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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die technischen Hochschulen

Leben gekommen sind, sich wohl oder übel behauptet haben und um nicht
begreifen können, daß gegenwärtig andres und mehr nötig ist. Mau male
sich einmal aus, daß die medizinische Fakultät unsrer Universitäten erst vor
einem oder anderthalb Jahrzehnten geschaffen wäre, daß in den meisten her¬
vorragenden Stellen Ärzte süßen, die ihre Studien nur an einer medizinisch¬
chirurgischen Akademie zurückgelegt hätten und allen von der Universität
kommenden Ärzten das Vorurteil entgegenbrachten, daß sie überbildet und
mit unnötiger Wissenschaft vollgepfropft seien, so hat man einen Anhalt für
das vielfach obwaltende Verhältnis zwischen ältern und jüngern Ingenieuren
und zugleich für die Urteile, die aus gewissen Kreisen der Praxis über die
technischen Hochschulen und ihre Bestrebungen gefällt werden.

Zu diesen Mißständen gesellt sich die unrühmliche Gewöhnung von zahl¬
reichen Industriellen, auch Großindustrielle!?, dem halbwegs geschulten Techniker,
der materiell und gesellschaftlich nur geringe Ansprüche machen kann, den
Vorzug vor dem wissenschaftlich und allgemein gebildeten Ingenieur zu geben.
Zwar bewirkt der Eigennutz hierin eine nllmählige Besserung: zu viele Ma¬
schinenbauwerkstätten, chemische Fabriken und große industrielle Betriebe haben
nach und nach erfahren, daß es besser ist, teuer und gut als billig und schlecht
zu kaufen; aber immerhin werden es noch auf manches Jahrzehnt hinaus die
technischen Hochschulen ertragen müssen, daß ihren tüchtigsten und mit allen
Ehren diplomirten Jüngern der Weg gelegentlich von den auf allerhand
Mittelschule" und den vorhererwähnteu wilden Techniken (wie sie in Mitt-
weida, in Langensalza, in Winterthur und anderwärts als Privatunter-
nehmungen blühen) gebildeten Praktikern vertreten wird, die nicht verfehlen,
das Argument des Feldschers gegen den studirten Regimentsarzt: "Der Kerl
kaun nicht einmal ordentlich rasiren und schröpfen!" auszuspielen.

Nicht unmittelbar als eine Hinterlassenschaft der frühern Stufen tech¬
nischer Bildung, sondern als ein Ausfluß der herrschenden Unklarheit mag
schließlich auch eines häufig zu hörenden Einwands gegen die Existenz und
die Leistungen der technischen Hochschulen gedacht werden, der sogar in den
Kreisen staatlicher und städtischer Behörden beliebt ist. Man meint, es sei
nutzlos, so vielen Ingenieuren, Architekten und Maschinenbauern eine gründliche
und gediegne wissenschaftliche Ausbildung zu gebe", da doch nnr ein ver¬
hältnismäßig kleiner Teil zu den höchsten Stellen ihres Berufs gelange.
Wenn man dieselbe Anschauung auf die Juristen anwenden wollte, von denen
doch auch die größte Anzahl als Amtsrichter und Nechtsanwülte, die kleinste
als Senatspräsidenteu, Oberlaudesgerichts- und Reichsgerichtsräte sterben,
oder auf die Offiziere, bei denen die Zahl derer, die mit dem Marschallstab
und der "Excellenz" ihren Abschied nehmen, in "erschreckendem Mißverhältnis"
zu der Masse derer steht, die mit dem Hauptmannsdegen aus der Armee
scheiden, so müßte man zu Forderungen und Folgerungen gelangen, die


Die technischen Hochschulen

Leben gekommen sind, sich wohl oder übel behauptet haben und um nicht
begreifen können, daß gegenwärtig andres und mehr nötig ist. Mau male
sich einmal aus, daß die medizinische Fakultät unsrer Universitäten erst vor
einem oder anderthalb Jahrzehnten geschaffen wäre, daß in den meisten her¬
vorragenden Stellen Ärzte süßen, die ihre Studien nur an einer medizinisch¬
chirurgischen Akademie zurückgelegt hätten und allen von der Universität
kommenden Ärzten das Vorurteil entgegenbrachten, daß sie überbildet und
mit unnötiger Wissenschaft vollgepfropft seien, so hat man einen Anhalt für
das vielfach obwaltende Verhältnis zwischen ältern und jüngern Ingenieuren
und zugleich für die Urteile, die aus gewissen Kreisen der Praxis über die
technischen Hochschulen und ihre Bestrebungen gefällt werden.

Zu diesen Mißständen gesellt sich die unrühmliche Gewöhnung von zahl¬
reichen Industriellen, auch Großindustrielle!?, dem halbwegs geschulten Techniker,
der materiell und gesellschaftlich nur geringe Ansprüche machen kann, den
Vorzug vor dem wissenschaftlich und allgemein gebildeten Ingenieur zu geben.
Zwar bewirkt der Eigennutz hierin eine nllmählige Besserung: zu viele Ma¬
schinenbauwerkstätten, chemische Fabriken und große industrielle Betriebe haben
nach und nach erfahren, daß es besser ist, teuer und gut als billig und schlecht
zu kaufen; aber immerhin werden es noch auf manches Jahrzehnt hinaus die
technischen Hochschulen ertragen müssen, daß ihren tüchtigsten und mit allen
Ehren diplomirten Jüngern der Weg gelegentlich von den auf allerhand
Mittelschule» und den vorhererwähnteu wilden Techniken (wie sie in Mitt-
weida, in Langensalza, in Winterthur und anderwärts als Privatunter-
nehmungen blühen) gebildeten Praktikern vertreten wird, die nicht verfehlen,
das Argument des Feldschers gegen den studirten Regimentsarzt: „Der Kerl
kaun nicht einmal ordentlich rasiren und schröpfen!" auszuspielen.

