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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Universitätsloben

daß alle bebend zusammenführen; dabei schnellte er wie wütend empor, schlug
mit den flachen Händen auf die Kathedra und fingirte eine fabelhafte Auf¬
regung. Äcach einem solchen Durchbruch der Wahrheit erholte er sich ein wenig,
sprach in etwas melancholischer Tonart weiter, spielte an seiner Kneiferschnur
oder an seinem Ohr und setzte denn seinen Sturmlauf in andrer Weise sort.

Fiir nervöse oder der Ruhe bedürftige Musensöhne war diese rhetorische
Hetzjagd natürlich nichts; aber die jungen Füchse vergaßen, auch wenn sie sich
oft das Lachen verbeißen mußten, die Trockenheit des Lehrstoffs, und die
alten Semester blieben aus Überzeugung als fester Stamm bei Harms, da sie
wohl wußten, wie gründliche Kenntnisse man sich gerade bei ihm aneignen
konnte. Er pflegte zu Anfang des Semesters eine Reihe von Plätzen zu
reserviren und sie denen zuzuleiten, die ihm in irgend einer Weise persönlich
näher bekannt wurden. So hatte auch ich, obwohl ich mich ziemlich spät an¬
gemeldet hatte, ganz vorn einen Platz erhalten, da ich ihm einen Gruß von
den: verstorbnen geistvollen Schopeuhauerianer Julius Bcchuseu überbrachte,
der damals in eine litterarische Fehde mit Eduard von Hartmann geraten war,
die auch Harms verfolgte. Aber diese bevorzugten Plätze mußten auch in jeder
Stunde besetzt sei", sonst verriet der alte Herr beim Beginn der Vorlesung
einen gewissen Unwille", ja einen Ekel an der ganzen Menschheit. Ich hatte
so gleichsam die moralische Verpflichtung, kein einziges Kolleg zu Schwänzen, und
nahm mir feierlich vor, auch alle Vorlesungen gewissenhaft durchzuarbeiten.
Aber was sind Pläne, was sind Vorsätze!

In fürchterlicher Enge schoben sich die Massen ans den Hörsälen in die
schmalen Korridors; ein Teil flutete dem Seiteuausweg zu, um in den Garten
zu gelangen, ein andrer arbeitete sich langsam nach der Borhalle. Da plötzlich
trat eine Stockung ein. Vor dein schwarzen Bret standen sie, die meisten Zu¬
hörer von Harms, in großem Gedränge mit hochgereckteu Hälsen und suchte"
den Inhalt eines neuen, schon von weitem in die Augen fallenden Anschlags
zu entziffern. Wieder ein Stiftungsfest oder die Eröffnung eines neuen Bier^
tempels oder der Verkauf eines Oorpntt .juris, dachte ich bei mir und suchte
eine freie Stelle zu gewinnen, um an dem Gedränge vorbeiznschlüpsen. Aber
ich sah bekannte Gesichter. Eins rief mir ziu Brander, Studmtenanfführung!
Heute abend sechs Uhr Beratung, Barackenauditorium. Andre schoben sich
dazwischen -- was ging mich die Studentenanfführnug an! Ich stand im
vierten Semester und hatte andre Pflichten und ernstre Gedanken, als auf dein
Thespiskarren umherzuklettern oder hinter den Kulissen Kurzweil zu treiben.
Das war wohl früher gegangen, aber jetzt mußte an die Zukunft gedacht
werden; vom vierten Semester konnte ich nicht eine einzige Stunde missen --
darüber war ich mir längst im klaren. Ich wurde mit der Strömung in den
Vorgarten gedrängt und schlenderte die Linden hinunter.

Was hatte mir die Tellaufführuug im Jahre zuvor für eine kostbare Zeit


Bilder aus dem Universitätsloben

daß alle bebend zusammenführen; dabei schnellte er wie wütend empor, schlug
mit den flachen Händen auf die Kathedra und fingirte eine fabelhafte Auf¬
regung. Äcach einem solchen Durchbruch der Wahrheit erholte er sich ein wenig,
sprach in etwas melancholischer Tonart weiter, spielte an seiner Kneiferschnur
oder an seinem Ohr und setzte denn seinen Sturmlauf in andrer Weise sort.

Fiir nervöse oder der Ruhe bedürftige Musensöhne war diese rhetorische
Hetzjagd natürlich nichts; aber die jungen Füchse vergaßen, auch wenn sie sich
oft das Lachen verbeißen mußten, die Trockenheit des Lehrstoffs, und die
alten Semester blieben aus Überzeugung als fester Stamm bei Harms, da sie
wohl wußten, wie gründliche Kenntnisse man sich gerade bei ihm aneignen
konnte. Er pflegte zu Anfang des Semesters eine Reihe von Plätzen zu
reserviren und sie denen zuzuleiten, die ihm in irgend einer Weise persönlich
näher bekannt wurden. So hatte auch ich, obwohl ich mich ziemlich spät an¬
gemeldet hatte, ganz vorn einen Platz erhalten, da ich ihm einen Gruß von
den: verstorbnen geistvollen Schopeuhauerianer Julius Bcchuseu überbrachte,
der damals in eine litterarische Fehde mit Eduard von Hartmann geraten war,
die auch Harms verfolgte. Aber diese bevorzugten Plätze mußten auch in jeder
Stunde besetzt sei», sonst verriet der alte Herr beim Beginn der Vorlesung
einen gewissen Unwille», ja einen Ekel an der ganzen Menschheit. Ich hatte
so gleichsam die moralische Verpflichtung, kein einziges Kolleg zu Schwänzen, und
nahm mir feierlich vor, auch alle Vorlesungen gewissenhaft durchzuarbeiten.
Aber was sind Pläne, was sind Vorsätze!

In fürchterlicher Enge schoben sich die Massen ans den Hörsälen in die
schmalen Korridors; ein Teil flutete dem Seiteuausweg zu, um in den Garten
zu gelangen, ein andrer arbeitete sich langsam nach der Borhalle. Da plötzlich
trat eine Stockung ein. Vor dein schwarzen Bret standen sie, die meisten Zu¬
hörer von Harms, in großem Gedränge mit hochgereckteu Hälsen und suchte»
den Inhalt eines neuen, schon von weitem in die Augen fallenden Anschlags
zu entziffern. Wieder ein Stiftungsfest oder die Eröffnung eines neuen Bier^
tempels oder der Verkauf eines Oorpntt .juris, dachte ich bei mir und suchte
eine freie Stelle zu gewinnen, um an dem Gedränge vorbeiznschlüpsen. Aber
ich sah bekannte Gesichter. Eins rief mir ziu Brander, Studmtenanfführung!
Heute abend sechs Uhr Beratung, Barackenauditorium. Andre schoben sich
dazwischen — was ging mich die Studentenanfführnug an! Ich stand im
vierten Semester und hatte andre Pflichten und ernstre Gedanken, als auf dein
Thespiskarren umherzuklettern oder hinter den Kulissen Kurzweil zu treiben.
Das war wohl früher gegangen, aber jetzt mußte an die Zukunft gedacht
werden; vom vierten Semester konnte ich nicht eine einzige Stunde missen —
darüber war ich mir längst im klaren. Ich wurde mit der Strömung in den
Vorgarten gedrängt und schlenderte die Linden hinunter.

Was hatte mir die Tellaufführuug im Jahre zuvor für eine kostbare Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/40>, abgerufen am 23.07.2024.