Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Gerichtssaal und Presse gemacht wurden, daß der "schlichte," durch Juristerei nicht befangne Bürger Es ist klar, daß das Breittreten und die romanhafte Einkleidung Zum guten Glück fällt die Redaktion des genannten Blattes in einer Wunder nehmen kann uns solche Einmischung Unberufner in die Rechts¬ Gerichtssaal und Presse gemacht wurden, daß der „schlichte," durch Juristerei nicht befangne Bürger Es ist klar, daß das Breittreten und die romanhafte Einkleidung Zum guten Glück fällt die Redaktion des genannten Blattes in einer Wunder nehmen kann uns solche Einmischung Unberufner in die Rechts¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211597"/> <fw type="header" place="top"> Gerichtssaal und Presse</fw><lb/> <p xml:id="ID_1285" prev="#ID_1284"> gemacht wurden, daß der „schlichte," durch Juristerei nicht befangne Bürger<lb/> unparteiischer über Schuld und Nichtschuld entscheiden werde, als der .Krimi¬<lb/> nalist von Fach, und daß es nur darauf ankomme, ihn gegen die Beeinflussung<lb/> von außen zu sichern. Jetzt wird der Einfluß der sogenannten öffentlichen<lb/> Meinung geradezu gefordert!</p><lb/> <p xml:id="ID_1286"> Es ist klar, daß das Breittreten und die romanhafte Einkleidung<lb/> von Kriminalprozesse» eine ähnliche und noch schlimmere Wirkung ausüben<lb/> können, als vor Zeiten die Räuberromane, daß das Ausmalen der Naffiuirt-<lb/> heit und aller Kniffe »ut Vorsichtsmaßregeln bei verbrecherischen Unter¬<lb/> nehmungen zu einer förmlichen Schulung wird. Haben nur nicht erlebt, daß<lb/> der erste Briefträgerinörder sofort gelehrige Nachahmer fand? Die Öffent¬<lb/> lichkeit kann einen günstigen Einfluß haben, der mit ihr getriebne Mißbrauch<lb/> verwirrt und untergräbt unzweifelhaft das Rechtsgefühl.</p><lb/> <p xml:id="ID_1287"> Zum guten Glück fällt die Redaktion des genannten Blattes in einer<lb/> spätern Nummer selbst ein vernichtendes Urteil über das Verfahren ihres<lb/> Berliner Mitarbeiters. „Wohin soll es denn führen, wenn selbst das Palladium<lb/> der Justiz nicht mehr vor dem Unflath .... er Verdächtigungen sicher ist,<lb/> und wenn die Dreistigkeit professioneller Volksvergifter sich vermißt, in gericht¬<lb/> liche Untersuchungen einzugreifen und dieselben zu beeinflussen?" — ist in dem<lb/> Blatte vom 11. Februar zu lesen. Allerdings lautet das von uns aus¬<lb/> gelassene Wort „antisemitisch!" Und da gilt natürlich „der Ausspruch<lb/> Alexanders."</p><lb/> <p xml:id="ID_1288" next="#ID_1289"> Wunder nehmen kann uns solche Einmischung Unberufner in die Rechts¬<lb/> pflege natürlich nicht. Sie gehört zum System. Der souveräne Unverstand<lb/> hält sich ja sür berufen, in allen göttlichen und menschlichen Dingen das<lb/> letzte und entscheidende Wort zu sprechen — falls es noch erlaubt ist, von<lb/> göttlichen Dingen zu reden. Vergleichen wir die heutigen Stürmer und Re¬<lb/> volutionäre in Deutschland mit denen im vorigen Jahrhundert, nach den<lb/> Befreiungskriegen, in den Dreißiger- und Vierzigerjahren, so kann uns wohl<lb/> ein gelindes Grauen beschleichen. So viel jene Frühern geirrt und gefehlt<lb/> haben mögen, ein Zug von Idealismus ist auch bei deu Radikalsten uicht zu<lb/> verkennen. Die heutigen aber bringen uns, wie in dem Aufsatze über die<lb/> »kritische Schreckensherrschaft" treffend hervorgehoben wurde, das Paris vor<lb/> hundert Jahren in Erinnerung. Es hat wirklich oft den Anschein, als be¬<lb/> reiteten sich Epigonen des Uw<zur«zur g'vnvral nie la Mnwrns Camille Des-<lb/> moulins, des ^im(!iLon Ah ig. guillutins Bertrand Barore, der „Geistlichen"<lb/> Foucher, Billard-Barennes, Göbel, die den Kultus der Freiheit und Gleich¬<lb/> heit an die Stelle des Christentums setzten, der Komödienschreiber Collot<lb/> d'Herbois und Fabre d'Eglantine, des Polizeispions Fouauier-Tinville, des<lb/> Lohnschreibers und Fälschers Gracchus Babeuf, des Gauners Henrivt, der<lb/> später die Nationalgarde kommnndirte, des Bedienten Höhere, des Inquirenten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0429]
Gerichtssaal und Presse
gemacht wurden, daß der „schlichte," durch Juristerei nicht befangne Bürger
unparteiischer über Schuld und Nichtschuld entscheiden werde, als der .Krimi¬
nalist von Fach, und daß es nur darauf ankomme, ihn gegen die Beeinflussung
von außen zu sichern. Jetzt wird der Einfluß der sogenannten öffentlichen
Meinung geradezu gefordert!
