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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Gütern oder Einkünften ausgestattet, mit Ausnahme etwa der sächsischen
Fürstenschuleu und der württembergischen Stiftsschulen überwiegend städtischen
Patronats, daher jede auf sich selbst gestellt, obwohl eine fast unbeschränkte,
auch durch die Staatsgrenze" keineswegs beengte Freizügigkeit der Lehrer sie
immer wieder unter sich verband, hatten sie die künftigen Geistlichen und Lehrer,
Richter und Verwaltungsbeamten zu bilden, überhaupt alle auszunehmen, die
über bloße Elemeutarkenntnisse hinansstrebten. Da nun zwar der deutsche
Staat und die evangelischen Landeskirchen damals schon deutsch sprachen, die
Wissenschaft sich aber noch ganz, der diplomatische Verkehr wenigstens zum
großen Teile des Lateinischen bediente, überdies als Quelle" des Wissens aus¬
schließlich noch die Alten galten, so war eben das damalige Gymnasium reine
Lateinschule, es verfolgte als wichtigsten, fast ausschließliche" Zweck uicht etwa
die Einführung in die antike Kultur, deren geschichtliches Verständnis dieser
Zeit ja noch gänzlich abging, sondern die praktische Übung im Latein, es Wollte
lateinisch schreibende Gelehrte, Redner und Dichter bilden, ganz wie im Mittel¬
alter, nur mit dem Unterschiede, daß diese Übungen jetzt mit bessern Lehr¬
büchern und auf Grund der Lektüre der klassischen Schriftsteller selber betrieben
wurden. Das Griechische wurde nur des Neuen Testaments halber gelehrt.
Die Muttersprache war ausgeschlossen, selbst ihr Gebrauch in der Schule ge¬
ächtet, die Realien kamen, kaum in Betracht, denn sie waren in der That noch
nicht so weit in sich selber gefestigt und geordnet, daß sie als Bildungsmittel
hätten Verwendung finden können. So stellte z. B. Jakob Sturm in Straßburg
seine Schule hin. Die Abgrenzung nach der Universität hin wurde schärfer; die
Gelehrtenschule, oft schon Gymnasium genannt, übernahm dabei aber einen guten
Teil dessen, was früher die artistische Fakultät geleistet hatte. Diese protestan¬
tische Lateinschule war thatsächlich die Einheitsschule für die höhern Stände,
auch für den Adel, der sich jetzt mehr und mehr der wissenschaftlichen Bildung
zuwandte, und sie war es in noch höherm Grade als die mittelalterliche,
denn entsprechend dein evangelischen Kirchenbegriff war im protestantischen
Deutschland jeder Unterschied zwischen der Ausbildung der Geistlichen und der
Laien aufgehoben, und zwar für immer, eine der bedeutsamsten und folgen¬
reichsten Umgestaltungen, die die Reformation bewirkt hat. Anders im katho¬
lischen Deutschland. Die Jesuiten, die hier seit der Mitte des siebzehnten Jahr¬
hunderts die Erziehung der höhern Stunde in die Hand nahmen, bauten ihre
Schule ganz auf dieselbe" Grundsätze, wie Johann Sturm, aber sie dehnten
die geistliche Schule auch auf die Laien ans und erzogen sie ausschließlich oder
Kor allem zu Söhnen der Mutter Kirche, uicht zu Bürgern eines bestimmten
Staates, eine ganz folgerichtige Fortbildung der katholischen Idee. Überlegen
blieb das protestantische Deutschland in der Volksschule, deren Begründung
sich mit Notwendigkeit ans dem evangelischen Kirchenbegriffe ergab. Nur in
ihr kam die nationale Tendenz Luthers zu wirklicher Entfaltung.


Gütern oder Einkünften ausgestattet, mit Ausnahme etwa der sächsischen
Fürstenschuleu und der württembergischen Stiftsschulen überwiegend städtischen
Patronats, daher jede auf sich selbst gestellt, obwohl eine fast unbeschränkte,
auch durch die Staatsgrenze« keineswegs beengte Freizügigkeit der Lehrer sie
immer wieder unter sich verband, hatten sie die künftigen Geistlichen und Lehrer,
Richter und Verwaltungsbeamten zu bilden, überhaupt alle auszunehmen, die
über bloße Elemeutarkenntnisse hinansstrebten. Da nun zwar der deutsche
Staat und die evangelischen Landeskirchen damals schon deutsch sprachen, die
Wissenschaft sich aber noch ganz, der diplomatische Verkehr wenigstens zum
großen Teile des Lateinischen bediente, überdies als Quelle» des Wissens aus¬
schließlich noch die Alten galten, so war eben das damalige Gymnasium reine
Lateinschule, es verfolgte als wichtigsten, fast ausschließliche» Zweck uicht etwa
die Einführung in die antike Kultur, deren geschichtliches Verständnis dieser
Zeit ja noch gänzlich abging, sondern die praktische Übung im Latein, es Wollte
lateinisch schreibende Gelehrte, Redner und Dichter bilden, ganz wie im Mittel¬
alter, nur mit dem Unterschiede, daß diese Übungen jetzt mit bessern Lehr¬
büchern und auf Grund der Lektüre der klassischen Schriftsteller selber betrieben
wurden. Das Griechische wurde nur des Neuen Testaments halber gelehrt.
