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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Hierauf hat min die Handlung Mayer und Müller (die übrigens gar
nicht bestreitet, ein Schleudergeschäft in dem obigen Sinne des Wortes betrieben
zu haben) gegen zwei in Berlin wohnhafte Mitglieder des Vorstandes, die die
gegen die Schleuderer gerichteten Erklärungen mit unterzeichnet hatten, wegen
der ihnen dadurch zugefügten geschäftlichen Nachteile Klage auf Schadenersatz
erhoben. Bei dem Landgerichte und bei dem Kammergerichte ist diese Klage
abgewiesen worden. Das Urteil des Landgerichts vom 23. Juni 1889 spricht
aus: "Beklagte haben, indem sie die fraglichen Maßregeln gegen die Klägerin
zur Ausführung brachten, nur gemäß Z 88 Einl. A. L.-R., die ihnen zu¬
stehenden Rechte in den gesetzlichen Schranken ausgeübt. Die Aufforderung
an die Verleger im Börsenblatt, über Klägerin vollständige Auslieferungssperre
eintreten zu lasten, ist, da sie weder formell noch materiell der klügerischen
Handlung zu nahe tritt, durchaus erlaubt, denn es wird dadurch weder ein
rechtlicher noch ein moralischer Zwang auf die Willensfreiheit der Verleger
ausgeübt; es bleibt einem jeden derselben überlasten, nach seinem Befinden
die Aufforderung zu befolgen oder sie abzulehnen." Das Urteil des Kammer¬
gerichts vom 4. März 1890 spricht aus: "Wenn der Vorstand an die Verleger
die Aufforderung erlassen hat, der Klägerin nichts mehr zu liefern, so kann
diese sich nicht darüber beschweren. Denn die Nichtlieferung war Sache der
freien Entschließung der Verleger, und wenn dadurch der Klägerin ein Vorteil
entging, so hatte sie doch auf diesen keinen Anspruch. Es bestand für ihn
nnr eine rechtlich nicht geschützte Aussicht, daß die Verleger den Geschäfts¬
verkehr mit ihr fortsetzen würden, und deshalb war die Aufforderung der
Beklagten, diesen Verkehr einzustellen, nicht widerrechtlich." Das sind sehr
klare und verständige Entscheidungsgründe, und man sollte glauben, sie wären
unwiderleglich.

Nun kam aber die Sache an das Reichsgericht, dessen erster Senat am
5. Juli 1890 ein Urteil gab. Dieses Urteil hob die Entscheidung des Kammer¬
gerichts auf und wies die Sache zur nochmaligen Verhandlung an die Vor¬
instanz zurück. In den Entscheidungsgründen wurde der Klagauspruch wenig-
steus teilweise sür begründet erklärt. Zwar wurde ausgesprochen, daß der
vom Börsenverein verfolgte Zweck, dem Schleuderbetriebe entgegenzutreten,
durchaus erlaubt sei. Aber das vom Börsenverein gewählte Mittel sei nicht
das richtige. Die Entscheidungsgründe, die dies darzulegen bestimmt sind,
müssen wir wörtlich hierher setzen, weil sonst aus ihrer Besprechung leicht der
Verdacht einer "Suggestion" hervorgehen könnte. Zugleich geben diese Ent-
scheidungsgründe (die übrigens nur etwa den fünften Teil des ganzen Urteils
ausmachen) ein Bild von der Sprache, in der sich das Urteil bewegt, ein
Punkt, auf den wir noch zurückkommen werden. Die Gründe lauten:

Ist seitens des Vorstandes des Biirsenvercms an seine Mitglieder die Auf¬
forderung ergangen, an die Klägerin überhaupt nichts mehr zu liefern, und ist


Grenzboten I 1892 11

Hierauf hat min die Handlung Mayer und Müller (die übrigens gar
nicht bestreitet, ein Schleudergeschäft in dem obigen Sinne des Wortes betrieben
zu haben) gegen zwei in Berlin wohnhafte Mitglieder des Vorstandes, die die
gegen die Schleuderer gerichteten Erklärungen mit unterzeichnet hatten, wegen
der ihnen dadurch zugefügten geschäftlichen Nachteile Klage auf Schadenersatz
erhoben. Bei dem Landgerichte und bei dem Kammergerichte ist diese Klage
abgewiesen worden. Das Urteil des Landgerichts vom 23. Juni 1889 spricht
aus: „Beklagte haben, indem sie die fraglichen Maßregeln gegen die Klägerin
zur Ausführung brachten, nur gemäß Z 88 Einl. A. L.-R., die ihnen zu¬
stehenden Rechte in den gesetzlichen Schranken ausgeübt. Die Aufforderung
an die Verleger im Börsenblatt, über Klägerin vollständige Auslieferungssperre
eintreten zu lasten, ist, da sie weder formell noch materiell der klügerischen
Handlung zu nahe tritt, durchaus erlaubt, denn es wird dadurch weder ein
rechtlicher noch ein moralischer Zwang auf die Willensfreiheit der Verleger
ausgeübt; es bleibt einem jeden derselben überlasten, nach seinem Befinden
die Aufforderung zu befolgen oder sie abzulehnen." Das Urteil des Kammer¬
gerichts vom 4. März 1890 spricht aus: „Wenn der Vorstand an die Verleger
die Aufforderung erlassen hat, der Klägerin nichts mehr zu liefern, so kann
diese sich nicht darüber beschweren. Denn die Nichtlieferung war Sache der
freien Entschließung der Verleger, und wenn dadurch der Klägerin ein Vorteil
entging, so hatte sie doch auf diesen keinen Anspruch. Es bestand für ihn
nnr eine rechtlich nicht geschützte Aussicht, daß die Verleger den Geschäfts¬
verkehr mit ihr fortsetzen würden, und deshalb war die Aufforderung der
Beklagten, diesen Verkehr einzustellen, nicht widerrechtlich." Das sind sehr
klare und verständige Entscheidungsgründe, und man sollte glauben, sie wären
unwiderleglich.

Nun kam aber die Sache an das Reichsgericht, dessen erster Senat am
5. Juli 1890 ein Urteil gab. Dieses Urteil hob die Entscheidung des Kammer¬
gerichts auf und wies die Sache zur nochmaligen Verhandlung an die Vor¬
instanz zurück. In den Entscheidungsgründen wurde der Klagauspruch wenig-
steus teilweise sür begründet erklärt. Zwar wurde ausgesprochen, daß der
vom Börsenverein verfolgte Zweck, dem Schleuderbetriebe entgegenzutreten,
durchaus erlaubt sei. Aber das vom Börsenverein gewählte Mittel sei nicht
das richtige. Die Entscheidungsgründe, die dies darzulegen bestimmt sind,
müssen wir wörtlich hierher setzen, weil sonst aus ihrer Besprechung leicht der
Verdacht einer „Suggestion" hervorgehen könnte. Zugleich geben diese Ent-
scheidungsgründe (die übrigens nur etwa den fünften Teil des ganzen Urteils
ausmachen) ein Bild von der Sprache, in der sich das Urteil bewegt, ein
Punkt, auf den wir noch zurückkommen werden. Die Gründe lauten:

Ist seitens des Vorstandes des Biirsenvercms an seine Mitglieder die Auf¬
forderung ergangen, an die Klägerin überhaupt nichts mehr zu liefern, und ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/329>, abgerufen am 23.07.2024.