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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht Viirer

Das Bedürfnis nach einer volkstümlichen Biographie Dürers lag auch
nach dem bekannten und in seiner Weise verdienstvollen Buche Thausings noch
vor. Noch immer gehört Dürer zu den Künstlern, die mehr genannt als ge¬
kannt werden. Die Mahnung, die Springer vor sechs Jahren aussprach:
"Ein gebildeter Deutscher sollte wie seineu Goethe auch seinen Dürer genau
kennen," ist noch immer ein frommer Wunsch geblieben. Ich behaupte, daß
unter hundert gebildeten Deutschen kaum einer ist, der von Dürer mehr kennt
als ein oder das andre Bild, das er zufällig auf seinen Reisen gesehen hat,
daß unter tausenden, die mit seinen Werken vertraut sind, sich kaum einer als
aufrichtigen Verehrer des Meisters bekennen würde. Hat man doch auch
unsrer modernen Kunst neuerdings nicht Dürer, sondern Rembrandt als Erzieher
vor Augen gehalten.

Gründe für diese Erscheinung giebt es mehrere. Dank unsrer einseitigen
Erziehung steht die ästhetische Bildung unsrer höhern Kreise noch immer auf
dem Standpunkte Winckelmanns und Lessings, das heißt der antiken Kunst.
Noch immer ist für uns die antike Plastik das unübertroffene Ideal, neben
dein wir höchstens die klassische Formenschönheit der italienischen Hochrenaissance
gelten lassen. Noch immer werfen wir in kindlicher Verwirrung die künst¬
lerische Schönheit und die natürliche Vollkommenheit durcheinander. Daß die
Kunst nur "das Schöne," d. h. das Naturschöne darzustellen habe, ist nicht
nur ein Dogma vieler Ästhetiker, sondern auch der meisten Gebildeten. Daß
damit Shakespeare und Rembrandt und Rubens und so viele andre aus der
Reihe der großen Künstler ausgestrichen werden, macht man sich nicht klar.
Wie soll man da zu einer richtigen Würdigung Dürers kommen?

Leider hat auch Thausings Biographie in dieser Beziehung nicht viel
gebessert. Thausing gehörte zu deu Kunsthistoriker", die mit Verachtung auf
die Ästhetik herabsehen. Wie Wilhelm Scherer.in seiner Poetik, so wollte auch
er (hier spricht er nicht davon, aber anderwärts) den Begriff "schön" aus der
Kunstbetrachtung womöglich ganz ausschließen. Die Frage, ob ein Werk schön
sei, habe der Kunsthistoriker nicht zu entscheiden, nur kunsthistorische That¬
sachen habe er festzustellen und zu erklären. Das Wort "schön" brauche in einer
Kunstgeschichte gar nicht vorzukommen. Kein Wunder, daß seine Biographie
wehr die .Kenntnis vieler wissenschaftlichen Einzelfragen als das Verständnis
der Dürerschen Kunst befördert hat. In der Zeit, wo sein Dürer erschien (1876),
war diese Behandlung ja in gewisser Weise berechtigt, und es ist Thausinas
Verdienst, viele damals noch zweifelhafte Fragen aus dem Leben und Schaffen
des Meisters endgiltig erledigt zu haben. Aber das Bedürfnis weiterer Kreise
war damit nicht befriedigt worden. "Der historische und litterarische Sinn -- sagt
Springer -- sträuben sich gleichmäßig gegen deu reichen Überguß einer einfachen
Erzählung mit mannichfachen Einzelheiten, gegen den häufigen Einschub beson¬
derer Untersuchungen in die Schilderung, wie sich ein Held entwickelt hat, oder


Albrecht Viirer

Das Bedürfnis nach einer volkstümlichen Biographie Dürers lag auch
nach dem bekannten und in seiner Weise verdienstvollen Buche Thausings noch
vor. Noch immer gehört Dürer zu den Künstlern, die mehr genannt als ge¬
kannt werden. Die Mahnung, die Springer vor sechs Jahren aussprach:
„Ein gebildeter Deutscher sollte wie seineu Goethe auch seinen Dürer genau
kennen," ist noch immer ein frommer Wunsch geblieben. Ich behaupte, daß
unter hundert gebildeten Deutschen kaum einer ist, der von Dürer mehr kennt
als ein oder das andre Bild, das er zufällig auf seinen Reisen gesehen hat,
daß unter tausenden, die mit seinen Werken vertraut sind, sich kaum einer als
aufrichtigen Verehrer des Meisters bekennen würde. Hat man doch auch
unsrer modernen Kunst neuerdings nicht Dürer, sondern Rembrandt als Erzieher
vor Augen gehalten.

Gründe für diese Erscheinung giebt es mehrere. Dank unsrer einseitigen
Erziehung steht die ästhetische Bildung unsrer höhern Kreise noch immer auf
dem Standpunkte Winckelmanns und Lessings, das heißt der antiken Kunst.
Noch immer ist für uns die antike Plastik das unübertroffene Ideal, neben
dein wir höchstens die klassische Formenschönheit der italienischen Hochrenaissance
gelten lassen. Noch immer werfen wir in kindlicher Verwirrung die künst¬
lerische Schönheit und die natürliche Vollkommenheit durcheinander. Daß die
Kunst nur „das Schöne," d. h. das Naturschöne darzustellen habe, ist nicht
nur ein Dogma vieler Ästhetiker, sondern auch der meisten Gebildeten. Daß
damit Shakespeare und Rembrandt und Rubens und so viele andre aus der
Reihe der großen Künstler ausgestrichen werden, macht man sich nicht klar.
Wie soll man da zu einer richtigen Würdigung Dürers kommen?

