'Erstens der KonfesfionShaß. Wäre dieser
nicht der Hauptbeweggrund, so würden die Deutschfreisinnigen nicht mit den
Nationalliberalen, sondern mit dem Zentrum gemeinsame Sache gemacht haben.
Denn dieses pflichtet nicht allein den Bestimmungen des Entwurfs über die
Privatschulen bei, sondern bekämpft auch den gegen die Dissidenten auszuübenden
Zwang, erstrebt also das höchste Maß von Unterrichtsfreiheit, das in Preußen
nur irgend denkbar und erreichbar ist, während die Nationalliberalen den
Staatszwang bis zu jenem äußersten ausdehnen wollen, dem das Gerechtigkeits¬
und Billigkeitsgefühl des Grafen Zedlitz widerstrebt. (Nebenbei bemerkt: der
Herr Kultusminister hat Recht mit der Meinung, daß jeder gebildete Arbeiter,
der den Christenglauben verliert, ein Sozialrevolutionär wird; aber die Kinder
ungläubiger Eltern gläubig zu machen wird der konfessionellen Schule nicht
gelingen. Freilich wären die armen Würmer zu bedauern, die von Priestern
des modernen Glaubens durch Häckels Anthropogenie mit den schönen Fötus¬
bildern in die Weltgeschichte eingeführt würden anstatt durch das hehre Thor
der Genesis, das Michel Angelo und Schmorr von Carolsfeld mit ihren un¬
vergänglichen Gestalten geschmückt haben.) Der Konfessivnshaß ist nun eine


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[0476] Zum Volksschullärm meine Herrn! Ich erkenne an, die Katholiken sind Dummköpfe und dürfen in unserm aufgeklärten Jahrhundert namentlich in der Schule nichts mehr zu sagen haben. Ich lade demnach zur Lösung der Schwierigkeiten alle pro¬ testantischen Professoren ein, mit Ausnahme etwaiger Stöckerianer — denn auch die Schmach des Jahrhunderts muß von dem Heiligtum der Schule fern gehalten werden, das nur der dreimal große Hermes (groß als Politiker, als Schulleiter und als Krokodilvater) und seine Brüder vom freien Geiste zu betreten würdig sind. Diese Herren mögen durch eine von ihnen gewählte Kommission — zum Vorsitzenden würde sich der Wotnnspriester Felix Dahn eignen—folgende Bücher ausarbeiten lassen: eine Religionslehre, eine Sitten¬ lehre, eine Naturlehre, eine Weltwerdungsgeschichte und eine Weltgeschichte, mit besondrer Hervorhebung der drei wichtigen „Epochen": Entstehung des Christentums, Reformation, französische Revolution. Wenn diese fünf Bücher fertig und von sämtlichen Herrn Professoren einstimmig gebilligt worden sein werden, dann — ich schwöre es! — soll kein Kind in ganz Preußen, sein Vater sei Lutheraner, Kalvinist, Römling, Häckelianer, Egidianer, Jude oder Türke, nach andern Büchern unterrichtet werden, als nach diesen Urkunden des neuen deutschen Nationalglaubens! Der Herr Kultusminister dürfte den Schwur kecklich wagen ohne Gefahr des Meiueids; denn möchten die Herrn Professoren leben bleiben bis zum Weltuntergange, über die fünf heiligen Bücher würden sie sich nicht einigen. Bon einer vernünftigen Auseinandersetzung mit den Schreiern kann natür¬ lich keine Rede sein; aber die Entstehung des Spektakels psychologisch zu ergründen, das ist von Wichtigkeit. Vier Triebkräfte scheinen zu seiner Er¬ zeugung zusammengewirkt zu haben. 'Erstens der KonfesfionShaß. Wäre dieser nicht der Hauptbeweggrund, so würden die Deutschfreisinnigen nicht mit den Nationalliberalen, sondern mit dem Zentrum gemeinsame Sache gemacht haben. Denn dieses pflichtet nicht allein den Bestimmungen des Entwurfs über die Privatschulen bei, sondern bekämpft auch den gegen die Dissidenten auszuübenden Zwang, erstrebt also das höchste Maß von Unterrichtsfreiheit, das in Preußen nur irgend denkbar und erreichbar ist, während die Nationalliberalen den Staatszwang bis zu jenem äußersten ausdehnen wollen, dem das Gerechtigkeits¬ und Billigkeitsgefühl des Grafen Zedlitz widerstrebt. (Nebenbei bemerkt: der Herr Kultusminister hat Recht mit der Meinung, daß jeder gebildete Arbeiter, der den Christenglauben verliert, ein Sozialrevolutionär wird; aber die Kinder ungläubiger Eltern gläubig zu machen wird der konfessionellen Schule nicht gelingen. Freilich wären die armen Würmer zu bedauern, die von Priestern des modernen Glaubens durch Häckels Anthropogenie mit den schönen Fötus¬ bildern in die Weltgeschichte eingeführt würden anstatt durch das hehre Thor der Genesis, das Michel Angelo und Schmorr von Carolsfeld mit ihren un¬ vergänglichen Gestalten geschmückt haben.) Der Konfessivnshaß ist nun eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/476>, abgerufen am 23.07.2024.