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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die technischen Hochschulen

auch in leitenden Kreisen den plötzlichen Forderungen des Völkerverkehrs und
der Industrie gegenüberstand, rechtfertigten einigermaßen die planlose und ver¬
worrene Art, mit der man schon bestehende ältere Institute (wie die von
Beuth ins Leben gerufne Gewerbeakademie zu Berlin, die technische Bildungs¬
anstalt zu Dresden, die höhere Gewerbeschule zu Hannover) der neuen Ent¬
wicklung anzupassen oder auch für das täglich sich erweiternde Bedürfnis
neuere Lehranstalten zu schaffen versuchte. Daß sich in einer Gährungsperivde,
wo man jeden herübergernfnen englischen Lokomotivenführer, der mit seiner
Maschine einigen Bescheid wußte, als Ingenieur ehrte, wo es glücklichen
und hochstrebenden Schlosser- und Zimmergesellen gelang, die ersten großen
deutschen Maschinenfabriken ins Leben zu rufen, wo man den Grund¬
unterschied zwischen dem wissenschaftlichen Techniker und dem praktischen Tech¬
niker, wenn auch nicht völlig vergaß, aber doch auf die über Nacht ent-
standne neue Welt nicht anzuwenden wußte, Bestrebungen geltend machten, in
Wahrheit ganz getrennte und scharf zu trennende Aufgaben mit einander zu
verbinden, war schließlich begreiflich. Weil auch dem wissenschaftlich höchst¬
stehenden Techniker, dem bedeutendsten Ingenieur, dem größten Erfinder und
dem genialsten Leiter eines großen Betriebes Einsicht in die "Praxis" und
Verständnis für die Leistungen der Werkstatt innewohnen muß, und weil
andrerseits die Werkführer des Maschiuenbaus, die untern Beamten des Eisen¬
bahnwesens und zahlreiche andre Hilfskräfte der Technik gewisser mathe¬
matischer und mechanischer Kenntnisse nicht entbehren können, so glaubte man
klug zu thun, wem? man die erweiterten und neugeschaffnem technischen Lehr¬
anstalten so praktisch, so handwerkerlich als möglich einrichtete, wenn man den
Bedürfnissen der ,,Praxis" ans jede Weise Rechnung trug. Schon in den
zwanziger Jahren bemerkte el" Beurteiler mit bitterm Spott: "Man verfuhr,
als wenn man bei etwa eintretendem Mangel theologischer Kandidaten die
vorbereitende philologische, historische und philosophische Bildung weglassen
und bloß im Predigen Unterricht erteilen wollte." Und ein noch treffenderes
Bild des jahrzehntelang herrschenden Zustandes würde man haben, wenn man
sich etwa vorstellte, daß irgend ein Staat eine Rechtsschule geschaffen hätte,
worin zu gleicher Zeit die künftigen Richter und leitenden Verwaltungsbeamten,
aber auch tüchtige Registratoren, gewandte Schreiber, ja zuverlässige Gefängnis¬
aufseher und handfeste Büttel gebildet werden sollten, und bei der die nus-
gesprochne oder unausgesprvchue Vorstellung obwaltete, daß die Ausfüllung
eines Schreiberpvstens die beste Vorbereitung für den künftigen Gerichts¬
präsidenten sei und daß auch dem tüchtigen und fleißigen Registrator die
Aussicht auf den Justizminister nicht völlig abgeschnitten werden dürfe. Diesem
Bilde entsprach die Mehrzahl der deutscheu polytechnischen Schulen auch dann
noch, nachdem der geniale Redtenbacher in Karlsruhe den Maschinenbau auf
streng wissenschaftliche Grundlagen gestellt und nachdem die Gründung des


