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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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der königlichen Kinder im Temple, auf ähnliche große Rollen vor. Und
ebenso richtig ist es, daß die Gesellschaft (nicht die des Herrn Austriaeus)
aus die Zeichen der Zeit wenig zu achten scheint. Fürsten und Fürstinnen
torrespondiren lind kokettiren wohl nicht mit Encyklopädisten, und der deutsche
Adel spielt nicht mit den Ideen der Umwälzung, wie einst der französische.
Aber man läßt geschehen, was nicht geduldet werden sollte. An die Stelle
der philosophischen ist die naturwissenschaftliche Phrase getreten, Eltern glaube"
dem Bedürfnis des Kindergemüth durch die Lehren der materialistischen Welt-
anschauung und durch "eine allgemein menschliche Moral" genügen zu können,
und es gilt für ein Postulat der Bildung, von den elendesten Machwerken
der pessimistisch-naturalistischen "Modernen" Kenntnis zu nehmen, sei es durch
Anschauen im Theater, sei es durch Lektüre, auf die Gefahr hin, daß solche
Geistes- und Gemütsnahrung auch den heranwachsenden Knaben und Mädchen
in die Hände falle. Mau billigt die Sachen nicht, beileibe! aber man muß
doch wissen, was in der Litteratur vorgeht. Als ob es sich jedermann an¬
gelegen sein lassen müßte, Schriften über geheime Krankheiten zu studiren und
den Inhalt von Kloaken chemisch zu untersuchen.

Gewiß ist Selbsthilfe das einzige Mittel gegen das immer dreister auf¬
tretende Unwesen; allein es ist hohe Zeit, daß dazu geschritten, daß vor allem
wieder die Pflicht jedes anständigen Menschen anerkannt werde, sich selbst und
sein Haus auch sittlich rein zu erhalten, sich uicht durch Duldung zum Mit¬
schuldigen zu machen. Wir sagen beim Anblick gewisser Bücher und Bilder
aus dem vorigen Jahrhundert: wie muß die Gesellschaft beschaffen gewesen
sein, der mau etwas derartiges zu bieten wagen, der man solches als ihr
Spiegelbild zeigen durfte! Soll die Zukunft ebenso von uns denken?




Die technischen Hochschulen

le technischen Hochschulen sind in den jüngsten Kämpfen um die
Schulreform und in der babylonischen Sprachverwirrung der
zur Reform veröffentlichten Flugschriften und Aufsätze so ziemlich
unberührt und unerwähnt geblieben. Nicht als ob die öffent¬
liche Meinung, die sich sogar mit den Universitätsferien zu be¬
schäftigen anfängt, aus Respekt oder freudiger Sorglosigkeit an den Pforten
der jüngsten Hochschulen umkehrte, sondern wohl mehr aus weitverbreiteter
Unkenntnis der Entstehungsgeschichte, der Organisation und der Bedürfnisse
dieser Schöpfungen unsers Jahrhunderts ist nur gelegentlich vom Polytechnikum


der königlichen Kinder im Temple, auf ähnliche große Rollen vor. Und
ebenso richtig ist es, daß die Gesellschaft (nicht die des Herrn Austriaeus)
aus die Zeichen der Zeit wenig zu achten scheint. Fürsten und Fürstinnen
torrespondiren lind kokettiren wohl nicht mit Encyklopädisten, und der deutsche
Adel spielt nicht mit den Ideen der Umwälzung, wie einst der französische.
Aber man läßt geschehen, was nicht geduldet werden sollte. An die Stelle
der philosophischen ist die naturwissenschaftliche Phrase getreten, Eltern glaube»
dem Bedürfnis des Kindergemüth durch die Lehren der materialistischen Welt-
anschauung und durch „eine allgemein menschliche Moral" genügen zu können,
und es gilt für ein Postulat der Bildung, von den elendesten Machwerken
der pessimistisch-naturalistischen „Modernen" Kenntnis zu nehmen, sei es durch
Anschauen im Theater, sei es durch Lektüre, auf die Gefahr hin, daß solche
Geistes- und Gemütsnahrung auch den heranwachsenden Knaben und Mädchen
in die Hände falle. Mau billigt die Sachen nicht, beileibe! aber man muß
doch wissen, was in der Litteratur vorgeht. Als ob es sich jedermann an¬
gelegen sein lassen müßte, Schriften über geheime Krankheiten zu studiren und
den Inhalt von Kloaken chemisch zu untersuchen.

