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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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war, in der Seele des Knaben heroische Tugenden zu erwecken. Er wurde
von den sechzehnjähriger Mädchen geradezu verhätschelt und verzärtelt. "Bei
meiner Ankunft, erzählt er, lief mir die ganze weibliche Herde entgegen und
empfing mich mit solchem Freudengeschrei und so vielen Zärtlichkeiten, daß
ich über meine Reise ganz glücklich war. Ich dachte übrigens, daß mein
Aufenthalt mir von kurzer Dauer sei" würde, und bedauerte schon im Ge¬
heimen, daß ich nicht länger mit den jungen Dame" zusammen sein könnte.
Meine Mutter reiste fort und begab sich zu meinem Onkel. Die Ereignisse
nahmen einen rasend schnellen Verlauf. Die Schreckenszeit brachte Tod und
Verderben über Frankreich. Der Bürgerkrieg brach aus in der Vendee und
der Bretagne. Es war unmöglich, eine Reise zu unternehmen. Mein Bater
kämpfte in dieser Zeit in den Pyrenäen und in Spanien, wo ihn seine Fähig¬
keiten und sein Mut zum Range eines Divisionsgeuerals erhoben hatten. Es
waren Jahre des reinsten Glückes, die ich dort im Mädchenpensionat ver¬
brachte. Als ich viele Jahre später Gressets Geschichte Verd-Verd las, rief
ich ans: So gerade ging es mir im Pensionat von Türenne. Wie er (der
Papagei) wurde auch ich von den Lehrerinnen und den jungen Mädchen ver¬
wöhnt. Ich brauchte mir einen Wunsch auszusprechen, und er wurde erfüllt;
nichts war gut und schön genug sür mich. In den Erholungspausen, die in
einem großen Park stattfanden, bekränzten mich die Mädchen mit Blumen,
stellten mich ans eine mit Rosen bedeckte Trage und gingen mit mir singend
umher. Ich erinnere mich, daß die Vorsteherin bei der Nachricht von der
Hinrichtung des Königs das ganze Pensionat niederknieen ließ, um für die Seelen¬
ruhe des unglücklichen Fürsten zu beten. Ein unüberlegtes Wort hierüber
hätte uns große Unannehmlichkeiten bereiten können; aber alle Schülerinnen
waren in dein Alter, die Gefahr zu begreifen, und auch ich ahnte, daß man
nichts darüber reden durfte."

Zwölf Jahre alt kam Marcellin auf die Militärschule von Svrc;ze, wo
er eiuen tiefen Widerwillen gegen die inspizirenden Volksvertreter einsog. Im
Jahre 1799 trat er als gemeiner Soldat in das erste Husarenregiment, das
zu der von seinem Bater befehligten Division gehörte und bald nach Italien
rückte. Zu den Generalen dieser italienischen Armee gehörten damals Leute,
die nur durch furchtlose Tapferkeit oder durch irgendwelchen Zufall aus
der militärischen Stufenleiter emporgeklommen, ihrer ganzen Bildung nach aber
wenig zu solcher Stellung geschaffen waren. So erzählt Marbvt vom General
Maeard sehr komische Dinge. Bevor dieser seine Truppen in die Schlacht
führte, pflegte er auszurufen: ^it0i>8, Sö on8 in'Im!>i>Jor vn bi>ix>! Dann zog er
Rock, Weste und Hemd aus und behielt "ur seine" Federhut, die Lederhosen
und die gewaltigen Stiefel an. So bis zum Gürtel nackt, zeigte er einen
behaarten Körper wie ein Bär, was seiner Person etwas Abschreckendes gab.
"Als Bestie verkleidet," stürzte er sich mit dem Säbel in der Faust auf die


war, in der Seele des Knaben heroische Tugenden zu erwecken. Er wurde
von den sechzehnjähriger Mädchen geradezu verhätschelt und verzärtelt. „Bei
meiner Ankunft, erzählt er, lief mir die ganze weibliche Herde entgegen und
empfing mich mit solchem Freudengeschrei und so vielen Zärtlichkeiten, daß
ich über meine Reise ganz glücklich war. Ich dachte übrigens, daß mein
Aufenthalt mir von kurzer Dauer sei» würde, und bedauerte schon im Ge¬
heimen, daß ich nicht länger mit den jungen Dame» zusammen sein könnte.
Meine Mutter reiste fort und begab sich zu meinem Onkel. Die Ereignisse
nahmen einen rasend schnellen Verlauf. Die Schreckenszeit brachte Tod und
Verderben über Frankreich. Der Bürgerkrieg brach aus in der Vendee und
der Bretagne. Es war unmöglich, eine Reise zu unternehmen. Mein Bater
kämpfte in dieser Zeit in den Pyrenäen und in Spanien, wo ihn seine Fähig¬
keiten und sein Mut zum Range eines Divisionsgeuerals erhoben hatten. Es
waren Jahre des reinsten Glückes, die ich dort im Mädchenpensionat ver¬
brachte. Als ich viele Jahre später Gressets Geschichte Verd-Verd las, rief
ich ans: So gerade ging es mir im Pensionat von Türenne. Wie er (der
Papagei) wurde auch ich von den Lehrerinnen und den jungen Mädchen ver¬
wöhnt. Ich brauchte mir einen Wunsch auszusprechen, und er wurde erfüllt;
nichts war gut und schön genug sür mich. In den Erholungspausen, die in
einem großen Park stattfanden, bekränzten mich die Mädchen mit Blumen,
stellten mich ans eine mit Rosen bedeckte Trage und gingen mit mir singend
umher. Ich erinnere mich, daß die Vorsteherin bei der Nachricht von der
Hinrichtung des Königs das ganze Pensionat niederknieen ließ, um für die Seelen¬
ruhe des unglücklichen Fürsten zu beten. Ein unüberlegtes Wort hierüber
hätte uns große Unannehmlichkeiten bereiten können; aber alle Schülerinnen
waren in dein Alter, die Gefahr zu begreifen, und auch ich ahnte, daß man
nichts darüber reden durfte."

