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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht Dürer

Portion aussuchen, die ihm für den einzelnen Fall die passendste erscheint.
Nicht das Schöne, sondern das Schöne und Häßliche will er geben, verschiedne
Typen des Charakteristischen will er aufstellen: "eine jegliche Art brauch be¬
sonders in besonderen Bildern." Allerdings hat Dürer, anknüpfend an eine
bekannte Geschichte von Zeuxis, den Satz aufgestellt, man müsse das Schöne
aus verschiednen Modellen zusammensuchen, gewissermaßen in eklektischer Weise
verfahren. Aber wir täuschen uns gewiß nicht, wenn wir annehmen, daß
ihm diese Idee von außen zugetragen worden sei. Im Herzen war er ein
Realist im wahrsten Sinne des Wortes, d. h. ein Mann, der die Natur
nicht mit dem Auge dessen ansieht, der da fragt, wie sie sein sollte, sondern
mit dem Auge dessen, der da fragt, wie sie ist. Wir können es mit seinen
Worten belegen, daß er nicht in einem Verbessern oder Jdealisiren der Natur
das Ziel der Kunst erblickte, sondern daß für ihn die höchste Schönheit der
Natur im Einzelwesen begriffen war. "Aber das Leben in der Natur giebt
zu erkennen die Wahrheit dieser Dinge. Darum sieh sie fleißig an, richt dich
danach und geh nicht von der Natur in deinem Gutdünken, daß du wollest
meinen, es sei besser von Dir selbst zu finden. Denn wahrhaftig steckt dir
Kunst in der Natur. Wer sie heraus kann reißen, der hat sie. Überkommst
Du sie, so wird sie Dir viel Fehis nehmen in Deinem Werk. . . Aber je
genauer Dein Werk dem Leben gemäß ist in seiner Gestalt, je besser Dein
Werk erscheint. Und dies ist wahr. Darum nimm Dir nimmermehr vor,
daß Du etwas besser mögest machen, denn es Gott seiner erschaffenen Natur
zu wirken Kraft gegeben hat. Denn Dein Vermögen ist kraftlos gegen Gottes
Geschöpf. . . Darum thut noth, daß ein Jeglicher Bescheidenheit in seinem
Werk brauch, das an das Licht kommen soll. Daher kommt, wer etwas
rechts will machen, daß er der Natur nichts abbrech und leg ihr nichts un-
tregliches auf. . . Der Verstand der Menschen kann selten fassen, das Schöne
in Creaturen recht abzubilden. Und ob wir gleich nicht reden können von der
höchsten Schönheit einer leiblichen Creatur, so finden wir doch in den sicht¬
baren Creaturen eine solche übermäßige Schönheit, daß solche unser keiner
kann vollkommen in sein Werk bringen. . . Aber etliche sind einer anderen
Meinung, reden davon, wie die Menschen sollten sein. Solches will ich mit
ihnen nicht streiten. Ich halt aber in solchem die Natur für Meister und
der Meuschen Wahn für Jrrsal. Einmal hat der Schöpfer die Menschen
gemacht, wie sie müssen sein, und ich halt, daß die rechte Wohlgestalt und
Hübschheit unter dem Haufen aller Menschen begriffen sei. Welcher das heraus¬
ziehen kann, dem will ich mehr folgen denn dem, der eine neu erdichtete Maß,
der die Menschen kein Teil gehabt haben, machen will." Klingen diese Worte
nicht wie ein Protest des germanischen Realismus gegenüber dem Idealismus
der antiken und italienischen Theoretiker? Zeigen sie uns nicht deutlich, wie
sich Dürer, vielleicht auch jahrelangen Zweifeln zu dem echten Naturalismus


