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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen in unserm höhern Schulwesen

gelang, da bildeten sich gesonderte "Ritterakademien," und bereits regte sich
der Gedanke der "Realschule."

Kein Zweifel: trotz aller Rückschläge und Verluste war die Nation wieder
im Aufstreben, und sie fühlte das: Ereignisse, wie die Wegnahme Straßburgs
oder die Verwüstung der Pfalz, erregten durch ganz Deutschland leidenschaftliche
Entrüstung. Aber über die Wege, die zu einer Erneuerung der verfallnen
Reichsordnung führten, bestand keinerlei feste Meinung, und als Friedrich II.
mit der Begründung der preußischen Großmacht die Grundlage für diese Neu¬
gestaltung schuf, da fehlte den Zeitgenossen das historische Verständnis dieser
Thatsache um so mehr, als der große König sein Werk im feindlichen Wider¬
spruche mit den alten Neichsvrdnungen und im heftigen Kampfe mit halb
Deutschland aufrichtete und verteidigte. Auch die Kräftigung des deutscheu
Selbstbewußtseins knüpfte sich ausschließlich an die Bewunderung seiner Per¬
sönlichkeit, sie war deshalb vorübergehend und nicht allgemein. Die Deutsche"
als solche hatten noch immer kein Vaterland, und ^essiug war völlig im
Rechte, wenn er ihnen noch nach dem siebenjährigen Kriege die Bezeichnung
einer "Nation" rundweg absprach. Inmitten nnn dieses von alten und neuen
Gegensätzen zerklüftete" Volkes erhob sich eine neue Form oder vielmehr eine
neue Auffassung der Monarchie. Für sie war das Fürstentum nicht nur und
nicht vorzugsweise, wie im vorhergehenden Jahrhundert, ein Inbegriff von
Rechten, sondern von Pflichten. In solcher Auffassung schuf sie Großes mit
einem zweckmüßig geschulten und musterhaften Beamtentume, das sich als ein
geschlossener Stand fühlte, aber die besten Kräfte aller Bevölkerungsklassen in
sich aufnahm. Sie verhinderte die völlige Knechtung des Bauernstandes und
bereitete seine zukünftige Befreiung vor, sie ermöglichte durch ihre energische
und planvolle Volkswirtschaftspolitik die Entstehung eines wohlhabenden
bürgerlichen Mittelstandes, der freilich am Welthandel noch keinen selbständigen
Anteil zu gewinnen vermochte, sie zwang alle Stunde unbedingt unter den
Willen des Staates, ja sie schrieb jedem seine Aufgabe gebieterisch vor, ver¬
langte von jedem Einzelnen nur Gehorsam und Arbeit, sie erzog also den
Staatsangehörigen nur zu einem Unterthanen, einem Privatmenschen, durchaus
noch nicht zum Staatsbürger. Sie stand dabei unter der Herrschaft einer
ganz bestimmten theoretischen Anschauung, die ihr als "Aufklärung" schlecht¬
weg erschien. Die ganze Zeit glaubte an Ideale, die ein für allemal, für alle
Völker, Zeiten und Kulturstufen giltig seien, an eine Vernunftreligion und
ein Vernunftrecht. In diesem Glauben rüumte sie vielfach radikal auf mit
den überlebten Resten der Vergangenheit, die ihr als sinnlos und unbe¬
rechtigt erschienen, und eine Menge schwerer Übelstände wurde so beseitigt, ein
natürlicher und gesunder Rückschlag eingeleitet. Freilich verfuhr diese aufge¬
klärte Staatskunst durch und durch despotisch, sie entbehrte jedes Verständnisses
historischer Entwicklung und volkstümlicher Eigenart, sie stellte nur zu oft die


Wandlungen in unserm höhern Schulwesen

gelang, da bildeten sich gesonderte „Ritterakademien," und bereits regte sich
der Gedanke der „Realschule."

