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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

deuteten, das; nämlich katholischerseits das Bestreben herrschen werde, über die
Bestimmungen des Gesetzes hinauszugehen, ist bereits mit voller Schärfe
hervorgetreten. Man folgert und fordert, das;, wer das Recht hat, eine Er¬
laubnis zu erteilen, zugleich das Recht habe, sie zurückzuziehen. Mit Geneh¬
migung des Regierungspräsidenten -- pole-se tolsr-rri, aber lieber ohne sie.
Herr Graf Zedlitz verwies in der Donnerstagssitzung voriger Woche auf das
badische Schulgesetz vom Jahre 1888, worin es heißt: Der Religionsunter¬
richt wird von der Kirche und den Religionsgemeinschaften besorgt und über¬
wacht. Die Geistlichen werden durch den zum Religionsunterricht als befähigt
erklärten Lehrer unterstützt. Den geistlichen wie den staatlichen Behörden ist es
vorbehalten, in bestimmten Fällen den Religionsunterricht nicht mehr durch
den Lehrer erteilen zu lassen. Dies geht also noch über den preußischen Ent¬
wurf hinaus, enthält aber ein Wort, das auch für den Entwurf wichtig ist
und zur Verständigung führen konnte: "in bestimmten Fällen." Dasselbe gilt
vom Privatunterricht. Wenn auch hier bestimmte Fälle festgesetzt werden,
wie Störung des konfessionellen oder staatlichen Friedens, bei denen die Privat¬
schule geschlossen werden kann, so dürfte die konservative Partei ihren Wider¬
spruch gegen diesen Paragraphen fallen lassen können. Die übrigen vorgebrachten
Bedenken sind technischer Natur und nicht von ausschlaggebender Bedeutung.

Es wäre sehr wünschenswert, wenn ein Gesetz wie das Schulgesetz von
einer Mehrheit, die alle monarchischen Parteien umfaßt, angenommen werden
konnte. Aber es scheint unmöglich zu sein. Der Streit dreht sich um die
Religion. Was heißt alles Religion! Hier eine Kirchensatzung, dort ein
Lehrbegriff, da ein Zeitbewußtsein, dort eine Philosophie. Man spricht die
Forderung aus, daß der Staat die Religion als Staatssache auffassen soll.
Und es giebt wirklich eine solche Staatsreligion, der der !no.or Mri-ro das
höchste Gut und Neujahr und Königs Geburtstag die höchsten Feste sind. Diese
Anschauung ist der positiven Religion feindlicher, als die darüber hinaus¬
gehende, die die Religion als Privatsache ansieht. Eine Einigung dürfte also
hier unmöglich sein. Aber wäre es darum uicht besser gewesen, das Schul¬
gesetz noch zu vertagen? Es kommt aber noch die ernstere Frage hinzu: Er¬
wartet man nicht vielleicht von der Schule, mag sie nun konfessionell sein
oder nicht, mehr, als sie zu leisten vermag?




Maßgebliches und Unmaßgebliches
. Eine Doktorfrage.

. In Nummer 4 der Grenzboten heißt es, der medi¬
zinische Doktortitel sei nicht mehr der Lohn eines schwierigen Examens, sondern
nnr noch eine Arabeske, die den Praktischen Arzt zieren solle, der Wissenschaft


Maßgebliches und Unmaßgebliches

deuteten, das; nämlich katholischerseits das Bestreben herrschen werde, über die
Bestimmungen des Gesetzes hinauszugehen, ist bereits mit voller Schärfe
hervorgetreten. Man folgert und fordert, das;, wer das Recht hat, eine Er¬
laubnis zu erteilen, zugleich das Recht habe, sie zurückzuziehen. Mit Geneh¬
migung des Regierungspräsidenten — pole-se tolsr-rri, aber lieber ohne sie.
Herr Graf Zedlitz verwies in der Donnerstagssitzung voriger Woche auf das
badische Schulgesetz vom Jahre 1888, worin es heißt: Der Religionsunter¬
richt wird von der Kirche und den Religionsgemeinschaften besorgt und über¬
wacht. Die Geistlichen werden durch den zum Religionsunterricht als befähigt
erklärten Lehrer unterstützt. Den geistlichen wie den staatlichen Behörden ist es
vorbehalten, in bestimmten Fällen den Religionsunterricht nicht mehr durch
den Lehrer erteilen zu lassen. Dies geht also noch über den preußischen Ent¬
wurf hinaus, enthält aber ein Wort, das auch für den Entwurf wichtig ist
und zur Verständigung führen konnte: „in bestimmten Fällen." Dasselbe gilt
vom Privatunterricht. Wenn auch hier bestimmte Fälle festgesetzt werden,
wie Störung des konfessionellen oder staatlichen Friedens, bei denen die Privat¬
schule geschlossen werden kann, so dürfte die konservative Partei ihren Wider¬
spruch gegen diesen Paragraphen fallen lassen können. Die übrigen vorgebrachten
Bedenken sind technischer Natur und nicht von ausschlaggebender Bedeutung.

