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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die preußische Justizverwaltung

Strafkammerurteile über zehn und noch mehr Jahre Zuchthaus von einem
Landrichter als Vorsitzenden, einem Amtsrichter und drei Assessoren als Bei¬
sitzern unterzeichnet werden, wahrend thatsächlich ein Landgerichtsdirektor und
vier etatsmäßige Landrichter oder Landgerichtsräte zu Gericht gesessen haben
sollten, geschieht an vielen Orten ganz regelmäßig.

Hand in Hand mit dieser Sparsamkeit an Personen geht eine von oben
herab aufs eindringlichste eingeschärfte und beaufsichtigte Sparsamkeit in sach¬
lichen Ausgaben für den Dienst der Gerichte, die schon mehr als einmal
nicht nur Stoff zu beißender Satire gegeben hat, sondern bisweilen geradezu
die Würde der Rechtsprechung gefährdet. Hier wird bisweilen eine Kleinig¬
keitskrämerei in Pfennigen getrieben, die in jedem andern Ressort geradezu
eine Unmöglichkeit wäre, und Präsidialerlasse über zu sehr gebrauchte Hand¬
tücher, ein Verbot der Anschaffung von Bürsten zur Reinigung der Kleidung
sind nicht etwa Erfindungen von lustigen Themisjüngern, sondern gehören
dem Gebiete der Wirklichkeit an.

Verwandt mit dieser übertriebenen Sparsamkeit ist der Ton, der in dem
schriftlichen Verkehr zwischen der vorgesetzten Behörde und den untergebnen
Dienststellen herrscht. Hier wird überwiegend eine Schreibart beliebt, gegen
die der militärische Befehlston noch höfisch und höflich genannt werden muß,
und die gegen die Form des Verkehrs der Verwaltungsorgane, selbst der
höchsten mit den tiefsten, in sast unglaublicher Weise absticht. Das ^ortitkr in
r<z, suirvitsr in inoäo ist ein in der preußischen Justizverwaltung längst über-
wnudner Standpunkt. Dies ist aber trotz der verhältnismäßigen Äußerlichkeit
dieser Thatsache doch von recht ungünstigem Einfluß gewesen. Gerade den
Richterstand und das Richteramt zierte sonst eine gewisse Urbanität, die sich
ja auch im Dienste selbst bethätigen soll; statt dessen ist jetzt ein mehr als
autoritativer Ton von oben herab eingeführt worden, der sich natürlich nach
bekannten Erfahrungen nach unten zu nicht abschwächt, sondern in "geometrischer
Progression" verstärkt. Von materiellem Einfluß ist die Thatsache noch in¬
sofern, als dadurch das Bewußtsein der eignen Würde nur zu leicht ge¬
schmälert wird, ein Umstand, der namentlich gegenüber einem Heere von zwei¬
tausend auf Anstellung harrenden und dazu von den Vorgesetzten völlig ab¬
hängigen Assessoren nicht genug gewürdigt werden kann. Es scheint zahlreichem
maßgebenden Persönlichkeiten vor allem wünschenswert zu sein, dem Richter-
standc das Bewußtsein seiner Unabhängigkeit nach Möglichkeit zu beschneiden,
wofür das beabsichtigte Gesetz der Bestallung von aussichtführenden Amts¬
richtern den bündigsten Beweis lieferte. Wenn nicht alles trügt, stehen mög¬
lichst geschmeidige und aupassuugsfühige Richter höher im Kurse, als charakter¬
volle und ideale Persönlichkeiten. Es ließen sich dafür namentlich in der jüngern
Juristcnwelt aus den letzten zehn Jahren Dutzende von Beispielen beibringen.

Die nächste notwendige Folge dieser Erscheinung ist die allmähliche Ans-


Die preußische Justizverwaltung

Strafkammerurteile über zehn und noch mehr Jahre Zuchthaus von einem
Landrichter als Vorsitzenden, einem Amtsrichter und drei Assessoren als Bei¬
sitzern unterzeichnet werden, wahrend thatsächlich ein Landgerichtsdirektor und
vier etatsmäßige Landrichter oder Landgerichtsräte zu Gericht gesessen haben
sollten, geschieht an vielen Orten ganz regelmäßig.

Hand in Hand mit dieser Sparsamkeit an Personen geht eine von oben
herab aufs eindringlichste eingeschärfte und beaufsichtigte Sparsamkeit in sach¬
lichen Ausgaben für den Dienst der Gerichte, die schon mehr als einmal
nicht nur Stoff zu beißender Satire gegeben hat, sondern bisweilen geradezu
die Würde der Rechtsprechung gefährdet. Hier wird bisweilen eine Kleinig¬
keitskrämerei in Pfennigen getrieben, die in jedem andern Ressort geradezu
eine Unmöglichkeit wäre, und Präsidialerlasse über zu sehr gebrauchte Hand¬
tücher, ein Verbot der Anschaffung von Bürsten zur Reinigung der Kleidung
sind nicht etwa Erfindungen von lustigen Themisjüngern, sondern gehören
dem Gebiete der Wirklichkeit an.

