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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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als in seiner Jugend alles, was zur Annehmlichkeit und Erheiterung des Lebens
dienen kann." Auch die Traumvorstellungen, denen er sich zuweilen hingnl,,
scheinen vorwiegend angenehmer Natur gewesen zu sein. Sollte Dürer in
diesem Blatte nicht eher die Mühe der Arbeit, als das Verzweifeln an ihrem
Erfolg im Auge gehabt haben? Und sollte es nicht eine ganz bestimmte Art
von Arbeit sein, die er dabei meinte?

Das fünfzehnte Jahrhundert ist das Jugendzcitalter der Mathematik und
ihrer praktischen Anwendung auf die Naturwissenschaften. Das, was wir exakte
Wissenschaften und technische Fächer nennen, ist erst im Zeitalter Leonardos
ausgebildet, d. h. von der antiken Tradition unabhängig gemacht worden.
Tosmnelli und Pacioli, Purbach und Regiomontanus waren die Vorgänger
von Columbus und Copernicus. Die Mathematik oder besser die Geometrie
galt mit Recht als die Grundlage aller dieser Fächer. Man lese etwa Dürers
Widmung zu seiner Unterweisung der Messung mit Zirkel und Richtscheit oder
Luca Pciciolis Einleitung zu seiner viviim xroxortions. Welche Verherrlichung
der Mathematik! Die Kunst der Messung ist nicht allein , den Malern und
Bildhauern nütze, sondern auch den Goldschmieden, Steinmetzen, Schreinern
und Baumeistern. Sie dient, die Höhe der Gebirge, die Breite der Felder,
Wälder und Gewässer und auch der Häuser zu messen. Ohne sie kann kein
rechter Werkmann werden oder sein. Die Mathematik ist die erste unter allen
Wissenschaften. Denn alles in der Welt ist der Zahl, dem Gewicht und dem
Maß unterworfen. Ohne Geometrie kann der Kriegsingenieur die Maschinen
nicht bauen, durch die er seine Vaterstadt bei Angriffen verteidigt, feindliche
Städte mit Erfolg belagert. Alle Festungen werden mit Hilfe der Geometrie
gebaut und nach Wasserwagen und Loden gerichtet. Alle Astronomen müssen
Kenntnis der Arithmetik, der Geometrie und der Lehre von den Proportionen
besitzen. Die Regulirung der Überschwemmungen (Flußläufe?) bedarf der
Mathematik. Ebenso die Musik, die Perspektive, die Architektur, die Erd¬
beschreibung. Kurz, "die Mathematik ist das Band und der Kitt aller dieser
Wissenschaften und Fächer. Von ihr leitet sich jede andre spekulative, wissen¬
schaftliche, praktische und mechanische Thätigkeit ab." In einer der Handschriften
Dürers im Britischen Museum in London befindet sich eine Notiz, die zwar
nicht von Dürers Hand herrührt, aber deren Sinn von ihm offenbar gebilligt
worden ist. ^) In ihr werden diejenigen "Kunst' und Wertung, so der Maß
erheischen", als die höchsten gepriesen, ausgenommen "die göttlichen Künste
wie Theologie, Metaphysik und die Lieb natürlicher Weisheit." Hier haben
wir den Gegensatz des Hieronymus und der Melancholie. Hieronymus ist der
Vertreter der "göttlichen Künste," die Melancholie die Vertreterin aller der
Künste, die "der Maß erheischen." Und ganz besonders gehört zu diesen (nach



A. v. Zahn in den Jahrbüchern für Kunstwissenschaft I (1868) S. 9 f. und Lorm-^,
lÄsr.iry rsmgins ot L.H"ro<;lit vüror. 1839. S. 192 f.
Grenzboten 1 1892 49
Albrecht Siirer

als in seiner Jugend alles, was zur Annehmlichkeit und Erheiterung des Lebens
dienen kann." Auch die Traumvorstellungen, denen er sich zuweilen hingnl,,
scheinen vorwiegend angenehmer Natur gewesen zu sein. Sollte Dürer in
diesem Blatte nicht eher die Mühe der Arbeit, als das Verzweifeln an ihrem
Erfolg im Auge gehabt haben? Und sollte es nicht eine ganz bestimmte Art
von Arbeit sein, die er dabei meinte?