Zwölf Jahre alt kam Marcellin auf die Militärschule von Svrc;ze, wo
er eiuen tiefen Widerwillen gegen die inspizirenden Volksvertreter einsog. Im
Jahre 1799 trat er als gemeiner Soldat in das erste Husarenregiment, das
zu der von seinem Bater befehligten Division gehörte und bald nach Italien
rückte. Zu den Generalen dieser italienischen Armee gehörten damals Leute,
die nur durch furchtlose Tapferkeit oder durch irgendwelchen Zufall aus
der militärischen Stufenleiter emporgeklommen, ihrer ganzen Bildung nach aber
wenig zu solcher Stellung geschaffen waren. So erzählt Marbvt vom General
Maeard sehr komische Dinge. Bevor dieser seine Truppen in die Schlacht
führte, pflegte er auszurufen: ^it0i>8, Sö on8 in'Im!>i>Jor vn bi>ix>! Dann zog er
Rock, Weste und Hemd aus und behielt »ur seine» Federhut, die Lederhosen
und die gewaltigen Stiefel an. So bis zum Gürtel nackt, zeigte er einen
behaarten Körper wie ein Bär, was seiner Person etwas Abschreckendes gab.
„Als Bestie verkleidet," stürzte er sich mit dem Säbel in der Faust auf die


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[0307] war, in der Seele des Knaben heroische Tugenden zu erwecken. Er wurde von den sechzehnjähriger Mädchen geradezu verhätschelt und verzärtelt. „Bei meiner Ankunft, erzählt er, lief mir die ganze weibliche Herde entgegen und empfing mich mit solchem Freudengeschrei und so vielen Zärtlichkeiten, daß ich über meine Reise ganz glücklich war. Ich dachte übrigens, daß mein Aufenthalt mir von kurzer Dauer sei» würde, und bedauerte schon im Ge¬ heimen, daß ich nicht länger mit den jungen Dame» zusammen sein könnte. Meine Mutter reiste fort und begab sich zu meinem Onkel. Die Ereignisse nahmen einen rasend schnellen Verlauf. Die Schreckenszeit brachte Tod und Verderben über Frankreich. Der Bürgerkrieg brach aus in der Vendee und der Bretagne. Es war unmöglich, eine Reise zu unternehmen. Mein Bater kämpfte in dieser Zeit in den Pyrenäen und in Spanien, wo ihn seine Fähig¬ keiten und sein Mut zum Range eines Divisionsgeuerals erhoben hatten. Es waren Jahre des reinsten Glückes, die ich dort im Mädchenpensionat ver¬ brachte. Als ich viele Jahre später Gressets Geschichte Verd-Verd las, rief ich ans: So gerade ging es mir im Pensionat von Türenne. Wie er (der Papagei) wurde auch ich von den Lehrerinnen und den jungen Mädchen ver¬ wöhnt. Ich brauchte mir einen Wunsch auszusprechen, und er wurde erfüllt; nichts war gut und schön genug sür mich. In den Erholungspausen, die in einem großen Park stattfanden, bekränzten mich die Mädchen mit Blumen, stellten mich ans eine mit Rosen bedeckte Trage und gingen mit mir singend umher. Ich erinnere mich, daß die Vorsteherin bei der Nachricht von der Hinrichtung des Königs das ganze Pensionat niederknieen ließ, um für die Seelen¬ ruhe des unglücklichen Fürsten zu beten. Ein unüberlegtes Wort hierüber hätte uns große Unannehmlichkeiten bereiten können; aber alle Schülerinnen waren in dein Alter, die Gefahr zu begreifen, und auch ich ahnte, daß man nichts darüber reden durfte." Zwölf Jahre alt kam Marcellin auf die Militärschule von Svrc;ze, wo er eiuen tiefen Widerwillen gegen die inspizirenden Volksvertreter einsog. Im Jahre 1799 trat er als gemeiner Soldat in das erste Husarenregiment, das zu der von seinem Bater befehligten Division gehörte und bald nach Italien rückte. Zu den Generalen dieser italienischen Armee gehörten damals Leute, die nur durch furchtlose Tapferkeit oder durch irgendwelchen Zufall aus der militärischen Stufenleiter emporgeklommen, ihrer ganzen Bildung nach aber wenig zu solcher Stellung geschaffen waren. So erzählt Marbvt vom General Maeard sehr komische Dinge. Bevor dieser seine Truppen in die Schlacht führte, pflegte er auszurufen: ^it0i>8, Sö on8 in'Im!>i>Jor vn bi>ix>! Dann zog er Rock, Weste und Hemd aus und behielt »ur seine» Federhut, die Lederhosen und die gewaltigen Stiefel an. So bis zum Gürtel nackt, zeigte er einen behaarten Körper wie ein Bär, was seiner Person etwas Abschreckendes gab. „Als Bestie verkleidet," stürzte er sich mit dem Säbel in der Faust auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/307>, abgerufen am 23.07.2024.