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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht Dürer

der Glaube an die Thorheit und Eitelkeit aller Dinge, endlich die Sehnsucht
nach Frieden und Klarheit, das alles schwirrte in der Luft und beschäftigte
die Geister. Die Zeitstimmung trug Dürer die Gegenstände der Schilderung zu."

Ich möchte eine andre Deutung der beiden Blätter vorschlagen. Daß
Dürer die Anregung zu diesen durchaus ernsthaften Darstellungen aus dem
satirischen "Lob der Narrheit" geschöpft habe, worin ja die Dummheit nur
ironisch der Weisheit gegenüber gepriesen wird, will mir nicht einleuchten.
Auch habe ich den heiligen Hieronymus in diesem Sinne weder in der Schrift
des Erasmus noch unter den Nandzeichnungen Holbeins dazu gefunden. Wie
hätten beide auch den heiligen Hieronymus als den Vertreter eines ungelehrten
sorgenlosen Daseins hinstellen können, den Verfasser der Vulgatci, den gelehrten
Kirchenvater? Nein, Hieronymus ist der Vertreter der Bibelforschung und der
eng mit ihr zusammenhängenden Philologie und Philosophie. Er ist das
Prototyp der humanistisch-theologischen Gelehrsamkeit, wie sie von den deutscheu
Humanisten aufgefaßt und anch von mehreren Freunden Dürers betrieben wurde.

Und die Melancholie? Es war ja ganz geistreich von Thausing, wenn er
sie als "die menschliche Vernunft am Rande ihrer Kraft" auffassen, etwas von
faustischem Weltschmerz in sie hineinsehen wollte. Aber schon von Ehe, Nctberg
und Allihn hatten eine nüchternere und zeitgemäßere Auffassung angebahnt.
Fragen wir zunächst: Was stellt denn die Komposition dar? Eine sitzende
beflügelte Frau mit dem Myrthenkranz auf dem Haupte, einem Buch auf dem
Schoße, einem Zirkel in der Hand, in tiefes Nachdenken versunken. Spricht
sich in diesem Gesicht Trauer aus? Ich glaube nicht. Ich erkenne wenigstens
nur ein tiefes Grübeln. Werden wir durch irgend etwas an die Grenzen der
menschlichen Erkenntnis erinnert? Nicht daß ich wüßte. Im Gegenteil,
rings herum liegen die Instrumente des Handwerks: Hammer, Zange und
Nägel, Hobel, Lehre, Säge und Lineal. Was haben die mit dem Welt¬
schmerz in unserm Sinne zu thun? Führen sie uns nicht frisch in das praktische
Leben hinein, wo vom Weltschmerz, vom Verzweifeln an der menschlichen
Vernunft nicht die Rede ist? Übrigens waren derartige Anwandlungen der
optimistischen Zeit Dürers ziemlich fremd. Dürer insbesondre war nichts
weniger als ein Kopfhänger. Zwar sagt er: "Es ist uns von Natur eingegossen,
daß wir gern viel wüßten, dadurch zu bekennen eine rechte Wahrheit aller
Dinge. Aber unser blöd Gemüt kann zu solcher Vollkommenheit aller Kunst,
Wahrheit und Weisheit nicht kommen." Aber das ist mehr ein Ausdruck
der Bescheidenheit als des Weltschmerzes. Ich glaube, daß Springer zu weit
geht, wenn er sagt: "Dürer war kein fröhlicher Mann, er mag nur selten in
seinem Leben laut gelacht haben." Der Freund Pirkheimers wußte auch das
Leben zu genießen, der ausgelassene Humor der venezianischen Briefe beweist es.
Sagt doch anch Camerarius: "Dürer huldigte keiner traurigen Strenge und
keinem finstern Ernste. Vielmehr billigte er in seinem Alter nicht weniger


Albrecht Dürer

der Glaube an die Thorheit und Eitelkeit aller Dinge, endlich die Sehnsucht
nach Frieden und Klarheit, das alles schwirrte in der Luft und beschäftigte
die Geister. Die Zeitstimmung trug Dürer die Gegenstände der Schilderung zu."

Ich möchte eine andre Deutung der beiden Blätter vorschlagen. Daß
Dürer die Anregung zu diesen durchaus ernsthaften Darstellungen aus dem
satirischen „Lob der Narrheit" geschöpft habe, worin ja die Dummheit nur
ironisch der Weisheit gegenüber gepriesen wird, will mir nicht einleuchten.
Auch habe ich den heiligen Hieronymus in diesem Sinne weder in der Schrift
des Erasmus noch unter den Nandzeichnungen Holbeins dazu gefunden. Wie
hätten beide auch den heiligen Hieronymus als den Vertreter eines ungelehrten
sorgenlosen Daseins hinstellen können, den Verfasser der Vulgatci, den gelehrten
Kirchenvater? Nein, Hieronymus ist der Vertreter der Bibelforschung und der
eng mit ihr zusammenhängenden Philologie und Philosophie. Er ist das
Prototyp der humanistisch-theologischen Gelehrsamkeit, wie sie von den deutscheu
Humanisten aufgefaßt und anch von mehreren Freunden Dürers betrieben wurde.

