Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Goethes Straßburger lyrische Gedichte von ihm bemerkt: "Als ich in Saarbrück." Diese Worte hatte er wohl, als er Goethes Straßburger lyrische Gedichte von ihm bemerkt: „Als ich in Saarbrück." Diese Worte hatte er wohl, als er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211628"/> <fw type="header" place="top"> Goethes Straßburger lyrische Gedichte</fw><lb/> <p xml:id="ID_1361" prev="#ID_1360" next="#ID_1362"> von ihm bemerkt: „Als ich in Saarbrück." Diese Worte hatte er wohl, als er<lb/> es Friederiken gab, an den Rand geschrieben, weil es für diese anziehend sein<lb/> mußte, daß er das Lied vor ihrer Bekanntschaft um dem Orte gedichtet, wo<lb/> er ihre Tante und ihren Oheim kennen gelernt hatte; denn der Regierungsrat<lb/> scholl war der Bruder ihrer Mutter, Aber dieses hat selbst Weinhold in<lb/> seiner Ausgabe der Lenzischen Gedichte und neuerdings Bielschowsly Lenz zu¬<lb/> gesprochen, wie schon andere vor ihnen. Einen unzweifelhaften Beweis für<lb/> Lenz glaubte man darin gefunden zu haben, daß der spätere Seelsorger<lb/> Lenzens, Dr, Jerzeinbsky, dieses und zwei andre Lieder, die Friederikens<lb/> Schwester in Goethes Handschrift besaß, unter den Papieren des unglück¬<lb/> lichen Lievlünders gefunden hat. Dieser auf den ersten Anblick überraschende<lb/> Umstand erklärt sich aber sehr leicht daraus, daß Lenz, der, wie Goethe im Jahre<lb/> 1779 von Friederiken hörte, ihre Briefe zu erHaschen suchte, auch Goethes<lb/> Gedichte, die sie besaß, las und abschrieb, was diese auch, ohne etwas Arges<lb/> zu denken, geschehen ließ. Lenz mag dies aus bloßer Neugierde gethan und<lb/> später wirklich geglaubt haben, diese Gedichte, deren er sich nicht mehr erinnerte,<lb/> seien von ihm. Wie sehr er sich selbst darin täuschte, ergiebt sich daraus,<lb/> daß er einem davon eilte Zeitbestimmung hinzufügte, deren Unmöglichkeit<lb/> selbst Bielschvwskh nicht leugnen kann, weshalb er zu der durch keinen äußern<lb/> Grund bestätigten, an sich höchst unglaublichen Annahme greift, diese Datirung<lb/> stamme von einer andern Hand. Dagegen wird die Handschrift, die im Besitze<lb/> von Friederikens Schwester Sophie war, als von Goethe geschrieben dadurch<lb/> gesichert, daß der Besitzerin Goethes Hand bekannt war und sie das Gedicht von<lb/> Friederiken erhalten hatte, die über Lenz so ungehalten war, daß sie jede Spur von<lb/> ihrer Verbindung mit ihm ebenso gründlich vernichtet haben wird, wie sie alles,<lb/> was ihr Goethe geschenkt hatte, mit rührender Treue aufbewahrte. Bon Lenz kann<lb/> das Gedicht schon deshalb nicht sein, weil dieser nie in Saarbrücken war. Unter<lb/> den innern Gründen gegen Goethe hat man das Hauptgewicht auf den Inhalt ge¬<lb/> legt, indem man das Gedicht auf Friederiken bezog, wozu doch gar nichts nötigt.<lb/> Eben so wenig beweist der Umstand, daß sich die hier gebrauchte Form itzt<lb/> oder ize in Goethes Jugendbriefen und -Liedern nicht findet. Freilich braucht<lb/> Goethe in der gewöhnlichen Rede mir jetzt und jetzo ueben einander, Lenz itzt<lb/> neben jetzt; aber in Goethes Dichtungen fehlt itzt nicht. Schon die erste Aus¬<lb/> gabe des „Götz", wahrscheinlich auch der Entwurf, hatte II, 9 ize um Anfange<lb/> des Satzes, und in der ersten Fassung von „Jägers Nachtlied" stand ur¬<lb/> sprünglich (der erste Druck ist von 177l>): „Dn wandelst ize wohl still und<lb/> mild." Klopstock hat die drei Formen jetzt, jetzo und ize neben einander;<lb/> jetzo steht bei ihm mir vom bestimmten Augenblick, ize da, wo ein vvkalischer<lb/> Amiant, wie in „eil' itzt," oder eine Kürze, wie in dem Dacthlus „laß sie itzt," gefor¬<lb/> dert wird. Goethe braucht das spitzige itzt als Länge, auch, wie manche Dichter,<lb/> am Anfange des Verses, Gleim auch im Reime, und zwar in einem Gedichte im</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0460]
