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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht Dürer

deten) Stelle hervor, wo Dürer von der Melancholie spricht. In einer der
Handschriften des Britischen Museums wird unter anderm von der pädagogischen
Behandlung der Malerlehrlinge folgendes gesagt: "Des sechse', ob sich der
Jung zu viel übte, davon ihn die Melancholey überhnnd möcht' nehmen,
daß er durch kurzweilig Saitenspiel zu lehren davon gezogen werd zu Ergötz¬
lichkeit seines Geblüts." Für Dürer ist die Melancholie also einfach eine
Mißstimmung, wie sie durch übertriebnes Arbeite"? erzeugt werdeu kann, nicht
eine pessimistische Weltauffassung oder ein thatenloses Bekenntnis der eignen
Schwäche. Auf Nachtwachen und nächtliche Arbeit bezieht sich offenbar auch
die Fledermaus, die Dürer seiner geflügelten Frau hinzugefügt hat. Denn
die Fledermaus treibt ihr Wesen in deu ersten Stunden der Nacht, und es
herrschte der Aberglaube, daß, wer den Kopf oder das Herz eines solchen
Tieres bei sich trage, so lange nicht vom Schlaf übermannt werden könne/"")

Wenn also Dürer das geflügelte Weib, das die Meßkunst und die ihr
verwandten Thätigkeiten darstellt, einer der vierKvmplexionen zuschreiben wollte,
so konnte das nur die Melancholie sein.

Wie kam er aber überhaupt auf die Idee, hier eine der vier Komplexionen
herbeizuziehen? Bekanntlich haben frühere Gelehrte die Vermutung ausgesprochen,
daß Dürer die Absicht gehabt habe, vier seiner Kupferstiche als Allegorien der vier^
Komplexionen zu bezeichnen. Sie wurden zu dieser Hypothese veranlaßt
erstens durch die Erwägung, daß, wo eine Melancholie als solche bezeichnet
wird, entsprechend dem Glauben der Zeit auch die drei andern Temperamente
nicht fern sein könnten. Zweitens durch die Beobachtung, daß die Stiche:
Melancholie, Hieronymus im Gehäus und Ritter, Tod und Teufel, die ja alle
drei fast gleichzeitig, d. h. im Verlauf der beiden Jahre 1513 und 1514 ent¬
standen sind, in den Maßen fast genan mit einander übereinstimmen. Drittens
durch das eigentümliche Zusammentreffen, daß die beiden andern Stiche, ob¬
wohl eigentlich Allegorien des Glaubens und der humanistischen Gelehrsamkeit,
doch gleichzeitig recht gut als Repräsentanten des sanguinischen und des Phleg¬
matischen Temperaments aufgefaßt werdeu können. Denn ebenso wie man die
ruhige Arbeit des Büchergelehrten recht wohl mit dein phlegmatischen Tem¬
perament vereinigen kann, liegt nicht die geringste Schwierigkeit vor, den Glanbens-
ritter, der unbekümmert um die Gefahren, die ihn von allen Seiten bedrohen,
ruhig und wohlgemut (Thausing erkennt sogar ein Lächeln in dem Gesicht)
seine Straße zieht, als Sanguiuicus zu bezeichnen. Und dazu kommt viertens,
daß auf dem Jnschrifttäfelchen dieses letztern Kupferstiches vor der Jahreszahl
ein ganz deutliches L steht, das man nicht mit Springer als einen raum¬
füllenden Schnörkel bezeichnen kann, sondern sehr viel natürlicher als den
Anfangsbuchstaben des Wortes LariAumivus auffassen wird. Und wenn man




*) Zahns Jahrb. 1,12. Conway 189.
Geßner, Historie ^uns-Iium III, S. 738.
Albrecht Dürer

deten) Stelle hervor, wo Dürer von der Melancholie spricht. In einer der
Handschriften des Britischen Museums wird unter anderm von der pädagogischen
Behandlung der Malerlehrlinge folgendes gesagt: „Des sechse', ob sich der
Jung zu viel übte, davon ihn die Melancholey überhnnd möcht' nehmen,
daß er durch kurzweilig Saitenspiel zu lehren davon gezogen werd zu Ergötz¬
lichkeit seines Geblüts." Für Dürer ist die Melancholie also einfach eine
Mißstimmung, wie sie durch übertriebnes Arbeite«? erzeugt werdeu kann, nicht
eine pessimistische Weltauffassung oder ein thatenloses Bekenntnis der eignen
Schwäche. Auf Nachtwachen und nächtliche Arbeit bezieht sich offenbar auch
die Fledermaus, die Dürer seiner geflügelten Frau hinzugefügt hat. Denn
die Fledermaus treibt ihr Wesen in deu ersten Stunden der Nacht, und es
herrschte der Aberglaube, daß, wer den Kopf oder das Herz eines solchen
Tieres bei sich trage, so lange nicht vom Schlaf übermannt werden könne/"")

Wenn also Dürer das geflügelte Weib, das die Meßkunst und die ihr
verwandten Thätigkeiten darstellt, einer der vierKvmplexionen zuschreiben wollte,
so konnte das nur die Melancholie sein.

