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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht Dürer

Dichter und Staatsmänner zu den Melancholikern"), und Cicero faßt dies
geradezu in der Weise, daß er sagt, Aristoteles bezeichne alle begabten und
erfindungsreichen Menschen (KominW inFLniosi) als Melancholiker."") Gleichzeitig
verband man den Begriff des Geheimnisvoller, Phantastischen, Prophetischen
mit dem Worte. Der medizinisch-astrologische Aberglaube des Mittelalters,
der ja in Dürers Zeit noch in voller Blüte stand, spann diese Fäden weiter.
Wenn man die astrologischen und medizinischen Traktate des 16. Jahrhunderts
aufschlägt, wenn man einen Blick in die zahlreichen Kalender und Planeten-
bücher, in die prophetischen Flugschriften der Zeit wirft, so erkennt man leicht,
daß auch die Zeitgenossen Dürers deu Begriff Melancholie vielfach anders
faßten als wir. Man glaubte, daß sich das Wesen des Menschen aus vier
Temperamenten, oder wie mau damals sagte, Komplexionen zusammensetze.
Jedem dieser Temperamente seien zwei unter den vier Elementen eigen. So
sei die Melancholie das feuchte und erdige Temperament. Zwei Planeten
werden mit ihr in Verbindung gebracht, Saturn und Merkur. Die Kinder
des Saturn und zuweilen auch des Merkur werden als Melancholiker be¬
zeichnet. Zu den Kindern des Saturn gehöret! vor allen Dingen Baumeister
und Zimmerleute, dann überhaupt solche, die die Erde bearbeiten. So zitirt
Allihn den Vers:


Sinnreich auf Weltbau und Waffen,
Wie man in Not Arbeit soll leben,
Das ist Saturni Kindern geben.

In einem astronomischen Traktat des Neapolitaners Lucas Gauricus, der
1540 in Nürnberg erschien, heißt es: Der Merkur in seinem Hanse oder in
dem des Saturn macht den Menschen erfindungsreich (wA6lün>8us) und reich
an Wissen, hauptsächlich in der Arithmetik, Geometrie, Musik, Astrologie und
in jeder Wissenschaft.""") Dem Merkur sind unterworfen weise, scharfsinnige
Menschen, Astrologen, Studenten, Ärzte, Schreiber, Poeten, Kaufleute, Münz¬
meister, Schnitzer, Maler, Goldschmiede, Seidensticker, Alchimisten, f) Außer¬
dem sind alle Menschen, deren Wesen etwas geheimnisvolles hat, Melancholiker:
Irrsinnige, Epileptiker, Leute mit spiritistischen Gaben, Nachtwandler, Wahr¬
sager. Als Ursachen der Melancholie werden angeführt: sitzende Lebensweise,
eifrige wissenschaftliche Beschäftigung, lauge Nachtwachen, heftiges Nachdenken
über wichtige Dinge. Überall ist von der Melancholie als Komplexion oder
Krankheit, niemals von Weltschmerz oder Verzweifeln an der menschlichen Kraft
die Rede. Sehr deutlich geht das auch aus der einzigen (bisher nicht beach-






^rii-toi. 1'rvbl. XXX.
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Li". In".?. 1, 33. vivin. I, 37.
'
^"") Ira.el-u,tus ^strolo^i^g fuäioiÄri^s vowxos, per I). liNCAin (lÄuricum UoapolitanulU
^orundor^o, 154", Bl. 4.
1) Practica Tcudtsch auf das U^eeLXXXll Jahr durch Bartvtdum Mangold.
Albrecht Dürer

Dichter und Staatsmänner zu den Melancholikern"), und Cicero faßt dies
geradezu in der Weise, daß er sagt, Aristoteles bezeichne alle begabten und
erfindungsreichen Menschen (KominW inFLniosi) als Melancholiker."") Gleichzeitig
verband man den Begriff des Geheimnisvoller, Phantastischen, Prophetischen
mit dem Worte. Der medizinisch-astrologische Aberglaube des Mittelalters,
der ja in Dürers Zeit noch in voller Blüte stand, spann diese Fäden weiter.
Wenn man die astrologischen und medizinischen Traktate des 16. Jahrhunderts
aufschlägt, wenn man einen Blick in die zahlreichen Kalender und Planeten-
bücher, in die prophetischen Flugschriften der Zeit wirft, so erkennt man leicht,
daß auch die Zeitgenossen Dürers deu Begriff Melancholie vielfach anders
faßten als wir. Man glaubte, daß sich das Wesen des Menschen aus vier
Temperamenten, oder wie mau damals sagte, Komplexionen zusammensetze.
Jedem dieser Temperamente seien zwei unter den vier Elementen eigen. So
sei die Melancholie das feuchte und erdige Temperament. Zwei Planeten
werden mit ihr in Verbindung gebracht, Saturn und Merkur. Die Kinder
des Saturn und zuweilen auch des Merkur werden als Melancholiker be¬
zeichnet. Zu den Kindern des Saturn gehöret! vor allen Dingen Baumeister
und Zimmerleute, dann überhaupt solche, die die Erde bearbeiten. So zitirt
Allihn den Vers:


Sinnreich auf Weltbau und Waffen,
Wie man in Not Arbeit soll leben,
Das ist Saturni Kindern geben.