Das fünfzehnte Jahrhundert ist das Jugendzcitalter der Mathematik und
ihrer praktischen Anwendung auf die Naturwissenschaften. Das, was wir exakte
Wissenschaften und technische Fächer nennen, ist erst im Zeitalter Leonardos
ausgebildet, d. h. von der antiken Tradition unabhängig gemacht worden.
Tosmnelli und Pacioli, Purbach und Regiomontanus waren die Vorgänger
von Columbus und Copernicus. Die Mathematik oder besser die Geometrie
galt mit Recht als die Grundlage aller dieser Fächer. Man lese etwa Dürers
Widmung zu seiner Unterweisung der Messung mit Zirkel und Richtscheit oder
Luca Pciciolis Einleitung zu seiner viviim xroxortions. Welche Verherrlichung
der Mathematik! Die Kunst der Messung ist nicht allein , den Malern und
Bildhauern nütze, sondern auch den Goldschmieden, Steinmetzen, Schreinern
und Baumeistern. Sie dient, die Höhe der Gebirge, die Breite der Felder,
Wälder und Gewässer und auch der Häuser zu messen. Ohne sie kann kein
rechter Werkmann werden oder sein. Die Mathematik ist die erste unter allen
Wissenschaften. Denn alles in der Welt ist der Zahl, dem Gewicht und dem
Maß unterworfen. Ohne Geometrie kann der Kriegsingenieur die Maschinen
nicht bauen, durch die er seine Vaterstadt bei Angriffen verteidigt, feindliche
Städte mit Erfolg belagert. Alle Festungen werden mit Hilfe der Geometrie
gebaut und nach Wasserwagen und Loden gerichtet. Alle Astronomen müssen
Kenntnis der Arithmetik, der Geometrie und der Lehre von den Proportionen
besitzen. Die Regulirung der Überschwemmungen (Flußläufe?) bedarf der
Mathematik. Ebenso die Musik, die Perspektive, die Architektur, die Erd¬
beschreibung. Kurz, „die Mathematik ist das Band und der Kitt aller dieser
Wissenschaften und Fächer. Von ihr leitet sich jede andre spekulative, wissen¬
schaftliche, praktische und mechanische Thätigkeit ab." In einer der Handschriften
Dürers im Britischen Museum in London befindet sich eine Notiz, die zwar
nicht von Dürers Hand herrührt, aber deren Sinn von ihm offenbar gebilligt
worden ist. ^) In ihr werden diejenigen „Kunst' und Wertung, so der Maß
erheischen", als die höchsten gepriesen, ausgenommen „die göttlichen Künste
wie Theologie, Metaphysik und die Lieb natürlicher Weisheit." Hier haben
wir den Gegensatz des Hieronymus und der Melancholie. Hieronymus ist der
Vertreter der „göttlichen Künste," die Melancholie die Vertreterin aller der
Künste, die „der Maß erheischen." Und ganz besonders gehört zu diesen (nach



A. v. Zahn in den Jahrbüchern für Kunstwissenschaft I (1868) S. 9 f. und Lorm-^,
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[0393] Albrecht Siirer als in seiner Jugend alles, was zur Annehmlichkeit und Erheiterung des Lebens dienen kann." Auch die Traumvorstellungen, denen er sich zuweilen hingnl,, scheinen vorwiegend angenehmer Natur gewesen zu sein. Sollte Dürer in diesem Blatte nicht eher die Mühe der Arbeit, als das Verzweifeln an ihrem Erfolg im Auge gehabt haben? Und sollte es nicht eine ganz bestimmte Art von Arbeit sein, die er dabei meinte? Das fünfzehnte Jahrhundert ist das Jugendzcitalter der Mathematik und ihrer praktischen Anwendung auf die Naturwissenschaften. Das, was wir exakte Wissenschaften und technische Fächer nennen, ist erst im Zeitalter Leonardos ausgebildet, d. h. von der antiken Tradition unabhängig gemacht worden. Tosmnelli und Pacioli, Purbach und Regiomontanus waren die Vorgänger von Columbus und Copernicus. Die Mathematik oder besser die Geometrie galt mit Recht als die Grundlage aller dieser Fächer. Man lese etwa Dürers Widmung zu seiner Unterweisung der Messung mit Zirkel und Richtscheit oder Luca Pciciolis Einleitung zu seiner viviim xroxortions. Welche Verherrlichung der Mathematik! Die Kunst der Messung ist nicht allein , den Malern und Bildhauern nütze, sondern auch den Goldschmieden, Steinmetzen, Schreinern und Baumeistern. Sie dient, die Höhe der Gebirge, die Breite der Felder, Wälder und Gewässer und auch der Häuser zu messen. Ohne sie kann kein rechter Werkmann werden oder sein. Die Mathematik ist die erste unter allen Wissenschaften. Denn alles in der Welt ist der Zahl, dem Gewicht und dem Maß unterworfen. Ohne Geometrie kann der Kriegsingenieur die Maschinen nicht bauen, durch die er seine Vaterstadt bei Angriffen verteidigt, feindliche Städte mit Erfolg belagert. Alle Festungen werden mit Hilfe der Geometrie gebaut und nach Wasserwagen und Loden gerichtet. Alle Astronomen müssen Kenntnis der Arithmetik, der Geometrie und der Lehre von den Proportionen besitzen. Die Regulirung der Überschwemmungen (Flußläufe?) bedarf der Mathematik. Ebenso die Musik, die Perspektive, die Architektur, die Erd¬ beschreibung. Kurz, „die Mathematik ist das Band und der Kitt aller dieser Wissenschaften und Fächer. Von ihr leitet sich jede andre spekulative, wissen¬ schaftliche, praktische und mechanische Thätigkeit ab." In einer der Handschriften Dürers im Britischen Museum in London befindet sich eine Notiz, die zwar nicht von Dürers Hand herrührt, aber deren Sinn von ihm offenbar gebilligt worden ist. ^) In ihr werden diejenigen „Kunst' und Wertung, so der Maß erheischen", als die höchsten gepriesen, ausgenommen „die göttlichen Künste wie Theologie, Metaphysik und die Lieb natürlicher Weisheit." Hier haben wir den Gegensatz des Hieronymus und der Melancholie. Hieronymus ist der Vertreter der „göttlichen Künste," die Melancholie die Vertreterin aller der Künste, die „der Maß erheischen." Und ganz besonders gehört zu diesen (nach A. v. Zahn in den Jahrbüchern für Kunstwissenschaft I (1868) S. 9 f. und Lorm-^, lÄsr.iry rsmgins ot L.H»ro<;lit vüror. 1839. S. 192 f. Grenzboten 1 1892 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/393>, abgerufen am 23.07.2024.