Grenzboten I 1892 54
Die technischen Hochschulen

auch in leitenden Kreisen den plötzlichen Forderungen des Völkerverkehrs und
der Industrie gegenüberstand, rechtfertigten einigermaßen die planlose und ver¬
worrene Art, mit der man schon bestehende ältere Institute (wie die von
Beuth ins Leben gerufne Gewerbeakademie zu Berlin, die technische Bildungs¬
anstalt zu Dresden, die höhere Gewerbeschule zu Hannover) der neuen Ent¬
wicklung anzupassen oder auch für das täglich sich erweiternde Bedürfnis
neuere Lehranstalten zu schaffen versuchte. Daß sich in einer Gährungsperivde,
wo man jeden herübergernfnen englischen Lokomotivenführer, der mit seiner
Maschine einigen Bescheid wußte, als Ingenieur ehrte, wo es glücklichen
und hochstrebenden Schlosser- und Zimmergesellen gelang, die ersten großen
deutschen Maschinenfabriken ins Leben zu rufen, wo man den Grund¬
unterschied zwischen dem wissenschaftlichen Techniker und dem praktischen Tech¬
niker, wenn auch nicht völlig vergaß, aber doch auf die über Nacht ent-
standne neue Welt nicht anzuwenden wußte, Bestrebungen geltend machten, in
Wahrheit ganz getrennte und scharf zu trennende Aufgaben mit einander zu
verbinden, war schließlich begreiflich. Weil auch dem wissenschaftlich höchst¬
stehenden Techniker, dem bedeutendsten Ingenieur, dem größten Erfinder und
dem genialsten Leiter eines großen Betriebes Einsicht in die „Praxis" und
Verständnis für die Leistungen der Werkstatt innewohnen muß, und weil
andrerseits die Werkführer des Maschiuenbaus, die untern Beamten des Eisen¬
bahnwesens und zahlreiche andre Hilfskräfte der Technik gewisser mathe¬
matischer und mechanischer Kenntnisse nicht entbehren können, so glaubte man
klug zu thun, wem? man die erweiterten und neugeschaffnem technischen Lehr¬
anstalten so praktisch, so handwerkerlich als möglich einrichtete, wenn man den
Bedürfnissen der ,,Praxis" ans jede Weise Rechnung trug. Schon in den
zwanziger Jahren bemerkte el» Beurteiler mit bitterm Spott: „Man verfuhr,
als wenn man bei etwa eintretendem Mangel theologischer Kandidaten die
vorbereitende philologische, historische und philosophische Bildung weglassen
und bloß im Predigen Unterricht erteilen wollte." Und ein noch treffenderes
Bild des jahrzehntelang herrschenden Zustandes würde man haben, wenn man
sich etwa vorstellte, daß irgend ein Staat eine Rechtsschule geschaffen hätte,
worin zu gleicher Zeit die künftigen Richter und leitenden Verwaltungsbeamten,
aber auch tüchtige Registratoren, gewandte Schreiber, ja zuverlässige Gefängnis¬
aufseher und handfeste Büttel gebildet werden sollten, und bei der die nus-
gesprochne oder unausgesprvchue Vorstellung obwaltete, daß die Ausfüllung
eines Schreiberpvstens die beste Vorbereitung für den künftigen Gerichts¬
präsidenten sei und daß auch dem tüchtigen und fleißigen Registrator die
Aussicht auf den Justizminister nicht völlig abgeschnitten werden dürfe. Diesem
Bilde entsprach die Mehrzahl der deutscheu polytechnischen Schulen auch dann
noch, nachdem der geniale Redtenbacher in Karlsruhe den Maschinenbau auf
streng wissenschaftliche Grundlagen gestellt und nachdem die Gründung des


Grenzboten I 1892 54
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[0433] Die technischen Hochschulen auch in leitenden Kreisen den plötzlichen Forderungen des Völkerverkehrs und der Industrie gegenüberstand, rechtfertigten einigermaßen die planlose und ver¬ worrene Art, mit der man schon bestehende ältere Institute (wie die von Beuth ins Leben gerufne Gewerbeakademie zu Berlin, die technische Bildungs¬ anstalt zu Dresden, die höhere Gewerbeschule zu Hannover) der neuen Ent¬ wicklung anzupassen oder auch für das täglich sich erweiternde Bedürfnis neuere Lehranstalten zu schaffen versuchte. Daß sich in einer Gährungsperivde, wo man jeden herübergernfnen englischen Lokomotivenführer, der mit seiner Maschine einigen Bescheid wußte, als Ingenieur ehrte, wo es glücklichen und hochstrebenden Schlosser- und Zimmergesellen gelang, die ersten großen deutschen Maschinenfabriken ins Leben zu rufen, wo man den Grund¬ unterschied zwischen dem wissenschaftlichen Techniker und dem praktischen Tech¬ niker, wenn auch nicht völlig vergaß, aber doch auf die über Nacht ent- standne neue Welt nicht anzuwenden wußte, Bestrebungen geltend machten, in Wahrheit ganz getrennte und scharf zu trennende Aufgaben mit einander zu verbinden, war schließlich begreiflich. Weil auch dem wissenschaftlich höchst¬ stehenden Techniker, dem bedeutendsten Ingenieur, dem größten Erfinder und dem genialsten Leiter eines großen Betriebes Einsicht in die „Praxis" und Verständnis für die Leistungen der Werkstatt innewohnen muß, und weil andrerseits die Werkführer des Maschiuenbaus, die untern Beamten des Eisen¬ bahnwesens und zahlreiche andre Hilfskräfte der Technik gewisser mathe¬ matischer und mechanischer Kenntnisse nicht entbehren können, so glaubte man klug zu thun, wem? man die erweiterten und neugeschaffnem technischen Lehr¬ anstalten so praktisch, so handwerkerlich als möglich einrichtete, wenn man den Bedürfnissen der ,,Praxis" ans jede Weise Rechnung trug. Schon in den zwanziger Jahren bemerkte el» Beurteiler mit bitterm Spott: „Man verfuhr, als wenn man bei etwa eintretendem Mangel theologischer Kandidaten die vorbereitende philologische, historische und philosophische Bildung weglassen und bloß im Predigen Unterricht erteilen wollte." Und ein noch treffenderes Bild des jahrzehntelang herrschenden Zustandes würde man haben, wenn man sich etwa vorstellte, daß irgend ein Staat eine Rechtsschule geschaffen hätte, worin zu gleicher Zeit die künftigen Richter und leitenden Verwaltungsbeamten, aber auch tüchtige Registratoren, gewandte Schreiber, ja zuverlässige Gefängnis¬ aufseher und handfeste Büttel gebildet werden sollten, und bei der die nus- gesprochne oder unausgesprvchue Vorstellung obwaltete, daß die Ausfüllung eines Schreiberpvstens die beste Vorbereitung für den künftigen Gerichts¬ präsidenten sei und daß auch dem tüchtigen und fleißigen Registrator die Aussicht auf den Justizminister nicht völlig abgeschnitten werden dürfe. Diesem Bilde entsprach die Mehrzahl der deutscheu polytechnischen Schulen auch dann noch, nachdem der geniale Redtenbacher in Karlsruhe den Maschinenbau auf streng wissenschaftliche Grundlagen gestellt und nachdem die Gründung des Grenzboten I 1892 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/433>, abgerufen am 23.07.2024.