Es ist klar, daß das Breittreten und die romanhafte Einkleidung
von Kriminalprozesse» eine ähnliche und noch schlimmere Wirkung ausüben
können, als vor Zeiten die Räuberromane, daß das Ausmalen der Naffiuirt-
heit und aller Kniffe »ut Vorsichtsmaßregeln bei verbrecherischen Unter¬
nehmungen zu einer förmlichen Schulung wird. Haben nur nicht erlebt, daß
der erste Briefträgerinörder sofort gelehrige Nachahmer fand? Die Öffent¬
lichkeit kann einen günstigen Einfluß haben, der mit ihr getriebne Mißbrauch
verwirrt und untergräbt unzweifelhaft das Rechtsgefühl.
Zum guten Glück fällt die Redaktion des genannten Blattes in einer
spätern Nummer selbst ein vernichtendes Urteil über das Verfahren ihres
Berliner Mitarbeiters. „Wohin soll es denn führen, wenn selbst das Palladium
der Justiz nicht mehr vor dem Unflath .... er Verdächtigungen sicher ist,
und wenn die Dreistigkeit professioneller Volksvergifter sich vermißt, in gericht¬
liche Untersuchungen einzugreifen und dieselben zu beeinflussen?" — ist in dem
Blatte vom 11. Februar zu lesen. Allerdings lautet das von uns aus¬
gelassene Wort „antisemitisch!" Und da gilt natürlich „der Ausspruch
Alexanders."
Wunder nehmen kann uns solche Einmischung Unberufner in die Rechts¬
pflege natürlich nicht. Sie gehört zum System. Der souveräne Unverstand
hält sich ja sür berufen, in allen göttlichen und menschlichen Dingen das
letzte und entscheidende Wort zu sprechen — falls es noch erlaubt ist, von
göttlichen Dingen zu reden. Vergleichen wir die heutigen Stürmer und Re¬
volutionäre in Deutschland mit denen im vorigen Jahrhundert, nach den
Befreiungskriegen, in den Dreißiger- und Vierzigerjahren, so kann uns wohl
ein gelindes Grauen beschleichen. So viel jene Frühern geirrt und gefehlt
haben mögen, ein Zug von Idealismus ist auch bei deu Radikalsten uicht zu
verkennen. Die heutigen aber bringen uns, wie in dem Aufsatze über die
»kritische Schreckensherrschaft" treffend hervorgehoben wurde, das Paris vor
hundert Jahren in Erinnerung. Es hat wirklich oft den Anschein, als be¬
reiteten sich Epigonen des Uw<zur«zur g'vnvral nie la Mnwrns Camille Des-
moulins, des ^im(!iLon Ah ig. guillutins Bertrand Barore, der „Geistlichen"
Foucher, Billard-Barennes, Göbel, die den Kultus der Freiheit und Gleich¬
heit an die Stelle des Christentums setzten, der Komödienschreiber Collot
d'Herbois und Fabre d'Eglantine, des Polizeispions Fouauier-Tinville, des
Lohnschreibers und Fälschers Gracchus Babeuf, des Gauners Henrivt, der
später die Nationalgarde kommnndirte, des Bedienten Höhere, des Inquirenten
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