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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

derte wieder zu den Tanten zurück, die Orden gleichfalls, und als uns diese
nachher allen etwas schenkten, waren es andre und passendere Gegenstände.
Der Koffer enthielt wirklich köstliche Sachen: alte Glassachen, Bucher, Notiz¬
tafeln und eine Menge von altmodischen Dingen, die jedem Liebhaber Freude
gemacht hätten. Uns Kindern ward allerhand zur Auswahl hingelegt. Ich
bekam eine dicke Taschenuhr aus einem Metall, das man Tombak nannte, und
Jürgen wählte sich eine schmale, zusammengerollte Stickerei. Es waren ver¬
blaßte Rosen und Vergißmeinnicht auf ganz schmalem Stramin gestickt, und die
Tanten meinten, er solle sich später ein paar Hosenträger davon machen lassen.

Es war mir aufgefallen, daß Tante Auguste, ehe sie dieses Bündel auf
den Tisch legte, wieder etwas geweint hatte. Sie sah lange auf die matten
Rosen und strich wehmütig darüber hin. Als sie meine Augen auf sich ge¬
richtet sah, suchte sie sich wieder zu entschuldigen. Es ist nur, weil ich an
meine Jugend dachte, sagte sie mit ihrer leisen Stimme. Als ich bei meiner
Tante in Apenrade lebte, habe ich diese Rosen gestickt -- es sollte ein Besatz
für Vorhänge werden, es ist aber niemals fertig geworden! Ich stellte gerade
meine Tvmbatuhr, die die Angewohnheit hatte, nur dann ein Weilchen zu
gehen, wenn man sie heftig geschüttelt hatte. Daher hörte ich wenig auf
Tante Auguste, sondern mehr auf das schwerfällige Ticken der Uhr.

Jürgen bekam also die gestickten, verblaßten Rosen, und er wollte sich
eine prachtvolle Pserdeleine daraus machen. Später aber paßte ihm die
Stickerei nicht mehr, und er tauschte sie bei mir gegen die Uhr um. In¬
zwischen waren die Tanten wieder abgereist. Die Trennung that uns sehr
leid, denn nach unsrer Ansicht gab es keine bessern Wesen als sie. Sie hatten
uns niemals Moralvvrlesuugeu gehalten, noch hatten sie sich über unsre Wild¬
heit gewundert. Immer höflich und freundlich, dachten sie von allen Menschen
und auch von uns nur Gutes, sie gaben uns ein wundervolles Beispiel von
Bescheidenheit und Herzensgüte, so daß wir in Kindergesellschaften, wo wir
manchmal unsre Verwandten besprachen, erzählen konnten: Wir haben zwei
Tanten, die nehmen immer die kleinsten Stücke bei Tisch und sagen, daß sie
mit allein zufrieden wären, eine Behauptung, die von allen Zuhörern schon mit
ziemlichem Mißtrauen angehört wurde. Verstiegen wir uns gar zu der Mit¬
teilung, daß uns diese Tanten zuerst aus der Thür gehen ließen und sogar
lachten, wenn wir mit lauter Stimme ihr Alter bei Tisch verkündigten, dann
erfolgte meistens lauter Widerspruch. Solche Tanten gäbe es überhaupt nicht,
sagten die größern Kinder in der Versammlung. Tanten seien immer furcht-
bar eigen, sowohl mit Essen, als mit ihrem Alter; und da unsre Geschichten
den meisten sehr langweilig vorkamen, so wurden sie gewöhnlich mit gleich-
giltigem Stillschweigen übergangen. Die andern hatten interessantere Ver¬
wandte. Da war ein Onkel, dessen Haare standen Nachts ans einem Stocke,
und ein großer Junge konnte sich einer Tante rühmen, die schon seit Jahren


Grenzboten I l89'-Z 51
Aus dänischer Zeit

derte wieder zu den Tanten zurück, die Orden gleichfalls, und als uns diese
nachher allen etwas schenkten, waren es andre und passendere Gegenstände.
Der Koffer enthielt wirklich köstliche Sachen: alte Glassachen, Bucher, Notiz¬
tafeln und eine Menge von altmodischen Dingen, die jedem Liebhaber Freude
gemacht hätten. Uns Kindern ward allerhand zur Auswahl hingelegt. Ich
bekam eine dicke Taschenuhr aus einem Metall, das man Tombak nannte, und
Jürgen wählte sich eine schmale, zusammengerollte Stickerei. Es waren ver¬
blaßte Rosen und Vergißmeinnicht auf ganz schmalem Stramin gestickt, und die
Tanten meinten, er solle sich später ein paar Hosenträger davon machen lassen.

Es war mir aufgefallen, daß Tante Auguste, ehe sie dieses Bündel auf
den Tisch legte, wieder etwas geweint hatte. Sie sah lange auf die matten
Rosen und strich wehmütig darüber hin. Als sie meine Augen auf sich ge¬
richtet sah, suchte sie sich wieder zu entschuldigen. Es ist nur, weil ich an
meine Jugend dachte, sagte sie mit ihrer leisen Stimme. Als ich bei meiner
Tante in Apenrade lebte, habe ich diese Rosen gestickt — es sollte ein Besatz
für Vorhänge werden, es ist aber niemals fertig geworden! Ich stellte gerade
meine Tvmbatuhr, die die Angewohnheit hatte, nur dann ein Weilchen zu
gehen, wenn man sie heftig geschüttelt hatte. Daher hörte ich wenig auf
Tante Auguste, sondern mehr auf das schwerfällige Ticken der Uhr.

