Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

gestorben war und doch noch immer in der Stadt "spökelte," weil sie einen
Schatz vergraben und die Mitteilung, wo er zu finden sei, versäumt hatte.
Nun konnte sie im Grabe nicht zur Ruhe kommen, während sich der Schatz
nicht weiter zu beunruhigen schien. Wir Kinder aber saßen zusammcnge-
gedrängt, mit hochroten Wangen und dachten uns aus, was wir thun
würden, wenn wir der Spökeltante begegneten. Und wir, die wir die Koffer¬
tanten liebten, bedauerten doch insgeheim, daß sie nicht etwas gethan hatten,
was sie in den Augen der Gespielen recht groß und wichtig gemacht hätte.
Sie blieben aber, wie sie waren, und erlitten denn auch das Schicksal der
besten unsrer Mitmenschen: weil sie so garnicht von sich reden machten, wurden
sie endlich vollständig vergessen. Weinend hatten wir die guten Kvffertanten
übers Wasser gebracht, hatten zärtlichen Abschied genommen und ein treues
Andenken versprochen -- wo aber blieb dieses Andenken? Es kam neuer
Besuch, andere Eindrücke beschäftigten das Kinderherz, und an die fernen
Tanten wurde immer weniger gedacht. Zuerst, als die Tombakuhr noch
manchmal ging, sprachen wir Wohl von Tante Auguste, die sie uns geschenkt
hatte. Als aber endlich das Räderwerk ganz versagte und allem Schütteln
unzugänglich blieb, da kam die Uhr in eine schwer zu öffnende Schublade,
und ich weiß nicht, wo sie ihr Ende gefunden hat. Aber ich hatte noch meinen
Straminstreifen, für den ich nur vorübergehend Neigung gehegt hatte. Ver¬
gessen und zusammengewickelt, wie vor dreißig Jahren, lag er unter meinen übri¬
gen Raritäten, bis ihn Jürgen einmal fand und ihn für fein Eigentum erklärte.
Dies konnte ich aber doch nicht dulden: es kam zu einem heftigen Streite,
der damit endigte, daß ich mit der Stickerei entfloh und im Wohnzimmer des
Großvaters begann, sie zu öffnen und auseinanderzuwickeln. Es waren
mehrere lange Streifen, die, mit losen Stichen aneinander geheftet, eine große
Rolle abgaben. Hübsch erschien mir das Ganze nicht, und wahrend ich
darüber nachdachte, ob es wohl der Mühe verlohnte, mich dieser blassen Rosen
wegen mit Jürgen zu erzürnen, öffnete sich die Thür des Zimmers. Ein
Herr trat herein, offenbar von dem Stubenmädchen hergewiesen. Er trug die
dänische Uniform, und ich wußte gleich, daß es wohl ein Offizier von der
Aushebungskommission sei, der den Großvater zu sprechen wünsche.

Solche Besuche kamen nicht selten, und ich wühlte mich aus meinen ge¬
stickten Streifen heraus, um dem Herrn die Hand zu geben und ihm einen
Lehnstuhl anzubieten. Er redete mich gleich deutsch an, etwas, was viele
Dänen aus Grundsatz bei Deutschen nicht thaten, und bald stand ich ganz
nahe vor dem General und beantworbte ernsthaft seine Fragen. Er hatte
gute und kluge Augen; als er mir von seinen Kindern erzählte, ward ich
immer zutraulicher, und wie er mich in gutmütigen Spott fragte, was ich
denn mit den gestickten Bändern dort auf dem Fußboden anfangen wollte,
holte ich alles und zeigte es ihm.


gestorben war und doch noch immer in der Stadt „spökelte," weil sie einen
Schatz vergraben und die Mitteilung, wo er zu finden sei, versäumt hatte.
Nun konnte sie im Grabe nicht zur Ruhe kommen, während sich der Schatz
nicht weiter zu beunruhigen schien. Wir Kinder aber saßen zusammcnge-
gedrängt, mit hochroten Wangen und dachten uns aus, was wir thun
würden, wenn wir der Spökeltante begegneten. Und wir, die wir die Koffer¬
tanten liebten, bedauerten doch insgeheim, daß sie nicht etwas gethan hatten,
was sie in den Augen der Gespielen recht groß und wichtig gemacht hätte.
Sie blieben aber, wie sie waren, und erlitten denn auch das Schicksal der
besten unsrer Mitmenschen: weil sie so garnicht von sich reden machten, wurden
sie endlich vollständig vergessen. Weinend hatten wir die guten Kvffertanten
übers Wasser gebracht, hatten zärtlichen Abschied genommen und ein treues
Andenken versprochen — wo aber blieb dieses Andenken? Es kam neuer
Besuch, andere Eindrücke beschäftigten das Kinderherz, und an die fernen
Tanten wurde immer weniger gedacht. Zuerst, als die Tombakuhr noch
manchmal ging, sprachen wir Wohl von Tante Auguste, die sie uns geschenkt
hatte. Als aber endlich das Räderwerk ganz versagte und allem Schütteln
unzugänglich blieb, da kam die Uhr in eine schwer zu öffnende Schublade,
und ich weiß nicht, wo sie ihr Ende gefunden hat. Aber ich hatte noch meinen
Straminstreifen, für den ich nur vorübergehend Neigung gehegt hatte. Ver¬
gessen und zusammengewickelt, wie vor dreißig Jahren, lag er unter meinen übri¬
gen Raritäten, bis ihn Jürgen einmal fand und ihn für fein Eigentum erklärte.
