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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Zum Volksschullärm

die nach dem Rate des Saganer Abts Felbiger eingerichteten Lehrerseminare
wurden mit der Hvmrw 8vinirmri8t,log. dotirt, d. h. jeder neu angestellte Pfarrer
hatte den vierten Teil seines ersten Jahreseinkommens an die Seminarien¬
kasse abzugeben. Nur durch die auf Grund der Städteordnung eingerichteten
Schuldeputationen erlitt das fridericianische Reglement eine erhebliche Änderung
und Verbesserung. Und dieser Zustand ist geblieben bis auf Falk. Der neue Ent¬
wurf stellt ihn nicht wieder her, sondern kodifizirt nur, was Falk davon übrig
gelassen hat. Das hält die Radaumacher natürlich nicht ab, tagtäglich in
Hunderten von Zeitungen, sowie in Volksversammlungen den Geist des großen
Königs gegen den Grafen Zedlitz zu beschwören, über den Bruch mit den
fridericianischen Traditionen zu jammern und dem Volke vorzulügen, es sei
unerhört in Preußen, daß ein Minister, so wie dieser, die Jugend des Volkes
"an Rom auszuliefern" sich unterstanden hätte.

Nicht in dem Schreckgespenst, das durch diese abgeschmackte Beschuldigung
den Leuten vorgezaubert wird, liegt das Gefährliche dieses und jedes andern
Entwurfs, sondern in der Unmöglichkeit, für dreißig Millionen Unterthanen
einen Verwaltungszweig einheitlich zu ordnen, in dem so verschiedenartige ört¬
liche, provinzielle und konfessionelle Bedürfnisse und Herzenswünsche ihr Recht
geltend machen. Das Volk war bis auf Falk mit seinen Schulverhältnissen
zufrieden gewesen, und Falls Anordnungen erregten bei den Katholiken
große Unzufriedenheit. In den evangelischen Schulen, wo die Geistlichen
größtenteils die Schulaufsicht behielten, ließ die neue Ordnung, abgesehen von
einigen Änderungen des Lehrplans und Lehrstoffs, der Hauptsache nach alles
beim Alten. Die Begeisterung der Freireligiösen und Religionslosen aber
verrauchte schnell, als sie bemerkten, daß nach wie vor in der Schule der alte
und nicht der neue Glaube gelehrt wurde. Die Mehrheit des Abgeordneten¬
hauses, die Falk beistimmte, hatte die Mehrheit des Volkes nicht hinter sich.
Wäre nun die Sache so, wie sie jetzt nach eingetretner leidlicher Beruhigung
lag, in der Schwebe geblieben, und hätte die Negierung fortgefahren, sich von
Fall zu Fall auf dem Verorduungswege zu helfen, so hätte jede der drei
großen konfessionellen Gruppen wie bisher der Hoffnung weiter gelebt, daß sie
mit der Zeit ihre Ziele noch erreichen werde. Durch die beabsichtigte Fest¬
legung wird die Leidenschaft der Partei, die dabei am schlechtesten fährt, zur
Siedehitze entflammt, während die andern beiden Parteien, namentlich die ka¬
tholische, noch lange nicht zufrieden gestellt sind. Dazu kommen zahlreiche
technische Bedenken gegen die vorgeschlagene Verwaltungsordnung. Einige
davon hat ein sachkundiger Mitarbeiter in Ur. 6 der Grenzboten schon her¬
vorgehoben. Andre werden nach und nach in den Petitionen der Magistrate
zum Vorschein kommen, denen es freilich nicht gerade zum Vorteil gereicht,
daß sie hinter den Radaumachern Hermarschiren und sich von diesen als Bundes¬
genossen behandeln lassen müssen. Die beiden bedenklichsten Punkte scheinen


Zum Volksschullärm

die nach dem Rate des Saganer Abts Felbiger eingerichteten Lehrerseminare
wurden mit der Hvmrw 8vinirmri8t,log. dotirt, d. h. jeder neu angestellte Pfarrer
hatte den vierten Teil seines ersten Jahreseinkommens an die Seminarien¬
kasse abzugeben. Nur durch die auf Grund der Städteordnung eingerichteten
Schuldeputationen erlitt das fridericianische Reglement eine erhebliche Änderung
und Verbesserung. Und dieser Zustand ist geblieben bis auf Falk. Der neue Ent¬
wurf stellt ihn nicht wieder her, sondern kodifizirt nur, was Falk davon übrig
gelassen hat. Das hält die Radaumacher natürlich nicht ab, tagtäglich in
Hunderten von Zeitungen, sowie in Volksversammlungen den Geist des großen
Königs gegen den Grafen Zedlitz zu beschwören, über den Bruch mit den
fridericianischen Traditionen zu jammern und dem Volke vorzulügen, es sei
unerhört in Preußen, daß ein Minister, so wie dieser, die Jugend des Volkes
„an Rom auszuliefern" sich unterstanden hätte.

