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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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uns zu sein, daß die Zahl der Schüler einer konfessionellen Minderheit, für
die eine besondre Konfessionsschule errichtet werden Kinn oder muß, viel zu
niedrig angesetzt ist, und daß den Gemeinden der Hauptstadt wie des kleinsten
Dorfes dasselbe Maß von Teilnahme an der Schulverwaltung zugemessen
wird. Eine Großstadt, und schon eine Mittelstadt, wird doch mit ihrem
Schulwesen sehr gut allein sertig, auch wenn sich gar kein Staat darum
kümmert und wenn die Geistlichkeit ganz ausgeschlossen bleibt. Auf den meisten
Dörfern dagegen ist die Fürsorge des Pfarrers für die Schule gar nicht zu
entbehren, und je weniger hineingeredet wird, je mehr die Schulvorsteher bloße
Statisten sind, desto besser für die Schule. Daran werden die städtischen Liberalen
mit allem Geschrei gegen die Pfaffen bis zum jüngsten Tage nichts ändern. Man
müßte denn den Schulmeistern, was sie ja auch schon hie und da verlangen,
eine vollkommne akademische Bildung zu teil werden lassen und nur ältern
Männern selbständige Schulämter anvertrauen; die würden dann den Pfarrern
ebenbürtig sein. Ob freilich solche Professoren noch Lust haben würden, sich
in ein Gebirgsdorf zu setzen und kleinen Kindern das ABC einzupauken, ist
eine Frage für sich.

Bei ordnungsmäßigen Verlauf der Sache würden nun alle diese Be¬
denken samt der Unvereinbarkeit der grundsätzlichen Gegensätze auch ohne städ¬
tische Petitionen in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses und seiner
Kommission mit der Zeit so stark hervorgetreten sein, daß sich der Kultus¬
minister vielleicht doch veranlaßt gesehen hätte, den Entwurf zurückzuziehen
und sich für diesmal noch mit einem Dotationsgesetze zu begnügen. Aber
nachdem die verbohrte Berliner Preßjudenklique den großen Radau losgelassen
hat, wäre die Preisgebung des Entwurfes sehr bedenklich, weil sie den Schein
erwecken würde, als wäre die Regierung vor dem Janhagel zurückgewichen.
Es haben sich ja leider auch sehr ehrenwerte und anerkannt tüchtige Männer
verleiten lassen, an der Bewegung teilzunehmen; aber durch ihren Ursprung
und durch die angewandten Agitationsmittel bleibt ihr der Charakter einer
bloßen Radaübewegung so unauslöschlich aufgeprägt, daß Ehrenmänner dnrch
ihre Teilnahme nur sich selbst schaden, nicht aber die Sache retten können.
Eine Bewegung zu Gunsten der alten städtischen Schuldeputationen, etwa
unter dem Feldgeschrei "Für die Selbstverwaltung der Städte," hätte Sinn
und Berechtigung gehabt; ein Windmühlenkampf gegen "Reaktion, Geistes-
knechtschaft, Pfaffenherrschaft" ist nicht ernst zu nehmen. Übrigens steckt viel
unfreiwilliger Humor in den salzlosen, wenn auch giftigen Witzen des Kladde¬
radatsch und des Ulk, die von der gläubigen Gemeinde dieser Apostel als
urkundliche Aufschlüsse über Vergangenheit und Zukunft des preußischen Schul¬
wesens hingenommen werden. Wäre Preußen ein absoluter Staat, und Hütten
wir statt eines beschließenden Landtages nur ratgebende Landstünde, so könnte
sich Graf Zedlitz einen prächtigen Scherz machen. Er könnte sagen: Gut,


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uns zu sein, daß die Zahl der Schüler einer konfessionellen Minderheit, für
die eine besondre Konfessionsschule errichtet werden Kinn oder muß, viel zu
niedrig angesetzt ist, und daß den Gemeinden der Hauptstadt wie des kleinsten
Dorfes dasselbe Maß von Teilnahme an der Schulverwaltung zugemessen
wird. Eine Großstadt, und schon eine Mittelstadt, wird doch mit ihrem
Schulwesen sehr gut allein sertig, auch wenn sich gar kein Staat darum
kümmert und wenn die Geistlichkeit ganz ausgeschlossen bleibt. Auf den meisten
Dörfern dagegen ist die Fürsorge des Pfarrers für die Schule gar nicht zu
entbehren, und je weniger hineingeredet wird, je mehr die Schulvorsteher bloße
Statisten sind, desto besser für die Schule. Daran werden die städtischen Liberalen
mit allem Geschrei gegen die Pfaffen bis zum jüngsten Tage nichts ändern. Man
müßte denn den Schulmeistern, was sie ja auch schon hie und da verlangen,
eine vollkommne akademische Bildung zu teil werden lassen und nur ältern
Männern selbständige Schulämter anvertrauen; die würden dann den Pfarrern
ebenbürtig sein. Ob freilich solche Professoren noch Lust haben würden, sich
in ein Gebirgsdorf zu setzen und kleinen Kindern das ABC einzupauken, ist
eine Frage für sich.

