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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Joseph Joachim der Bauerndichter

betrogen, wird Peter der Leu nun das Opfer der politischen Leidenschaft, in
die ihn seine Stellung hineinreißt. Der alte, ehrwürdige Pfarrer aus seiner
Jugendzeit hat sich endlich in den wohlverdienten Ruhestand, ins städtische Chor-
herrenstift zurückgezogen. An seine Stelle tritt ein zelotischer Pfaff, mit dem
man es nirgends ausgehalten hat, ein finstrer Geselle, der von der Regierung
nur deswegen nach Mattweil gesetzt worden ist, weil man gehofft hatte, gegen
den prächtigen That- und Kraftmenschen Peter werde dieser Pfaffe nicht auf¬
kommen. Und nun zeigt uns die Erzählung mit außerordentlicher Klarheit,
wie gegen den Kleinkrieg des Pfasfentnms auch die besten Kräfte des Volks
nicht aufkommen, wie dieser elende Kampf eines beschränkten, stierköpfigen
Priesters auch die besten Männer zerreibt, wie er alles vernichtet, den öffent¬
lichen und den häuslichen Frieden, wie er in der nutzlosesten Weise die Bürger¬
schaft aufsetzt und verwirrt und das Volk zu Grunde richtet. Nicht an
der Papierfabrik, nicht an der Eisenbahn, nicht an dem betrügerischen Schwieger¬
söhne geht der Leuwirt unter, sondern an der politischen Leidenschaft, in
die ihn die pfüffischen Umtriebe hinein gehetzt haben. Er ist ein wahrhaft
frommer Mann, ein guter Christ gewesen, aber der Pfaffe hat ihm die Kirche
derart verleidet, daß er nicht einmal mehr für seine geliebte tote Frau eine
Messe lesen lassen will.

Die Kraft und Klarheit, mit der Joachim, aus dem Vollen seiner Er¬
fahrungen schöpfend, dieses erschütternde Schicksal gestaltet, verdient aufrichtige
Bewunderung. Die Ironie, daß der Mann, der seinem Bruder zürnte, weil
er nicht Pfaff werden wollte, selbst am Pfaffentum zerschellt, spät am Abend
seines Lebens, dieser Grundgedanke der Erzählung wirkt wahrhaft tragisch.
Hierin trifft Joachim mit Anzengruber zusammen, von dem er sich im übrigen
durch seinen minder reichlichen Humor unterscheidet; dem Wiener Dramatiker
kam eben das heitere Wiener Naturell mit seiner sinnlichen Lebensfreudigkeit
doch sehr zu Statten. Joachim ist kein radikaler Gegner der Kirche, er ist
keiner jener Aufklärer, die von Religion überhaupt nichts wissen wollen, er
erkennt rückhaltlos ihre Bedeutung an. Aber er hat geläuterte Begriffe von
der Religion, sein Christentum fühlt sich empört bei dem Anblick des Treibens
der Hetzkapläne, und darum weist er nach, was für Unheil sie anrichten.

Der Darstellung seiner reineren Anschauung von dem Wesen der Religion
ist der zweite Teil der "Brüder" gewidmet, von den, wir nur sagen "vollen,
daß er den zweiten Sohn des Leuenwirts in den Mittelpunkt der Geschichte
stellt. Adolph trifft mit Sylvan zusammen, der ein romantisches Einsiedler¬
leben führt, und schließlich kommt es zu einer Versöhnung der alt gewordenen
Brüder und zu einer Wiederaufrichtung des Ansehens der vom Schicksal so
hart mitgenommenen Leueuwirtfamilie. Wir hören zum Schlüsse, daß Adolph
Bürgermeister von Mattweil, wie sein Vater, wird, nachdem sich die kurze
Herrschaft der "schwarzen" Partei als unfähig und heillos erwiese" hat.


Joseph Joachim der Bauerndichter

betrogen, wird Peter der Leu nun das Opfer der politischen Leidenschaft, in
die ihn seine Stellung hineinreißt. Der alte, ehrwürdige Pfarrer aus seiner
Jugendzeit hat sich endlich in den wohlverdienten Ruhestand, ins städtische Chor-
herrenstift zurückgezogen. An seine Stelle tritt ein zelotischer Pfaff, mit dem
man es nirgends ausgehalten hat, ein finstrer Geselle, der von der Regierung
nur deswegen nach Mattweil gesetzt worden ist, weil man gehofft hatte, gegen
den prächtigen That- und Kraftmenschen Peter werde dieser Pfaffe nicht auf¬
kommen. Und nun zeigt uns die Erzählung mit außerordentlicher Klarheit,
wie gegen den Kleinkrieg des Pfasfentnms auch die besten Kräfte des Volks
nicht aufkommen, wie dieser elende Kampf eines beschränkten, stierköpfigen
Priesters auch die besten Männer zerreibt, wie er alles vernichtet, den öffent¬
lichen und den häuslichen Frieden, wie er in der nutzlosesten Weise die Bürger¬
schaft aufsetzt und verwirrt und das Volk zu Grunde richtet. Nicht an
der Papierfabrik, nicht an der Eisenbahn, nicht an dem betrügerischen Schwieger¬
söhne geht der Leuwirt unter, sondern an der politischen Leidenschaft, in
die ihn die pfüffischen Umtriebe hinein gehetzt haben. Er ist ein wahrhaft
frommer Mann, ein guter Christ gewesen, aber der Pfaffe hat ihm die Kirche
derart verleidet, daß er nicht einmal mehr für seine geliebte tote Frau eine
Messe lesen lassen will.