Goethes Straßburger lyrische Gedichte
von ihm bemerkt: „Als ich in Saarbrück." Diese Worte hatte er wohl, als er
es Friederiken gab, an den Rand geschrieben, weil es für diese anziehend sein
mußte, daß er das Lied vor ihrer Bekanntschaft um dem Orte gedichtet, wo
er ihre Tante und ihren Oheim kennen gelernt hatte; denn der Regierungsrat
scholl war der Bruder ihrer Mutter, Aber dieses hat selbst Weinhold in
seiner Ausgabe der Lenzischen Gedichte und neuerdings Bielschowsly Lenz zu¬
gesprochen, wie schon andere vor ihnen. Einen unzweifelhaften Beweis für
Lenz glaubte man darin gefunden zu haben, daß der spätere Seelsorger
Lenzens, Dr, Jerzeinbsky, dieses und zwei andre Lieder, die Friederikens
Schwester in Goethes Handschrift besaß, unter den Papieren des unglück¬
lichen Lievlünders gefunden hat. Dieser auf den ersten Anblick überraschende
Umstand erklärt sich aber sehr leicht daraus, daß Lenz, der, wie Goethe im Jahre
1779 von Friederiken hörte, ihre Briefe zu erHaschen suchte, auch Goethes
Gedichte, die sie besaß, las und abschrieb, was diese auch, ohne etwas Arges
zu denken, geschehen ließ. Lenz mag dies aus bloßer Neugierde gethan und
später wirklich geglaubt haben, diese Gedichte, deren er sich nicht mehr erinnerte,
seien von ihm. Wie sehr er sich selbst darin täuschte, ergiebt sich daraus,
daß er einem davon eilte Zeitbestimmung hinzufügte, deren Unmöglichkeit
selbst Bielschvwskh nicht leugnen kann, weshalb er zu der durch keinen äußern
Grund bestätigten, an sich höchst unglaublichen Annahme greift, diese Datirung
stamme von einer andern Hand. Dagegen wird die Handschrift, die im Besitze
von Friederikens Schwester Sophie war, als von Goethe geschrieben dadurch
gesichert, daß der Besitzerin Goethes Hand bekannt war und sie das Gedicht von
Friederiken erhalten hatte, die über Lenz so ungehalten war, daß sie jede Spur von
ihrer Verbindung mit ihm ebenso gründlich vernichtet haben wird, wie sie alles,
was ihr Goethe geschenkt hatte, mit rührender Treue aufbewahrte. Bon Lenz kann
das Gedicht schon deshalb nicht sein, weil dieser nie in Saarbrücken war. Unter
den innern Gründen gegen Goethe hat man das Hauptgewicht auf den Inhalt ge¬
legt, indem man das Gedicht auf Friederiken bezog, wozu doch gar nichts nötigt.
Eben so wenig beweist der Umstand, daß sich die hier gebrauchte Form itzt
oder ize in Goethes Jugendbriefen und -Liedern nicht findet. Freilich braucht
Goethe in der gewöhnlichen Rede mir jetzt und jetzo ueben einander, Lenz itzt
neben jetzt; aber in Goethes Dichtungen fehlt itzt nicht. Schon die erste Aus¬
gabe des „Götz", wahrscheinlich auch der Entwurf, hatte II, 9 ize um Anfange
des Satzes, und in der ersten Fassung von „Jägers Nachtlied" stand ur¬
sprünglich (der erste Druck ist von 177l>): „Dn wandelst ize wohl still und
mild." Klopstock hat die drei Formen jetzt, jetzo und ize neben einander;
jetzo steht bei ihm mir vom bestimmten Augenblick, ize da, wo ein vvkalischer
Amiant, wie in „eil' itzt," oder eine Kürze, wie in dem Dacthlus „laß sie itzt," gefor¬
dert wird. Goethe braucht das spitzige itzt als Länge, auch, wie manche Dichter,
am Anfange des Verses, Gleim auch im Reime, und zwar in einem Gedichte im
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