Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Joseph Joachim der Bauerndichter

und öffentlich, ihr Geldgeber. Sein Wirtshaus ist der Mittelpunkt des Matt¬
weiler Volkslebens, hier kommt man bei allen wichtigen und unwichtigen
Anlässen zusammen, und der stattliche Mann, kurzweg der Leu genannt, mit
seinem gesunden Verstände, seiner unerschütterlichen Redlichkeit und seiner
trefflichen Frau, wird widerspruchslos geehrt und geschätzt. Er hat auch
das Glück, zwei Sohne und eine Tochter zu besitzen, und hier setzt nnn
das Schicksal ein, um eine schöne Menschenexistenz zu Falle zu bringe".
Seine Söhne siud ebenso ungleich geraten wie seines Vaters Söhne. Der
eine, Fritz, studirt, der andre, Adolf, ist und bleibt ein Bauer. Der stu-
dirende Sohn thut nicht gut, wird von der Universität relegirt und muß
uun zu Hanse beschäftigt werden. Zum Bauer ist er verdorben; was also mit
ihm anfangen? Du bietet sich eine Gelegenheit, ihm zu einem Berufe zu ver¬
helfen. Ein reicher Handelsherr und Spekulant kommt inS Dorf mit dem
Plane, mit Hilfe des vorhandnen guten Wassergefälls und billiger Arbeitskräfte
eine Papierfabrik zu errichten. Natürlich setzt er sich mit dem reichen, angesehenen
Ammann, dem Leuenwirt, in Verbindung. Dieser denkt, eine Fabrik könne dem
armen Dorfe nicht schaden, und setzt bei den widerhaarigen, zäh konservativen
Mitgliedern des Dorfgemeinderats die Bewilligung zum Bau der Fabrik durch.
Er selbst beteiligt sich an dem Unternehmen, unterstützt es mit seinem Kapital und
hofft so den Sohn, der vom Studium weggerissen worden ist, gut zu versorgen.
Nachdem aber einmal das Dorf in den Gesichtskreis der spekulativen Geschäfts¬
welt gerückt worden ist, kommen neue Unternehmer. Als vor vielen Jahren
die große Eisenbahn gebaut wurde, da hatten sich die Mattweiler und das
ganze Thal dagegen gewehrt, daß die Bahn an ihren Gehöften vorbeigeführt
würde. Jetzt macht sich diese Dummheit doch fühlbar, und als sich nnn ein
Konsortium meldet, dus eine Zweigbahn durch das Thal führen will, hält
es der Leuenwirt für geboten, auch dieses Unternehmen zu unterstützen, trotz
des erneuten Widerspruchs der Bauernschaft, und kauft selbst einen schönen
Teil der Aktien. Der Plan hat leider mir den einen Fehler, daß diese Zweig¬
bahn eine Sackbahn ist. Immerhin ist des Lenenwirts Handlung sehr
löblich, und allmählich dringt sein guter Ruf in die Weite. In den Kreisen
der Regierung denkt man seiner und berust ihn ans die ehrenvollste Weise in
den Großrat. Von diesem Gipfel seines Lebensglücks führt nun aber die Ge¬
schichte abwärts. Peters treffliche Frau, sei" guter Engel, stirbt, und mit
ihr die Hälfte seiner Kraft. Die Tochter und der relegirte Sohn bewähren
sich nicht; die Tochter hat eine garstige Liebelei mit dein Sohne des reichen
Wollsack, der die Papierfabrik gegründet hat; dieser junge Siegfried Wollsack
ist ein Lump, versteht nichts von der Papierfabrikation, so wenig wie der
Sohn des Lenenwirts, der zugleich mit ihm Direktor der Fabrik ist. Das
schöne Geld ist verloren; die Tochter Babette, die Siegfried hat heiraten
müssen, stirbt im Kindbett. So von allen Seiten enttäuscht, ausgebeutet und


Joseph Joachim der Bauerndichter

und öffentlich, ihr Geldgeber. Sein Wirtshaus ist der Mittelpunkt des Matt¬
weiler Volkslebens, hier kommt man bei allen wichtigen und unwichtigen
Anlässen zusammen, und der stattliche Mann, kurzweg der Leu genannt, mit
seinem gesunden Verstände, seiner unerschütterlichen Redlichkeit und seiner
trefflichen Frau, wird widerspruchslos geehrt und geschätzt. Er hat auch
das Glück, zwei Sohne und eine Tochter zu besitzen, und hier setzt nnn
das Schicksal ein, um eine schöne Menschenexistenz zu Falle zu bringe».
