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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Dürer so gering angeschlagen hat: nur "Einzelheiten der Linienführung" habe
der jüngere Künstler dem ältern abgelernt. Aber wie hüusig mag Dürer
schon als Knabe die weit verbreiteten Blätter des berühmten Kupferstechers
betrachtet und nachgezeichnet haben, wie er ja überhaupt in seiner Jugend
die Handzeichnungen oder Kupferstiche älterer rheinischer Meister nachweislich
kopirte. Ist es doch auch ganz unwahrscheinlich, daß Christoph Scheurl und
Neudörffer, die ja beide Dürer persönlich kannten, die Nachricht aus der Luft
gegriffen haben sollten, der alte Dürer habe den Sohn eigentlich zu Schon-
gauer in die Lehre geben wollen, sich aber dann (wahrscheinlich aus Bequem¬
lichkeitsgründen) für den heimischen Meister entschieden. Und sollte nicht die
Reise nach Colmar, die Dürer während seiner Wanderschaft unternahm, that¬
sächlich den Zweck gehabt haben, das Versäumte nachzuholen, den berühmtesten
Kupferstecher seiner Zeit wenigstens nachträglich kennen zu lernen? Dabei
will ich noch ganz absehen von zwei angeblichen Jugendwerkeu Dürers, die,
wenn sie wirklich von ihm stammten, geradezu eine Schongauersche Epoche in
seinem Leben nachweisen würden. Ich meine die Madonna mit der Nelke im
Kölner Museum und den Kupferstich mit der Doppeldarstellung Adams und
Evas. Die Madonna freilich erwähnt Springer nicht, wahrscheinlich weil er
ihre Zurückführung auf Dürer (ebenso wie die dreier andern Bilder, die man
neuerdings auf Dürer getauft hat) nicht billigte. Doch an dein Kupferstich,
den er selbst kurz zuvor zum erstenmal als Jugendarbeit Dürers angesprochen
hatte, hält er auch in der Biographie fest. Kupferstichkenner wie Lehrs wollen
ihn übrigens einem niederrheinischen Monvgrammisten ?N zuschreiben, der "in
hohem Grade abhängig von Schongauer" sei. Aber selbst wenn man von
diesen zweifelhaften Jugendwerken absieht, bleibt die Thatsache bestehen, daß
Dürer in seiner Jugend fast mehr von Schongauer als von Wolgemut an¬
geregt worden ist. Der Einfluß des Colmarer Meisters ist sowohl in den
Blättern der Apokalypse und der großen Passion als auch in einzelnen spätern
Kompositionen wie der Flucht nach Ägypten deutlich zu erkennen. Vor allen
Dingen hat Dürer in der Kupferstichtechnik -- was ja auch Springer zugiebt --
an seinen großen Vorgänger angeknüpft. Was übrigens Dürers Kupfer¬
stichtechnik betrifft, so will ich nebenbei erwähnen, daß Springer im An¬
schluß an Thausing die Behauptung aufstellt, Dürer habe bei den Kupfer¬
stichen seiner Blütezeit, z. B. der "Melancholie" und dem "Hieronymus
im Gehüus", ein gemischtes Verfahren von Atzung und Grabstichelarbeit
angewendet. Ich habe mich nach wiederholter Vergleichung der in der
Göttinger Kupferstichsammlung befindlichen Abdrücke dieser beiden Platten nicht
von der Nichtigkeit dieser Ansicht überzeugen können. Im Gegenteil scheint
mir der gleichmäßig dünne Zug der Linien, den Dürer hier angewandt hat,
und auf dem ja vor allen Dingen der matte silbergraue Ton dieser Blätter
beruht, eher auf eine gesteigerte Verwendung der kalten Nadel als auf eine


Dürer so gering angeschlagen hat: nur „Einzelheiten der Linienführung" habe
der jüngere Künstler dem ältern abgelernt. Aber wie hüusig mag Dürer
schon als Knabe die weit verbreiteten Blätter des berühmten Kupferstechers
betrachtet und nachgezeichnet haben, wie er ja überhaupt in seiner Jugend
die Handzeichnungen oder Kupferstiche älterer rheinischer Meister nachweislich
kopirte. Ist es doch auch ganz unwahrscheinlich, daß Christoph Scheurl und
Neudörffer, die ja beide Dürer persönlich kannten, die Nachricht aus der Luft
gegriffen haben sollten, der alte Dürer habe den Sohn eigentlich zu Schon-
gauer in die Lehre geben wollen, sich aber dann (wahrscheinlich aus Bequem¬
lichkeitsgründen) für den heimischen Meister entschieden. Und sollte nicht die
Reise nach Colmar, die Dürer während seiner Wanderschaft unternahm, that¬
sächlich den Zweck gehabt haben, das Versäumte nachzuholen, den berühmtesten
Kupferstecher seiner Zeit wenigstens nachträglich kennen zu lernen? Dabei
will ich noch ganz absehen von zwei angeblichen Jugendwerkeu Dürers, die,
wenn sie wirklich von ihm stammten, geradezu eine Schongauersche Epoche in
seinem Leben nachweisen würden. Ich meine die Madonna mit der Nelke im
Kölner Museum und den Kupferstich mit der Doppeldarstellung Adams und
Evas. Die Madonna freilich erwähnt Springer nicht, wahrscheinlich weil er
ihre Zurückführung auf Dürer (ebenso wie die dreier andern Bilder, die man
neuerdings auf Dürer getauft hat) nicht billigte. Doch an dein Kupferstich,
den er selbst kurz zuvor zum erstenmal als Jugendarbeit Dürers angesprochen
hatte, hält er auch in der Biographie fest. Kupferstichkenner wie Lehrs wollen
ihn übrigens einem niederrheinischen Monvgrammisten ?N zuschreiben, der „in
hohem Grade abhängig von Schongauer" sei. Aber selbst wenn man von
diesen zweifelhaften Jugendwerken absieht, bleibt die Thatsache bestehen, daß
Dürer in seiner Jugend fast mehr von Schongauer als von Wolgemut an¬
geregt worden ist. Der Einfluß des Colmarer Meisters ist sowohl in den
Blättern der Apokalypse und der großen Passion als auch in einzelnen spätern
Kompositionen wie der Flucht nach Ägypten deutlich zu erkennen. Vor allen
Dingen hat Dürer in der Kupferstichtechnik — was ja auch Springer zugiebt —
an seinen großen Vorgänger angeknüpft. Was übrigens Dürers Kupfer¬
stichtechnik betrifft, so will ich nebenbei erwähnen, daß Springer im An¬
schluß an Thausing die Behauptung aufstellt, Dürer habe bei den Kupfer¬
stichen seiner Blütezeit, z. B. der „Melancholie" und dem „Hieronymus
im Gehüus", ein gemischtes Verfahren von Atzung und Grabstichelarbeit
angewendet. Ich habe mich nach wiederholter Vergleichung der in der
Göttinger Kupferstichsammlung befindlichen Abdrücke dieser beiden Platten nicht
von der Nichtigkeit dieser Ansicht überzeugen können. Im Gegenteil scheint
mir der gleichmäßig dünne Zug der Linien, den Dürer hier angewandt hat,
und auf dem ja vor allen Dingen der matte silbergraue Ton dieser Blätter
beruht, eher auf eine gesteigerte Verwendung der kalten Nadel als auf eine


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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/343>, abgerufen am 23.07.2024.