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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die preußische Justizverwaltung

machen. Und in der That ist ja auch heute kaum noch ein Zweifel darüber
möglich, daß diese Gesetze neben vielen Vorzügen und unleugbaren Vorteilen auch
manche Schattenseite" haben. Aber auf diese so gut wie allein die erwähnten
Klagen abzuwälzen geht schon ans einem Grunde nicht an: weil man in den
übrigen Bundesstaaten, obwohl auch sie dieselben Gesetze haben, entweder
überhaupt gar keine oder doch überwiegend andre Klagen geltend macht, als
es in Preußen von Tag zu Tage mehr geschieht.

Und dieser Unterschied ist auch durchaus erklärlich. Es wird bei weitem
nicht genug gewürdigt, daß auch in der Justiz, d. h. in der Art und Aus¬
übung der Rechtspflege, die Verwaltung eine sehr bedeutende Rolle spielt. Es
ist irrig, anzunehmen, daß hierfür ebenfalls das Gesetz und seine Beobachtung
und Anwendung wie für die Rechtsprechung im engern Sinne maßgebend
seien. Das Wesen jeder Staatsthütigkeit ist schließlich mehr oder weniger
administrativ, und diese Thatsache tritt auch im Justizressort klar zu Tage.
Die Verwaltung spielt darin eine viel bedeutendere Rolle, als der Fernerstehende
annimmt, der nnr die äußerliche Allsübung der Rechtspflege kennen zu lerne"
und zu beobachten Gelegenheit hat. Die nachfolgenden Ausführungen werden
dies klar beweisen. Damit wird aber auch gleichzeitig der Schlüssel für viele
Mißstände gefunden werden.

Zunächst wird die Frage zu beantworten sein, von wein denn überhaupt
die Klagen erhoben werden. Die Antwort lautet: vom rechtsuchenden Bürger¬
tum uicht minder wie von dem die Rechtspflege ausübenden Beamtenpersonal.

Was das Bürgertum angeht, so sehen wir von gewissen Einzelheiten,
wo politische oder verwandte Vorkommnisse Anlaß zur Kritik, namentlich auf
strafrechtlichen Gebiet, gegeben haben, vollständig ab, um keiner Voreingenommen-
heit und keiner Vertretung von Partei- oder Souderiutcresseu geziehen zu
werden. Wir begeben uns sofort auf das rein sachliche Gebiet.

Da stehen in erster Linie die Beschwerde" über die Verschleppung der Pro¬
zesse. Es ist kam" möglich, el" Zeitungsblatt, namentlich in den verkehrs¬
reicher!, Gegenden, in die Hand zu nehme", das nicht mit den beweglichsten Klagen
über diese Frage angefüllt wäre. Und diese Klage" bewege" sich nicht etwa
in allgemeine" Redensarten, sondern sie sind fast regelmäßig mit Statistiker
und bestimmten Vorkommnissen belegt, die, soweit wir solche Mitteilungen zu
verfolgen imstande gewesen sind, "icht ein einziges mal eine amtliche Berich¬
tigung zur Folge gehabt haben. Aus einer großen Reihe von Beispielen sei
nur erwähnt, daß das Kammergericht in Berlin seine Termine auf "lehr als
ein volles halbes Jahr hinaus ansetzt. Wer sich näher über diese Frage unter¬
richten will, dem sei die Stettiner Zeitung empfohlen, die periodisch eine Zu-
sammenstellung solcher Fälle bringt, und zwar anscheinend auf Anregung der
kaufmännischen Welt selbst. Es ist selbst für den Laien klar, daß, wenn Pro¬
zesse der allergewöhnlichsten Art mit Fristen von sechs, sieben, acht und noch


Die preußische Justizverwaltung

machen. Und in der That ist ja auch heute kaum noch ein Zweifel darüber
möglich, daß diese Gesetze neben vielen Vorzügen und unleugbaren Vorteilen auch
manche Schattenseite» haben. Aber auf diese so gut wie allein die erwähnten
Klagen abzuwälzen geht schon ans einem Grunde nicht an: weil man in den
übrigen Bundesstaaten, obwohl auch sie dieselben Gesetze haben, entweder
überhaupt gar keine oder doch überwiegend andre Klagen geltend macht, als
es in Preußen von Tag zu Tage mehr geschieht.

Und dieser Unterschied ist auch durchaus erklärlich. Es wird bei weitem
nicht genug gewürdigt, daß auch in der Justiz, d. h. in der Art und Aus¬
übung der Rechtspflege, die Verwaltung eine sehr bedeutende Rolle spielt. Es
ist irrig, anzunehmen, daß hierfür ebenfalls das Gesetz und seine Beobachtung
und Anwendung wie für die Rechtsprechung im engern Sinne maßgebend
seien. Das Wesen jeder Staatsthütigkeit ist schließlich mehr oder weniger
administrativ, und diese Thatsache tritt auch im Justizressort klar zu Tage.
Die Verwaltung spielt darin eine viel bedeutendere Rolle, als der Fernerstehende
annimmt, der nnr die äußerliche Allsübung der Rechtspflege kennen zu lerne»
und zu beobachten Gelegenheit hat. Die nachfolgenden Ausführungen werden
dies klar beweisen. Damit wird aber auch gleichzeitig der Schlüssel für viele
Mißstände gefunden werden.

Zunächst wird die Frage zu beantworten sein, von wein denn überhaupt
die Klagen erhoben werden. Die Antwort lautet: vom rechtsuchenden Bürger¬
tum uicht minder wie von dem die Rechtspflege ausübenden Beamtenpersonal.