Seine Söhne siud ebenso ungleich geraten wie seines Vaters Söhne. Der
eine, Fritz, studirt, der andre, Adolf, ist und bleibt ein Bauer. Der stu-
dirende Sohn thut nicht gut, wird von der Universität relegirt und muß
uun zu Hanse beschäftigt werden. Zum Bauer ist er verdorben; was also mit
ihm anfangen? Du bietet sich eine Gelegenheit, ihm zu einem Berufe zu ver¬
helfen. Ein reicher Handelsherr und Spekulant kommt inS Dorf mit dem
Plane, mit Hilfe des vorhandnen guten Wassergefälls und billiger Arbeitskräfte
eine Papierfabrik zu errichten. Natürlich setzt er sich mit dem reichen, angesehenen
Ammann, dem Leuenwirt, in Verbindung. Dieser denkt, eine Fabrik könne dem
armen Dorfe nicht schaden, und setzt bei den widerhaarigen, zäh konservativen
Mitgliedern des Dorfgemeinderats die Bewilligung zum Bau der Fabrik durch.
Er selbst beteiligt sich an dem Unternehmen, unterstützt es mit seinem Kapital und
hofft so den Sohn, der vom Studium weggerissen worden ist, gut zu versorgen.
Nachdem aber einmal das Dorf in den Gesichtskreis der spekulativen Geschäfts¬
welt gerückt worden ist, kommen neue Unternehmer. Als vor vielen Jahren
die große Eisenbahn gebaut wurde, da hatten sich die Mattweiler und das
ganze Thal dagegen gewehrt, daß die Bahn an ihren Gehöften vorbeigeführt
würde. Jetzt macht sich diese Dummheit doch fühlbar, und als sich nnn ein
Konsortium meldet, dus eine Zweigbahn durch das Thal führen will, hält
es der Leuenwirt für geboten, auch dieses Unternehmen zu unterstützen, trotz
des erneuten Widerspruchs der Bauernschaft, und kauft selbst einen schönen
Teil der Aktien. Der Plan hat leider mir den einen Fehler, daß diese Zweig¬
bahn eine Sackbahn ist. Immerhin ist des Lenenwirts Handlung sehr
löblich, und allmählich dringt sein guter Ruf in die Weite. In den Kreisen
der Regierung denkt man seiner und berust ihn ans die ehrenvollste Weise in
den Großrat. Von diesem Gipfel seines Lebensglücks führt nun aber die Ge¬
schichte abwärts. Peters treffliche Frau, sei» guter Engel, stirbt, und mit
ihr die Hälfte seiner Kraft. Die Tochter und der relegirte Sohn bewähren
sich nicht; die Tochter hat eine garstige Liebelei mit dein Sohne des reichen
Wollsack, der die Papierfabrik gegründet hat; dieser junge Siegfried Wollsack
ist ein Lump, versteht nichts von der Papierfabrikation, so wenig wie der
Sohn des Lenenwirts, der zugleich mit ihm Direktor der Fabrik ist. Das
schöne Geld ist verloren; die Tochter Babette, die Siegfried hat heiraten
müssen, stirbt im Kindbett. So von allen Seiten enttäuscht, ausgebeutet und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211523"/>
          <fw type="header" place="top"> Joseph Joachim der Bauerndichter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1071" prev="#ID_1070" next="#ID_1072"> und öffentlich, ihr Geldgeber. Sein Wirtshaus ist der Mittelpunkt des Matt¬<lb/>
weiler Volkslebens, hier kommt man bei allen wichtigen und unwichtigen<lb/>
Anlässen zusammen, und der stattliche Mann, kurzweg der Leu genannt, mit<lb/>
seinem gesunden Verstände, seiner unerschütterlichen Redlichkeit und seiner<lb/>