Verwandt mit dieser übertriebenen Sparsamkeit ist der Ton, der in dem
schriftlichen Verkehr zwischen der vorgesetzten Behörde und den untergebnen
Dienststellen herrscht. Hier wird überwiegend eine Schreibart beliebt, gegen
die der militärische Befehlston noch höfisch und höflich genannt werden muß,
und die gegen die Form des Verkehrs der Verwaltungsorgane, selbst der
höchsten mit den tiefsten, in sast unglaublicher Weise absticht. Das ^ortitkr in
r<z, suirvitsr in inoäo ist ein in der preußischen Justizverwaltung längst über-
wnudner Standpunkt. Dies ist aber trotz der verhältnismäßigen Äußerlichkeit
dieser Thatsache doch von recht ungünstigem Einfluß gewesen. Gerade den
Richterstand und das Richteramt zierte sonst eine gewisse Urbanität, die sich
ja auch im Dienste selbst bethätigen soll; statt dessen ist jetzt ein mehr als
autoritativer Ton von oben herab eingeführt worden, der sich natürlich nach
bekannten Erfahrungen nach unten zu nicht abschwächt, sondern in „geometrischer
Progression" verstärkt. Von materiellem Einfluß ist die Thatsache noch in¬
sofern, als dadurch das Bewußtsein der eignen Würde nur zu leicht ge¬
schmälert wird, ein Umstand, der namentlich gegenüber einem Heere von zwei¬
tausend auf Anstellung harrenden und dazu von den Vorgesetzten völlig ab¬
hängigen Assessoren nicht genug gewürdigt werden kann. Es scheint zahlreichem
maßgebenden Persönlichkeiten vor allem wünschenswert zu sein, dem Richter-
standc das Bewußtsein seiner Unabhängigkeit nach Möglichkeit zu beschneiden,
wofür das beabsichtigte Gesetz der Bestallung von aussichtführenden Amts¬
richtern den bündigsten Beweis lieferte. Wenn nicht alles trügt, stehen mög¬
lichst geschmeidige und aupassuugsfühige Richter höher im Kurse, als charakter¬
volle und ideale Persönlichkeiten. Es ließen sich dafür namentlich in der jüngern
Juristcnwelt aus den letzten zehn Jahren Dutzende von Beispielen beibringen.

Die nächste notwendige Folge dieser Erscheinung ist die allmähliche Ans-


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[0277] Die preußische Justizverwaltung Strafkammerurteile über zehn und noch mehr Jahre Zuchthaus von einem Landrichter als Vorsitzenden, einem Amtsrichter und drei Assessoren als Bei¬ sitzern unterzeichnet werden, wahrend thatsächlich ein Landgerichtsdirektor und vier etatsmäßige Landrichter oder Landgerichtsräte zu Gericht gesessen haben sollten, geschieht an vielen Orten ganz regelmäßig. Hand in Hand mit dieser Sparsamkeit an Personen geht eine von oben herab aufs eindringlichste eingeschärfte und beaufsichtigte Sparsamkeit in sach¬ lichen Ausgaben für den Dienst der Gerichte, die schon mehr als einmal nicht nur Stoff zu beißender Satire gegeben hat, sondern bisweilen geradezu die Würde der Rechtsprechung gefährdet. Hier wird bisweilen eine Kleinig¬ keitskrämerei in Pfennigen getrieben, die in jedem andern Ressort geradezu eine Unmöglichkeit wäre, und Präsidialerlasse über zu sehr gebrauchte Hand¬ tücher, ein Verbot der Anschaffung von Bürsten zur Reinigung der Kleidung sind nicht etwa Erfindungen von lustigen Themisjüngern, sondern gehören dem Gebiete der Wirklichkeit an. Verwandt mit dieser übertriebenen Sparsamkeit ist der Ton, der in dem schriftlichen Verkehr zwischen der vorgesetzten Behörde und den untergebnen Dienststellen herrscht. Hier wird überwiegend eine Schreibart beliebt, gegen die der militärische Befehlston noch höfisch und höflich genannt werden muß, und die gegen die Form des Verkehrs der Verwaltungsorgane, selbst der höchsten mit den tiefsten, in sast unglaublicher Weise absticht. Das ^ortitkr in r<z, suirvitsr in inoäo ist ein in der preußischen Justizverwaltung längst über- wnudner Standpunkt. Dies ist aber trotz der verhältnismäßigen Äußerlichkeit dieser Thatsache doch von recht ungünstigem Einfluß gewesen. Gerade den Richterstand und das Richteramt zierte sonst eine gewisse Urbanität, die sich ja auch im Dienste selbst bethätigen soll; statt dessen ist jetzt ein mehr als autoritativer Ton von oben herab eingeführt worden, der sich natürlich nach bekannten Erfahrungen nach unten zu nicht abschwächt, sondern in „geometrischer Progression" verstärkt. Von materiellem Einfluß ist die Thatsache noch in¬ sofern, als dadurch das Bewußtsein der eignen Würde nur zu leicht ge¬ schmälert wird, ein Umstand, der namentlich gegenüber einem Heere von zwei¬ tausend auf Anstellung harrenden und dazu von den Vorgesetzten völlig ab¬ hängigen Assessoren nicht genug gewürdigt werden kann. Es scheint zahlreichem maßgebenden Persönlichkeiten vor allem wünschenswert zu sein, dem Richter- standc das Bewußtsein seiner Unabhängigkeit nach Möglichkeit zu beschneiden, wofür das beabsichtigte Gesetz der Bestallung von aussichtführenden Amts¬ richtern den bündigsten Beweis lieferte. Wenn nicht alles trügt, stehen mög¬ lichst geschmeidige und aupassuugsfühige Richter höher im Kurse, als charakter¬ volle und ideale Persönlichkeiten. Es ließen sich dafür namentlich in der jüngern Juristcnwelt aus den letzten zehn Jahren Dutzende von Beispielen beibringen. Die nächste notwendige Folge dieser Erscheinung ist die allmähliche Ans-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/277>, abgerufen am 23.07.2024.