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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Lin Buchhändlerprozeß

gedachten Art, und ebenso eine Aufforderung, die den Verlegern die eine oder die
andre Art des Handelns zur Wahl stellt, also dadurch für die Verleger immer¬
hin einen Anreiz gewährt, gar nicht zu liefern. Warum nun soll das eine
statthaft, das andre unstatthaft sein? Ist etwa das, was dem Börsenverein
an "Kampfmitteln" gestattet sein soll, eine von dem Ermessen des Reichsgerichts
abhängige Gnadensache?

Weit schwerer noch wiegt aber die durch das Urteil angeregte Frage: Hat
denn irgend ein Gewerbetreibender ein Recht darauf, daß andre Gewerbetreibende
ihm die Waren liefern, die er zu seinein Gewerbebetriebe bedarf? Die Be¬
jahung dieser Frage würde dahin führen, daß jeder Gewerbetreibende, wenn
ihm ein andrer den Verkauf solcher Waren verweigerte, gegen diesen eine
Entschädigungsklage hätte. Man braucht diesen Gedanken nur auszusprechen,
um seine ganze Ungeheuerlichkeit vor Augen zu haben.

Auf den Buchhandel angewendet, folgt aus diesen Sätzen: kein Verleger
ist verpflichtet, irgend einem Sortimentshändler seine Werke zum Vertriebe zu
überlassen. Er kann sie ihm verweigern, aus welchem Grunde er will. Und
er kann sie ihm um so mehr verweigern, wenn der Sortimenter damit einen
Geschäftsbetrieb übt, den der Verleger für den ganzen Buchhandel als ver¬
derblich ansieht. '

Ist aber jeder Verleger berechtigt, einem Svrtimentshändler die Lieferung
von Werken zu verweigern, so kaun auch die von einem Dritten ergehende
Aufforderung, dies zu thun, unmöglich eine Rechtsverletzung sein, zumal wenn
diese Aufforderung für die Aufgeforderten keine Nötigung enthält, ihr Folge
zu leisten. Wenn das Reichsgericht sagt: die natürlichen Beziehungen des
gewerblichen Lebens dürfen in ihren natürlichen Wirkungen, die sich für alle
gleichmäßig zu vollziehen pflegen, von keiner Seite gehindert werden; und
wenn es ferner sagt: bei der autoritativen Stellung des Vorstandes des
Börsenvereins habe die von ihm ergangene Aufforderung die Bedeutung einer
Achtserklärung, die über keinen Gewerbetreibenden verhängt werden dürfe, so
ist es wirklich schwer, solche Aussprüche eines höchsten Gerichtshofes ihrem
wahren Werte nach zu charakterisiren.

Das Reichsgericht will freilich von seinem Satze, daß die natürlichen
Wirkungen des gewerblichen Lebens nicht zum Nachteil einzelner Gewerbe¬
treibender untergraben werden dürften, eine Ausnahme gestatten. Durch Be¬
thätigung eines Konkurrenzbetriebes dürfe man auch eiuen andern Gewerbe¬
treibenden schädigen. Aber läßt sich denn irgend verkennen, daß in dem
vorliegenden Kampfe der Buchhändler ein Konkurrenzkampf größten Maßstabes
enthalten ist? Was will denn die Mehrheit der Buchhändler, die ihre Ver¬
tretung in dem Börsenvereine findet? Sie will die Konkurrenz unterdrücken,
die ihr nach ihrer Ansicht zum Verderben des Buchhandels die Schleuderer
mit ihren Schleuderpreisen machen. Insofern ist es auch ganz unzweifelhaft,


Lin Buchhändlerprozeß

gedachten Art, und ebenso eine Aufforderung, die den Verlegern die eine oder die
andre Art des Handelns zur Wahl stellt, also dadurch für die Verleger immer¬
hin einen Anreiz gewährt, gar nicht zu liefern. Warum nun soll das eine
statthaft, das andre unstatthaft sein? Ist etwa das, was dem Börsenverein
an „Kampfmitteln" gestattet sein soll, eine von dem Ermessen des Reichsgerichts
abhängige Gnadensache?

Weit schwerer noch wiegt aber die durch das Urteil angeregte Frage: Hat
denn irgend ein Gewerbetreibender ein Recht darauf, daß andre Gewerbetreibende
ihm die Waren liefern, die er zu seinein Gewerbebetriebe bedarf? Die Be¬
jahung dieser Frage würde dahin führen, daß jeder Gewerbetreibende, wenn
ihm ein andrer den Verkauf solcher Waren verweigerte, gegen diesen eine
Entschädigungsklage hätte. Man braucht diesen Gedanken nur auszusprechen,
um seine ganze Ungeheuerlichkeit vor Augen zu haben.