trefflichen Frau, wird widerspruchslos geehrt und geschätzt. Er hat auch<lb/>
das Glück, zwei Sohne und eine Tochter zu besitzen, und hier setzt nnn<lb/>
das Schicksal ein, um eine schöne Menschenexistenz zu Falle zu bringe».<lb/>
Seine Söhne siud ebenso ungleich geraten wie seines Vaters Söhne. Der<lb/>
eine, Fritz, studirt, der andre, Adolf, ist und bleibt ein Bauer. Der stu-<lb/>
dirende Sohn thut nicht gut, wird von der Universität relegirt und muß<lb/>
uun zu Hanse beschäftigt werden. Zum Bauer ist er verdorben; was also mit<lb/>
ihm anfangen? Du bietet sich eine Gelegenheit, ihm zu einem Berufe zu ver¬<lb/>
helfen. Ein reicher Handelsherr und Spekulant kommt inS Dorf mit dem<lb/>
Plane, mit Hilfe des vorhandnen guten Wassergefälls und billiger Arbeitskräfte<lb/>
eine Papierfabrik zu errichten. Natürlich setzt er sich mit dem reichen, angesehenen<lb/>
Ammann, dem Leuenwirt, in Verbindung. Dieser denkt, eine Fabrik könne dem<lb/>
armen Dorfe nicht schaden, und setzt bei den widerhaarigen, zäh konservativen<lb/>
Mitgliedern des Dorfgemeinderats die Bewilligung zum Bau der Fabrik durch.<lb/>
Er selbst beteiligt sich an dem Unternehmen, unterstützt es mit seinem Kapital und<lb/>
hofft so den Sohn, der vom Studium weggerissen worden ist, gut zu versorgen.<lb/>
Nachdem aber einmal das Dorf in den Gesichtskreis der spekulativen Geschäfts¬<lb/>
welt gerückt worden ist, kommen neue Unternehmer. Als vor vielen Jahren<lb/>
die große Eisenbahn gebaut wurde, da hatten sich die Mattweiler und das<lb/>
ganze Thal dagegen gewehrt, daß die Bahn an ihren Gehöften vorbeigeführt<lb/>
würde. Jetzt macht sich diese Dummheit doch fühlbar, und als sich nnn ein<lb/>
Konsortium meldet, dus eine Zweigbahn durch das Thal führen will, hält<lb/>
es der Leuenwirt für geboten, auch dieses Unternehmen zu unterstützen, trotz<lb/>
des erneuten Widerspruchs der Bauernschaft, und kauft selbst einen schönen<lb/>
Teil der Aktien. Der Plan hat leider mir den einen Fehler, daß diese Zweig¬<lb/>
bahn eine Sackbahn ist. Immerhin ist des Lenenwirts Handlung sehr<lb/>
löblich, und allmählich dringt sein guter Ruf in die Weite. In den Kreisen<lb/>
der Regierung denkt man seiner und berust ihn ans die ehrenvollste Weise in<lb/>
den Großrat. Von diesem Gipfel seines Lebensglücks führt nun aber die Ge¬<lb/>
schichte abwärts. Peters treffliche Frau, sei» guter Engel, stirbt, und mit<lb/>
ihr die Hälfte seiner Kraft. Die Tochter und der relegirte Sohn bewähren<lb/>
sich nicht; die Tochter hat eine garstige Liebelei mit dein Sohne des reichen<lb/>
Wollsack, der die Papierfabrik gegründet hat; dieser junge Siegfried Wollsack<lb/>
ist ein Lump, versteht nichts von der Papierfabrikation, so wenig wie der<lb/>
Sohn des Lenenwirts, der zugleich mit ihm Direktor der Fabrik ist. Das<lb/>
schöne Geld ist verloren; die Tochter Babette, die Siegfried hat heiraten<lb/>
