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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Joseph Joachim der Bauerndichter

kaum daß er sich in den Feierstunden mit dein Lesen belletristischer Schriften
belehren und unterhalten und gelegentlich für Fachzeitungen kleine Abhand¬
lungen über land- und volkswirtschaftliche Zeitfragen schreiben konnte. Da
wollte es der sonderbare Zufall, daß der bereits in den vierziger Jahren
stehende Bauersmann bei der Redaktion eines politischen Blattes beteiligt
wurde, und geärgert dnrch die gewöhnlich sehr geringwertige Kost, die den
Lesern in den Feuilletons unsrer Presse geboten wurde, begann er (1881) seine
erste Bauerngeschichte (Ein Erntetag) zu schreiben, und aufgemuntert durch
den Beifall, mit dem sie aufgenommen wurde, unter dem Titel "Aus Berg
und Thal" eine Reihe andrer, zumeist im Dialekt gehaltner, kleiner Volts-
erzählnngen folgen zu lassen. Hierauf versuchte er sich auch ^ alles ohne
je die Pflugsterze völlig aus der Hand zu legen -- in großen Erzählungen,
Bauernromanen, vaterländischen Dramen" u. s. w.

Die Herbheit, mit der Joachim jetzt noch, in seinem Alter, von dem
Zwange berichtet, der ihn, den lernbegierigen Knaben, gegen seinen Willen
ins Bauerntum zurückwarf, ist charakteristisch für den ganzen Manu. Denn
wenn man seine poetischen Werke überblickt (soweit wir sie in den angeführten
Büchern haben kennen lernen) so sieht man, daß es vor allein andern die
geistige und gemütliche Enge, die Beschränktheit des Bauernvolkes ist, die ihm
am meisten zu schaffen macht und gegen die sich seine satirische Muse am
nachdrücklichsten richtet. Er hat unter der spezifisch bäurischen Beschrüuktheit
wohl sehr viel gelitten. Er mutet uns wie ein Gefangener an, der sich über
den Maugel an körperlicher Freiheit dadurch hinwegtäuscht, daß er die
Mauern selbst, die ihn umschließen, zum Gegenstande des Studiums macht
und sich so eine Beschäftigung schafft, die ihn innerlich befreit. War
Joachim durch sein Schicksal an die Scholle gebunden, so hat er auf
diese Scholle selbst so eindringlich seinen Blick gerichtet, daß sie ihm
dabei zerstob, so wie nach dem Märchen der Tod überwunden wird, wenn
in,u? ihm nur fest ins Auge sieht. Joachim hat seinem engen Dorfe einen
Wert abgerungen, den es einem gleich leidenschaftlichen, aber nicht dichterisch
begabten Menschen niemals offenbart hätte. Und daß man diesen Kampf
gegen die Enge des Dorfes und seiner Bewohner als einen aus der Tiefe
dieser dichterischen Persönlichkeit quellenden empfindet, das ist der eigentüm¬
lichste Charakterzug an Joseph Joachim. Er zieht sich durch alle seine Dich¬
tungen hindurch; die bäurische Beschränktheit wird in allen ihren Erscheinungs¬
formen aufgedeckt, angegriffen, gegeißelt, lächerlich gemacht. Es offenbart sich
darin ein freier Geist, ein nach großherziger und klassischer Humanität stre¬
bender Sinn. Wer ihm dieses bessere Ideal vom Menschendasein mitgeteilt
hat, das sagt er nicht. Er hat es wohl durch Lesen großer Dichter kennen
lernen. Er brauchte ja nur seine wirkliche Umgebung mit dem zu vergleichen,
was er, allein mit seinen Büchern, von den Städten draußen erfuhr, um zur


Joseph Joachim der Bauerndichter

kaum daß er sich in den Feierstunden mit dein Lesen belletristischer Schriften
belehren und unterhalten und gelegentlich für Fachzeitungen kleine Abhand¬
lungen über land- und volkswirtschaftliche Zeitfragen schreiben konnte. Da
wollte es der sonderbare Zufall, daß der bereits in den vierziger Jahren
stehende Bauersmann bei der Redaktion eines politischen Blattes beteiligt
wurde, und geärgert dnrch die gewöhnlich sehr geringwertige Kost, die den
Lesern in den Feuilletons unsrer Presse geboten wurde, begann er (1881) seine
erste Bauerngeschichte (Ein Erntetag) zu schreiben, und aufgemuntert durch
den Beifall, mit dem sie aufgenommen wurde, unter dem Titel »Aus Berg
und Thal« eine Reihe andrer, zumeist im Dialekt gehaltner, kleiner Volts-
erzählnngen folgen zu lassen. Hierauf versuchte er sich auch ^ alles ohne
je die Pflugsterze völlig aus der Hand zu legen — in großen Erzählungen,
Bauernromanen, vaterländischen Dramen" u. s. w.

