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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Kirche

erfüllte, eine Kette gemeiner Diebstähle und Räubereien. Diese Kette himmel¬
schreiender Gewaltthaten begann in den Tagen des Thomas Morus, der den
Staat als eine Verschwörung der Reichen zur Unterdrückung der Armen
definirte, und zog sich bis in unser Jahrhundert herein. Die englische Heomanry,
jene kräftige Bauernschaft, die Frankreich erobert und sich im Bürgerkriege
der beiden Rosen verblutet hatte und deren Reste noch die Schlachten Cromwells
schlugen, diese Bauernschaft wurde Kirchspiel um Kirchspiel vom väterlichen
Boden vertrieben, und ihre Nachkommenschaft verkam in Armen- und Arbeits¬
häusern und Fabriken nnter Mißhandlungen, denen nur die Negersklaverei
ähnliches zur Seite zu setzen hat; kein Muselmann würde frech genug gegen
Allah sein, seine Hans- und Ackerbausklaveu so grausam zu behandeln. Das
geraubte Land wurde teils in Schafweide verwandelt, teils an kapitalistisch
wirtschaftende Grvßpächter vergeben und brachte nun allerdings den Land-
lvrds eine höhere Rente, als die müßigen Zinsen der Bauern ergeben hatten.
Den letzten im großen Stile gehaltnen Raubzug jeuer Art, die mau LilöMNK
ot' I<!"we<ZL neunt, und den auch Röscher erwähnt, unternahm die Herzogin
von Sutherland. Sie sand von den schon dezimirten Bewohnern ihrer schot¬
tischen Herrschaft noch 15000 vor. In der Zeit von 1814 bis 1820 wurden
diese 3000 Familien vertrieben und ihre Hütten uiedergebrnnnt. Englische
Soldaten vollzogen die Exekution; eine alte Frau, die nicht weichen wollte,
wurde einfach in ihrer Hütte lebendig verbrannt. Den Nusgetriebnen wies
die Dame 12--15000 Morgen Sumpfland an der Küste an, das bis dahin
keinen Ertrag gebracht hatte, und war so gütig, sich mit einem Pachtzins von
wenig über einen Schilling für den Morgen zu begnügen. Das geraubte
Clanland -- denn die Vertriebnen waren die Nachkommen jener alten Clan¬
leute, die in unzähligen Fehden ihr Blut für die Vorfahren der Herzogin ver¬
gossen hatten -- wurde in 29 Schäfereien geteilt, von denen jede von einer ein¬
zigen ans England berufnen Familie verwaltet ward. Im Jahre 1825 waren
die 15000 Menschen durch 131000 Schafe ersetzt. "Alles für uns selbst, und
nichts für die Andern, scheint jederzeit die nichtswürdige Losung der Herr¬
schenden gewesen zu sein," sagt Adam Smith, nachdem er in einer nebenbei
bemerkt ganz falschen Darstellung -- denn in seiner Zeit gab es noch keine
quellenmäßige Kenntnis der Vergangenheit -- über die Umwandlung der guts¬
wirtschaftlichen Verhältnisse am Ausgange des Mittelalters berichtet hat. Dazu
bemerkt sein letzter Herausgeber Thvrold Rogers: "Der Raub, den die Feudal¬
herren widerrechtlich und gewaltsam (by silver vivlsuov) verübten, ist in
spätern Zeiten nicht weniger erfolgreich, aber in weniger anfechtbarer Weise
(g.8 sursl/ iZ,ne! mors satel^) ans dem Wege der Gesetzgebung verübt worden."
Als Beispiele führt er u. a. die euolosure" <?van0N8, d. h. die Einfriedigung
der Gemeindeländereien ein, dnrch die sich die Lords auch diesen Teil des ehe¬
maligen bäuerlichen Besitzes vollends aneigneten. Von den Zeiten der Königin


Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Kirche

erfüllte, eine Kette gemeiner Diebstähle und Räubereien. Diese Kette himmel¬
schreiender Gewaltthaten begann in den Tagen des Thomas Morus, der den
Staat als eine Verschwörung der Reichen zur Unterdrückung der Armen
definirte, und zog sich bis in unser Jahrhundert herein. Die englische Heomanry,
jene kräftige Bauernschaft, die Frankreich erobert und sich im Bürgerkriege
der beiden Rosen verblutet hatte und deren Reste noch die Schlachten Cromwells
schlugen, diese Bauernschaft wurde Kirchspiel um Kirchspiel vom väterlichen
Boden vertrieben, und ihre Nachkommenschaft verkam in Armen- und Arbeits¬
häusern und Fabriken nnter Mißhandlungen, denen nur die Negersklaverei
ähnliches zur Seite zu setzen hat; kein Muselmann würde frech genug gegen
Allah sein, seine Hans- und Ackerbausklaveu so grausam zu behandeln. Das
geraubte Land wurde teils in Schafweide verwandelt, teils an kapitalistisch
wirtschaftende Grvßpächter vergeben und brachte nun allerdings den Land-
lvrds eine höhere Rente, als die müßigen Zinsen der Bauern ergeben hatten.
Den letzten im großen Stile gehaltnen Raubzug jeuer Art, die mau LilöMNK
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von Sutherland. Sie sand von den schon dezimirten Bewohnern ihrer schot¬
tischen Herrschaft noch 15000 vor. In der Zeit von 1814 bis 1820 wurden
diese 3000 Familien vertrieben und ihre Hütten uiedergebrnnnt. Englische
Soldaten vollzogen die Exekution; eine alte Frau, die nicht weichen wollte,
wurde einfach in ihrer Hütte lebendig verbrannt. Den Nusgetriebnen wies
die Dame 12—15000 Morgen Sumpfland an der Küste an, das bis dahin
keinen Ertrag gebracht hatte, und war so gütig, sich mit einem Pachtzins von
wenig über einen Schilling für den Morgen zu begnügen. Das geraubte
Clanland — denn die Vertriebnen waren die Nachkommen jener alten Clan¬
leute, die in unzähligen Fehden ihr Blut für die Vorfahren der Herzogin ver¬
gossen hatten — wurde in 29 Schäfereien geteilt, von denen jede von einer ein¬
zigen ans England berufnen Familie verwaltet ward. Im Jahre 1825 waren
die 15000 Menschen durch 131000 Schafe ersetzt. „Alles für uns selbst, und
nichts für die Andern, scheint jederzeit die nichtswürdige Losung der Herr¬
schenden gewesen zu sein," sagt Adam Smith, nachdem er in einer nebenbei
bemerkt ganz falschen Darstellung — denn in seiner Zeit gab es noch keine
quellenmäßige Kenntnis der Vergangenheit — über die Umwandlung der guts¬
wirtschaftlichen Verhältnisse am Ausgange des Mittelalters berichtet hat. Dazu
bemerkt sein letzter Herausgeber Thvrold Rogers: „Der Raub, den die Feudal¬
herren widerrechtlich und gewaltsam (by silver vivlsuov) verübten, ist in
spätern Zeiten nicht weniger erfolgreich, aber in weniger anfechtbarer Weise
(g.8 sursl/ iZ,ne! mors satel^) ans dem Wege der Gesetzgebung verübt worden."
Als Beispiele führt er u. a. die euolosure» <?van0N8, d. h. die Einfriedigung
der Gemeindeländereien ein, dnrch die sich die Lords auch diesen Teil des ehe¬
maligen bäuerlichen Besitzes vollends aneigneten. Von den Zeiten der Königin


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[0442] Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Kirche erfüllte, eine Kette gemeiner Diebstähle und Räubereien. Diese Kette himmel¬ schreiender Gewaltthaten begann in den Tagen des Thomas Morus, der den Staat als eine Verschwörung der Reichen zur Unterdrückung der Armen definirte, und zog sich bis in unser Jahrhundert herein. Die englische Heomanry, jene kräftige Bauernschaft, die Frankreich erobert und sich im Bürgerkriege der beiden Rosen verblutet hatte und deren Reste noch die Schlachten Cromwells schlugen, diese Bauernschaft wurde Kirchspiel um Kirchspiel vom väterlichen Boden vertrieben, und ihre Nachkommenschaft verkam in Armen- und Arbeits¬ häusern und Fabriken nnter Mißhandlungen, denen nur die Negersklaverei ähnliches zur Seite zu setzen hat; kein Muselmann würde frech genug gegen Allah sein, seine Hans- und Ackerbausklaveu so grausam zu behandeln. Das geraubte Land wurde teils in Schafweide verwandelt, teils an kapitalistisch wirtschaftende Grvßpächter vergeben und brachte nun allerdings den Land- lvrds eine höhere Rente, als die müßigen Zinsen der Bauern ergeben hatten. Den letzten im großen Stile gehaltnen Raubzug jeuer Art, die mau LilöMNK ot' I<!«we<ZL neunt, und den auch Röscher erwähnt, unternahm die Herzogin von Sutherland. Sie sand von den schon dezimirten Bewohnern ihrer schot¬ tischen Herrschaft noch 15000 vor. In der Zeit von 1814 bis 1820 wurden diese 3000 Familien vertrieben und ihre Hütten uiedergebrnnnt. Englische Soldaten vollzogen die Exekution; eine alte Frau, die nicht weichen wollte, wurde einfach in ihrer Hütte lebendig verbrannt. Den Nusgetriebnen wies die Dame 12—15000 Morgen Sumpfland an der Küste an, das bis dahin keinen Ertrag gebracht hatte, und war so gütig, sich mit einem Pachtzins von wenig über einen Schilling für den Morgen zu begnügen. Das geraubte Clanland — denn die Vertriebnen waren die Nachkommen jener alten Clan¬ leute, die in unzähligen Fehden ihr Blut für die Vorfahren der Herzogin ver¬ gossen hatten — wurde in 29 Schäfereien geteilt, von denen jede von einer ein¬ zigen ans England berufnen Familie verwaltet ward. Im Jahre 1825 waren die 15000 Menschen durch 131000 Schafe ersetzt. „Alles für uns selbst, und nichts für die Andern, scheint jederzeit die nichtswürdige Losung der Herr¬ schenden gewesen zu sein," sagt Adam Smith, nachdem er in einer nebenbei bemerkt ganz falschen Darstellung — denn in seiner Zeit gab es noch keine quellenmäßige Kenntnis der Vergangenheit — über die Umwandlung der guts¬ wirtschaftlichen Verhältnisse am Ausgange des Mittelalters berichtet hat. Dazu bemerkt sein letzter Herausgeber Thvrold Rogers: „Der Raub, den die Feudal¬ herren widerrechtlich und gewaltsam (by silver vivlsuov) verübten, ist in spätern Zeiten nicht weniger erfolgreich, aber in weniger anfechtbarer Weise (g.8 sursl/ iZ,ne! mors satel^) ans dem Wege der Gesetzgebung verübt worden." Als Beispiele führt er u. a. die euolosure» <?van0N8, d. h. die Einfriedigung der Gemeindeländereien ein, dnrch die sich die Lords auch diesen Teil des ehe¬ maligen bäuerlichen Besitzes vollends aneigneten. Von den Zeiten der Königin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/442>, abgerufen am 23.07.2024.