Dies konnte ich aber doch nicht dulden: es kam zu einem heftigen Streite,
der damit endigte, daß ich mit der Stickerei entfloh und im Wohnzimmer des
Großvaters begann, sie zu öffnen und auseinanderzuwickeln. Es waren
mehrere lange Streifen, die, mit losen Stichen aneinander geheftet, eine große
Rolle abgaben. Hübsch erschien mir das Ganze nicht, und wahrend ich
darüber nachdachte, ob es wohl der Mühe verlohnte, mich dieser blassen Rosen
wegen mit Jürgen zu erzürnen, öffnete sich die Thür des Zimmers. Ein
Herr trat herein, offenbar von dem Stubenmädchen hergewiesen. Er trug die
dänische Uniform, und ich wußte gleich, daß es wohl ein Offizier von der
Aushebungskommission sei, der den Großvater zu sprechen wünsche.

Solche Besuche kamen nicht selten, und ich wühlte mich aus meinen ge¬
stickten Streifen heraus, um dem Herrn die Hand zu geben und ihm einen
Lehnstuhl anzubieten. Er redete mich gleich deutsch an, etwas, was viele
Dänen aus Grundsatz bei Deutschen nicht thaten, und bald stand ich ganz
nahe vor dem General und beantworbte ernsthaft seine Fragen. Er hatte
gute und kluge Augen; als er mir von seinen Kindern erzählte, ward ich
immer zutraulicher, und wie er mich in gutmütigen Spott fragte, was ich
denn mit den gestickten Bändern dort auf dem Fußboden anfangen wollte,
holte ich alles und zeigte es ihm.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0410" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211578"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1229" prev="#ID_1228"> gestorben war und doch noch immer in der Stadt &#x201E;spökelte," weil sie einen<lb/>
Schatz vergraben und die Mitteilung, wo er zu finden sei, versäumt hatte.<lb/>
Nun konnte sie im Grabe nicht zur Ruhe kommen, während sich der Schatz<lb/>
nicht weiter zu beunruhigen schien. Wir Kinder aber saßen zusammcnge-<lb/>
gedrängt, mit hochroten Wangen und dachten uns aus, was wir thun<lb/>
würden, wenn wir der Spökeltante begegneten. Und wir, die wir die Koffer¬<lb/>
tanten liebten, bedauerten doch insgeheim, daß sie nicht etwas gethan hatten,<lb/>
was sie in den Augen der Gespielen recht groß und wichtig gemacht hätte.<lb/>
Sie blieben aber, wie sie waren, und erlitten denn auch das Schicksal der<lb/>
besten unsrer Mitmenschen: weil sie so garnicht von sich reden machten, wurden<lb/>
sie endlich vollständig vergessen. Weinend hatten wir die guten Kvffertanten<lb/>
übers Wasser gebracht, hatten zärtlichen Abschied genommen und ein treues<lb/>
Andenken versprochen &#x2014; wo aber blieb dieses Andenken? Es kam neuer<lb/>
Besuch, andere Eindrücke beschäftigten das Kinderherz, und an die fernen<lb/>
Tanten wurde immer weniger gedacht. Zuerst, als die Tombakuhr noch<lb/>
manchmal ging, sprachen wir Wohl von Tante Auguste, die sie uns geschenkt<lb/>
hatte. Als aber endlich das Räderwerk ganz versagte und allem Schütteln<lb/>
unzugänglich blieb, da kam die Uhr in eine schwer zu öffnende Schublade,<lb/>
und ich weiß nicht, wo sie ihr Ende gefunden hat. Aber ich hatte noch meinen<lb/>
Straminstreifen, für den ich nur vorübergehend Neigung gehegt hatte. Ver¬<lb/>
gessen und zusammengewickelt, wie vor dreißig Jahren, lag er unter meinen übri¬<lb/>
gen Raritäten, bis ihn Jürgen einmal fand und ihn für fein Eigentum erklärte.<lb/>
Dies konnte ich aber doch nicht dulden: es kam zu einem heftigen Streite,<lb/>
der damit endigte, daß ich mit der Stickerei entfloh und im Wohnzimmer des<lb/>
Großvaters begann, sie zu öffnen und auseinanderzuwickeln. Es waren<lb/>
mehrere lange Streifen, die, mit losen Stichen aneinander geheftet, eine große<lb/>
Rolle abgaben. Hübsch erschien mir das Ganze nicht, und wahrend ich<lb/>
darüber nachdachte, ob es wohl der Mühe verlohnte, mich dieser blassen Rosen<lb/>
wegen mit Jürgen zu erzürnen, öffnete sich die Thür des Zimmers. Ein<lb/>
Herr trat herein, offenbar von dem Stubenmädchen hergewiesen. Er trug die<lb/>
dänische Uniform, und ich wußte gleich, daß es wohl ein Offizier von der<lb/>