Die Herbheit, mit der Joachim jetzt noch, in seinem Alter, von dem
Zwange berichtet, der ihn, den lernbegierigen Knaben, gegen seinen Willen
ins Bauerntum zurückwarf, ist charakteristisch für den ganzen Manu. Denn
wenn man seine poetischen Werke überblickt (soweit wir sie in den angeführten
Büchern haben kennen lernen) so sieht man, daß es vor allein andern die
geistige und gemütliche Enge, die Beschränktheit des Bauernvolkes ist, die ihm
am meisten zu schaffen macht und gegen die sich seine satirische Muse am
nachdrücklichsten richtet. Er hat unter der spezifisch bäurischen Beschrüuktheit
wohl sehr viel gelitten. Er mutet uns wie ein Gefangener an, der sich über
den Maugel an körperlicher Freiheit dadurch hinwegtäuscht, daß er die
Mauern selbst, die ihn umschließen, zum Gegenstande des Studiums macht
und sich so eine Beschäftigung schafft, die ihn innerlich befreit. War
Joachim durch sein Schicksal an die Scholle gebunden, so hat er auf
diese Scholle selbst so eindringlich seinen Blick gerichtet, daß sie ihm
dabei zerstob, so wie nach dem Märchen der Tod überwunden wird, wenn
in,u? ihm nur fest ins Auge sieht. Joachim hat seinem engen Dorfe einen
Wert abgerungen, den es einem gleich leidenschaftlichen, aber nicht dichterisch
begabten Menschen niemals offenbart hätte. Und daß man diesen Kampf
gegen die Enge des Dorfes und seiner Bewohner als einen aus der Tiefe
dieser dichterischen Persönlichkeit quellenden empfindet, das ist der eigentüm¬
lichste Charakterzug an Joseph Joachim. Er zieht sich durch alle seine Dich¬
tungen hindurch; die bäurische Beschränktheit wird in allen ihren Erscheinungs¬
formen aufgedeckt, angegriffen, gegeißelt, lächerlich gemacht. Es offenbart sich
darin ein freier Geist, ein nach großherziger und klassischer Humanität stre¬
bender Sinn. Wer ihm dieses bessere Ideal vom Menschendasein mitgeteilt
hat, das sagt er nicht. Er hat es wohl durch Lesen großer Dichter kennen
lernen. Er brauchte ja nur seine wirkliche Umgebung mit dem zu vergleichen,
was er, allein mit seinen Büchern, von den Städten draußen erfuhr, um zur


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[0351] Joseph Joachim der Bauerndichter kaum daß er sich in den Feierstunden mit dein Lesen belletristischer Schriften belehren und unterhalten und gelegentlich für Fachzeitungen kleine Abhand¬ lungen über land- und volkswirtschaftliche Zeitfragen schreiben konnte. Da wollte es der sonderbare Zufall, daß der bereits in den vierziger Jahren stehende Bauersmann bei der Redaktion eines politischen Blattes beteiligt wurde, und geärgert dnrch die gewöhnlich sehr geringwertige Kost, die den Lesern in den Feuilletons unsrer Presse geboten wurde, begann er (1881) seine erste Bauerngeschichte (Ein Erntetag) zu schreiben, und aufgemuntert durch den Beifall, mit dem sie aufgenommen wurde, unter dem Titel »Aus Berg und Thal« eine Reihe andrer, zumeist im Dialekt gehaltner, kleiner Volts- erzählnngen folgen zu lassen. Hierauf versuchte er sich auch ^ alles ohne je die Pflugsterze völlig aus der Hand zu legen — in großen Erzählungen, Bauernromanen, vaterländischen Dramen" u. s. w. Die Herbheit, mit der Joachim jetzt noch, in seinem Alter, von dem Zwange berichtet, der ihn, den lernbegierigen Knaben, gegen seinen Willen ins Bauerntum zurückwarf, ist charakteristisch für den ganzen Manu. Denn wenn man seine poetischen Werke überblickt (soweit wir sie in den angeführten Büchern haben kennen lernen) so sieht man, daß es vor allein andern die geistige und gemütliche Enge, die Beschränktheit des Bauernvolkes ist, die ihm am meisten zu schaffen macht und gegen die sich seine satirische Muse am nachdrücklichsten richtet. Er hat unter der spezifisch bäurischen Beschrüuktheit wohl sehr viel gelitten. Er mutet uns wie ein Gefangener an, der sich über den Maugel an körperlicher Freiheit dadurch hinwegtäuscht, daß er die Mauern selbst, die ihn umschließen, zum Gegenstande des Studiums macht und sich so eine Beschäftigung schafft, die ihn innerlich befreit. War Joachim durch sein Schicksal an die Scholle gebunden, so hat er auf diese Scholle selbst so eindringlich seinen Blick gerichtet, daß sie ihm dabei zerstob, so wie nach dem Märchen der Tod überwunden wird, wenn in,u? ihm nur fest ins Auge sieht. Joachim hat seinem engen Dorfe einen Wert abgerungen, den es einem gleich leidenschaftlichen, aber nicht dichterisch begabten Menschen niemals offenbart hätte. Und daß man diesen Kampf gegen die Enge des Dorfes und seiner Bewohner als einen aus der Tiefe dieser dichterischen Persönlichkeit quellenden empfindet, das ist der eigentüm¬ lichste Charakterzug an Joseph Joachim. Er zieht sich durch alle seine Dich¬ tungen hindurch; die bäurische Beschränktheit wird in allen ihren Erscheinungs¬ formen aufgedeckt, angegriffen, gegeißelt, lächerlich gemacht. Es offenbart sich darin ein freier Geist, ein nach großherziger und klassischer Humanität stre¬ bender Sinn. Wer ihm dieses bessere Ideal vom Menschendasein mitgeteilt hat, das sagt er nicht. Er hat es wohl durch Lesen großer Dichter kennen lernen. Er brauchte ja nur seine wirkliche Umgebung mit dem zu vergleichen, was er, allein mit seinen Büchern, von den Städten draußen erfuhr, um zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/351>, abgerufen am 23.07.2024.