Und die Melancholie? Es war ja ganz geistreich von Thausing, wenn er
sie als „die menschliche Vernunft am Rande ihrer Kraft" auffassen, etwas von
faustischem Weltschmerz in sie hineinsehen wollte. Aber schon von Ehe, Nctberg
und Allihn hatten eine nüchternere und zeitgemäßere Auffassung angebahnt.
Fragen wir zunächst: Was stellt denn die Komposition dar? Eine sitzende
beflügelte Frau mit dem Myrthenkranz auf dem Haupte, einem Buch auf dem
Schoße, einem Zirkel in der Hand, in tiefes Nachdenken versunken. Spricht
sich in diesem Gesicht Trauer aus? Ich glaube nicht. Ich erkenne wenigstens
nur ein tiefes Grübeln. Werden wir durch irgend etwas an die Grenzen der
menschlichen Erkenntnis erinnert? Nicht daß ich wüßte. Im Gegenteil,
rings herum liegen die Instrumente des Handwerks: Hammer, Zange und
Nägel, Hobel, Lehre, Säge und Lineal. Was haben die mit dem Welt¬
schmerz in unserm Sinne zu thun? Führen sie uns nicht frisch in das praktische
Leben hinein, wo vom Weltschmerz, vom Verzweifeln an der menschlichen
Vernunft nicht die Rede ist? Übrigens waren derartige Anwandlungen der
optimistischen Zeit Dürers ziemlich fremd. Dürer insbesondre war nichts
weniger als ein Kopfhänger. Zwar sagt er: „Es ist uns von Natur eingegossen,
daß wir gern viel wüßten, dadurch zu bekennen eine rechte Wahrheit aller
Dinge. Aber unser blöd Gemüt kann zu solcher Vollkommenheit aller Kunst,
Wahrheit und Weisheit nicht kommen." Aber das ist mehr ein Ausdruck
der Bescheidenheit als des Weltschmerzes. Ich glaube, daß Springer zu weit
geht, wenn er sagt: „Dürer war kein fröhlicher Mann, er mag nur selten in
seinem Leben laut gelacht haben." Der Freund Pirkheimers wußte auch das
Leben zu genießen, der ausgelassene Humor der venezianischen Briefe beweist es.
Sagt doch anch Camerarius: „Dürer huldigte keiner traurigen Strenge und
keinem finstern Ernste. Vielmehr billigte er in seinem Alter nicht weniger


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[0392] Albrecht Dürer der Glaube an die Thorheit und Eitelkeit aller Dinge, endlich die Sehnsucht nach Frieden und Klarheit, das alles schwirrte in der Luft und beschäftigte die Geister. Die Zeitstimmung trug Dürer die Gegenstände der Schilderung zu." Ich möchte eine andre Deutung der beiden Blätter vorschlagen. Daß Dürer die Anregung zu diesen durchaus ernsthaften Darstellungen aus dem satirischen „Lob der Narrheit" geschöpft habe, worin ja die Dummheit nur ironisch der Weisheit gegenüber gepriesen wird, will mir nicht einleuchten. Auch habe ich den heiligen Hieronymus in diesem Sinne weder in der Schrift des Erasmus noch unter den Nandzeichnungen Holbeins dazu gefunden. Wie hätten beide auch den heiligen Hieronymus als den Vertreter eines ungelehrten sorgenlosen Daseins hinstellen können, den Verfasser der Vulgatci, den gelehrten Kirchenvater? Nein, Hieronymus ist der Vertreter der Bibelforschung und der eng mit ihr zusammenhängenden Philologie und Philosophie. Er ist das Prototyp der humanistisch-theologischen Gelehrsamkeit, wie sie von den deutscheu Humanisten aufgefaßt und anch von mehreren Freunden Dürers betrieben wurde. Und die Melancholie? Es war ja ganz geistreich von Thausing, wenn er sie als „die menschliche Vernunft am Rande ihrer Kraft" auffassen, etwas von faustischem Weltschmerz in sie hineinsehen wollte. Aber schon von Ehe, Nctberg und Allihn hatten eine nüchternere und zeitgemäßere Auffassung angebahnt. Fragen wir zunächst: Was stellt denn die Komposition dar? Eine sitzende beflügelte Frau mit dem Myrthenkranz auf dem Haupte, einem Buch auf dem Schoße, einem Zirkel in der Hand, in tiefes Nachdenken versunken. Spricht sich in diesem Gesicht Trauer aus? Ich glaube nicht. Ich erkenne wenigstens nur ein tiefes Grübeln. Werden wir durch irgend etwas an die Grenzen der menschlichen Erkenntnis erinnert? Nicht daß ich wüßte. Im Gegenteil, rings herum liegen die Instrumente des Handwerks: Hammer, Zange und Nägel, Hobel, Lehre, Säge und Lineal. Was haben die mit dem Welt¬ schmerz in unserm Sinne zu thun? Führen sie uns nicht frisch in das praktische Leben hinein, wo vom Weltschmerz, vom Verzweifeln an der menschlichen Vernunft nicht die Rede ist? Übrigens waren derartige Anwandlungen der optimistischen Zeit Dürers ziemlich fremd. Dürer insbesondre war nichts weniger als ein Kopfhänger. Zwar sagt er: „Es ist uns von Natur eingegossen, daß wir gern viel wüßten, dadurch zu bekennen eine rechte Wahrheit aller Dinge. Aber unser blöd Gemüt kann zu solcher Vollkommenheit aller Kunst, Wahrheit und Weisheit nicht kommen." Aber das ist mehr ein Ausdruck der Bescheidenheit als des Weltschmerzes. Ich glaube, daß Springer zu weit geht, wenn er sagt: „Dürer war kein fröhlicher Mann, er mag nur selten in seinem Leben laut gelacht haben." Der Freund Pirkheimers wußte auch das Leben zu genießen, der ausgelassene Humor der venezianischen Briefe beweist es. Sagt doch anch Camerarius: „Dürer huldigte keiner traurigen Strenge und keinem finstern Ernste. Vielmehr billigte er in seinem Alter nicht weniger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/392>, abgerufen am 23.07.2024.