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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die preußischen ^taatseisenbahnen

cum es eine Triebfeder giebt, die unsre Anschauungen über die
Zwecknuißigkeit einer wirtschaftlichen Einrichtung im öffentlichen
Leben vollständig umzukehren geeignet ist, eine Brücke, die uns
laugsam, aber unfehlbar von einem Standpunkte zu dem gerade
entgegengesetzten hinüberleitet, so ist es die Erfahrung- Nach
unsern theoretischen Schlüssen kann ein Gesetzentwurf, der mit dem Alther¬
gebrachten bricht und zur Erreichung seiner Zwecke ganz neue, ungewohnte
Bahnen einschlägt, keine andern als die denkbar übelsten Folgen haben. Ist
aber der Entwurf Gesetz geworden und haben wir einige Jahre hindurch
Gelegenheit gehabt, es in seiner praktischen Wirkung zu erproben, so werden
wir uns nicht selten das Eingeständnis machen müssen, daß sich das Gesetz
bewährt habe und daß unser früher rein negativer Standpunkt kaum gerecht¬
fertigt gewesen sei. Wir haben das bei den Kranken- und Unfallversicherungs¬
gesetzen erlebt, die seiner Zeit nur mit schwacher Mehrheit in der Volksvertretung
angenommen wurden und heute kaum noch einen ernsthaften Gegner haben.
In gleicher Weise lehrt es die Verstaatlichung unsrer preußischen Eisenbahnen.

Die Überzeugung, daß der Staat der allein berufne Verwalter der
Eisenbahnen sei, findet ihren Eingang in die Massen! das ist eine Thatsache,
die sich nicht hinwegläugnen läßt. Nach einander sind in den letzten Jahren
die verschiedensten Interessenvertretungen mit ihren Ansprüchen an die Eisen¬
bahnen herangetreten, Kvhlenindustrielle und Handelsstädte, die zur Hebung
ihres Absatzes und ihres Handels "in Ermäßigung der Frachtsätze baten, ab¬
seits von den großen Verkehrsstraßen gelegne Städte und Ortschaften, die
ihre ganze Hoffnung auf eine Anschlußbahn gesetzt hatten, entschiedne Vertreter


Grenzboten I 1892 47


Die preußischen ^taatseisenbahnen

cum es eine Triebfeder giebt, die unsre Anschauungen über die
Zwecknuißigkeit einer wirtschaftlichen Einrichtung im öffentlichen
Leben vollständig umzukehren geeignet ist, eine Brücke, die uns
laugsam, aber unfehlbar von einem Standpunkte zu dem gerade
entgegengesetzten hinüberleitet, so ist es die Erfahrung- Nach
unsern theoretischen Schlüssen kann ein Gesetzentwurf, der mit dem Alther¬
gebrachten bricht und zur Erreichung seiner Zwecke ganz neue, ungewohnte
Bahnen einschlägt, keine andern als die denkbar übelsten Folgen haben. Ist
aber der Entwurf Gesetz geworden und haben wir einige Jahre hindurch
Gelegenheit gehabt, es in seiner praktischen Wirkung zu erproben, so werden
wir uns nicht selten das Eingeständnis machen müssen, daß sich das Gesetz
bewährt habe und daß unser früher rein negativer Standpunkt kaum gerecht¬
fertigt gewesen sei. Wir haben das bei den Kranken- und Unfallversicherungs¬
gesetzen erlebt, die seiner Zeit nur mit schwacher Mehrheit in der Volksvertretung
angenommen wurden und heute kaum noch einen ernsthaften Gegner haben.
In gleicher Weise lehrt es die Verstaatlichung unsrer preußischen Eisenbahnen.

Die Überzeugung, daß der Staat der allein berufne Verwalter der
Eisenbahnen sei, findet ihren Eingang in die Massen! das ist eine Thatsache,
die sich nicht hinwegläugnen läßt. Nach einander sind in den letzten Jahren
die verschiedensten Interessenvertretungen mit ihren Ansprüchen an die Eisen¬
bahnen herangetreten, Kvhlenindustrielle und Handelsstädte, die zur Hebung
ihres Absatzes und ihres Handels »in Ermäßigung der Frachtsätze baten, ab¬
seits von den großen Verkehrsstraßen gelegne Städte und Ortschaften, die
ihre ganze Hoffnung auf eine Anschlußbahn gesetzt hatten, entschiedne Vertreter


Grenzboten I 1892 47
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[0376] [Abbildung] Die preußischen ^taatseisenbahnen cum es eine Triebfeder giebt, die unsre Anschauungen über die Zwecknuißigkeit einer wirtschaftlichen Einrichtung im öffentlichen Leben vollständig umzukehren geeignet ist, eine Brücke, die uns laugsam, aber unfehlbar von einem Standpunkte zu dem gerade entgegengesetzten hinüberleitet, so ist es die Erfahrung- Nach unsern theoretischen Schlüssen kann ein Gesetzentwurf, der mit dem Alther¬ gebrachten bricht und zur Erreichung seiner Zwecke ganz neue, ungewohnte Bahnen einschlägt, keine andern als die denkbar übelsten Folgen haben. Ist aber der Entwurf Gesetz geworden und haben wir einige Jahre hindurch Gelegenheit gehabt, es in seiner praktischen Wirkung zu erproben, so werden wir uns nicht selten das Eingeständnis machen müssen, daß sich das Gesetz bewährt habe und daß unser früher rein negativer Standpunkt kaum gerecht¬ fertigt gewesen sei. Wir haben das bei den Kranken- und Unfallversicherungs¬ gesetzen erlebt, die seiner Zeit nur mit schwacher Mehrheit in der Volksvertretung angenommen wurden und heute kaum noch einen ernsthaften Gegner haben. In gleicher Weise lehrt es die Verstaatlichung unsrer preußischen Eisenbahnen. Die Überzeugung, daß der Staat der allein berufne Verwalter der Eisenbahnen sei, findet ihren Eingang in die Massen! das ist eine Thatsache, die sich nicht hinwegläugnen läßt. Nach einander sind in den letzten Jahren die verschiedensten Interessenvertretungen mit ihren Ansprüchen an die Eisen¬ bahnen herangetreten, Kvhlenindustrielle und Handelsstädte, die zur Hebung ihres Absatzes und ihres Handels »in Ermäßigung der Frachtsätze baten, ab¬ seits von den großen Verkehrsstraßen gelegne Städte und Ortschaften, die ihre ganze Hoffnung auf eine Anschlußbahn gesetzt hatten, entschiedne Vertreter Grenzboten I 1892 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/376>, abgerufen am 23.07.2024.