Nicht in dem Schreckgespenst, das durch diese abgeschmackte Beschuldigung
den Leuten vorgezaubert wird, liegt das Gefährliche dieses und jedes andern
Entwurfs, sondern in der Unmöglichkeit, für dreißig Millionen Unterthanen
einen Verwaltungszweig einheitlich zu ordnen, in dem so verschiedenartige ört¬
liche, provinzielle und konfessionelle Bedürfnisse und Herzenswünsche ihr Recht
geltend machen. Das Volk war bis auf Falk mit seinen Schulverhältnissen
zufrieden gewesen, und Falls Anordnungen erregten bei den Katholiken
große Unzufriedenheit. In den evangelischen Schulen, wo die Geistlichen
größtenteils die Schulaufsicht behielten, ließ die neue Ordnung, abgesehen von
einigen Änderungen des Lehrplans und Lehrstoffs, der Hauptsache nach alles
beim Alten. Die Begeisterung der Freireligiösen und Religionslosen aber
verrauchte schnell, als sie bemerkten, daß nach wie vor in der Schule der alte
und nicht der neue Glaube gelehrt wurde. Die Mehrheit des Abgeordneten¬
hauses, die Falk beistimmte, hatte die Mehrheit des Volkes nicht hinter sich.
Wäre nun die Sache so, wie sie jetzt nach eingetretner leidlicher Beruhigung
lag, in der Schwebe geblieben, und hätte die Negierung fortgefahren, sich von
Fall zu Fall auf dem Verorduungswege zu helfen, so hätte jede der drei
großen konfessionellen Gruppen wie bisher der Hoffnung weiter gelebt, daß sie
mit der Zeit ihre Ziele noch erreichen werde. Durch die beabsichtigte Fest¬
legung wird die Leidenschaft der Partei, die dabei am schlechtesten fährt, zur
Siedehitze entflammt, während die andern beiden Parteien, namentlich die ka¬
tholische, noch lange nicht zufrieden gestellt sind. Dazu kommen zahlreiche
technische Bedenken gegen die vorgeschlagene Verwaltungsordnung. Einige
davon hat ein sachkundiger Mitarbeiter in Ur. 6 der Grenzboten schon her¬
vorgehoben. Andre werden nach und nach in den Petitionen der Magistrate
zum Vorschein kommen, denen es freilich nicht gerade zum Vorteil gereicht,
daß sie hinter den Radaumachern Hermarschiren und sich von diesen als Bundes¬
genossen behandeln lassen müssen. Die beiden bedenklichsten Punkte scheinen


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[0474] Zum Volksschullärm die nach dem Rate des Saganer Abts Felbiger eingerichteten Lehrerseminare wurden mit der Hvmrw 8vinirmri8t,log. dotirt, d. h. jeder neu angestellte Pfarrer hatte den vierten Teil seines ersten Jahreseinkommens an die Seminarien¬ kasse abzugeben. Nur durch die auf Grund der Städteordnung eingerichteten Schuldeputationen erlitt das fridericianische Reglement eine erhebliche Änderung und Verbesserung. Und dieser Zustand ist geblieben bis auf Falk. Der neue Ent¬ wurf stellt ihn nicht wieder her, sondern kodifizirt nur, was Falk davon übrig gelassen hat. Das hält die Radaumacher natürlich nicht ab, tagtäglich in Hunderten von Zeitungen, sowie in Volksversammlungen den Geist des großen Königs gegen den Grafen Zedlitz zu beschwören, über den Bruch mit den fridericianischen Traditionen zu jammern und dem Volke vorzulügen, es sei unerhört in Preußen, daß ein Minister, so wie dieser, die Jugend des Volkes „an Rom auszuliefern" sich unterstanden hätte. Nicht in dem Schreckgespenst, das durch diese abgeschmackte Beschuldigung den Leuten vorgezaubert wird, liegt das Gefährliche dieses und jedes andern Entwurfs, sondern in der Unmöglichkeit, für dreißig Millionen Unterthanen einen Verwaltungszweig einheitlich zu ordnen, in dem so verschiedenartige ört¬ liche, provinzielle und konfessionelle Bedürfnisse und Herzenswünsche ihr Recht geltend machen. Das Volk war bis auf Falk mit seinen Schulverhältnissen zufrieden gewesen, und Falls Anordnungen erregten bei den Katholiken große Unzufriedenheit. In den evangelischen Schulen, wo die Geistlichen größtenteils die Schulaufsicht behielten, ließ die neue Ordnung, abgesehen von einigen Änderungen des Lehrplans und Lehrstoffs, der Hauptsache nach alles beim Alten. Die Begeisterung der Freireligiösen und Religionslosen aber verrauchte schnell, als sie bemerkten, daß nach wie vor in der Schule der alte und nicht der neue Glaube gelehrt wurde. Die Mehrheit des Abgeordneten¬ hauses, die Falk beistimmte, hatte die Mehrheit des Volkes nicht hinter sich. Wäre nun die Sache so, wie sie jetzt nach eingetretner leidlicher Beruhigung lag, in der Schwebe geblieben, und hätte die Negierung fortgefahren, sich von Fall zu Fall auf dem Verorduungswege zu helfen, so hätte jede der drei großen konfessionellen Gruppen wie bisher der Hoffnung weiter gelebt, daß sie mit der Zeit ihre Ziele noch erreichen werde. Durch die beabsichtigte Fest¬ legung wird die Leidenschaft der Partei, die dabei am schlechtesten fährt, zur Siedehitze entflammt, während die andern beiden Parteien, namentlich die ka¬ tholische, noch lange nicht zufrieden gestellt sind. Dazu kommen zahlreiche technische Bedenken gegen die vorgeschlagene Verwaltungsordnung. Einige davon hat ein sachkundiger Mitarbeiter in Ur. 6 der Grenzboten schon her¬ vorgehoben. Andre werden nach und nach in den Petitionen der Magistrate zum Vorschein kommen, denen es freilich nicht gerade zum Vorteil gereicht, daß sie hinter den Radaumachern Hermarschiren und sich von diesen als Bundes¬ genossen behandeln lassen müssen. Die beiden bedenklichsten Punkte scheinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/474>, abgerufen am 23.07.2024.