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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Gedankenübertragung nach wissenschaftlicher Methode

9 Uhr 30 Minuten und 9 Uhr 30 Minuten an. Riedel zieht das Mittel
und kommt ans 9 Uhr 20 Minuten. Nun stimmt es. Dagegen hat sie 1 Uhr
35 Minuten geschlafen, und das war die Zeit, wo Riedel seinem Freunde er¬
zählte, wie man jemand einschläfere. Riedel findet, daß eine merkwürdige Koin¬
cidenz vorliege, und daß. wenn Leonie auch nicht eingeschlafen sei, doch die
Neigung zum Schlafe vorgelegen habe. Für ganz merkwürdig hält er, daß
die bloße Handbewegung genügt habe, die Wirkung hervorzubringen, während
vorher bei gesammelten Willen die Wirkung ausgeblieben sei. Wir finden
das auch merkwürdig. Wir finden, daß Leonie geschlafen hat, wo sie nicht
schlafen sollte, und uicht geschlafen hat, wo sie schlafen sollte, und daß das Zu¬
sammentreffen der Zeit keineswegs feststeht.

Ein andermal sagt er Leonie beim Weggehen, daß er sie heute nicht ein¬
schläfern wolle. Darauf setzt sich Leouie in die Küche, strickt an einem Strümpfe
und schläft später ein. Inzwischen hat Riedel seinen Plan geändert und kehrt,
nachdem er bereits weggegangen war, unbemerkt in die Wohnung zurück. Er
versucht Leouie von l> Uhr 20 Minuten bis 0 Uhr 34 Minuten zu beein¬
flussen -- ohne Erfolg. Er wiederholt die Beeinflussung von 6 Uhr 42 Mi¬
nuten bis 6 Uhr 55 Minuten. 6 Uhr 49 Minuten ist sie eingeschlafen und
befindet sich in tiefem Somnambulismus. Riedel findet den Versuch sehr ge¬
lungen, sieht es darin freilich auch als einen Mangel an, daß er Leonie alle
Abende einzuschläfern pflegte. Wir erkennen diesen Mangel anch an und halten
ihn sür so wesentlich, daß uns auch dieser Versuch nichts bedeutet.

Auch in dem achten Versuche muß die Zeit erst zurechtgerückt werden, in¬
dem man die eigne Angabe Leonies verwirft und aus einem gewissen Stück
eines Strickstrumpfes berechnet, wann der Schlaf begonnen habe. Kann man
mit solchen Dingen etwas beweisen wollen? Und daneben stehen in überwiegen¬
der Menge handgreifliche Mißerfolge.

Mit andern Personen ist Riedel nicht glücklicher. Aber in seiner Neigung,
aus allen Blüten Honig zu sangen, findet er auch darin Bestätigungen sür
seine Wuuderaunahmen. Frau vou M- soll, was ihr zuvor gesagt worden ist,
zu einer bestimmten Zeit an ein Gemälde denken. Riedel suggerirt ihr Raphaels
Hochzeit der Jungfrau, Frau von M. sieht aber einen Menschenfresser. Nun
beabsichtigte aber Riedel an demselben Tage mit seinen Kindern ins Theater zu
gehen und den kleinen Däumling zu sehen, sollte vielleicht -- Riedel will keinen
Schluß ziehen -- wir auch uicht. Ähnliche, meist gänzlich mißratne Versuche
berichtet er eine ganze Reihe, dazwischen einmal eine Geschichte, wo ein Zu¬
sammentreffen stattfindet. Er hofft, daß andre Forscher glücklicher operiren
werden. Sein Unglück ist seine zu große Gewissenhaftigkeit. Das wunderbarste
ist- daß er nicht selbst auf den Gedanken gekommen ist, die ganze Sache ins
Feuer- zu werfen. , ^ ^ ^ - > - -, -

