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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Gedankeuiibertragnng nach wissenschaftlicher Methode

die Bakteriologie, Harveys Entdeckung des Blutkreislaufes, Jenners Schutz-
pockenimpfnllg u. s. w. Besonders wird ans eine Äußerung in den Grenzboten
hingewiesen (Jahrgang 1890, Heft 27s die lautet: "Ich glaube an die hypno¬
tische Suggestion nicht, als bis ich einen Fall davon gesehen habe, und ich
werde einen solchen Fall niemals zu Gesicht bekommen, da ich mir dergleichen
Experimente niemals ansehe." Der Übersetzer fordert, daß man unter Anwen¬
dung aller Vorsichtsmaßregeln eine ernste kritische Nachprüfung vornehme, und
kommt zu dem Schlüsse: Entweder wird damit eine unerklärliche Verirrung
unsrer Zeit, eine psychische Epidemie außer Zweifel gestellt oder aber ein neues
fruchtbares Feld für deu Gedanken und fein Streben für wissenschaftliche Arbeit
gefordert.

Da wir fo ernstlich herausgefordert werden, für oder wider Partei zu er¬
greifen, so wollen wir uns die Sache einmal ansehen, obwohl wir und jeder-
mann, der wissenschaftlich zu denken versteht, das Recht habe", die ganze Unter¬
suchung von vornherein abzulehnen. Wenn jemand Untersuchungen über die
Aufhebung der Schwerkraft austeilen oder wenn ein andrer mit der alten See¬
schlange, dem ?<zrpetum modilo kommen wollte, so könnte er nicht verlangen,
daß wir ihn berücksichtigten. Er zeige erst unzweifelhafte Erfolge, das ist doch
das mindeste, was man verlangen kann. Was hier behauptet wird, schließt
sich würdig an diese beiden Aufgaben an. Es widerspricht allem, was wir
bisher über den Zusammenhang der Dinge als feststehend angenommen haben.
Es ist ein Grundsatz, daß es keine ^vllo in ckisttrus giebt. Auch bei der Be¬
einflussung von zwei Atomen nimmt man an, daß eine Berührung stattfinden
müsse. Soll eine weitere Übertragung stattfinden, so geschieht es durch Ver¬
schiebung oder Umgriippirung bestimmter Atomreihen nach bestimmten Gesetzen.
Es ist unerhört, daß man ohne isolirte Leitung telegraphirt, daß man durch
Mauern sieht, daß man Gedanken liest, die sich durch nichts, auch nicht ein
Zucken des Auges oder des Pulses verrate". Wie soll so etwas auch uur denk¬
bar sein, mit welcher wissenschaftlichen Theorie soll es sich rechtfertigen lassen?

Die Freunde der Gedankenübertraguug verwahren sich dagegen, irgend eine
Theorie aufstellen zu wollen und sie thun Recht daran. Von der Beschaffenheit
geistiger Vorgänge, von der Art der Seele, von der Beziehung der Seele zum
Körper oder gar über ihn hinaus hat die exakte Wissenschaft keine Kenntnis.
Jeder Versuch einer Theorie würde auf ein sehr angreifbares Philosophem hinaus¬
laufen. Und in der That bericht auch bewußt oder unbewußt die ganze Frage
der Telepathie auf eiuer "Weltanschauung von monistischer Grundlage," wie
Du Pret in seiner Sphinx ausdrücklich hervorhebt.

Damit wollen also Riedel und seine Leute nichts zu thun haben. Sie üe-
guügeu sich damit, Vorgänge nachgewiesen zu haben, die mit unsern bisherigen
Mitteln unerklärbar sind, und die entweder als höchst merkwürdige Zufälle oder
als Wirkungen in die Ferne, als Gedankenttbertragnng und Hellsehen zu be-


Glenzboten I 1892 4
Gedankeuiibertragnng nach wissenschaftlicher Methode

die Bakteriologie, Harveys Entdeckung des Blutkreislaufes, Jenners Schutz-
pockenimpfnllg u. s. w. Besonders wird ans eine Äußerung in den Grenzboten
hingewiesen (Jahrgang 1890, Heft 27s die lautet: „Ich glaube an die hypno¬
tische Suggestion nicht, als bis ich einen Fall davon gesehen habe, und ich
werde einen solchen Fall niemals zu Gesicht bekommen, da ich mir dergleichen
Experimente niemals ansehe." Der Übersetzer fordert, daß man unter Anwen¬
dung aller Vorsichtsmaßregeln eine ernste kritische Nachprüfung vornehme, und
kommt zu dem Schlüsse: Entweder wird damit eine unerklärliche Verirrung
unsrer Zeit, eine psychische Epidemie außer Zweifel gestellt oder aber ein neues
fruchtbares Feld für deu Gedanken und fein Streben für wissenschaftliche Arbeit
gefordert.

Da wir fo ernstlich herausgefordert werden, für oder wider Partei zu er¬
greifen, so wollen wir uns die Sache einmal ansehen, obwohl wir und jeder-
mann, der wissenschaftlich zu denken versteht, das Recht habe», die ganze Unter¬
suchung von vornherein abzulehnen. Wenn jemand Untersuchungen über die
Aufhebung der Schwerkraft austeilen oder wenn ein andrer mit der alten See¬
schlange, dem ?<zrpetum modilo kommen wollte, so könnte er nicht verlangen,
daß wir ihn berücksichtigten. Er zeige erst unzweifelhafte Erfolge, das ist doch
das mindeste, was man verlangen kann. Was hier behauptet wird, schließt
sich würdig an diese beiden Aufgaben an. Es widerspricht allem, was wir
bisher über den Zusammenhang der Dinge als feststehend angenommen haben.
Es ist ein Grundsatz, daß es keine ^vllo in ckisttrus giebt. Auch bei der Be¬
einflussung von zwei Atomen nimmt man an, daß eine Berührung stattfinden
müsse. Soll eine weitere Übertragung stattfinden, so geschieht es durch Ver¬
schiebung oder Umgriippirung bestimmter Atomreihen nach bestimmten Gesetzen.
Es ist unerhört, daß man ohne isolirte Leitung telegraphirt, daß man durch
Mauern sieht, daß man Gedanken liest, die sich durch nichts, auch nicht ein
Zucken des Auges oder des Pulses verrate». Wie soll so etwas auch uur denk¬
bar sein, mit welcher wissenschaftlichen Theorie soll es sich rechtfertigen lassen?

