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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Jon

Auspacken! riefen Jürgen und ich in einem Atem; aber die beiden, sonst
so höflichen und rücksichtsvollen Tanten gehorchten uns nicht sogleich. Sie
hockten vor dem gefüllten Koffer und die Thränen stürzten aus ihren Augen.
Draußen regnete es, schwere Tropfen glitten wie Thränen über die schrägen
Dachfenster; der Wind spielte mit einigen losen Ziegeln, und manchmal klang
es, als ob auch er weinte. Uns ward unheimlich zu Mute, bis Tante Auguste
unsre bestürzten Gesichter bemerkte, trotz des grauen Lichtes. Mit bittendem
Lächeln sah sie uns an, freundlich über unsre Haare streichend.

Es geht gleich vorüber, sagte sie entschuldigend. Wir haben den Koffer
so lange nicht gesehen ^ er wurde eingepackt, als wir noch dreißig Jahre
jünger waren. Nun kommen die Erinnerungen -- sie brach ab, um uus noch
einmal zu liebkosen. Sie mochte einsehen, daß Kinder weder für Erinnerungen,
noch für eine lange Spanne Zeit Verständnis haben.

Tante Julie hatte schon angefangen auszupacken. Zuerst waren es gleich-
giltige Gegenstände, die durch unsere Hände gingen: alte Wäsche, feine Strümpfe
und sonstige nützliche Dinge, so daß wir aufmerksam Tante Julie zuhören
konnten, die uns die Geschichte jedes Kleidungsstückes erzählte. Dies Spitzen¬
jabot hatte ihr Vater bei feierlichen Gelegenheiten getragen. Er war Amtmann
gewesen und mußte, nach den Schnallenschuhen zu urteilen, die jetzt ans
Tageslicht kamen, auf großem Fuße gelebt haben. Und dann kam ein Ordens¬
band, das dem Großvater der Tanten, einem dänischen General gehört hatte.
Früher mochte es noch nicht Mode gewesen sein, die Ordensdekorationen dem
Landesherrn wiederzuschicken, ein Kasten mit verblaßter Seide gefüttert, enthielt
allerhand Kreuze und Medaillen. Solange wir uns bei dem Unterkostüm des
tapfern Generals aufgehalten hatten, waren wir stille Zuhörer der Tanten ge¬
wesen; als aber sein oberer Galamensch an das Tageslicht befördert ward, da
hätten sie ebenso gut mit den Dachziegeln wie mit uns sprechen können.
Kaum daß wir ihre Erlaubnis abwarteten, etwas von den köstlichen Gegen¬
ständen anzulegen, dann polterten wir die Bodentreppe hinunter. Jürgen trug
einen feuerroten Frack, dessen Zipfel wie eine Schleppe hinter ihm Herzogen;
ich hatte mir einen Dreimaster aufgesetzt und das Kommandeurkreuz des Danc-
brogs und eine Degenquaste um den Hals gehängt.

Am Fuße der Treppe standen die ältern Brüder, die auch von dem Koffer
gehört hatten, und nach wenigen Sekunden saßen wir weinend vor der Hausthür.
Alles, was uns zum "teilen" geblieben war, war die Degenquaste. Unsre
Schätze waren nicht allein in andre Hände übergegangen, man hatte uns auch
noch vorgeworfen, daß wir schlechte Schleswig-Holsteiner wären -- denn wer
trüge heutzutage eine dänische Uniform und einen Orden des Dänenkönigs?
Jedenfalls mußte man doch dazu die Erlaubnis der Eltern einholen und vor¬
läufig diese Sachen den ältern Brüdern überlassen!

Wir weinten jedoch nicht lange. Der rote, mottenzerfressne Frack wan-


Aus dänischer Jon

Auspacken! riefen Jürgen und ich in einem Atem; aber die beiden, sonst
so höflichen und rücksichtsvollen Tanten gehorchten uns nicht sogleich. Sie
hockten vor dem gefüllten Koffer und die Thränen stürzten aus ihren Augen.
Draußen regnete es, schwere Tropfen glitten wie Thränen über die schrägen
Dachfenster; der Wind spielte mit einigen losen Ziegeln, und manchmal klang
es, als ob auch er weinte. Uns ward unheimlich zu Mute, bis Tante Auguste
unsre bestürzten Gesichter bemerkte, trotz des grauen Lichtes. Mit bittendem
Lächeln sah sie uns an, freundlich über unsre Haare streichend.

Es geht gleich vorüber, sagte sie entschuldigend. Wir haben den Koffer
so lange nicht gesehen ^ er wurde eingepackt, als wir noch dreißig Jahre
jünger waren. Nun kommen die Erinnerungen — sie brach ab, um uus noch
einmal zu liebkosen. Sie mochte einsehen, daß Kinder weder für Erinnerungen,
noch für eine lange Spanne Zeit Verständnis haben.

