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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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die sich allerdings aber auch sagen dürfen, daß unter ihren Kolonien die am
besten und dauerndsten gedeihen werden, in denen die einheimische Bevölkerung
die höchste Stufe, die ihr gestattet ist, in sittlicher und geistiger Entwicklung
erreicht haben wird.

Wir suchen die Bedeutung des Buches, von, dem wir heute sprechen,")
wesentlich in der Unbefangenheit und Gründlichkeit, womit es die Zustände
des einzigen selbständigen christlichen und in abendländischen Formen sich
regierenden Negerstaates darstellt und beurteilt. Der erste Band hatte die
Wanderungen des Verfassers, eines rühmlich bekannten Zoologen, geschildert,
in deren Erzählung manche bezeichnende Ausführung und manches treffende
Urteil eingeflochten waren, der zweite bringt zuerst eine Geschichte des liberia¬
nischen Freistaates und die vollständigste Darstellung jener merkwürdigen Gründung,
die Tausende von freigewordenen Sklaven unter amerikanischer Flagge nach
demselben Gestade zurückführte, dem sie seit Jahrhunderten durch den Sklaven¬
handel entrissen wordeu waren. Wer diese Staatenbildung, wie billig, nicht
nach den Ergebnissen weniger Jahrzehnte, sondern nach der Arbeit schützt,
die von opferwilligen Menschen beider Rassen für sie aufgewendet wurde, der
wird in ihr eine der anziehendsten und lehrreichsten Erscheinungen des Erdteils
begrüßen. Aus der sehr maßvollen, gerechtigkeitsliebenden Darstellung Bütti-
kofers möchten wir folgende Grundthatsachen hervorheben.

Vielfach enttäuscht die politisch-geographische und wirtschaftliche Beschreibung,
sowie die Schilderung des Lebens der Liberianer. Zahl und Macht der Liberianer
sind zu genug im Verhältnis zu den Ansprüchen, die sie von ihren paar Küsten¬
ansiedelungen aus ans die Beherrschung eines weiten Gebietes erheben, daher
nur ein Schatten von Souveränität, daher die beschämenden Lagen, in die der
Staat bei den Grenzansprüchen mächtiger Nachbarn, wie Englands, oder den
Entfchädignngssorderuugen gerät, wie Deutschland sie nach der 1880 an der
von Liberia beanspruchte" Kruküste geschehenen Beraubung des deutschen Schiffes
"Carlos" stellte. Die Geldwirtschaft des Staates war lange Zeit unglaublich
sorglos und scheint sich nur langsam zu bessern. Man kann nicht leugnen, daß
ein Ableger der christlichen Kultur hier Wurzel gefaßt hat, aber seine Ent¬
wicklung zeigt wenig Selbständigkeit. Immer blieb ihm der Stempel seines
fremden, abhängigen Ursprungs aufgeprägt, und es ist der Hauptfehler der
Liberianer, daß sie sich noch immer zu sehr ans die Hilfe ihrer amerikanischen
Freunde verlasse". Die Handarbeit fleht nicht in hohem Ansehen. Beamten¬
schaft und Kleinhandel sind die Lieblingsbeschäftigungen. Daher liegen Acker-



I, Büttikoser, Reisebilder ans Liberia. Resultate geographischer, naturwissen¬
schaftlicher und ethnographischer Untersuchungen während der Jahre 1879--82 und l886--87.
Mit Karten, Lichtdruck- und chromolithograpischcn Tafeln, nebst zahlreichen Tcxtillustrationen.
1. Band. Reise- und Charakterbilder. 2. Band. Die Bewohner Liberias. -- Tierwelt.
iLciden, D. I. Brill.)
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die sich allerdings aber auch sagen dürfen, daß unter ihren Kolonien die am
besten und dauerndsten gedeihen werden, in denen die einheimische Bevölkerung
die höchste Stufe, die ihr gestattet ist, in sittlicher und geistiger Entwicklung
erreicht haben wird.

Wir suchen die Bedeutung des Buches, von, dem wir heute sprechen,")
wesentlich in der Unbefangenheit und Gründlichkeit, womit es die Zustände
des einzigen selbständigen christlichen und in abendländischen Formen sich
regierenden Negerstaates darstellt und beurteilt. Der erste Band hatte die
Wanderungen des Verfassers, eines rühmlich bekannten Zoologen, geschildert,
in deren Erzählung manche bezeichnende Ausführung und manches treffende
Urteil eingeflochten waren, der zweite bringt zuerst eine Geschichte des liberia¬
nischen Freistaates und die vollständigste Darstellung jener merkwürdigen Gründung,
die Tausende von freigewordenen Sklaven unter amerikanischer Flagge nach
demselben Gestade zurückführte, dem sie seit Jahrhunderten durch den Sklaven¬
handel entrissen wordeu waren. Wer diese Staatenbildung, wie billig, nicht
nach den Ergebnissen weniger Jahrzehnte, sondern nach der Arbeit schützt,
die von opferwilligen Menschen beider Rassen für sie aufgewendet wurde, der
wird in ihr eine der anziehendsten und lehrreichsten Erscheinungen des Erdteils
begrüßen. Aus der sehr maßvollen, gerechtigkeitsliebenden Darstellung Bütti-
kofers möchten wir folgende Grundthatsachen hervorheben.

