Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Ohne weiter auf Einzelheiten einzugehen, geben wir zu, daß die Sache Zunächst wird die Angeklagte interessant gemacht. "Sie ist eine schlanke, Die Thatsachen, die von den Angeklagten zugestanden sind, lassen sich Ohne weiter auf Einzelheiten einzugehen, geben wir zu, daß die Sache Zunächst wird die Angeklagte interessant gemacht. „Sie ist eine schlanke, Die Thatsachen, die von den Angeklagten zugestanden sind, lassen sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211595"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1279"> Ohne weiter auf Einzelheiten einzugehen, geben wir zu, daß die Sache<lb/> verschieden angesehen werden kann, obwohl in der stark gefärbten Darstellung<lb/> des Herrn Austriacus die Schuldbeweise überzeugend wirken. Diese abzu¬<lb/> schwächen ist aber sein Zweck. Sehen wir, wie er zu Werke geht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1280"> Zunächst wird die Angeklagte interessant gemacht. „Sie ist eine schlanke,<lb/> u»r jetzt wohl infolge des Mangels an Bewegung in der Untersuchungshaft<lb/> in den Formen etwas gerundete Frau von eigentümlicher Schönheit. (Soviel<lb/> wir wissen, wird auch Untersnchungsgefangeuen Bewegung gestattet, wenn<lb/> auch nicht durch Tanzen, Reiten oder Schlittschuhlaufen.) Das schone Oval<lb/> des blassen Gesichts beleben ein paar große, weitgeöffnete Angen mit laugen<lb/> Wimpern. Das reiche rabenschwarze Haar ziert in dichten Flechten deu<lb/> Hinterkopf." Diese der Beschreibung zufolge weniger eigentümliche als orien¬<lb/> talische Schönheit trägt „ein schlichtes schwarzes Kleid", also keine Balltoilette.<lb/> „Ein schmerzlicher Zug des Leidens (kein fröhlicher!) liegt um den Mund und<lb/> die leicht gehobenen Nasenflügel, wie eine stumme beklommene Frage: Wie<lb/> komme ich nur da her?" Mit diesem schmerzlichen Leiden verträgt sich aber<lb/> ein Lächeln, „das erst von ihren zarten Wangen schwand", als ihr die Strafe,<lb/> sechs Jahre Zuchthaus, verkündigt wurde. „In der Gesellschaft galt Frau<lb/> Prager stets als schön, aber herzlich unbedeutend." In derselben Gesellschaft<lb/> „genoß die elegante Dame lange vor dem Jahre 1890, aus welchem die ersten<lb/> Schritte zur Ehescheidung datiren, nicht mehr den Ruf der Unnahbarkeit,"<lb/> wogegen ihre Verteidiger ihr nur „eine große Leichtigkeit im Verkehr und<lb/> Nachsicht für lose Reden" — wir möchten fast sagen: nachrühmten. Das muß<lb/> eine recht anständige „Gesellschaft" sein, meint wohl der naive Leser. Nur<lb/> Geduld! „Man kann nicht eben sagen, daß die Kreise, in denen das Ehepaar<lb/> verkehrte, die allerersten (!) waren, allein es waren immerhin gut bürgerliche<lb/> (bedanke dich, gutes Bürgertum!), so daß der Anwalt des ersten Angeklagten<lb/> als er seine Worte an die Geschwornen richtete, welche diesmal großenteils<lb/> den gebildeten Ständen angehörten, wohl sagen konnte: Es sind unsere<lb/> Kreise, denen die Angeklagte angehört." Wenn sich dieser vortreffliche Anwalt<lb/> zu der „Gesellschaft" rechnet, in der man darüber debattirt, ob die Damen<lb/> mehr oder weniger nahbar seien, so kann ihm das niemand wehren; aber deu<lb/> Geschwornen in oorporv eine derartige Beleidigung ins Gesicht zu schleudern,<lb/> dazu gehört doch, mögen sie den gebildeten Ständen angehören oder uicht, ein<lb/> höher Grad von — Unverfrorenheit, um einen beliebten Berliner Ausdruck zu<lb/> gebrauchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1281" next="#ID_1282"> Die Thatsachen, die von den Angeklagten zugestanden sind, lassen sich<lb/> leider nicht leugnen, aber die Absicht, zu morden, ist ihnen nicht bewiesen<lb/> worden. Bedenklich ist es allerdings, daß Schweitzer für sein Unternehmen,<lb/> bei dem er im Falle des Ertapptwerdens vielleicht eine Tracht Prügel riskirte,<lb/> sich mit einem eigens gekauften Revolver ausrüstete, auch die Fabrikfirmn an</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0427]
Ohne weiter auf Einzelheiten einzugehen, geben wir zu, daß die Sache
verschieden angesehen werden kann, obwohl in der stark gefärbten Darstellung
des Herrn Austriacus die Schuldbeweise überzeugend wirken. Diese abzu¬
schwächen ist aber sein Zweck. Sehen wir, wie er zu Werke geht.