Die Muttersprache war ausgeschlossen, selbst ihr Gebrauch in der Schule ge¬
ächtet, die Realien kamen, kaum in Betracht, denn sie waren in der That noch
nicht so weit in sich selber gefestigt und geordnet, daß sie als Bildungsmittel
hätten Verwendung finden können. So stellte z. B. Jakob Sturm in Straßburg
seine Schule hin. Die Abgrenzung nach der Universität hin wurde schärfer; die
Gelehrtenschule, oft schon Gymnasium genannt, übernahm dabei aber einen guten
Teil dessen, was früher die artistische Fakultät geleistet hatte. Diese protestan¬
tische Lateinschule war thatsächlich die Einheitsschule für die höhern Stände,
auch für den Adel, der sich jetzt mehr und mehr der wissenschaftlichen Bildung
zuwandte, und sie war es in noch höherm Grade als die mittelalterliche,
denn entsprechend dein evangelischen Kirchenbegriff war im protestantischen
Deutschland jeder Unterschied zwischen der Ausbildung der Geistlichen und der
Laien aufgehoben, und zwar für immer, eine der bedeutsamsten und folgen¬
reichsten Umgestaltungen, die die Reformation bewirkt hat. Anders im katho¬
lischen Deutschland. Die Jesuiten, die hier seit der Mitte des siebzehnten Jahr¬
hunderts die Erziehung der höhern Stunde in die Hand nahmen, bauten ihre
Schule ganz auf dieselbe« Grundsätze, wie Johann Sturm, aber sie dehnten
die geistliche Schule auch auf die Laien ans und erzogen sie ausschließlich oder
Kor allem zu Söhnen der Mutter Kirche, uicht zu Bürgern eines bestimmten
Staates, eine ganz folgerichtige Fortbildung der katholischen Idee. Überlegen
blieb das protestantische Deutschland in der Volksschule, deren Begründung
sich mit Notwendigkeit ans dem evangelischen Kirchenbegriffe ergab. Nur in
ihr kam die nationale Tendenz Luthers zu wirklicher Entfaltung.


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[0293] Gütern oder Einkünften ausgestattet, mit Ausnahme etwa der sächsischen Fürstenschuleu und der württembergischen Stiftsschulen überwiegend städtischen Patronats, daher jede auf sich selbst gestellt, obwohl eine fast unbeschränkte, auch durch die Staatsgrenze« keineswegs beengte Freizügigkeit der Lehrer sie immer wieder unter sich verband, hatten sie die künftigen Geistlichen und Lehrer, Richter und Verwaltungsbeamten zu bilden, überhaupt alle auszunehmen, die über bloße Elemeutarkenntnisse hinansstrebten. Da nun zwar der deutsche Staat und die evangelischen Landeskirchen damals schon deutsch sprachen, die Wissenschaft sich aber noch ganz, der diplomatische Verkehr wenigstens zum großen Teile des Lateinischen bediente, überdies als Quelle» des Wissens aus¬ schließlich noch die Alten galten, so war eben das damalige Gymnasium reine Lateinschule, es verfolgte als wichtigsten, fast ausschließliche» Zweck uicht etwa die Einführung in die antike Kultur, deren geschichtliches Verständnis dieser Zeit ja noch gänzlich abging, sondern die praktische Übung im Latein, es Wollte lateinisch schreibende Gelehrte, Redner und Dichter bilden, ganz wie im Mittel¬ alter, nur mit dem Unterschiede, daß diese Übungen jetzt mit bessern Lehr¬ büchern und auf Grund der Lektüre der klassischen Schriftsteller selber betrieben wurden. Das Griechische wurde nur des Neuen Testaments halber gelehrt. Die Muttersprache war ausgeschlossen, selbst ihr Gebrauch in der Schule ge¬ ächtet, die Realien kamen, kaum in Betracht, denn sie waren in der That noch nicht so weit in sich selber gefestigt und geordnet, daß sie als Bildungsmittel hätten Verwendung finden können. So stellte z. B. Jakob Sturm in Straßburg seine Schule hin. Die Abgrenzung nach der Universität hin wurde schärfer; die Gelehrtenschule, oft schon Gymnasium genannt, übernahm dabei aber einen guten Teil dessen, was früher die artistische Fakultät geleistet hatte. Diese protestan¬ tische Lateinschule war thatsächlich die Einheitsschule für die höhern Stände, auch für den Adel, der sich jetzt mehr und mehr der wissenschaftlichen Bildung zuwandte, und sie war es in noch höherm Grade als die mittelalterliche, denn entsprechend dein evangelischen Kirchenbegriff war im protestantischen Deutschland jeder Unterschied zwischen der Ausbildung der Geistlichen und der Laien aufgehoben, und zwar für immer, eine der bedeutsamsten und folgen¬ reichsten Umgestaltungen, die die Reformation bewirkt hat. Anders im katho¬ lischen Deutschland. Die Jesuiten, die hier seit der Mitte des siebzehnten Jahr¬ hunderts die Erziehung der höhern Stunde in die Hand nahmen, bauten ihre Schule ganz auf dieselbe« Grundsätze, wie Johann Sturm, aber sie dehnten die geistliche Schule auch auf die Laien ans und erzogen sie ausschließlich oder Kor allem zu Söhnen der Mutter Kirche, uicht zu Bürgern eines bestimmten Staates, eine ganz folgerichtige Fortbildung der katholischen Idee. Überlegen blieb das protestantische Deutschland in der Volksschule, deren Begründung sich mit Notwendigkeit ans dem evangelischen Kirchenbegriffe ergab. Nur in ihr kam die nationale Tendenz Luthers zu wirklicher Entfaltung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/293>, abgerufen am 23.07.2024.