Es wäre sehr wünschenswert, wenn ein Gesetz wie das Schulgesetz von
einer Mehrheit, die alle monarchischen Parteien umfaßt, angenommen werden
konnte. Aber es scheint unmöglich zu sein. Der Streit dreht sich um die
Religion. Was heißt alles Religion! Hier eine Kirchensatzung, dort ein
Lehrbegriff, da ein Zeitbewußtsein, dort eine Philosophie. Man spricht die
Forderung aus, daß der Staat die Religion als Staatssache auffassen soll.
Und es giebt wirklich eine solche Staatsreligion, der der !no.or Mri-ro das
höchste Gut und Neujahr und Königs Geburtstag die höchsten Feste sind. Diese
Anschauung ist der positiven Religion feindlicher, als die darüber hinaus¬
gehende, die die Religion als Privatsache ansieht. Eine Einigung dürfte also
hier unmöglich sein. Aber wäre es darum uicht besser gewesen, das Schul¬
gesetz noch zu vertagen? Es kommt aber noch die ernstere Frage hinzu: Er¬
wartet man nicht vielleicht von der Schule, mag sie nun konfessionell sein
oder nicht, mehr, als sie zu leisten vermag?




Maßgebliches und Unmaßgebliches
. Eine Doktorfrage.

. In Nummer 4 der Grenzboten heißt es, der medi¬
zinische Doktortitel sei nicht mehr der Lohn eines schwierigen Examens, sondern
nnr noch eine Arabeske, die den Praktischen Arzt zieren solle, der Wissenschaft


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[0319] Maßgebliches und Unmaßgebliches deuteten, das; nämlich katholischerseits das Bestreben herrschen werde, über die Bestimmungen des Gesetzes hinauszugehen, ist bereits mit voller Schärfe hervorgetreten. Man folgert und fordert, das;, wer das Recht hat, eine Er¬ laubnis zu erteilen, zugleich das Recht habe, sie zurückzuziehen. Mit Geneh¬ migung des Regierungspräsidenten — pole-se tolsr-rri, aber lieber ohne sie. Herr Graf Zedlitz verwies in der Donnerstagssitzung voriger Woche auf das badische Schulgesetz vom Jahre 1888, worin es heißt: Der Religionsunter¬ richt wird von der Kirche und den Religionsgemeinschaften besorgt und über¬ wacht. Die Geistlichen werden durch den zum Religionsunterricht als befähigt erklärten Lehrer unterstützt. Den geistlichen wie den staatlichen Behörden ist es vorbehalten, in bestimmten Fällen den Religionsunterricht nicht mehr durch den Lehrer erteilen zu lassen. Dies geht also noch über den preußischen Ent¬ wurf hinaus, enthält aber ein Wort, das auch für den Entwurf wichtig ist und zur Verständigung führen konnte: „in bestimmten Fällen." Dasselbe gilt vom Privatunterricht. Wenn auch hier bestimmte Fälle festgesetzt werden, wie Störung des konfessionellen oder staatlichen Friedens, bei denen die Privat¬ schule geschlossen werden kann, so dürfte die konservative Partei ihren Wider¬ spruch gegen diesen Paragraphen fallen lassen können. Die übrigen vorgebrachten Bedenken sind technischer Natur und nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Es wäre sehr wünschenswert, wenn ein Gesetz wie das Schulgesetz von einer Mehrheit, die alle monarchischen Parteien umfaßt, angenommen werden konnte. Aber es scheint unmöglich zu sein. Der Streit dreht sich um die Religion. Was heißt alles Religion! Hier eine Kirchensatzung, dort ein Lehrbegriff, da ein Zeitbewußtsein, dort eine Philosophie. Man spricht die Forderung aus, daß der Staat die Religion als Staatssache auffassen soll. Und es giebt wirklich eine solche Staatsreligion, der der !no.or Mri-ro das höchste Gut und Neujahr und Königs Geburtstag die höchsten Feste sind. Diese Anschauung ist der positiven Religion feindlicher, als die darüber hinaus¬ gehende, die die Religion als Privatsache ansieht. Eine Einigung dürfte also hier unmöglich sein. Aber wäre es darum uicht besser gewesen, das Schul¬ gesetz noch zu vertagen? Es kommt aber noch die ernstere Frage hinzu: Er¬ wartet man nicht vielleicht von der Schule, mag sie nun konfessionell sein oder nicht, mehr, als sie zu leisten vermag? Maßgebliches und Unmaßgebliches . Eine Doktorfrage. . In Nummer 4 der Grenzboten heißt es, der medi¬ zinische Doktortitel sei nicht mehr der Lohn eines schwierigen Examens, sondern nnr noch eine Arabeske, die den Praktischen Arzt zieren solle, der Wissenschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/319>, abgerufen am 23.07.2024.