Die Kraft und Klarheit, mit der Joachim, aus dem Vollen seiner Er¬
fahrungen schöpfend, dieses erschütternde Schicksal gestaltet, verdient aufrichtige
Bewunderung. Die Ironie, daß der Mann, der seinem Bruder zürnte, weil
er nicht Pfaff werden wollte, selbst am Pfaffentum zerschellt, spät am Abend
seines Lebens, dieser Grundgedanke der Erzählung wirkt wahrhaft tragisch.
Hierin trifft Joachim mit Anzengruber zusammen, von dem er sich im übrigen
durch seinen minder reichlichen Humor unterscheidet; dem Wiener Dramatiker
kam eben das heitere Wiener Naturell mit seiner sinnlichen Lebensfreudigkeit
doch sehr zu Statten. Joachim ist kein radikaler Gegner der Kirche, er ist
keiner jener Aufklärer, die von Religion überhaupt nichts wissen wollen, er
erkennt rückhaltlos ihre Bedeutung an. Aber er hat geläuterte Begriffe von
der Religion, sein Christentum fühlt sich empört bei dem Anblick des Treibens
der Hetzkapläne, und darum weist er nach, was für Unheil sie anrichten.

Der Darstellung seiner reineren Anschauung von dem Wesen der Religion
ist der zweite Teil der „Brüder" gewidmet, von den, wir nur sagen »vollen,
daß er den zweiten Sohn des Leuenwirts in den Mittelpunkt der Geschichte
stellt. Adolph trifft mit Sylvan zusammen, der ein romantisches Einsiedler¬
leben führt, und schließlich kommt es zu einer Versöhnung der alt gewordenen
Brüder und zu einer Wiederaufrichtung des Ansehens der vom Schicksal so
hart mitgenommenen Leueuwirtfamilie. Wir hören zum Schlüsse, daß Adolph
Bürgermeister von Mattweil, wie sein Vater, wird, nachdem sich die kurze
Herrschaft der „schwarzen" Partei als unfähig und heillos erwiese» hat.


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[0356] Joseph Joachim der Bauerndichter betrogen, wird Peter der Leu nun das Opfer der politischen Leidenschaft, in die ihn seine Stellung hineinreißt. Der alte, ehrwürdige Pfarrer aus seiner Jugendzeit hat sich endlich in den wohlverdienten Ruhestand, ins städtische Chor- herrenstift zurückgezogen. An seine Stelle tritt ein zelotischer Pfaff, mit dem man es nirgends ausgehalten hat, ein finstrer Geselle, der von der Regierung nur deswegen nach Mattweil gesetzt worden ist, weil man gehofft hatte, gegen den prächtigen That- und Kraftmenschen Peter werde dieser Pfaffe nicht auf¬ kommen. Und nun zeigt uns die Erzählung mit außerordentlicher Klarheit, wie gegen den Kleinkrieg des Pfasfentnms auch die besten Kräfte des Volks nicht aufkommen, wie dieser elende Kampf eines beschränkten, stierköpfigen Priesters auch die besten Männer zerreibt, wie er alles vernichtet, den öffent¬ lichen und den häuslichen Frieden, wie er in der nutzlosesten Weise die Bürger¬ schaft aufsetzt und verwirrt und das Volk zu Grunde richtet. Nicht an der Papierfabrik, nicht an der Eisenbahn, nicht an dem betrügerischen Schwieger¬ söhne geht der Leuwirt unter, sondern an der politischen Leidenschaft, in die ihn die pfüffischen Umtriebe hinein gehetzt haben. Er ist ein wahrhaft frommer Mann, ein guter Christ gewesen, aber der Pfaffe hat ihm die Kirche derart verleidet, daß er nicht einmal mehr für seine geliebte tote Frau eine Messe lesen lassen will. Die Kraft und Klarheit, mit der Joachim, aus dem Vollen seiner Er¬ fahrungen schöpfend, dieses erschütternde Schicksal gestaltet, verdient aufrichtige Bewunderung. Die Ironie, daß der Mann, der seinem Bruder zürnte, weil er nicht Pfaff werden wollte, selbst am Pfaffentum zerschellt, spät am Abend seines Lebens, dieser Grundgedanke der Erzählung wirkt wahrhaft tragisch. Hierin trifft Joachim mit Anzengruber zusammen, von dem er sich im übrigen durch seinen minder reichlichen Humor unterscheidet; dem Wiener Dramatiker kam eben das heitere Wiener Naturell mit seiner sinnlichen Lebensfreudigkeit doch sehr zu Statten. Joachim ist kein radikaler Gegner der Kirche, er ist keiner jener Aufklärer, die von Religion überhaupt nichts wissen wollen, er erkennt rückhaltlos ihre Bedeutung an. Aber er hat geläuterte Begriffe von der Religion, sein Christentum fühlt sich empört bei dem Anblick des Treibens der Hetzkapläne, und darum weist er nach, was für Unheil sie anrichten. Der Darstellung seiner reineren Anschauung von dem Wesen der Religion ist der zweite Teil der „Brüder" gewidmet, von den, wir nur sagen »vollen, daß er den zweiten Sohn des Leuenwirts in den Mittelpunkt der Geschichte stellt. Adolph trifft mit Sylvan zusammen, der ein romantisches Einsiedler¬ leben führt, und schließlich kommt es zu einer Versöhnung der alt gewordenen Brüder und zu einer Wiederaufrichtung des Ansehens der vom Schicksal so hart mitgenommenen Leueuwirtfamilie. Wir hören zum Schlüsse, daß Adolph Bürgermeister von Mattweil, wie sein Vater, wird, nachdem sich die kurze Herrschaft der „schwarzen" Partei als unfähig und heillos erwiese» hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/356>, abgerufen am 23.07.2024.