Vielfach enttäuscht die politisch-geographische und wirtschaftliche Beschreibung,
sowie die Schilderung des Lebens der Liberianer. Zahl und Macht der Liberianer
sind zu genug im Verhältnis zu den Ansprüchen, die sie von ihren paar Küsten¬
ansiedelungen aus ans die Beherrschung eines weiten Gebietes erheben, daher
nur ein Schatten von Souveränität, daher die beschämenden Lagen, in die der
Staat bei den Grenzansprüchen mächtiger Nachbarn, wie Englands, oder den
Entfchädignngssorderuugen gerät, wie Deutschland sie nach der 1880 an der
von Liberia beanspruchte» Kruküste geschehenen Beraubung des deutschen Schiffes
„Carlos" stellte. Die Geldwirtschaft des Staates war lange Zeit unglaublich
sorglos und scheint sich nur langsam zu bessern. Man kann nicht leugnen, daß
ein Ableger der christlichen Kultur hier Wurzel gefaßt hat, aber seine Ent¬
wicklung zeigt wenig Selbständigkeit. Immer blieb ihm der Stempel seines
fremden, abhängigen Ursprungs aufgeprägt, und es ist der Hauptfehler der
Liberianer, daß sie sich noch immer zu sehr ans die Hilfe ihrer amerikanischen
Freunde verlasse«. Die Handarbeit fleht nicht in hohem Ansehen. Beamten¬
schaft und Kleinhandel sind die Lieblingsbeschäftigungen. Daher liegen Acker-



I, Büttikoser, Reisebilder ans Liberia. Resultate geographischer, naturwissen¬
schaftlicher und ethnographischer Untersuchungen während der Jahre 1879—82 und l886—87.
Mit Karten, Lichtdruck- und chromolithograpischcn Tafeln, nebst zahlreichen Tcxtillustrationen.
1. Band. Reise- und Charakterbilder. 2. Band. Die Bewohner Liberias. — Tierwelt.
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[0029] Zur Beurteilung der üeger die sich allerdings aber auch sagen dürfen, daß unter ihren Kolonien die am besten und dauerndsten gedeihen werden, in denen die einheimische Bevölkerung die höchste Stufe, die ihr gestattet ist, in sittlicher und geistiger Entwicklung erreicht haben wird. Wir suchen die Bedeutung des Buches, von, dem wir heute sprechen,") wesentlich in der Unbefangenheit und Gründlichkeit, womit es die Zustände des einzigen selbständigen christlichen und in abendländischen Formen sich regierenden Negerstaates darstellt und beurteilt. Der erste Band hatte die Wanderungen des Verfassers, eines rühmlich bekannten Zoologen, geschildert, in deren Erzählung manche bezeichnende Ausführung und manches treffende Urteil eingeflochten waren, der zweite bringt zuerst eine Geschichte des liberia¬ nischen Freistaates und die vollständigste Darstellung jener merkwürdigen Gründung, die Tausende von freigewordenen Sklaven unter amerikanischer Flagge nach demselben Gestade zurückführte, dem sie seit Jahrhunderten durch den Sklaven¬ handel entrissen wordeu waren. Wer diese Staatenbildung, wie billig, nicht nach den Ergebnissen weniger Jahrzehnte, sondern nach der Arbeit schützt, die von opferwilligen Menschen beider Rassen für sie aufgewendet wurde, der wird in ihr eine der anziehendsten und lehrreichsten Erscheinungen des Erdteils begrüßen. Aus der sehr maßvollen, gerechtigkeitsliebenden Darstellung Bütti- kofers möchten wir folgende Grundthatsachen hervorheben. Vielfach enttäuscht die politisch-geographische und wirtschaftliche Beschreibung, sowie die Schilderung des Lebens der Liberianer. Zahl und Macht der Liberianer sind zu genug im Verhältnis zu den Ansprüchen, die sie von ihren paar Küsten¬ ansiedelungen aus ans die Beherrschung eines weiten Gebietes erheben, daher nur ein Schatten von Souveränität, daher die beschämenden Lagen, in die der Staat bei den Grenzansprüchen mächtiger Nachbarn, wie Englands, oder den Entfchädignngssorderuugen gerät, wie Deutschland sie nach der 1880 an der von Liberia beanspruchte» Kruküste geschehenen Beraubung des deutschen Schiffes „Carlos" stellte. Die Geldwirtschaft des Staates war lange Zeit unglaublich sorglos und scheint sich nur langsam zu bessern. Man kann nicht leugnen, daß ein Ableger der christlichen Kultur hier Wurzel gefaßt hat, aber seine Ent¬ wicklung zeigt wenig Selbständigkeit. Immer blieb ihm der Stempel seines fremden, abhängigen Ursprungs aufgeprägt, und es ist der Hauptfehler der Liberianer, daß sie sich noch immer zu sehr ans die Hilfe ihrer amerikanischen Freunde verlasse«. Die Handarbeit fleht nicht in hohem Ansehen. Beamten¬ schaft und Kleinhandel sind die Lieblingsbeschäftigungen. Daher liegen Acker- I, Büttikoser, Reisebilder ans Liberia. Resultate geographischer, naturwissen¬ schaftlicher und ethnographischer Untersuchungen während der Jahre 1879—82 und l886—87. Mit Karten, Lichtdruck- und chromolithograpischcn Tafeln, nebst zahlreichen Tcxtillustrationen. 1. Band. Reise- und Charakterbilder. 2. Band. Die Bewohner Liberias. — Tierwelt. iLciden, D. I. Brill.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/29>, abgerufen am 23.07.2024.