Kein Zweifel: trotz aller Rückschläge und Verluste war die Nation wieder
im Aufstreben, und sie fühlte das: Ereignisse, wie die Wegnahme Straßburgs
oder die Verwüstung der Pfalz, erregten durch ganz Deutschland leidenschaftliche
Entrüstung. Aber über die Wege, die zu einer Erneuerung der verfallnen
Reichsordnung führten, bestand keinerlei feste Meinung, und als Friedrich II.
mit der Begründung der preußischen Großmacht die Grundlage für diese Neu¬
gestaltung schuf, da fehlte den Zeitgenossen das historische Verständnis dieser
Thatsache um so mehr, als der große König sein Werk im feindlichen Wider¬
spruche mit den alten Neichsvrdnungen und im heftigen Kampfe mit halb
Deutschland aufrichtete und verteidigte. Auch die Kräftigung des deutscheu
Selbstbewußtseins knüpfte sich ausschließlich an die Bewunderung seiner Per¬
sönlichkeit, sie war deshalb vorübergehend und nicht allgemein. Die Deutsche»
als solche hatten noch immer kein Vaterland, und ^essiug war völlig im
Rechte, wenn er ihnen noch nach dem siebenjährigen Kriege die Bezeichnung
einer „Nation" rundweg absprach. Inmitten nnn dieses von alten und neuen
Gegensätzen zerklüftete« Volkes erhob sich eine neue Form oder vielmehr eine
neue Auffassung der Monarchie. Für sie war das Fürstentum nicht nur und
nicht vorzugsweise, wie im vorhergehenden Jahrhundert, ein Inbegriff von
Rechten, sondern von Pflichten. In solcher Auffassung schuf sie Großes mit
einem zweckmüßig geschulten und musterhaften Beamtentume, das sich als ein
geschlossener Stand fühlte, aber die besten Kräfte aller Bevölkerungsklassen in
sich aufnahm. Sie verhinderte die völlige Knechtung des Bauernstandes und
bereitete seine zukünftige Befreiung vor, sie ermöglichte durch ihre energische
und planvolle Volkswirtschaftspolitik die Entstehung eines wohlhabenden
bürgerlichen Mittelstandes, der freilich am Welthandel noch keinen selbständigen
Anteil zu gewinnen vermochte, sie zwang alle Stunde unbedingt unter den
Willen des Staates, ja sie schrieb jedem seine Aufgabe gebieterisch vor, ver¬
langte von jedem Einzelnen nur Gehorsam und Arbeit, sie erzog also den
Staatsangehörigen nur zu einem Unterthanen, einem Privatmenschen, durchaus
noch nicht zum Staatsbürger. Sie stand dabei unter der Herrschaft einer
ganz bestimmten theoretischen Anschauung, die ihr als „Aufklärung" schlecht¬
weg erschien. Die ganze Zeit glaubte an Ideale, die ein für allemal, für alle
Völker, Zeiten und Kulturstufen giltig seien, an eine Vernunftreligion und
ein Vernunftrecht. In diesem Glauben rüumte sie vielfach radikal auf mit
den überlebten Resten der Vergangenheit, die ihr als sinnlos und unbe¬
rechtigt erschienen, und eine Menge schwerer Übelstände wurde so beseitigt, ein
natürlicher und gesunder Rückschlag eingeleitet. Freilich verfuhr diese aufge¬
klärte Staatskunst durch und durch despotisch, sie entbehrte jedes Verständnisses
historischer Entwicklung und volkstümlicher Eigenart, sie stellte nur zu oft die


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[0295] Wandlungen in unserm höhern Schulwesen gelang, da bildeten sich gesonderte „Ritterakademien," und bereits regte sich der Gedanke der „Realschule." Kein Zweifel: trotz aller Rückschläge und Verluste war die Nation wieder im Aufstreben, und sie fühlte das: Ereignisse, wie die Wegnahme Straßburgs oder die Verwüstung der Pfalz, erregten durch ganz Deutschland leidenschaftliche Entrüstung. Aber über die Wege, die zu einer Erneuerung der verfallnen Reichsordnung führten, bestand keinerlei feste Meinung, und als Friedrich II. mit der Begründung der preußischen Großmacht die Grundlage für diese Neu¬ gestaltung schuf, da fehlte den Zeitgenossen das historische Verständnis dieser Thatsache um so mehr, als der große König sein Werk im feindlichen Wider¬ spruche mit den alten Neichsvrdnungen und im heftigen Kampfe mit halb Deutschland aufrichtete und verteidigte. Auch die Kräftigung des deutscheu Selbstbewußtseins knüpfte sich ausschließlich an die Bewunderung seiner Per¬ sönlichkeit, sie war deshalb vorübergehend und nicht allgemein. Die Deutsche» als solche hatten noch immer kein Vaterland, und ^essiug war völlig im Rechte, wenn er ihnen noch nach dem siebenjährigen Kriege die Bezeichnung einer „Nation" rundweg absprach. Inmitten nnn dieses von alten und neuen Gegensätzen zerklüftete« Volkes erhob sich eine neue Form oder vielmehr eine neue Auffassung der Monarchie. Für sie war das Fürstentum nicht nur und nicht vorzugsweise, wie im vorhergehenden Jahrhundert, ein Inbegriff von Rechten, sondern von Pflichten. In solcher Auffassung schuf sie Großes mit einem zweckmüßig geschulten und musterhaften Beamtentume, das sich als ein geschlossener Stand fühlte, aber die besten Kräfte aller Bevölkerungsklassen in sich aufnahm. Sie verhinderte die völlige Knechtung des Bauernstandes und bereitete seine zukünftige Befreiung vor, sie ermöglichte durch ihre energische und planvolle Volkswirtschaftspolitik die Entstehung eines wohlhabenden bürgerlichen Mittelstandes, der freilich am Welthandel noch keinen selbständigen Anteil zu gewinnen vermochte, sie zwang alle Stunde unbedingt unter den Willen des Staates, ja sie schrieb jedem seine Aufgabe gebieterisch vor, ver¬ langte von jedem Einzelnen nur Gehorsam und Arbeit, sie erzog also den Staatsangehörigen nur zu einem Unterthanen, einem Privatmenschen, durchaus noch nicht zum Staatsbürger. Sie stand dabei unter der Herrschaft einer ganz bestimmten theoretischen Anschauung, die ihr als „Aufklärung" schlecht¬ weg erschien. Die ganze Zeit glaubte an Ideale, die ein für allemal, für alle Völker, Zeiten und Kulturstufen giltig seien, an eine Vernunftreligion und ein Vernunftrecht. In diesem Glauben rüumte sie vielfach radikal auf mit den überlebten Resten der Vergangenheit, die ihr als sinnlos und unbe¬ rechtigt erschienen, und eine Menge schwerer Übelstände wurde so beseitigt, ein natürlicher und gesunder Rückschlag eingeleitet. Freilich verfuhr diese aufge¬ klärte Staatskunst durch und durch despotisch, sie entbehrte jedes Verständnisses historischer Entwicklung und volkstümlicher Eigenart, sie stellte nur zu oft die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/295>, abgerufen am 23.07.2024.