Bei ordnungsmäßigen Verlauf der Sache würden nun alle diese Be¬
denken samt der Unvereinbarkeit der grundsätzlichen Gegensätze auch ohne städ¬
tische Petitionen in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses und seiner
Kommission mit der Zeit so stark hervorgetreten sein, daß sich der Kultus¬
minister vielleicht doch veranlaßt gesehen hätte, den Entwurf zurückzuziehen
und sich für diesmal noch mit einem Dotationsgesetze zu begnügen. Aber
nachdem die verbohrte Berliner Preßjudenklique den großen Radau losgelassen
hat, wäre die Preisgebung des Entwurfes sehr bedenklich, weil sie den Schein
erwecken würde, als wäre die Regierung vor dem Janhagel zurückgewichen.
Es haben sich ja leider auch sehr ehrenwerte und anerkannt tüchtige Männer
verleiten lassen, an der Bewegung teilzunehmen; aber durch ihren Ursprung
und durch die angewandten Agitationsmittel bleibt ihr der Charakter einer
bloßen Radaübewegung so unauslöschlich aufgeprägt, daß Ehrenmänner dnrch
ihre Teilnahme nur sich selbst schaden, nicht aber die Sache retten können.
Eine Bewegung zu Gunsten der alten städtischen Schuldeputationen, etwa
unter dem Feldgeschrei „Für die Selbstverwaltung der Städte," hätte Sinn
und Berechtigung gehabt; ein Windmühlenkampf gegen „Reaktion, Geistes-
knechtschaft, Pfaffenherrschaft" ist nicht ernst zu nehmen. Übrigens steckt viel
unfreiwilliger Humor in den salzlosen, wenn auch giftigen Witzen des Kladde¬
radatsch und des Ulk, die von der gläubigen Gemeinde dieser Apostel als
urkundliche Aufschlüsse über Vergangenheit und Zukunft des preußischen Schul¬
wesens hingenommen werden. Wäre Preußen ein absoluter Staat, und Hütten
wir statt eines beschließenden Landtages nur ratgebende Landstünde, so könnte
sich Graf Zedlitz einen prächtigen Scherz machen. Er könnte sagen: Gut,


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[0475] Inn volksschullÄrm uns zu sein, daß die Zahl der Schüler einer konfessionellen Minderheit, für die eine besondre Konfessionsschule errichtet werden Kinn oder muß, viel zu niedrig angesetzt ist, und daß den Gemeinden der Hauptstadt wie des kleinsten Dorfes dasselbe Maß von Teilnahme an der Schulverwaltung zugemessen wird. Eine Großstadt, und schon eine Mittelstadt, wird doch mit ihrem Schulwesen sehr gut allein sertig, auch wenn sich gar kein Staat darum kümmert und wenn die Geistlichkeit ganz ausgeschlossen bleibt. Auf den meisten Dörfern dagegen ist die Fürsorge des Pfarrers für die Schule gar nicht zu entbehren, und je weniger hineingeredet wird, je mehr die Schulvorsteher bloße Statisten sind, desto besser für die Schule. Daran werden die städtischen Liberalen mit allem Geschrei gegen die Pfaffen bis zum jüngsten Tage nichts ändern. Man müßte denn den Schulmeistern, was sie ja auch schon hie und da verlangen, eine vollkommne akademische Bildung zu teil werden lassen und nur ältern Männern selbständige Schulämter anvertrauen; die würden dann den Pfarrern ebenbürtig sein. Ob freilich solche Professoren noch Lust haben würden, sich in ein Gebirgsdorf zu setzen und kleinen Kindern das ABC einzupauken, ist eine Frage für sich. Bei ordnungsmäßigen Verlauf der Sache würden nun alle diese Be¬ denken samt der Unvereinbarkeit der grundsätzlichen Gegensätze auch ohne städ¬ tische Petitionen in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses und seiner Kommission mit der Zeit so stark hervorgetreten sein, daß sich der Kultus¬ minister vielleicht doch veranlaßt gesehen hätte, den Entwurf zurückzuziehen und sich für diesmal noch mit einem Dotationsgesetze zu begnügen. Aber nachdem die verbohrte Berliner Preßjudenklique den großen Radau losgelassen hat, wäre die Preisgebung des Entwurfes sehr bedenklich, weil sie den Schein erwecken würde, als wäre die Regierung vor dem Janhagel zurückgewichen. Es haben sich ja leider auch sehr ehrenwerte und anerkannt tüchtige Männer verleiten lassen, an der Bewegung teilzunehmen; aber durch ihren Ursprung und durch die angewandten Agitationsmittel bleibt ihr der Charakter einer bloßen Radaübewegung so unauslöschlich aufgeprägt, daß Ehrenmänner dnrch ihre Teilnahme nur sich selbst schaden, nicht aber die Sache retten können. Eine Bewegung zu Gunsten der alten städtischen Schuldeputationen, etwa unter dem Feldgeschrei „Für die Selbstverwaltung der Städte," hätte Sinn und Berechtigung gehabt; ein Windmühlenkampf gegen „Reaktion, Geistes- knechtschaft, Pfaffenherrschaft" ist nicht ernst zu nehmen. Übrigens steckt viel unfreiwilliger Humor in den salzlosen, wenn auch giftigen Witzen des Kladde¬ radatsch und des Ulk, die von der gläubigen Gemeinde dieser Apostel als urkundliche Aufschlüsse über Vergangenheit und Zukunft des preußischen Schul¬ wesens hingenommen werden. Wäre Preußen ein absoluter Staat, und Hütten wir statt eines beschließenden Landtages nur ratgebende Landstünde, so könnte sich Graf Zedlitz einen prächtigen Scherz machen. Er könnte sagen: Gut,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/475>, abgerufen am 23.07.2024.