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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht Dürer

Malerschulen sich besonders mit perspektivischen Studien beschäftigten, Florenz,
Padua und Mailand, nicht genannt werden. Doch bleibt die Möglichkeit
offen, daß Dürer die perspektivischen Kunstgriffe, um die es sich bei diesem
Unterricht wahrscheinlich handelte, gar nicht von einem Maler, sondern von
einem Mathematiker gelernt habe. Und deren gab es ja in der Universitäts¬
stadt Bologna so viele, daß es im Grunde willkürlich ist, Leonardo selbst
oder "einen oder den andern von Leonardos Schülern und Akademiegenossen,
welche nach dem Sturze Sforzas ein Wanderleben in Oberitalien führten,"
hier mit Dürer zusammentreffen zu lassen.

Richtig ist es ohne Zweifel, wenn Springer die Einwirkung der venezia¬
nischen Kunst und der Antike auf Dürer sehr gering anschlägt. Die Antike
hat -- von einigen vorübergehenden Anwandlungen der Jugendzeit abgesehen --
gewiß nur in inhaltlicher Beziehung auf ihn eingewirkt. Dies gilt unter anderm
von zwei Kupferstichen der frühern Zeit, dem sogenannten "großen Pferd" und
dem vielumstrittenen Blatte, das gewöhnlich als "die Eifersucht" bezeichnet
wird. Das erste Werk, dessen mythologische Bedeutung schon durch die Statue
auf der Säule, die der Szene hinzugefügt ist, nahe gelegt wird, ist von
Thausing mit vollem Recht als Herkules, der die Rosse des Diomedes weg¬
führt, gedeutet worden. Ist die Deutung richtig, so liegt auch kein Grund
vor, warum man das Blatt nicht mit dem "Herkules" des niederländischen
Tagebuchs für eins halten soll. Denn wenn dieser "Herkules" unter den
"ganzen Bogen" genannt wird und das große Pferd kleiner als die andern
zu diesem Format gehörigen Blätter ist, so weiß man doch, daß Dürer seine
Kupferstiche auf größere Bogen mit breitem Rande druckte, sodaß also auch
das große Pferd, das feiner Plattengröße nach etwa in der Mitte zwischen
dem großen und kleinen Format steht, recht gut zu den ganzen Bogen ge¬
hören konnte.

Ist dies aber richtig, so füllt jeder Grund weg, die "Eifersucht" mit
dein "Herkules" des niederländischen Tagebuchs zusammenzubringen. Man ist
also auch nicht an die übliche Deutung dieses Blattes als Herkules mit
Ressus und Dejanira gebunden. Die richtige Deutung hat kürzlich Veit
Valentin gegeben: es ist die Liebschaft des in einen Satyr verwandelten Zeus
mit der Antiope unter dem Beisein des Merkur und der eifersüchtigen Juno
(oder ist es Dirke, die spätere Peinigerin der Antiope?). Springer scheint
diese Deutung anzunehmen, spricht aber nur im allgemeinen von einer Götter¬
liebschaft. Leider ist er Valentin auch in einer andern Deutung gefolgt, die
ich für ganz unmöglich halte. Da nämlich durch die richtige Deutung der
"Eifersucht" der "Herkules" frei geworden war, hat Valentin ihn statt auf
das große Pferd vielmehr auf das sogenannte "Meerwunder" übertragen.
Es ist dies das bekannte Blatt, das einen Triton darstellt, der ein nacktes
Weib durch die Fluten trägt. Freilich kostet es Springer "große Mühe, in


Albrecht Dürer

Malerschulen sich besonders mit perspektivischen Studien beschäftigten, Florenz,
Padua und Mailand, nicht genannt werden. Doch bleibt die Möglichkeit
offen, daß Dürer die perspektivischen Kunstgriffe, um die es sich bei diesem
Unterricht wahrscheinlich handelte, gar nicht von einem Maler, sondern von
einem Mathematiker gelernt habe. Und deren gab es ja in der Universitäts¬
stadt Bologna so viele, daß es im Grunde willkürlich ist, Leonardo selbst
oder „einen oder den andern von Leonardos Schülern und Akademiegenossen,
welche nach dem Sturze Sforzas ein Wanderleben in Oberitalien führten,"
hier mit Dürer zusammentreffen zu lassen.

Richtig ist es ohne Zweifel, wenn Springer die Einwirkung der venezia¬
nischen Kunst und der Antike auf Dürer sehr gering anschlägt. Die Antike
hat — von einigen vorübergehenden Anwandlungen der Jugendzeit abgesehen —
gewiß nur in inhaltlicher Beziehung auf ihn eingewirkt. Dies gilt unter anderm
von zwei Kupferstichen der frühern Zeit, dem sogenannten „großen Pferd" und
dem vielumstrittenen Blatte, das gewöhnlich als „die Eifersucht" bezeichnet
wird. Das erste Werk, dessen mythologische Bedeutung schon durch die Statue
auf der Säule, die der Szene hinzugefügt ist, nahe gelegt wird, ist von
Thausing mit vollem Recht als Herkules, der die Rosse des Diomedes weg¬
führt, gedeutet worden. Ist die Deutung richtig, so liegt auch kein Grund
vor, warum man das Blatt nicht mit dem „Herkules" des niederländischen
Tagebuchs für eins halten soll. Denn wenn dieser „Herkules" unter den
„ganzen Bogen" genannt wird und das große Pferd kleiner als die andern
zu diesem Format gehörigen Blätter ist, so weiß man doch, daß Dürer seine
Kupferstiche auf größere Bogen mit breitem Rande druckte, sodaß also auch
das große Pferd, das feiner Plattengröße nach etwa in der Mitte zwischen
dem großen und kleinen Format steht, recht gut zu den ganzen Bogen ge¬
hören konnte.