In einem astronomischen Traktat des Neapolitaners Lucas Gauricus, der
1540 in Nürnberg erschien, heißt es: Der Merkur in seinem Hanse oder in
dem des Saturn macht den Menschen erfindungsreich (wA6lün>8us) und reich
an Wissen, hauptsächlich in der Arithmetik, Geometrie, Musik, Astrologie und
in jeder Wissenschaft.""") Dem Merkur sind unterworfen weise, scharfsinnige
Menschen, Astrologen, Studenten, Ärzte, Schreiber, Poeten, Kaufleute, Münz¬
meister, Schnitzer, Maler, Goldschmiede, Seidensticker, Alchimisten, f) Außer¬
dem sind alle Menschen, deren Wesen etwas geheimnisvolles hat, Melancholiker:
Irrsinnige, Epileptiker, Leute mit spiritistischen Gaben, Nachtwandler, Wahr¬
sager. Als Ursachen der Melancholie werden angeführt: sitzende Lebensweise,
eifrige wissenschaftliche Beschäftigung, lauge Nachtwachen, heftiges Nachdenken
über wichtige Dinge. Überall ist von der Melancholie als Komplexion oder
Krankheit, niemals von Weltschmerz oder Verzweifeln an der menschlichen Kraft
die Rede. Sehr deutlich geht das auch aus der einzigen (bisher nicht beach-






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Li«. In«.?. 1, 33. vivin. I, 37.
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^"") Ira.el-u,tus ^strolo^i^g fuäioiÄri^s vowxos, per I). liNCAin (lÄuricum UoapolitanulU
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1) Practica Tcudtsch auf das U^eeLXXXll Jahr durch Bartvtdum Mangold.
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[0396] Albrecht Dürer Dichter und Staatsmänner zu den Melancholikern"), und Cicero faßt dies geradezu in der Weise, daß er sagt, Aristoteles bezeichne alle begabten und erfindungsreichen Menschen (KominW inFLniosi) als Melancholiker."") Gleichzeitig verband man den Begriff des Geheimnisvoller, Phantastischen, Prophetischen mit dem Worte. Der medizinisch-astrologische Aberglaube des Mittelalters, der ja in Dürers Zeit noch in voller Blüte stand, spann diese Fäden weiter. Wenn man die astrologischen und medizinischen Traktate des 16. Jahrhunderts aufschlägt, wenn man einen Blick in die zahlreichen Kalender und Planeten- bücher, in die prophetischen Flugschriften der Zeit wirft, so erkennt man leicht, daß auch die Zeitgenossen Dürers deu Begriff Melancholie vielfach anders faßten als wir. Man glaubte, daß sich das Wesen des Menschen aus vier Temperamenten, oder wie mau damals sagte, Komplexionen zusammensetze. Jedem dieser Temperamente seien zwei unter den vier Elementen eigen. So sei die Melancholie das feuchte und erdige Temperament. Zwei Planeten werden mit ihr in Verbindung gebracht, Saturn und Merkur. Die Kinder des Saturn und zuweilen auch des Merkur werden als Melancholiker be¬ zeichnet. Zu den Kindern des Saturn gehöret! vor allen Dingen Baumeister und Zimmerleute, dann überhaupt solche, die die Erde bearbeiten. So zitirt Allihn den Vers: Sinnreich auf Weltbau und Waffen, Wie man in Not Arbeit soll leben, Das ist Saturni Kindern geben. In einem astronomischen Traktat des Neapolitaners Lucas Gauricus, der 1540 in Nürnberg erschien, heißt es: Der Merkur in seinem Hanse oder in dem des Saturn macht den Menschen erfindungsreich (wA6lün>8us) und reich an Wissen, hauptsächlich in der Arithmetik, Geometrie, Musik, Astrologie und in jeder Wissenschaft.""") Dem Merkur sind unterworfen weise, scharfsinnige Menschen, Astrologen, Studenten, Ärzte, Schreiber, Poeten, Kaufleute, Münz¬ meister, Schnitzer, Maler, Goldschmiede, Seidensticker, Alchimisten, f) Außer¬ dem sind alle Menschen, deren Wesen etwas geheimnisvolles hat, Melancholiker: Irrsinnige, Epileptiker, Leute mit spiritistischen Gaben, Nachtwandler, Wahr¬ sager. Als Ursachen der Melancholie werden angeführt: sitzende Lebensweise, eifrige wissenschaftliche Beschäftigung, lauge Nachtwachen, heftiges Nachdenken über wichtige Dinge. Überall ist von der Melancholie als Komplexion oder Krankheit, niemals von Weltschmerz oder Verzweifeln an der menschlichen Kraft die Rede. Sehr deutlich geht das auch aus der einzigen (bisher nicht beach- ^rii-toi. 1'rvbl. XXX. ' Li«. In«.?. 1, 33. vivin. I, 37. ' ^"") Ira.el-u,tus ^strolo^i^g fuäioiÄri^s vowxos, per I). liNCAin (lÄuricum UoapolitanulU ^orundor^o, 154», Bl. 4. 1) Practica Tcudtsch auf das U^eeLXXXll Jahr durch Bartvtdum Mangold.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/396>, abgerufen am 23.07.2024.