Was das Bürgertum angeht, so sehen wir von gewissen Einzelheiten,
wo politische oder verwandte Vorkommnisse Anlaß zur Kritik, namentlich auf
strafrechtlichen Gebiet, gegeben haben, vollständig ab, um keiner Voreingenommen-
heit und keiner Vertretung von Partei- oder Souderiutcresseu geziehen zu
werden. Wir begeben uns sofort auf das rein sachliche Gebiet.

Da stehen in erster Linie die Beschwerde» über die Verschleppung der Pro¬
zesse. Es ist kam» möglich, el» Zeitungsblatt, namentlich in den verkehrs¬
reicher!, Gegenden, in die Hand zu nehme», das nicht mit den beweglichsten Klagen
über diese Frage angefüllt wäre. Und diese Klage» bewege» sich nicht etwa
in allgemeine» Redensarten, sondern sie sind fast regelmäßig mit Statistiker
und bestimmten Vorkommnissen belegt, die, soweit wir solche Mitteilungen zu
verfolgen imstande gewesen sind, »icht ein einziges mal eine amtliche Berich¬
tigung zur Folge gehabt haben. Aus einer großen Reihe von Beispielen sei
nur erwähnt, daß das Kammergericht in Berlin seine Termine auf »lehr als
ein volles halbes Jahr hinaus ansetzt. Wer sich näher über diese Frage unter¬
richten will, dem sei die Stettiner Zeitung empfohlen, die periodisch eine Zu-
sammenstellung solcher Fälle bringt, und zwar anscheinend auf Anregung der
kaufmännischen Welt selbst. Es ist selbst für den Laien klar, daß, wenn Pro¬
zesse der allergewöhnlichsten Art mit Fristen von sechs, sieben, acht und noch


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[0274] Die preußische Justizverwaltung machen. Und in der That ist ja auch heute kaum noch ein Zweifel darüber möglich, daß diese Gesetze neben vielen Vorzügen und unleugbaren Vorteilen auch manche Schattenseite» haben. Aber auf diese so gut wie allein die erwähnten Klagen abzuwälzen geht schon ans einem Grunde nicht an: weil man in den übrigen Bundesstaaten, obwohl auch sie dieselben Gesetze haben, entweder überhaupt gar keine oder doch überwiegend andre Klagen geltend macht, als es in Preußen von Tag zu Tage mehr geschieht. Und dieser Unterschied ist auch durchaus erklärlich. Es wird bei weitem nicht genug gewürdigt, daß auch in der Justiz, d. h. in der Art und Aus¬ übung der Rechtspflege, die Verwaltung eine sehr bedeutende Rolle spielt. Es ist irrig, anzunehmen, daß hierfür ebenfalls das Gesetz und seine Beobachtung und Anwendung wie für die Rechtsprechung im engern Sinne maßgebend seien. Das Wesen jeder Staatsthütigkeit ist schließlich mehr oder weniger administrativ, und diese Thatsache tritt auch im Justizressort klar zu Tage. Die Verwaltung spielt darin eine viel bedeutendere Rolle, als der Fernerstehende annimmt, der nnr die äußerliche Allsübung der Rechtspflege kennen zu lerne» und zu beobachten Gelegenheit hat. Die nachfolgenden Ausführungen werden dies klar beweisen. Damit wird aber auch gleichzeitig der Schlüssel für viele Mißstände gefunden werden. Zunächst wird die Frage zu beantworten sein, von wein denn überhaupt die Klagen erhoben werden. Die Antwort lautet: vom rechtsuchenden Bürger¬ tum uicht minder wie von dem die Rechtspflege ausübenden Beamtenpersonal. Was das Bürgertum angeht, so sehen wir von gewissen Einzelheiten, wo politische oder verwandte Vorkommnisse Anlaß zur Kritik, namentlich auf strafrechtlichen Gebiet, gegeben haben, vollständig ab, um keiner Voreingenommen- heit und keiner Vertretung von Partei- oder Souderiutcresseu geziehen zu werden. Wir begeben uns sofort auf das rein sachliche Gebiet. Da stehen in erster Linie die Beschwerde» über die Verschleppung der Pro¬ zesse. Es ist kam» möglich, el» Zeitungsblatt, namentlich in den verkehrs¬ reicher!, Gegenden, in die Hand zu nehme», das nicht mit den beweglichsten Klagen über diese Frage angefüllt wäre. Und diese Klage» bewege» sich nicht etwa in allgemeine» Redensarten, sondern sie sind fast regelmäßig mit Statistiker und bestimmten Vorkommnissen belegt, die, soweit wir solche Mitteilungen zu verfolgen imstande gewesen sind, »icht ein einziges mal eine amtliche Berich¬ tigung zur Folge gehabt haben. Aus einer großen Reihe von Beispielen sei nur erwähnt, daß das Kammergericht in Berlin seine Termine auf »lehr als ein volles halbes Jahr hinaus ansetzt. Wer sich näher über diese Frage unter¬ richten will, dem sei die Stettiner Zeitung empfohlen, die periodisch eine Zu- sammenstellung solcher Fälle bringt, und zwar anscheinend auf Anregung der kaufmännischen Welt selbst. Es ist selbst für den Laien klar, daß, wenn Pro¬ zesse der allergewöhnlichsten Art mit Fristen von sechs, sieben, acht und noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/274>, abgerufen am 23.07.2024.