Ist dies aber richtig, so füllt jeder Grund weg, die „Eifersucht" mit
dein „Herkules" des niederländischen Tagebuchs zusammenzubringen. Man ist
also auch nicht an die übliche Deutung dieses Blattes als Herkules mit
Ressus und Dejanira gebunden. Die richtige Deutung hat kürzlich Veit
Valentin gegeben: es ist die Liebschaft des in einen Satyr verwandelten Zeus
mit der Antiope unter dem Beisein des Merkur und der eifersüchtigen Juno
(oder ist es Dirke, die spätere Peinigerin der Antiope?). Springer scheint
diese Deutung anzunehmen, spricht aber nur im allgemeinen von einer Götter¬
liebschaft. Leider ist er Valentin auch in einer andern Deutung gefolgt, die
ich für ganz unmöglich halte. Da nämlich durch die richtige Deutung der
„Eifersucht" der „Herkules" frei geworden war, hat Valentin ihn statt auf
das große Pferd vielmehr auf das sogenannte „Meerwunder" übertragen.
Es ist dies das bekannte Blatt, das einen Triton darstellt, der ein nacktes
Weib durch die Fluten trägt. Freilich kostet es Springer „große Mühe, in


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[0346] Albrecht Dürer Malerschulen sich besonders mit perspektivischen Studien beschäftigten, Florenz, Padua und Mailand, nicht genannt werden. Doch bleibt die Möglichkeit offen, daß Dürer die perspektivischen Kunstgriffe, um die es sich bei diesem Unterricht wahrscheinlich handelte, gar nicht von einem Maler, sondern von einem Mathematiker gelernt habe. Und deren gab es ja in der Universitäts¬ stadt Bologna so viele, daß es im Grunde willkürlich ist, Leonardo selbst oder „einen oder den andern von Leonardos Schülern und Akademiegenossen, welche nach dem Sturze Sforzas ein Wanderleben in Oberitalien führten," hier mit Dürer zusammentreffen zu lassen. Richtig ist es ohne Zweifel, wenn Springer die Einwirkung der venezia¬ nischen Kunst und der Antike auf Dürer sehr gering anschlägt. Die Antike hat — von einigen vorübergehenden Anwandlungen der Jugendzeit abgesehen — gewiß nur in inhaltlicher Beziehung auf ihn eingewirkt. Dies gilt unter anderm von zwei Kupferstichen der frühern Zeit, dem sogenannten „großen Pferd" und dem vielumstrittenen Blatte, das gewöhnlich als „die Eifersucht" bezeichnet wird. Das erste Werk, dessen mythologische Bedeutung schon durch die Statue auf der Säule, die der Szene hinzugefügt ist, nahe gelegt wird, ist von Thausing mit vollem Recht als Herkules, der die Rosse des Diomedes weg¬ führt, gedeutet worden. Ist die Deutung richtig, so liegt auch kein Grund vor, warum man das Blatt nicht mit dem „Herkules" des niederländischen Tagebuchs für eins halten soll. Denn wenn dieser „Herkules" unter den „ganzen Bogen" genannt wird und das große Pferd kleiner als die andern zu diesem Format gehörigen Blätter ist, so weiß man doch, daß Dürer seine Kupferstiche auf größere Bogen mit breitem Rande druckte, sodaß also auch das große Pferd, das feiner Plattengröße nach etwa in der Mitte zwischen dem großen und kleinen Format steht, recht gut zu den ganzen Bogen ge¬ hören konnte. Ist dies aber richtig, so füllt jeder Grund weg, die „Eifersucht" mit dein „Herkules" des niederländischen Tagebuchs zusammenzubringen. Man ist also auch nicht an die übliche Deutung dieses Blattes als Herkules mit Ressus und Dejanira gebunden. Die richtige Deutung hat kürzlich Veit Valentin gegeben: es ist die Liebschaft des in einen Satyr verwandelten Zeus mit der Antiope unter dem Beisein des Merkur und der eifersüchtigen Juno (oder ist es Dirke, die spätere Peinigerin der Antiope?). Springer scheint diese Deutung anzunehmen, spricht aber nur im allgemeinen von einer Götter¬ liebschaft. Leider ist er Valentin auch in einer andern Deutung gefolgt, die ich für ganz unmöglich halte. Da nämlich durch die richtige Deutung der „Eifersucht" der „Herkules" frei geworden war, hat Valentin ihn statt auf das große Pferd vielmehr auf das sogenannte „Meerwunder" übertragen. Es ist dies das bekannte Blatt, das einen Triton darstellt, der ein nacktes Weib durch die Fluten trägt. Freilich kostet es Springer „große Mühe, in

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/346>, abgerufen am 26.08.2024.