Wie kam er aber überhaupt auf die Idee, hier eine der vier Komplexionen
herbeizuziehen? Bekanntlich haben frühere Gelehrte die Vermutung ausgesprochen,
daß Dürer die Absicht gehabt habe, vier seiner Kupferstiche als Allegorien der vier^
Komplexionen zu bezeichnen. Sie wurden zu dieser Hypothese veranlaßt
erstens durch die Erwägung, daß, wo eine Melancholie als solche bezeichnet
wird, entsprechend dem Glauben der Zeit auch die drei andern Temperamente
nicht fern sein könnten. Zweitens durch die Beobachtung, daß die Stiche:
Melancholie, Hieronymus im Gehäus und Ritter, Tod und Teufel, die ja alle
drei fast gleichzeitig, d. h. im Verlauf der beiden Jahre 1513 und 1514 ent¬
standen sind, in den Maßen fast genan mit einander übereinstimmen. Drittens
durch das eigentümliche Zusammentreffen, daß die beiden andern Stiche, ob¬
wohl eigentlich Allegorien des Glaubens und der humanistischen Gelehrsamkeit,
doch gleichzeitig recht gut als Repräsentanten des sanguinischen und des Phleg¬
matischen Temperaments aufgefaßt werdeu können. Denn ebenso wie man die
ruhige Arbeit des Büchergelehrten recht wohl mit dein phlegmatischen Tem¬
perament vereinigen kann, liegt nicht die geringste Schwierigkeit vor, den Glanbens-
ritter, der unbekümmert um die Gefahren, die ihn von allen Seiten bedrohen,
ruhig und wohlgemut (Thausing erkennt sogar ein Lächeln in dem Gesicht)
seine Straße zieht, als Sanguiuicus zu bezeichnen. Und dazu kommt viertens,
daß auf dem Jnschrifttäfelchen dieses letztern Kupferstiches vor der Jahreszahl
ein ganz deutliches L steht, das man nicht mit Springer als einen raum¬
füllenden Schnörkel bezeichnen kann, sondern sehr viel natürlicher als den
Anfangsbuchstaben des Wortes LariAumivus auffassen wird. Und wenn man




*) Zahns Jahrb. 1,12. Conway 189.
Geßner, Historie ^uns-Iium III, S. 738.
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[0397] Albrecht Dürer deten) Stelle hervor, wo Dürer von der Melancholie spricht. In einer der Handschriften des Britischen Museums wird unter anderm von der pädagogischen Behandlung der Malerlehrlinge folgendes gesagt: „Des sechse', ob sich der Jung zu viel übte, davon ihn die Melancholey überhnnd möcht' nehmen, daß er durch kurzweilig Saitenspiel zu lehren davon gezogen werd zu Ergötz¬ lichkeit seines Geblüts." Für Dürer ist die Melancholie also einfach eine Mißstimmung, wie sie durch übertriebnes Arbeite«? erzeugt werdeu kann, nicht eine pessimistische Weltauffassung oder ein thatenloses Bekenntnis der eignen Schwäche. Auf Nachtwachen und nächtliche Arbeit bezieht sich offenbar auch die Fledermaus, die Dürer seiner geflügelten Frau hinzugefügt hat. Denn die Fledermaus treibt ihr Wesen in deu ersten Stunden der Nacht, und es herrschte der Aberglaube, daß, wer den Kopf oder das Herz eines solchen Tieres bei sich trage, so lange nicht vom Schlaf übermannt werden könne/"") Wenn also Dürer das geflügelte Weib, das die Meßkunst und die ihr verwandten Thätigkeiten darstellt, einer der vierKvmplexionen zuschreiben wollte, so konnte das nur die Melancholie sein. Wie kam er aber überhaupt auf die Idee, hier eine der vier Komplexionen herbeizuziehen? Bekanntlich haben frühere Gelehrte die Vermutung ausgesprochen, daß Dürer die Absicht gehabt habe, vier seiner Kupferstiche als Allegorien der vier^ Komplexionen zu bezeichnen. Sie wurden zu dieser Hypothese veranlaßt erstens durch die Erwägung, daß, wo eine Melancholie als solche bezeichnet wird, entsprechend dem Glauben der Zeit auch die drei andern Temperamente nicht fern sein könnten. Zweitens durch die Beobachtung, daß die Stiche: Melancholie, Hieronymus im Gehäus und Ritter, Tod und Teufel, die ja alle drei fast gleichzeitig, d. h. im Verlauf der beiden Jahre 1513 und 1514 ent¬ standen sind, in den Maßen fast genan mit einander übereinstimmen. Drittens durch das eigentümliche Zusammentreffen, daß die beiden andern Stiche, ob¬ wohl eigentlich Allegorien des Glaubens und der humanistischen Gelehrsamkeit, doch gleichzeitig recht gut als Repräsentanten des sanguinischen und des Phleg¬ matischen Temperaments aufgefaßt werdeu können. Denn ebenso wie man die ruhige Arbeit des Büchergelehrten recht wohl mit dein phlegmatischen Tem¬ perament vereinigen kann, liegt nicht die geringste Schwierigkeit vor, den Glanbens- ritter, der unbekümmert um die Gefahren, die ihn von allen Seiten bedrohen, ruhig und wohlgemut (Thausing erkennt sogar ein Lächeln in dem Gesicht) seine Straße zieht, als Sanguiuicus zu bezeichnen. Und dazu kommt viertens, daß auf dem Jnschrifttäfelchen dieses letztern Kupferstiches vor der Jahreszahl ein ganz deutliches L steht, das man nicht mit Springer als einen raum¬ füllenden Schnörkel bezeichnen kann, sondern sehr viel natürlicher als den Anfangsbuchstaben des Wortes LariAumivus auffassen wird. Und wenn man *) Zahns Jahrb. 1,12. Conway 189. Geßner, Historie ^uns-Iium III, S. 738.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/397>, abgerufen am 23.07.2024.