Tante Julie hatte schon angefangen auszupacken. Zuerst waren es gleich-
giltige Gegenstände, die durch unsere Hände gingen: alte Wäsche, feine Strümpfe
und sonstige nützliche Dinge, so daß wir aufmerksam Tante Julie zuhören
konnten, die uns die Geschichte jedes Kleidungsstückes erzählte. Dies Spitzen¬
jabot hatte ihr Vater bei feierlichen Gelegenheiten getragen. Er war Amtmann
gewesen und mußte, nach den Schnallenschuhen zu urteilen, die jetzt ans
Tageslicht kamen, auf großem Fuße gelebt haben. Und dann kam ein Ordens¬
band, das dem Großvater der Tanten, einem dänischen General gehört hatte.
Früher mochte es noch nicht Mode gewesen sein, die Ordensdekorationen dem
Landesherrn wiederzuschicken, ein Kasten mit verblaßter Seide gefüttert, enthielt
allerhand Kreuze und Medaillen. Solange wir uns bei dem Unterkostüm des
tapfern Generals aufgehalten hatten, waren wir stille Zuhörer der Tanten ge¬
wesen; als aber sein oberer Galamensch an das Tageslicht befördert ward, da
hätten sie ebenso gut mit den Dachziegeln wie mit uns sprechen können.
Kaum daß wir ihre Erlaubnis abwarteten, etwas von den köstlichen Gegen¬
ständen anzulegen, dann polterten wir die Bodentreppe hinunter. Jürgen trug
einen feuerroten Frack, dessen Zipfel wie eine Schleppe hinter ihm Herzogen;
ich hatte mir einen Dreimaster aufgesetzt und das Kommandeurkreuz des Danc-
brogs und eine Degenquaste um den Hals gehängt.

Am Fuße der Treppe standen die ältern Brüder, die auch von dem Koffer
gehört hatten, und nach wenigen Sekunden saßen wir weinend vor der Hausthür.
Alles, was uns zum „teilen" geblieben war, war die Degenquaste. Unsre
Schätze waren nicht allein in andre Hände übergegangen, man hatte uns auch
noch vorgeworfen, daß wir schlechte Schleswig-Holsteiner wären — denn wer
trüge heutzutage eine dänische Uniform und einen Orden des Dänenkönigs?
Jedenfalls mußte man doch dazu die Erlaubnis der Eltern einholen und vor¬
läufig diese Sachen den ältern Brüdern überlassen!

Wir weinten jedoch nicht lange. Der rote, mottenzerfressne Frack wan-


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[0408] Aus dänischer Jon Auspacken! riefen Jürgen und ich in einem Atem; aber die beiden, sonst so höflichen und rücksichtsvollen Tanten gehorchten uns nicht sogleich. Sie hockten vor dem gefüllten Koffer und die Thränen stürzten aus ihren Augen. Draußen regnete es, schwere Tropfen glitten wie Thränen über die schrägen Dachfenster; der Wind spielte mit einigen losen Ziegeln, und manchmal klang es, als ob auch er weinte. Uns ward unheimlich zu Mute, bis Tante Auguste unsre bestürzten Gesichter bemerkte, trotz des grauen Lichtes. Mit bittendem Lächeln sah sie uns an, freundlich über unsre Haare streichend. Es geht gleich vorüber, sagte sie entschuldigend. Wir haben den Koffer so lange nicht gesehen ^ er wurde eingepackt, als wir noch dreißig Jahre jünger waren. Nun kommen die Erinnerungen — sie brach ab, um uus noch einmal zu liebkosen. Sie mochte einsehen, daß Kinder weder für Erinnerungen, noch für eine lange Spanne Zeit Verständnis haben. Tante Julie hatte schon angefangen auszupacken. Zuerst waren es gleich- giltige Gegenstände, die durch unsere Hände gingen: alte Wäsche, feine Strümpfe und sonstige nützliche Dinge, so daß wir aufmerksam Tante Julie zuhören konnten, die uns die Geschichte jedes Kleidungsstückes erzählte. Dies Spitzen¬ jabot hatte ihr Vater bei feierlichen Gelegenheiten getragen. Er war Amtmann gewesen und mußte, nach den Schnallenschuhen zu urteilen, die jetzt ans Tageslicht kamen, auf großem Fuße gelebt haben. Und dann kam ein Ordens¬ band, das dem Großvater der Tanten, einem dänischen General gehört hatte. Früher mochte es noch nicht Mode gewesen sein, die Ordensdekorationen dem Landesherrn wiederzuschicken, ein Kasten mit verblaßter Seide gefüttert, enthielt allerhand Kreuze und Medaillen. Solange wir uns bei dem Unterkostüm des tapfern Generals aufgehalten hatten, waren wir stille Zuhörer der Tanten ge¬ wesen; als aber sein oberer Galamensch an das Tageslicht befördert ward, da hätten sie ebenso gut mit den Dachziegeln wie mit uns sprechen können. Kaum daß wir ihre Erlaubnis abwarteten, etwas von den köstlichen Gegen¬ ständen anzulegen, dann polterten wir die Bodentreppe hinunter. Jürgen trug einen feuerroten Frack, dessen Zipfel wie eine Schleppe hinter ihm Herzogen; ich hatte mir einen Dreimaster aufgesetzt und das Kommandeurkreuz des Danc- brogs und eine Degenquaste um den Hals gehängt. Am Fuße der Treppe standen die ältern Brüder, die auch von dem Koffer gehört hatten, und nach wenigen Sekunden saßen wir weinend vor der Hausthür. Alles, was uns zum „teilen" geblieben war, war die Degenquaste. Unsre Schätze waren nicht allein in andre Hände übergegangen, man hatte uns auch noch vorgeworfen, daß wir schlechte Schleswig-Holsteiner wären — denn wer trüge heutzutage eine dänische Uniform und einen Orden des Dänenkönigs? Jedenfalls mußte man doch dazu die Erlaubnis der Eltern einholen und vor¬ läufig diese Sachen den ältern Brüdern überlassen! Wir weinten jedoch nicht lange. Der rote, mottenzerfressne Frack wan-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/408>, abgerufen am 23.07.2024.