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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die preußische Justizverwaltung

Alles dies aber muß um so nachteiliger wirken und um so bitterer em¬
pfunden werden, als es dafür nirgends ein Äquivalent giebt. Man könnte
annehmen, daß die Rigorosität in der dienstlichen Behandlung und die gefor¬
derte Bescheidenheit in dem Selbstbewußtsein als Mensch und Richter vielleicht
herstamme aus einer übergeordneten sozialen Stellung des Richterstandes
und aus einer maßgebenden politischen Rolle, nach dem geflügelten Worte: Der
Kreisrichter ist es, der den Staat regiert. Aber diese Annahme Ware sehr
irrig. Die Stellung, die namentlich seit Ende der siebziger Jahre das Richteramt
sozial und politisch bekommen hat, sinkt von Jahr zu Jahr, und zwar ist
diese Erscheinung mit hervorgerufen worden durch die außerordentliche Be¬
deutung, die die Chefs der verschiednen andern Verwaltungszweige ihren
Ressorts und in richtigem Verständnis infolge davon auch ihren Beamten zu
geben verstanden haben. Im Gegensatz dazu trat durch die Reorganisation
von 1879 und die damit verknüpfte Neuordnung der Rangverhältnisse eine
vollständige Zurücksetzung der richterlichen Beamten hinter der Verwaltung ein,
trotz einiger Rangerhöhungen in den Chefstelleu. Diese Verhältnisse sind
schon vor einiger Zeit trefflich dargelegt worden sowohl in einem Aussatze des
Amtsrichters Dr. Schwartz in Schmollers Jahrbuch, wie in mehrfachen Ab¬
handlungen in der Zeitschrift des preußischen Beamtenvereins.*) Auch die
Tagesblätter bringen unablässig Artikel über diese allmählich immer brennender
werdende Frage, freilich ohne daß Abhilfe geschafft oder auch mir in Aus¬
sicht gestellt würde. Das einzige, wozu man sich entschlossen hat, ist das,
daß jetzt anstatt eines Drittels die Hälfte der Land- und Amtsrichter den per¬
sönlichen Rang der Räte vierter Klasse erhält, doch erst nach mindestens
zwölfjähriger richterlicher Dienstzeit, d. h. frühestens nach achtzehn bis zwanzig
Dienstjahren, während die Verwaltungsbeamten dieselbe Stufe gerade noch einmal
so zeitig erreichen. Und dabei besteht noch der -- auch materiell und
Pekuniär außerordentlich wichtige -- Unterschied zwischen beiden Klassen, daß
die Räte stets nur charakterisirte, die Regierungsräte aber patentirte
Räte vierter Klasse sind, ein Umstand, der bei Versetzungen und den Kom¬
petenzen dabei eine große Rolle spielt. Wegen der übrigen Rangunterschiede
sei auf die angeführte Arbeit von Schwartz verwiesen und hier nur noch be¬
merkt, daß der Verwaltungschef einer Provinz Rat erster Klasse ist, ja sogar
vo rp80 den Titel Exzellenz führt, während dem Justizchef desselben Bezirks
nur der Rang des räumlich und sachlich viel beschränkter" Regierungspräsidenten
zugewiesen worden ist. So besitzt z. V. die preußische Monarchie jetzt nicht
einen einzigen Provinzialjustizchef, der als solcher das erwähnte hohe Prädikat
erhalten Hütte, sondern wenn er es besitzt, liegt eine Besonderheit vor, wie



*) Bergleiche auch den Aussatz im 38. Hefte der vorjährigen Grenzboten: Der Richter¬
stand und die öffentliche Meinung.
Die preußische Justizverwaltung

Alles dies aber muß um so nachteiliger wirken und um so bitterer em¬
pfunden werden, als es dafür nirgends ein Äquivalent giebt. Man könnte
annehmen, daß die Rigorosität in der dienstlichen Behandlung und die gefor¬
derte Bescheidenheit in dem Selbstbewußtsein als Mensch und Richter vielleicht
herstamme aus einer übergeordneten sozialen Stellung des Richterstandes
und aus einer maßgebenden politischen Rolle, nach dem geflügelten Worte: Der
Kreisrichter ist es, der den Staat regiert. Aber diese Annahme Ware sehr
irrig. Die Stellung, die namentlich seit Ende der siebziger Jahre das Richteramt
sozial und politisch bekommen hat, sinkt von Jahr zu Jahr, und zwar ist
diese Erscheinung mit hervorgerufen worden durch die außerordentliche Be¬
deutung, die die Chefs der verschiednen andern Verwaltungszweige ihren
Ressorts und in richtigem Verständnis infolge davon auch ihren Beamten zu
geben verstanden haben. Im Gegensatz dazu trat durch die Reorganisation
von 1879 und die damit verknüpfte Neuordnung der Rangverhältnisse eine
vollständige Zurücksetzung der richterlichen Beamten hinter der Verwaltung ein,
trotz einiger Rangerhöhungen in den Chefstelleu. Diese Verhältnisse sind
schon vor einiger Zeit trefflich dargelegt worden sowohl in einem Aussatze des
Amtsrichters Dr. Schwartz in Schmollers Jahrbuch, wie in mehrfachen Ab¬
handlungen in der Zeitschrift des preußischen Beamtenvereins.*) Auch die
Tagesblätter bringen unablässig Artikel über diese allmählich immer brennender
werdende Frage, freilich ohne daß Abhilfe geschafft oder auch mir in Aus¬
sicht gestellt würde. Das einzige, wozu man sich entschlossen hat, ist das,
daß jetzt anstatt eines Drittels die Hälfte der Land- und Amtsrichter den per¬
sönlichen Rang der Räte vierter Klasse erhält, doch erst nach mindestens
zwölfjähriger richterlicher Dienstzeit, d. h. frühestens nach achtzehn bis zwanzig
Dienstjahren, während die Verwaltungsbeamten dieselbe Stufe gerade noch einmal
so zeitig erreichen. Und dabei besteht noch der — auch materiell und
Pekuniär außerordentlich wichtige — Unterschied zwischen beiden Klassen, daß
die Räte stets nur charakterisirte, die Regierungsräte aber patentirte
Räte vierter Klasse sind, ein Umstand, der bei Versetzungen und den Kom¬
petenzen dabei eine große Rolle spielt. Wegen der übrigen Rangunterschiede
sei auf die angeführte Arbeit von Schwartz verwiesen und hier nur noch be¬
merkt, daß der Verwaltungschef einer Provinz Rat erster Klasse ist, ja sogar
vo rp80 den Titel Exzellenz führt, während dem Justizchef desselben Bezirks
nur der Rang des räumlich und sachlich viel beschränkter» Regierungspräsidenten
zugewiesen worden ist. So besitzt z. V. die preußische Monarchie jetzt nicht
einen einzigen Provinzialjustizchef, der als solcher das erwähnte hohe Prädikat
erhalten Hütte, sondern wenn er es besitzt, liegt eine Besonderheit vor, wie