Auf den Buchhandel angewendet, folgt aus diesen Sätzen: kein Verleger
ist verpflichtet, irgend einem Sortimentshändler seine Werke zum Vertriebe zu
überlassen. Er kann sie ihm verweigern, aus welchem Grunde er will. Und
er kann sie ihm um so mehr verweigern, wenn der Sortimenter damit einen
Geschäftsbetrieb übt, den der Verleger für den ganzen Buchhandel als ver¬
derblich ansieht. '

Ist aber jeder Verleger berechtigt, einem Svrtimentshändler die Lieferung
von Werken zu verweigern, so kaun auch die von einem Dritten ergehende
Aufforderung, dies zu thun, unmöglich eine Rechtsverletzung sein, zumal wenn
diese Aufforderung für die Aufgeforderten keine Nötigung enthält, ihr Folge
zu leisten. Wenn das Reichsgericht sagt: die natürlichen Beziehungen des
gewerblichen Lebens dürfen in ihren natürlichen Wirkungen, die sich für alle
gleichmäßig zu vollziehen pflegen, von keiner Seite gehindert werden; und
wenn es ferner sagt: bei der autoritativen Stellung des Vorstandes des
Börsenvereins habe die von ihm ergangene Aufforderung die Bedeutung einer
Achtserklärung, die über keinen Gewerbetreibenden verhängt werden dürfe, so
ist es wirklich schwer, solche Aussprüche eines höchsten Gerichtshofes ihrem
wahren Werte nach zu charakterisiren.

Das Reichsgericht will freilich von seinem Satze, daß die natürlichen
Wirkungen des gewerblichen Lebens nicht zum Nachteil einzelner Gewerbe¬
treibender untergraben werden dürften, eine Ausnahme gestatten. Durch Be¬
thätigung eines Konkurrenzbetriebes dürfe man auch eiuen andern Gewerbe¬
treibenden schädigen. Aber läßt sich denn irgend verkennen, daß in dem
vorliegenden Kampfe der Buchhändler ein Konkurrenzkampf größten Maßstabes
enthalten ist? Was will denn die Mehrheit der Buchhändler, die ihre Ver¬
tretung in dem Börsenvereine findet? Sie will die Konkurrenz unterdrücken,
die ihr nach ihrer Ansicht zum Verderben des Buchhandels die Schleuderer
mit ihren Schleuderpreisen machen. Insofern ist es auch ganz unzweifelhaft,


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[0334] Lin Buchhändlerprozeß gedachten Art, und ebenso eine Aufforderung, die den Verlegern die eine oder die andre Art des Handelns zur Wahl stellt, also dadurch für die Verleger immer¬ hin einen Anreiz gewährt, gar nicht zu liefern. Warum nun soll das eine statthaft, das andre unstatthaft sein? Ist etwa das, was dem Börsenverein an „Kampfmitteln" gestattet sein soll, eine von dem Ermessen des Reichsgerichts abhängige Gnadensache? Weit schwerer noch wiegt aber die durch das Urteil angeregte Frage: Hat denn irgend ein Gewerbetreibender ein Recht darauf, daß andre Gewerbetreibende ihm die Waren liefern, die er zu seinein Gewerbebetriebe bedarf? Die Be¬ jahung dieser Frage würde dahin führen, daß jeder Gewerbetreibende, wenn ihm ein andrer den Verkauf solcher Waren verweigerte, gegen diesen eine Entschädigungsklage hätte. Man braucht diesen Gedanken nur auszusprechen, um seine ganze Ungeheuerlichkeit vor Augen zu haben. Auf den Buchhandel angewendet, folgt aus diesen Sätzen: kein Verleger ist verpflichtet, irgend einem Sortimentshändler seine Werke zum Vertriebe zu überlassen. Er kann sie ihm verweigern, aus welchem Grunde er will. Und er kann sie ihm um so mehr verweigern, wenn der Sortimenter damit einen Geschäftsbetrieb übt, den der Verleger für den ganzen Buchhandel als ver¬ derblich ansieht. ' Ist aber jeder Verleger berechtigt, einem Svrtimentshändler die Lieferung von Werken zu verweigern, so kaun auch die von einem Dritten ergehende Aufforderung, dies zu thun, unmöglich eine Rechtsverletzung sein, zumal wenn diese Aufforderung für die Aufgeforderten keine Nötigung enthält, ihr Folge zu leisten. Wenn das Reichsgericht sagt: die natürlichen Beziehungen des gewerblichen Lebens dürfen in ihren natürlichen Wirkungen, die sich für alle gleichmäßig zu vollziehen pflegen, von keiner Seite gehindert werden; und wenn es ferner sagt: bei der autoritativen Stellung des Vorstandes des Börsenvereins habe die von ihm ergangene Aufforderung die Bedeutung einer Achtserklärung, die über keinen Gewerbetreibenden verhängt werden dürfe, so ist es wirklich schwer, solche Aussprüche eines höchsten Gerichtshofes ihrem wahren Werte nach zu charakterisiren. Das Reichsgericht will freilich von seinem Satze, daß die natürlichen Wirkungen des gewerblichen Lebens nicht zum Nachteil einzelner Gewerbe¬ treibender untergraben werden dürften, eine Ausnahme gestatten. Durch Be¬ thätigung eines Konkurrenzbetriebes dürfe man auch eiuen andern Gewerbe¬ treibenden schädigen. Aber läßt sich denn irgend verkennen, daß in dem vorliegenden Kampfe der Buchhändler ein Konkurrenzkampf größten Maßstabes enthalten ist? Was will denn die Mehrheit der Buchhändler, die ihre Ver¬ tretung in dem Börsenvereine findet? Sie will die Konkurrenz unterdrücken, die ihr nach ihrer Ansicht zum Verderben des Buchhandels die Schleuderer mit ihren Schleuderpreisen machen. Insofern ist es auch ganz unzweifelhaft,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/334>, abgerufen am 23.07.2024.