Zunächst wird die Angeklagte interessant gemacht. „Sie ist eine schlanke,
u»r jetzt wohl infolge des Mangels an Bewegung in der Untersuchungshaft
in den Formen etwas gerundete Frau von eigentümlicher Schönheit. (Soviel
wir wissen, wird auch Untersnchungsgefangeuen Bewegung gestattet, wenn
auch nicht durch Tanzen, Reiten oder Schlittschuhlaufen.) Das schone Oval
des blassen Gesichts beleben ein paar große, weitgeöffnete Angen mit laugen
Wimpern. Das reiche rabenschwarze Haar ziert in dichten Flechten deu
Hinterkopf." Diese der Beschreibung zufolge weniger eigentümliche als orien¬
talische Schönheit trägt „ein schlichtes schwarzes Kleid", also keine Balltoilette.
„Ein schmerzlicher Zug des Leidens (kein fröhlicher!) liegt um den Mund und
die leicht gehobenen Nasenflügel, wie eine stumme beklommene Frage: Wie
komme ich nur da her?" Mit diesem schmerzlichen Leiden verträgt sich aber
ein Lächeln, „das erst von ihren zarten Wangen schwand", als ihr die Strafe,
sechs Jahre Zuchthaus, verkündigt wurde. „In der Gesellschaft galt Frau
Prager stets als schön, aber herzlich unbedeutend." In derselben Gesellschaft
„genoß die elegante Dame lange vor dem Jahre 1890, aus welchem die ersten
Schritte zur Ehescheidung datiren, nicht mehr den Ruf der Unnahbarkeit,"
wogegen ihre Verteidiger ihr nur „eine große Leichtigkeit im Verkehr und
Nachsicht für lose Reden" — wir möchten fast sagen: nachrühmten. Das muß
eine recht anständige „Gesellschaft" sein, meint wohl der naive Leser. Nur
Geduld! „Man kann nicht eben sagen, daß die Kreise, in denen das Ehepaar
verkehrte, die allerersten (!) waren, allein es waren immerhin gut bürgerliche
(bedanke dich, gutes Bürgertum!), so daß der Anwalt des ersten Angeklagten
als er seine Worte an die Geschwornen richtete, welche diesmal großenteils
den gebildeten Ständen angehörten, wohl sagen konnte: Es sind unsere
Kreise, denen die Angeklagte angehört." Wenn sich dieser vortreffliche Anwalt
zu der „Gesellschaft" rechnet, in der man darüber debattirt, ob die Damen
mehr oder weniger nahbar seien, so kann ihm das niemand wehren; aber deu
Geschwornen in oorporv eine derartige Beleidigung ins Gesicht zu schleudern,
dazu gehört doch, mögen sie den gebildeten Ständen angehören oder uicht, ein
höher Grad von — Unverfrorenheit, um einen beliebten Berliner Ausdruck zu
gebrauchen.
Die Thatsachen, die von den Angeklagten zugestanden sind, lassen sich
leider nicht leugnen, aber die Absicht, zu morden, ist ihnen nicht bewiesen
worden. Bedenklich ist es allerdings, daß Schweitzer für sein Unternehmen,
bei dem er im Falle des Ertapptwerdens vielleicht eine Tracht Prügel riskirte,
sich mit einem eigens gekauften Revolver ausrüstete, auch die Fabrikfirmn an
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