Gewiß ist Selbsthilfe das einzige Mittel gegen das immer dreister auf¬
tretende Unwesen; allein es ist hohe Zeit, daß dazu geschritten, daß vor allem
wieder die Pflicht jedes anständigen Menschen anerkannt werde, sich selbst und
sein Haus auch sittlich rein zu erhalten, sich uicht durch Duldung zum Mit¬
schuldigen zu machen. Wir sagen beim Anblick gewisser Bücher und Bilder
aus dem vorigen Jahrhundert: wie muß die Gesellschaft beschaffen gewesen
sein, der mau etwas derartiges zu bieten wagen, der man solches als ihr
Spiegelbild zeigen durfte! Soll die Zukunft ebenso von uns denken?




Die technischen Hochschulen

le technischen Hochschulen sind in den jüngsten Kämpfen um die
Schulreform und in der babylonischen Sprachverwirrung der
zur Reform veröffentlichten Flugschriften und Aufsätze so ziemlich
unberührt und unerwähnt geblieben. Nicht als ob die öffent¬
liche Meinung, die sich sogar mit den Universitätsferien zu be¬
schäftigen anfängt, aus Respekt oder freudiger Sorglosigkeit an den Pforten
der jüngsten Hochschulen umkehrte, sondern wohl mehr aus weitverbreiteter
Unkenntnis der Entstehungsgeschichte, der Organisation und der Bedürfnisse
dieser Schöpfungen unsers Jahrhunderts ist nur gelegentlich vom Polytechnikum


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[0430] der königlichen Kinder im Temple, auf ähnliche große Rollen vor. Und ebenso richtig ist es, daß die Gesellschaft (nicht die des Herrn Austriaeus) aus die Zeichen der Zeit wenig zu achten scheint. Fürsten und Fürstinnen torrespondiren lind kokettiren wohl nicht mit Encyklopädisten, und der deutsche Adel spielt nicht mit den Ideen der Umwälzung, wie einst der französische. Aber man läßt geschehen, was nicht geduldet werden sollte. An die Stelle der philosophischen ist die naturwissenschaftliche Phrase getreten, Eltern glaube» dem Bedürfnis des Kindergemüth durch die Lehren der materialistischen Welt- anschauung und durch „eine allgemein menschliche Moral" genügen zu können, und es gilt für ein Postulat der Bildung, von den elendesten Machwerken der pessimistisch-naturalistischen „Modernen" Kenntnis zu nehmen, sei es durch Anschauen im Theater, sei es durch Lektüre, auf die Gefahr hin, daß solche Geistes- und Gemütsnahrung auch den heranwachsenden Knaben und Mädchen in die Hände falle. Mau billigt die Sachen nicht, beileibe! aber man muß doch wissen, was in der Litteratur vorgeht. Als ob es sich jedermann an¬ gelegen sein lassen müßte, Schriften über geheime Krankheiten zu studiren und den Inhalt von Kloaken chemisch zu untersuchen. Gewiß ist Selbsthilfe das einzige Mittel gegen das immer dreister auf¬ tretende Unwesen; allein es ist hohe Zeit, daß dazu geschritten, daß vor allem wieder die Pflicht jedes anständigen Menschen anerkannt werde, sich selbst und sein Haus auch sittlich rein zu erhalten, sich uicht durch Duldung zum Mit¬ schuldigen zu machen. Wir sagen beim Anblick gewisser Bücher und Bilder aus dem vorigen Jahrhundert: wie muß die Gesellschaft beschaffen gewesen sein, der mau etwas derartiges zu bieten wagen, der man solches als ihr Spiegelbild zeigen durfte! Soll die Zukunft ebenso von uns denken? Die technischen Hochschulen le technischen Hochschulen sind in den jüngsten Kämpfen um die Schulreform und in der babylonischen Sprachverwirrung der zur Reform veröffentlichten Flugschriften und Aufsätze so ziemlich unberührt und unerwähnt geblieben. Nicht als ob die öffent¬ liche Meinung, die sich sogar mit den Universitätsferien zu be¬ schäftigen anfängt, aus Respekt oder freudiger Sorglosigkeit an den Pforten der jüngsten Hochschulen umkehrte, sondern wohl mehr aus weitverbreiteter Unkenntnis der Entstehungsgeschichte, der Organisation und der Bedürfnisse dieser Schöpfungen unsers Jahrhunderts ist nur gelegentlich vom Polytechnikum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/430>, abgerufen am 23.07.2024.