müssen, stirbt im Kindbett. So von allen Seiten enttäuscht, ausgebeutet und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] Joseph Joachim der Bauerndichter und öffentlich, ihr Geldgeber. Sein Wirtshaus ist der Mittelpunkt des Matt¬ weiler Volkslebens, hier kommt man bei allen wichtigen und unwichtigen Anlässen zusammen, und der stattliche Mann, kurzweg der Leu genannt, mit seinem gesunden Verstände, seiner unerschütterlichen Redlichkeit und seiner trefflichen Frau, wird widerspruchslos geehrt und geschätzt. Er hat auch das Glück, zwei Sohne und eine Tochter zu besitzen, und hier setzt nnn das Schicksal ein, um eine schöne Menschenexistenz zu Falle zu bringe». Seine Söhne siud ebenso ungleich geraten wie seines Vaters Söhne. Der eine, Fritz, studirt, der andre, Adolf, ist und bleibt ein Bauer. Der stu- dirende Sohn thut nicht gut, wird von der Universität relegirt und muß uun zu Hanse beschäftigt werden. Zum Bauer ist er verdorben; was also mit ihm anfangen? Du bietet sich eine Gelegenheit, ihm zu einem Berufe zu ver¬ helfen. Ein reicher Handelsherr und Spekulant kommt inS Dorf mit dem Plane, mit Hilfe des vorhandnen guten Wassergefälls und billiger Arbeitskräfte eine Papierfabrik zu errichten. Natürlich setzt er sich mit dem reichen, angesehenen Ammann, dem Leuenwirt, in Verbindung. Dieser denkt, eine Fabrik könne dem armen Dorfe nicht schaden, und setzt bei den widerhaarigen, zäh konservativen Mitgliedern des Dorfgemeinderats die Bewilligung zum Bau der Fabrik durch. Er selbst beteiligt sich an dem Unternehmen, unterstützt es mit seinem Kapital und hofft so den Sohn, der vom Studium weggerissen worden ist, gut zu versorgen. Nachdem aber einmal das Dorf in den Gesichtskreis der spekulativen Geschäfts¬ welt gerückt worden ist, kommen neue Unternehmer. Als vor vielen Jahren die große Eisenbahn gebaut wurde, da hatten sich die Mattweiler und das ganze Thal dagegen gewehrt, daß die Bahn an ihren Gehöften vorbeigeführt würde. Jetzt macht sich diese Dummheit doch fühlbar, und als sich nnn ein Konsortium meldet, dus eine Zweigbahn durch das Thal führen will, hält es der Leuenwirt für geboten, auch dieses Unternehmen zu unterstützen, trotz des erneuten Widerspruchs der Bauernschaft, und kauft selbst einen schönen Teil der Aktien. Der Plan hat leider mir den einen Fehler, daß diese Zweig¬ bahn eine Sackbahn ist. Immerhin ist des Lenenwirts Handlung sehr löblich, und allmählich dringt sein guter Ruf in die Weite. In den Kreisen der Regierung denkt man seiner und berust ihn ans die ehrenvollste Weise in den Großrat. Von diesem Gipfel seines Lebensglücks führt nun aber die Ge¬ schichte abwärts. Peters treffliche Frau, sei» guter Engel, stirbt, und mit ihr die Hälfte seiner Kraft. Die Tochter und der relegirte Sohn bewähren sich nicht; die Tochter hat eine garstige Liebelei mit dein Sohne des reichen Wollsack, der die Papierfabrik gegründet hat; dieser junge Siegfried Wollsack ist ein Lump, versteht nichts von der Papierfabrikation, so wenig wie der Sohn des Lenenwirts, der zugleich mit ihm Direktor der Fabrik ist. Das schöne Geld ist verloren; die Tochter Babette, die Siegfried hat heiraten müssen, stirbt im Kindbett. So von allen Seiten enttäuscht, ausgebeutet und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/355>, abgerufen am 23.07.2024.