Der Erörterung des Hellsehens, das darin besteht, daß Zeichnungen er-


Gedankenübertragung nach wissenschaftlicher Methode

9 Uhr 30 Minuten und 9 Uhr 30 Minuten an. Riedel zieht das Mittel
und kommt ans 9 Uhr 20 Minuten. Nun stimmt es. Dagegen hat sie 1 Uhr
35 Minuten geschlafen, und das war die Zeit, wo Riedel seinem Freunde er¬
zählte, wie man jemand einschläfere. Riedel findet, daß eine merkwürdige Koin¬
cidenz vorliege, und daß. wenn Leonie auch nicht eingeschlafen sei, doch die
Neigung zum Schlafe vorgelegen habe. Für ganz merkwürdig hält er, daß
die bloße Handbewegung genügt habe, die Wirkung hervorzubringen, während
vorher bei gesammelten Willen die Wirkung ausgeblieben sei. Wir finden
das auch merkwürdig. Wir finden, daß Leonie geschlafen hat, wo sie nicht
schlafen sollte, und uicht geschlafen hat, wo sie schlafen sollte, und daß das Zu¬
sammentreffen der Zeit keineswegs feststeht.

Ein andermal sagt er Leonie beim Weggehen, daß er sie heute nicht ein¬
schläfern wolle. Darauf setzt sich Leouie in die Küche, strickt an einem Strümpfe
und schläft später ein. Inzwischen hat Riedel seinen Plan geändert und kehrt,
nachdem er bereits weggegangen war, unbemerkt in die Wohnung zurück. Er
versucht Leouie von l> Uhr 20 Minuten bis 0 Uhr 34 Minuten zu beein¬
flussen — ohne Erfolg. Er wiederholt die Beeinflussung von 6 Uhr 42 Mi¬
nuten bis 6 Uhr 55 Minuten. 6 Uhr 49 Minuten ist sie eingeschlafen und
befindet sich in tiefem Somnambulismus. Riedel findet den Versuch sehr ge¬
lungen, sieht es darin freilich auch als einen Mangel an, daß er Leonie alle
Abende einzuschläfern pflegte. Wir erkennen diesen Mangel anch an und halten
ihn sür so wesentlich, daß uns auch dieser Versuch nichts bedeutet.

Auch in dem achten Versuche muß die Zeit erst zurechtgerückt werden, in¬
dem man die eigne Angabe Leonies verwirft und aus einem gewissen Stück
eines Strickstrumpfes berechnet, wann der Schlaf begonnen habe. Kann man
mit solchen Dingen etwas beweisen wollen? Und daneben stehen in überwiegen¬
der Menge handgreifliche Mißerfolge.

Mit andern Personen ist Riedel nicht glücklicher. Aber in seiner Neigung,
aus allen Blüten Honig zu sangen, findet er auch darin Bestätigungen sür
seine Wuuderaunahmen. Frau vou M- soll, was ihr zuvor gesagt worden ist,
zu einer bestimmten Zeit an ein Gemälde denken. Riedel suggerirt ihr Raphaels
Hochzeit der Jungfrau, Frau von M. sieht aber einen Menschenfresser. Nun
beabsichtigte aber Riedel an demselben Tage mit seinen Kindern ins Theater zu
gehen und den kleinen Däumling zu sehen, sollte vielleicht — Riedel will keinen
Schluß ziehen — wir auch uicht. Ähnliche, meist gänzlich mißratne Versuche
berichtet er eine ganze Reihe, dazwischen einmal eine Geschichte, wo ein Zu¬
sammentreffen stattfindet. Er hofft, daß andre Forscher glücklicher operiren
werden. Sein Unglück ist seine zu große Gewissenhaftigkeit. Das wunderbarste
ist- daß er nicht selbst auf den Gedanken gekommen ist, die ganze Sache ins
Feuer- zu werfen. , ^ ^ ^ - > - -, -