Nicht unmittelbar als eine Hinterlassenschaft der frühern Stufen tech¬
nischer Bildung, sondern als ein Ausfluß der herrschenden Unklarheit mag
schließlich auch eines häufig zu hörenden Einwands gegen die Existenz und
die Leistungen der technischen Hochschulen gedacht werden, der sogar in den
Kreisen staatlicher und städtischer Behörden beliebt ist. Man meint, es sei
nutzlos, so vielen Ingenieuren, Architekten und Maschinenbauern eine gründliche
und gediegne wissenschaftliche Ausbildung zu gebe», da doch nnr ein ver¬
hältnismäßig kleiner Teil zu den höchsten Stellen ihres Berufs gelange.
Wenn man dieselbe Anschauung auf die Juristen anwenden wollte, von denen
doch auch die größte Anzahl als Amtsrichter und Nechtsanwülte, die kleinste
als Senatspräsidenteu, Oberlaudesgerichts- und Reichsgerichtsräte sterben,
oder auf die Offiziere, bei denen die Zahl derer, die mit dem Marschallstab
und der „Excellenz" ihren Abschied nehmen, in „erschreckendem Mißverhältnis"
zu der Masse derer steht, die mit dem Hauptmannsdegen aus der Armee
scheiden, so müßte man zu Forderungen und Folgerungen gelangen, die


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[0436] Die technischen Hochschulen Leben gekommen sind, sich wohl oder übel behauptet haben und um nicht begreifen können, daß gegenwärtig andres und mehr nötig ist. Mau male sich einmal aus, daß die medizinische Fakultät unsrer Universitäten erst vor einem oder anderthalb Jahrzehnten geschaffen wäre, daß in den meisten her¬ vorragenden Stellen Ärzte süßen, die ihre Studien nur an einer medizinisch¬ chirurgischen Akademie zurückgelegt hätten und allen von der Universität kommenden Ärzten das Vorurteil entgegenbrachten, daß sie überbildet und mit unnötiger Wissenschaft vollgepfropft seien, so hat man einen Anhalt für das vielfach obwaltende Verhältnis zwischen ältern und jüngern Ingenieuren und zugleich für die Urteile, die aus gewissen Kreisen der Praxis über die technischen Hochschulen und ihre Bestrebungen gefällt werden. Zu diesen Mißständen gesellt sich die unrühmliche Gewöhnung von zahl¬ reichen Industriellen, auch Großindustrielle!?, dem halbwegs geschulten Techniker, der materiell und gesellschaftlich nur geringe Ansprüche machen kann, den Vorzug vor dem wissenschaftlich und allgemein gebildeten Ingenieur zu geben. Zwar bewirkt der Eigennutz hierin eine nllmählige Besserung: zu viele Ma¬ schinenbauwerkstätten, chemische Fabriken und große industrielle Betriebe haben nach und nach erfahren, daß es besser ist, teuer und gut als billig und schlecht zu kaufen; aber immerhin werden es noch auf manches Jahrzehnt hinaus die technischen Hochschulen ertragen müssen, daß ihren tüchtigsten und mit allen Ehren diplomirten Jüngern der Weg gelegentlich von den auf allerhand Mittelschule» und den vorhererwähnteu wilden Techniken (wie sie in Mitt- weida, in Langensalza, in Winterthur und anderwärts als Privatunter- nehmungen blühen) gebildeten Praktikern vertreten wird, die nicht verfehlen, das Argument des Feldschers gegen den studirten Regimentsarzt: „Der Kerl kaun nicht einmal ordentlich rasiren und schröpfen!" auszuspielen. Nicht unmittelbar als eine Hinterlassenschaft der frühern Stufen tech¬ nischer Bildung, sondern als ein Ausfluß der herrschenden Unklarheit mag schließlich auch eines häufig zu hörenden Einwands gegen die Existenz und die Leistungen der technischen Hochschulen gedacht werden, der sogar in den Kreisen staatlicher und städtischer Behörden beliebt ist. Man meint, es sei nutzlos, so vielen Ingenieuren, Architekten und Maschinenbauern eine gründliche und gediegne wissenschaftliche Ausbildung zu gebe», da doch nnr ein ver¬ hältnismäßig kleiner Teil zu den höchsten Stellen ihres Berufs gelange. Wenn man dieselbe Anschauung auf die Juristen anwenden wollte, von denen doch auch die größte Anzahl als Amtsrichter und Nechtsanwülte, die kleinste als Senatspräsidenteu, Oberlaudesgerichts- und Reichsgerichtsräte sterben, oder auf die Offiziere, bei denen die Zahl derer, die mit dem Marschallstab und der „Excellenz" ihren Abschied nehmen, in „erschreckendem Mißverhältnis" zu der Masse derer steht, die mit dem Hauptmannsdegen aus der Armee scheiden, so müßte man zu Forderungen und Folgerungen gelangen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/436>, abgerufen am 23.07.2024.