*) Bergleiche auch den Aussatz im 38. Hefte der vorjährigen Grenzboten: Der Richter¬
stand und die öffentliche Meinung.
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[0279] Die preußische Justizverwaltung Alles dies aber muß um so nachteiliger wirken und um so bitterer em¬ pfunden werden, als es dafür nirgends ein Äquivalent giebt. Man könnte annehmen, daß die Rigorosität in der dienstlichen Behandlung und die gefor¬ derte Bescheidenheit in dem Selbstbewußtsein als Mensch und Richter vielleicht herstamme aus einer übergeordneten sozialen Stellung des Richterstandes und aus einer maßgebenden politischen Rolle, nach dem geflügelten Worte: Der Kreisrichter ist es, der den Staat regiert. Aber diese Annahme Ware sehr irrig. Die Stellung, die namentlich seit Ende der siebziger Jahre das Richteramt sozial und politisch bekommen hat, sinkt von Jahr zu Jahr, und zwar ist diese Erscheinung mit hervorgerufen worden durch die außerordentliche Be¬ deutung, die die Chefs der verschiednen andern Verwaltungszweige ihren Ressorts und in richtigem Verständnis infolge davon auch ihren Beamten zu geben verstanden haben. Im Gegensatz dazu trat durch die Reorganisation von 1879 und die damit verknüpfte Neuordnung der Rangverhältnisse eine vollständige Zurücksetzung der richterlichen Beamten hinter der Verwaltung ein, trotz einiger Rangerhöhungen in den Chefstelleu. Diese Verhältnisse sind schon vor einiger Zeit trefflich dargelegt worden sowohl in einem Aussatze des Amtsrichters Dr. Schwartz in Schmollers Jahrbuch, wie in mehrfachen Ab¬ handlungen in der Zeitschrift des preußischen Beamtenvereins.*) Auch die Tagesblätter bringen unablässig Artikel über diese allmählich immer brennender werdende Frage, freilich ohne daß Abhilfe geschafft oder auch mir in Aus¬ sicht gestellt würde. Das einzige, wozu man sich entschlossen hat, ist das, daß jetzt anstatt eines Drittels die Hälfte der Land- und Amtsrichter den per¬ sönlichen Rang der Räte vierter Klasse erhält, doch erst nach mindestens zwölfjähriger richterlicher Dienstzeit, d. h. frühestens nach achtzehn bis zwanzig Dienstjahren, während die Verwaltungsbeamten dieselbe Stufe gerade noch einmal so zeitig erreichen. Und dabei besteht noch der — auch materiell und Pekuniär außerordentlich wichtige — Unterschied zwischen beiden Klassen, daß die Räte stets nur charakterisirte, die Regierungsräte aber patentirte Räte vierter Klasse sind, ein Umstand, der bei Versetzungen und den Kom¬ petenzen dabei eine große Rolle spielt. Wegen der übrigen Rangunterschiede sei auf die angeführte Arbeit von Schwartz verwiesen und hier nur noch be¬ merkt, daß der Verwaltungschef einer Provinz Rat erster Klasse ist, ja sogar vo rp80 den Titel Exzellenz führt, während dem Justizchef desselben Bezirks nur der Rang des räumlich und sachlich viel beschränkter» Regierungspräsidenten zugewiesen worden ist. So besitzt z. V. die preußische Monarchie jetzt nicht einen einzigen Provinzialjustizchef, der als solcher das erwähnte hohe Prädikat erhalten Hütte, sondern wenn er es besitzt, liegt eine Besonderheit vor, wie *) Bergleiche auch den Aussatz im 38. Hefte der vorjährigen Grenzboten: Der Richter¬ stand und die öffentliche Meinung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/279>, abgerufen am 23.07.2024.