Leider hat auch Thausings Biographie in dieser Beziehung nicht viel
gebessert. Thausing gehörte zu deu Kunsthistoriker», die mit Verachtung auf
die Ästhetik herabsehen. Wie Wilhelm Scherer.in seiner Poetik, so wollte auch
er (hier spricht er nicht davon, aber anderwärts) den Begriff „schön" aus der
Kunstbetrachtung womöglich ganz ausschließen. Die Frage, ob ein Werk schön
sei, habe der Kunsthistoriker nicht zu entscheiden, nur kunsthistorische That¬
sachen habe er festzustellen und zu erklären. Das Wort „schön" brauche in einer
Kunstgeschichte gar nicht vorzukommen. Kein Wunder, daß seine Biographie
wehr die .Kenntnis vieler wissenschaftlichen Einzelfragen als das Verständnis
der Dürerschen Kunst befördert hat. In der Zeit, wo sein Dürer erschien (1876),
war diese Behandlung ja in gewisser Weise berechtigt, und es ist Thausinas
Verdienst, viele damals noch zweifelhafte Fragen aus dem Leben und Schaffen
des Meisters endgiltig erledigt zu haben. Aber das Bedürfnis weiterer Kreise
war damit nicht befriedigt worden. „Der historische und litterarische Sinn — sagt
Springer — sträuben sich gleichmäßig gegen deu reichen Überguß einer einfachen
Erzählung mit mannichfachen Einzelheiten, gegen den häufigen Einschub beson¬
derer Untersuchungen in die Schilderung, wie sich ein Held entwickelt hat, oder


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[0339] Albrecht Viirer Das Bedürfnis nach einer volkstümlichen Biographie Dürers lag auch nach dem bekannten und in seiner Weise verdienstvollen Buche Thausings noch vor. Noch immer gehört Dürer zu den Künstlern, die mehr genannt als ge¬ kannt werden. Die Mahnung, die Springer vor sechs Jahren aussprach: „Ein gebildeter Deutscher sollte wie seineu Goethe auch seinen Dürer genau kennen," ist noch immer ein frommer Wunsch geblieben. Ich behaupte, daß unter hundert gebildeten Deutschen kaum einer ist, der von Dürer mehr kennt als ein oder das andre Bild, das er zufällig auf seinen Reisen gesehen hat, daß unter tausenden, die mit seinen Werken vertraut sind, sich kaum einer als aufrichtigen Verehrer des Meisters bekennen würde. Hat man doch auch unsrer modernen Kunst neuerdings nicht Dürer, sondern Rembrandt als Erzieher vor Augen gehalten. Gründe für diese Erscheinung giebt es mehrere. Dank unsrer einseitigen Erziehung steht die ästhetische Bildung unsrer höhern Kreise noch immer auf dem Standpunkte Winckelmanns und Lessings, das heißt der antiken Kunst. Noch immer ist für uns die antike Plastik das unübertroffene Ideal, neben dein wir höchstens die klassische Formenschönheit der italienischen Hochrenaissance gelten lassen. Noch immer werfen wir in kindlicher Verwirrung die künst¬ lerische Schönheit und die natürliche Vollkommenheit durcheinander. Daß die Kunst nur „das Schöne," d. h. das Naturschöne darzustellen habe, ist nicht nur ein Dogma vieler Ästhetiker, sondern auch der meisten Gebildeten. Daß damit Shakespeare und Rembrandt und Rubens und so viele andre aus der Reihe der großen Künstler ausgestrichen werden, macht man sich nicht klar. Wie soll man da zu einer richtigen Würdigung Dürers kommen? Leider hat auch Thausings Biographie in dieser Beziehung nicht viel gebessert. Thausing gehörte zu deu Kunsthistoriker», die mit Verachtung auf die Ästhetik herabsehen. Wie Wilhelm Scherer.in seiner Poetik, so wollte auch er (hier spricht er nicht davon, aber anderwärts) den Begriff „schön" aus der Kunstbetrachtung womöglich ganz ausschließen. Die Frage, ob ein Werk schön sei, habe der Kunsthistoriker nicht zu entscheiden, nur kunsthistorische That¬ sachen habe er festzustellen und zu erklären. Das Wort „schön" brauche in einer Kunstgeschichte gar nicht vorzukommen. Kein Wunder, daß seine Biographie wehr die .Kenntnis vieler wissenschaftlichen Einzelfragen als das Verständnis der Dürerschen Kunst befördert hat. In der Zeit, wo sein Dürer erschien (1876), war diese Behandlung ja in gewisser Weise berechtigt, und es ist Thausinas Verdienst, viele damals noch zweifelhafte Fragen aus dem Leben und Schaffen des Meisters endgiltig erledigt zu haben. Aber das Bedürfnis weiterer Kreise war damit nicht befriedigt worden. „Der historische und litterarische Sinn — sagt Springer — sträuben sich gleichmäßig gegen deu reichen Überguß einer einfachen Erzählung mit mannichfachen Einzelheiten, gegen den häufigen Einschub beson¬ derer Untersuchungen in die Schilderung, wie sich ein Held entwickelt hat, oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/339>, abgerufen am 23.07.2024.