Der Erörterung des Hellsehens, das darin besteht, daß Zeichnungen er-


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[0035] Gedankenübertragung nach wissenschaftlicher Methode 9 Uhr 30 Minuten und 9 Uhr 30 Minuten an. Riedel zieht das Mittel und kommt ans 9 Uhr 20 Minuten. Nun stimmt es. Dagegen hat sie 1 Uhr 35 Minuten geschlafen, und das war die Zeit, wo Riedel seinem Freunde er¬ zählte, wie man jemand einschläfere. Riedel findet, daß eine merkwürdige Koin¬ cidenz vorliege, und daß. wenn Leonie auch nicht eingeschlafen sei, doch die Neigung zum Schlafe vorgelegen habe. Für ganz merkwürdig hält er, daß die bloße Handbewegung genügt habe, die Wirkung hervorzubringen, während vorher bei gesammelten Willen die Wirkung ausgeblieben sei. Wir finden das auch merkwürdig. Wir finden, daß Leonie geschlafen hat, wo sie nicht schlafen sollte, und uicht geschlafen hat, wo sie schlafen sollte, und daß das Zu¬ sammentreffen der Zeit keineswegs feststeht. Ein andermal sagt er Leonie beim Weggehen, daß er sie heute nicht ein¬ schläfern wolle. Darauf setzt sich Leouie in die Küche, strickt an einem Strümpfe und schläft später ein. Inzwischen hat Riedel seinen Plan geändert und kehrt, nachdem er bereits weggegangen war, unbemerkt in die Wohnung zurück. Er versucht Leouie von l> Uhr 20 Minuten bis 0 Uhr 34 Minuten zu beein¬ flussen — ohne Erfolg. Er wiederholt die Beeinflussung von 6 Uhr 42 Mi¬ nuten bis 6 Uhr 55 Minuten. 6 Uhr 49 Minuten ist sie eingeschlafen und befindet sich in tiefem Somnambulismus. Riedel findet den Versuch sehr ge¬ lungen, sieht es darin freilich auch als einen Mangel an, daß er Leonie alle Abende einzuschläfern pflegte. Wir erkennen diesen Mangel anch an und halten ihn sür so wesentlich, daß uns auch dieser Versuch nichts bedeutet. Auch in dem achten Versuche muß die Zeit erst zurechtgerückt werden, in¬ dem man die eigne Angabe Leonies verwirft und aus einem gewissen Stück eines Strickstrumpfes berechnet, wann der Schlaf begonnen habe. Kann man mit solchen Dingen etwas beweisen wollen? Und daneben stehen in überwiegen¬ der Menge handgreifliche Mißerfolge. Mit andern Personen ist Riedel nicht glücklicher. Aber in seiner Neigung, aus allen Blüten Honig zu sangen, findet er auch darin Bestätigungen sür seine Wuuderaunahmen. Frau vou M- soll, was ihr zuvor gesagt worden ist, zu einer bestimmten Zeit an ein Gemälde denken. Riedel suggerirt ihr Raphaels Hochzeit der Jungfrau, Frau von M. sieht aber einen Menschenfresser. Nun beabsichtigte aber Riedel an demselben Tage mit seinen Kindern ins Theater zu gehen und den kleinen Däumling zu sehen, sollte vielleicht — Riedel will keinen Schluß ziehen — wir auch uicht. Ähnliche, meist gänzlich mißratne Versuche berichtet er eine ganze Reihe, dazwischen einmal eine Geschichte, wo ein Zu¬ sammentreffen stattfindet. Er hofft, daß andre Forscher glücklicher operiren werden. Sein Unglück ist seine zu große Gewissenhaftigkeit. Das wunderbarste ist- daß er nicht selbst auf den Gedanken gekommen ist, die ganze Sache ins Feuer- zu werfen. , ^ ^ ^ - > - -, - Der Erörterung des Hellsehens, das darin besteht, daß Zeichnungen er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/35>, abgerufen am 23.07.2024.