Albrecht Dürer

Portion aussuchen, die ihm für den einzelnen Fall die passendste erscheint.
Nicht das Schöne, sondern das Schöne und Häßliche will er geben, verschiedne
Typen des Charakteristischen will er aufstellen: „eine jegliche Art brauch be¬
sonders in besonderen Bildern." Allerdings hat Dürer, anknüpfend an eine
bekannte Geschichte von Zeuxis, den Satz aufgestellt, man müsse das Schöne
aus verschiednen Modellen zusammensuchen, gewissermaßen in eklektischer Weise
verfahren. Aber wir täuschen uns gewiß nicht, wenn wir annehmen, daß
ihm diese Idee von außen zugetragen worden sei. Im Herzen war er ein
Realist im wahrsten Sinne des Wortes, d. h. ein Mann, der die Natur
nicht mit dem Auge dessen ansieht, der da fragt, wie sie sein sollte, sondern
mit dem Auge dessen, der da fragt, wie sie ist. Wir können es mit seinen
Worten belegen, daß er nicht in einem Verbessern oder Jdealisiren der Natur
das Ziel der Kunst erblickte, sondern daß für ihn die höchste Schönheit der
Natur im Einzelwesen begriffen war. „Aber das Leben in der Natur giebt
zu erkennen die Wahrheit dieser Dinge. Darum sieh sie fleißig an, richt dich
danach und geh nicht von der Natur in deinem Gutdünken, daß du wollest
meinen, es sei besser von Dir selbst zu finden. Denn wahrhaftig steckt dir
Kunst in der Natur. Wer sie heraus kann reißen, der hat sie. Überkommst
Du sie, so wird sie Dir viel Fehis nehmen in Deinem Werk. . . Aber je
genauer Dein Werk dem Leben gemäß ist in seiner Gestalt, je besser Dein
Werk erscheint. Und dies ist wahr. Darum nimm Dir nimmermehr vor,
daß Du etwas besser mögest machen, denn es Gott seiner erschaffenen Natur
zu wirken Kraft gegeben hat. Denn Dein Vermögen ist kraftlos gegen Gottes
Geschöpf. . . Darum thut noth, daß ein Jeglicher Bescheidenheit in seinem
Werk brauch, das an das Licht kommen soll. Daher kommt, wer etwas
rechts will machen, daß er der Natur nichts abbrech und leg ihr nichts un-
tregliches auf. . . Der Verstand der Menschen kann selten fassen, das Schöne
in Creaturen recht abzubilden. Und ob wir gleich nicht reden können von der
höchsten Schönheit einer leiblichen Creatur, so finden wir doch in den sicht¬
baren Creaturen eine solche übermäßige Schönheit, daß solche unser keiner
kann vollkommen in sein Werk bringen. . . Aber etliche sind einer anderen
Meinung, reden davon, wie die Menschen sollten sein. Solches will ich mit
ihnen nicht streiten. Ich halt aber in solchem die Natur für Meister und
der Meuschen Wahn für Jrrsal. Einmal hat der Schöpfer die Menschen
gemacht, wie sie müssen sein, und ich halt, daß die rechte Wohlgestalt und
Hübschheit unter dem Haufen aller Menschen begriffen sei. Welcher das heraus¬
ziehen kann, dem will ich mehr folgen denn dem, der eine neu erdichtete Maß,
der die Menschen kein Teil gehabt haben, machen will." Klingen diese Worte
nicht wie ein Protest des germanischen Realismus gegenüber dem Idealismus
der antiken und italienischen Theoretiker? Zeigen sie uns nicht deutlich, wie
sich Dürer, vielleicht auch jahrelangen Zweifeln zu dem echten Naturalismus


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[0403] Albrecht Dürer Portion aussuchen, die ihm für den einzelnen Fall die passendste erscheint. Nicht das Schöne, sondern das Schöne und Häßliche will er geben, verschiedne Typen des Charakteristischen will er aufstellen: „eine jegliche Art brauch be¬ sonders in besonderen Bildern." Allerdings hat Dürer, anknüpfend an eine bekannte Geschichte von Zeuxis, den Satz aufgestellt, man müsse das Schöne aus verschiednen Modellen zusammensuchen, gewissermaßen in eklektischer Weise verfahren. Aber wir täuschen uns gewiß nicht, wenn wir annehmen, daß ihm diese Idee von außen zugetragen worden sei. Im Herzen war er ein Realist im wahrsten Sinne des Wortes, d. h. ein Mann, der die Natur nicht mit dem Auge dessen ansieht, der da fragt, wie sie sein sollte, sondern mit dem Auge dessen, der da fragt, wie sie ist. Wir können es mit seinen Worten belegen, daß er nicht in einem Verbessern oder Jdealisiren der Natur das Ziel der Kunst erblickte, sondern daß für ihn die höchste Schönheit der Natur im Einzelwesen begriffen war. „Aber das Leben in der Natur giebt zu erkennen die Wahrheit dieser Dinge. Darum sieh sie fleißig an, richt dich danach und geh nicht von der Natur in deinem Gutdünken, daß du wollest meinen, es sei besser von Dir selbst zu finden. Denn wahrhaftig steckt dir Kunst in der Natur. Wer sie heraus kann reißen, der hat sie. Überkommst Du sie, so wird sie Dir viel Fehis nehmen in Deinem Werk. . . Aber je genauer Dein Werk dem Leben gemäß ist in seiner Gestalt, je besser Dein Werk erscheint. Und dies ist wahr. Darum nimm Dir nimmermehr vor, daß Du etwas besser mögest machen, denn es Gott seiner erschaffenen Natur zu wirken Kraft gegeben hat. Denn Dein Vermögen ist kraftlos gegen Gottes Geschöpf. . . Darum thut noth, daß ein Jeglicher Bescheidenheit in seinem Werk brauch, das an das Licht kommen soll. Daher kommt, wer etwas rechts will machen, daß er der Natur nichts abbrech und leg ihr nichts un- tregliches auf. . . Der Verstand der Menschen kann selten fassen, das Schöne in Creaturen recht abzubilden. Und ob wir gleich nicht reden können von der höchsten Schönheit einer leiblichen Creatur, so finden wir doch in den sicht¬ baren Creaturen eine solche übermäßige Schönheit, daß solche unser keiner kann vollkommen in sein Werk bringen. . . Aber etliche sind einer anderen Meinung, reden davon, wie die Menschen sollten sein. Solches will ich mit ihnen nicht streiten. Ich halt aber in solchem die Natur für Meister und der Meuschen Wahn für Jrrsal. Einmal hat der Schöpfer die Menschen gemacht, wie sie müssen sein, und ich halt, daß die rechte Wohlgestalt und Hübschheit unter dem Haufen aller Menschen begriffen sei. Welcher das heraus¬ ziehen kann, dem will ich mehr folgen denn dem, der eine neu erdichtete Maß, der die Menschen kein Teil gehabt haben, machen will." Klingen diese Worte nicht wie ein Protest des germanischen Realismus gegenüber dem Idealismus der antiken und italienischen Theoretiker? Zeigen sie uns nicht deutlich, wie sich Dürer, vielleicht auch jahrelangen Zweifeln zu dem echten Naturalismus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/403>, abgerufen am 23.07.2024.