Jürgen bekam also die gestickten, verblaßten Rosen, und er wollte sich
eine prachtvolle Pserdeleine daraus machen. Später aber paßte ihm die
Stickerei nicht mehr, und er tauschte sie bei mir gegen die Uhr um. In¬
zwischen waren die Tanten wieder abgereist. Die Trennung that uns sehr
leid, denn nach unsrer Ansicht gab es keine bessern Wesen als sie. Sie hatten
uns niemals Moralvvrlesuugeu gehalten, noch hatten sie sich über unsre Wild¬
heit gewundert. Immer höflich und freundlich, dachten sie von allen Menschen
und auch von uns nur Gutes, sie gaben uns ein wundervolles Beispiel von
Bescheidenheit und Herzensgüte, so daß wir in Kindergesellschaften, wo wir
manchmal unsre Verwandten besprachen, erzählen konnten: Wir haben zwei
Tanten, die nehmen immer die kleinsten Stücke bei Tisch und sagen, daß sie
mit allein zufrieden wären, eine Behauptung, die von allen Zuhörern schon mit
ziemlichem Mißtrauen angehört wurde. Verstiegen wir uns gar zu der Mit¬
teilung, daß uns diese Tanten zuerst aus der Thür gehen ließen und sogar
lachten, wenn wir mit lauter Stimme ihr Alter bei Tisch verkündigten, dann
erfolgte meistens lauter Widerspruch. Solche Tanten gäbe es überhaupt nicht,
sagten die größern Kinder in der Versammlung. Tanten seien immer furcht-
bar eigen, sowohl mit Essen, als mit ihrem Alter; und da unsre Geschichten
den meisten sehr langweilig vorkamen, so wurden sie gewöhnlich mit gleich-
giltigem Stillschweigen übergangen. Die andern hatten interessantere Ver¬
wandte. Da war ein Onkel, dessen Haare standen Nachts ans einem Stocke,
und ein großer Junge konnte sich einer Tante rühmen, die schon seit Jahren


Grenzboten I l89'-Z 51
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[0409] Aus dänischer Zeit derte wieder zu den Tanten zurück, die Orden gleichfalls, und als uns diese nachher allen etwas schenkten, waren es andre und passendere Gegenstände. Der Koffer enthielt wirklich köstliche Sachen: alte Glassachen, Bucher, Notiz¬ tafeln und eine Menge von altmodischen Dingen, die jedem Liebhaber Freude gemacht hätten. Uns Kindern ward allerhand zur Auswahl hingelegt. Ich bekam eine dicke Taschenuhr aus einem Metall, das man Tombak nannte, und Jürgen wählte sich eine schmale, zusammengerollte Stickerei. Es waren ver¬ blaßte Rosen und Vergißmeinnicht auf ganz schmalem Stramin gestickt, und die Tanten meinten, er solle sich später ein paar Hosenträger davon machen lassen. Es war mir aufgefallen, daß Tante Auguste, ehe sie dieses Bündel auf den Tisch legte, wieder etwas geweint hatte. Sie sah lange auf die matten Rosen und strich wehmütig darüber hin. Als sie meine Augen auf sich ge¬ richtet sah, suchte sie sich wieder zu entschuldigen. Es ist nur, weil ich an meine Jugend dachte, sagte sie mit ihrer leisen Stimme. Als ich bei meiner Tante in Apenrade lebte, habe ich diese Rosen gestickt — es sollte ein Besatz für Vorhänge werden, es ist aber niemals fertig geworden! Ich stellte gerade meine Tvmbatuhr, die die Angewohnheit hatte, nur dann ein Weilchen zu gehen, wenn man sie heftig geschüttelt hatte. Daher hörte ich wenig auf Tante Auguste, sondern mehr auf das schwerfällige Ticken der Uhr. Jürgen bekam also die gestickten, verblaßten Rosen, und er wollte sich eine prachtvolle Pserdeleine daraus machen. Später aber paßte ihm die Stickerei nicht mehr, und er tauschte sie bei mir gegen die Uhr um. In¬ zwischen waren die Tanten wieder abgereist. Die Trennung that uns sehr leid, denn nach unsrer Ansicht gab es keine bessern Wesen als sie. Sie hatten uns niemals Moralvvrlesuugeu gehalten, noch hatten sie sich über unsre Wild¬ heit gewundert. Immer höflich und freundlich, dachten sie von allen Menschen und auch von uns nur Gutes, sie gaben uns ein wundervolles Beispiel von Bescheidenheit und Herzensgüte, so daß wir in Kindergesellschaften, wo wir manchmal unsre Verwandten besprachen, erzählen konnten: Wir haben zwei Tanten, die nehmen immer die kleinsten Stücke bei Tisch und sagen, daß sie mit allein zufrieden wären, eine Behauptung, die von allen Zuhörern schon mit ziemlichem Mißtrauen angehört wurde. Verstiegen wir uns gar zu der Mit¬ teilung, daß uns diese Tanten zuerst aus der Thür gehen ließen und sogar lachten, wenn wir mit lauter Stimme ihr Alter bei Tisch verkündigten, dann erfolgte meistens lauter Widerspruch. Solche Tanten gäbe es überhaupt nicht, sagten die größern Kinder in der Versammlung. Tanten seien immer furcht- bar eigen, sowohl mit Essen, als mit ihrem Alter; und da unsre Geschichten den meisten sehr langweilig vorkamen, so wurden sie gewöhnlich mit gleich- giltigem Stillschweigen übergangen. Die andern hatten interessantere Ver¬ wandte. Da war ein Onkel, dessen Haare standen Nachts ans einem Stocke, und ein großer Junge konnte sich einer Tante rühmen, die schon seit Jahren Grenzboten I l89'-Z 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/409>, abgerufen am 23.07.2024.