Die Freunde der Gedankenübertraguug verwahren sich dagegen, irgend eine
Theorie aufstellen zu wollen und sie thun Recht daran. Von der Beschaffenheit
geistiger Vorgänge, von der Art der Seele, von der Beziehung der Seele zum
Körper oder gar über ihn hinaus hat die exakte Wissenschaft keine Kenntnis.
Jeder Versuch einer Theorie würde auf ein sehr angreifbares Philosophem hinaus¬
laufen. Und in der That bericht auch bewußt oder unbewußt die ganze Frage
der Telepathie auf eiuer „Weltanschauung von monistischer Grundlage," wie
Du Pret in seiner Sphinx ausdrücklich hervorhebt.

Damit wollen also Riedel und seine Leute nichts zu thun haben. Sie üe-
guügeu sich damit, Vorgänge nachgewiesen zu haben, die mit unsern bisherigen
Mitteln unerklärbar sind, und die entweder als höchst merkwürdige Zufälle oder
als Wirkungen in die Ferne, als Gedankenttbertragnng und Hellsehen zu be-


Glenzboten I 1892 4
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[0033] Gedankeuiibertragnng nach wissenschaftlicher Methode die Bakteriologie, Harveys Entdeckung des Blutkreislaufes, Jenners Schutz- pockenimpfnllg u. s. w. Besonders wird ans eine Äußerung in den Grenzboten hingewiesen (Jahrgang 1890, Heft 27s die lautet: „Ich glaube an die hypno¬ tische Suggestion nicht, als bis ich einen Fall davon gesehen habe, und ich werde einen solchen Fall niemals zu Gesicht bekommen, da ich mir dergleichen Experimente niemals ansehe." Der Übersetzer fordert, daß man unter Anwen¬ dung aller Vorsichtsmaßregeln eine ernste kritische Nachprüfung vornehme, und kommt zu dem Schlüsse: Entweder wird damit eine unerklärliche Verirrung unsrer Zeit, eine psychische Epidemie außer Zweifel gestellt oder aber ein neues fruchtbares Feld für deu Gedanken und fein Streben für wissenschaftliche Arbeit gefordert. Da wir fo ernstlich herausgefordert werden, für oder wider Partei zu er¬ greifen, so wollen wir uns die Sache einmal ansehen, obwohl wir und jeder- mann, der wissenschaftlich zu denken versteht, das Recht habe», die ganze Unter¬ suchung von vornherein abzulehnen. Wenn jemand Untersuchungen über die Aufhebung der Schwerkraft austeilen oder wenn ein andrer mit der alten See¬ schlange, dem ?<zrpetum modilo kommen wollte, so könnte er nicht verlangen, daß wir ihn berücksichtigten. Er zeige erst unzweifelhafte Erfolge, das ist doch das mindeste, was man verlangen kann. Was hier behauptet wird, schließt sich würdig an diese beiden Aufgaben an. Es widerspricht allem, was wir bisher über den Zusammenhang der Dinge als feststehend angenommen haben. Es ist ein Grundsatz, daß es keine ^vllo in ckisttrus giebt. Auch bei der Be¬ einflussung von zwei Atomen nimmt man an, daß eine Berührung stattfinden müsse. Soll eine weitere Übertragung stattfinden, so geschieht es durch Ver¬ schiebung oder Umgriippirung bestimmter Atomreihen nach bestimmten Gesetzen. Es ist unerhört, daß man ohne isolirte Leitung telegraphirt, daß man durch Mauern sieht, daß man Gedanken liest, die sich durch nichts, auch nicht ein Zucken des Auges oder des Pulses verrate». Wie soll so etwas auch uur denk¬ bar sein, mit welcher wissenschaftlichen Theorie soll es sich rechtfertigen lassen? Die Freunde der Gedankenübertraguug verwahren sich dagegen, irgend eine Theorie aufstellen zu wollen und sie thun Recht daran. Von der Beschaffenheit geistiger Vorgänge, von der Art der Seele, von der Beziehung der Seele zum Körper oder gar über ihn hinaus hat die exakte Wissenschaft keine Kenntnis. Jeder Versuch einer Theorie würde auf ein sehr angreifbares Philosophem hinaus¬ laufen. Und in der That bericht auch bewußt oder unbewußt die ganze Frage der Telepathie auf eiuer „Weltanschauung von monistischer Grundlage," wie Du Pret in seiner Sphinx ausdrücklich hervorhebt. Damit wollen also Riedel und seine Leute nichts zu thun haben. Sie üe- guügeu sich damit, Vorgänge nachgewiesen zu haben, die mit unsern bisherigen Mitteln unerklärbar sind, und die entweder als höchst merkwürdige Zufälle oder als Wirkungen in die Ferne, als Gedankenttbertragnng und Hellsehen zu be- Glenzboten I 1892 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/33>, abgerufen am 23.07.2024.