Aushebungskommission sei, der den Großvater zu sprechen wünsche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1230"> Solche Besuche kamen nicht selten, und ich wühlte mich aus meinen ge¬<lb/>
stickten Streifen heraus, um dem Herrn die Hand zu geben und ihm einen<lb/>
Lehnstuhl anzubieten. Er redete mich gleich deutsch an, etwas, was viele<lb/>
Dänen aus Grundsatz bei Deutschen nicht thaten, und bald stand ich ganz<lb/>
nahe vor dem General und beantworbte ernsthaft seine Fragen. Er hatte<lb/>
gute und kluge Augen; als er mir von seinen Kindern erzählte, ward ich<lb/>
immer zutraulicher, und wie er mich in gutmütigen Spott fragte, was ich<lb/>
denn mit den gestickten Bändern dort auf dem Fußboden anfangen wollte,<lb/>
holte ich alles und zeigte es ihm.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0410] gestorben war und doch noch immer in der Stadt „spökelte," weil sie einen Schatz vergraben und die Mitteilung, wo er zu finden sei, versäumt hatte. Nun konnte sie im Grabe nicht zur Ruhe kommen, während sich der Schatz nicht weiter zu beunruhigen schien. Wir Kinder aber saßen zusammcnge- gedrängt, mit hochroten Wangen und dachten uns aus, was wir thun würden, wenn wir der Spökeltante begegneten. Und wir, die wir die Koffer¬ tanten liebten, bedauerten doch insgeheim, daß sie nicht etwas gethan hatten, was sie in den Augen der Gespielen recht groß und wichtig gemacht hätte. Sie blieben aber, wie sie waren, und erlitten denn auch das Schicksal der besten unsrer Mitmenschen: weil sie so garnicht von sich reden machten, wurden sie endlich vollständig vergessen. Weinend hatten wir die guten Kvffertanten übers Wasser gebracht, hatten zärtlichen Abschied genommen und ein treues Andenken versprochen — wo aber blieb dieses Andenken? Es kam neuer Besuch, andere Eindrücke beschäftigten das Kinderherz, und an die fernen Tanten wurde immer weniger gedacht. Zuerst, als die Tombakuhr noch manchmal ging, sprachen wir Wohl von Tante Auguste, die sie uns geschenkt hatte. Als aber endlich das Räderwerk ganz versagte und allem Schütteln unzugänglich blieb, da kam die Uhr in eine schwer zu öffnende Schublade, und ich weiß nicht, wo sie ihr Ende gefunden hat. Aber ich hatte noch meinen Straminstreifen, für den ich nur vorübergehend Neigung gehegt hatte. Ver¬ gessen und zusammengewickelt, wie vor dreißig Jahren, lag er unter meinen übri¬ gen Raritäten, bis ihn Jürgen einmal fand und ihn für fein Eigentum erklärte. Dies konnte ich aber doch nicht dulden: es kam zu einem heftigen Streite, der damit endigte, daß ich mit der Stickerei entfloh und im Wohnzimmer des Großvaters begann, sie zu öffnen und auseinanderzuwickeln. Es waren mehrere lange Streifen, die, mit losen Stichen aneinander geheftet, eine große Rolle abgaben. Hübsch erschien mir das Ganze nicht, und wahrend ich darüber nachdachte, ob es wohl der Mühe verlohnte, mich dieser blassen Rosen wegen mit Jürgen zu erzürnen, öffnete sich die Thür des Zimmers. Ein Herr trat herein, offenbar von dem Stubenmädchen hergewiesen. Er trug die dänische Uniform, und ich wußte gleich, daß es wohl ein Offizier von der Aushebungskommission sei, der den Großvater zu sprechen wünsche. Solche Besuche kamen nicht selten, und ich wühlte mich aus meinen ge¬ stickten Streifen heraus, um dem Herrn die Hand zu geben und ihm einen Lehnstuhl anzubieten. Er redete mich gleich deutsch an, etwas, was viele Dänen aus Grundsatz bei Deutschen nicht thaten, und bald stand ich ganz nahe vor dem General und beantworbte ernsthaft seine Fragen. Er hatte gute und kluge Augen; als er mir von seinen Kindern erzählte, ward ich immer zutraulicher, und wie er mich in gutmütigen Spott fragte, was ich denn mit den gestickten Bändern dort auf dem Fußboden anfangen wollte, holte ich alles und zeigte es ihm.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/410
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/410>, abgerufen am 23.07.2024.