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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Volksschulgesetz

Privatschule freigegeben wird, Punkte, die theoretisch unbedenklich sind, prak¬
tisch aber doch Schaden anrichten können, wenn nicht etwaigem Mißbräuche
vorgebeugt wird.

Der Entwurf bestimmt, daß bei der Einrichtung der Volksschulen die
konfessionellen Verhältnisse der Volksschulen möglichst zu berücksichtigen seien.
Soweit nicht am Orte bereits eine anderweite Schulverfassuug besteht, sollen
neue Volksschulen nur auf konfessioneller Grundlage eingerichtet werden. Wo
die Zahl der Schulkinder einer vom Staate anerkannten Religivusgesellschnft
in einer Schule andrer Konfession über dreißig steigt, kann -- wenn sie über
sechzig steigt, soll -- eine besondre Schule eingerichtet werden.

Ob hier der Entwurf nicht zu weit geht? Wir wollen uns einen ein¬
zelnen Fall vorstellen, eine Gemeinde gemischten Bekenntnisses von 1800 Seelen.
Dies würde zwei Schulklassen ergeben. Offenbar leisten aber zwei einklassige
Schulen nicht soviel als eine zweiklassige. Nun kann es trotzdem wünschens¬
wert sein, die Kinder nach dem Bekenntnis zu trennen, es kann aber auch
der entgegengesetzte Fall eintreten. In diesem Falle verbietet das Gesetz die
wertvollere zweiklassige Schule. Mau darf nicht sagen: es giebt je> noch
Simultanschnlen genug; was helfe" mir die 503 fremden Simultauschulen,
wenn ich eine solche haben möchte, und das Gesetz verwehrt es? Man darf
sich auch nicht hinter der juristischen Fiktion verbergen, als gebe es nichts
weiter, als die anerkannten Neligionsgenossenschaften. Die beiden christlichen
Neligionsgenvssenschaften dürfen nicht unter einem Dache weilen, aber die
christliche Schule wird die Juden nicht los. Daß auch hier das Kon¬
fessionsprinzip gewahrt werde, ist höchst wünschenswert. Ich möchte wohl
wissen, wie sich die Berliner Schulen nach diesem Gesetze gestalten würden.
Wenn es zur Einrichtung von Judeuschulen führte, das wäre ausge¬
zeichnet.

Auf die Mitwirkung der Kirche beziehen sich folgende Sätze. Die Ein¬
führung neuer Lehrpläne und Schulbücher für den Religionsunterricht erfolgt
im Einvernehmen mit den kirchlichen Oberbehörden. Die kirchlichen Ober¬
behörden sind befugt, sich um der Prüfung durch einen Beauftragten mit
Stimmrecht zu beteiligen. Ist in B^ng auf die Kenntnisse in der Religion
ein Einvernehmen nicht zu erzielen, so ist dein Lehrer das Lehranitszeuguis
mit Ausschluß der Befähigung für den Religionsunterricht zu erteilen. Den
Religionsunterricht in der Volksschule leiten die betreffenden Religionsgesell-
schaften. Mit Erteilung des Religionsunterrichts dürfen nur solche Lehrer
beauftragt werden, welche sich im Besitz eines die Befähigung zur Erteilung
des Religionsunterrichts allssprechenden Lehramtszeugnisses befinden. Der
von den betreffenden Religionsgesellschaften mit der Leitung des Religions¬
unterrichts beauftragte Geistliche oder Religionslehrer hat das Recht, dem
Religionsunterricht in der Schule beizuwohnen, zu berichtigen und Weisungen


Das Volksschulgesetz

Privatschule freigegeben wird, Punkte, die theoretisch unbedenklich sind, prak¬
tisch aber doch Schaden anrichten können, wenn nicht etwaigem Mißbräuche
vorgebeugt wird.

Der Entwurf bestimmt, daß bei der Einrichtung der Volksschulen die
konfessionellen Verhältnisse der Volksschulen möglichst zu berücksichtigen seien.
Soweit nicht am Orte bereits eine anderweite Schulverfassuug besteht, sollen
neue Volksschulen nur auf konfessioneller Grundlage eingerichtet werden. Wo
die Zahl der Schulkinder einer vom Staate anerkannten Religivusgesellschnft
in einer Schule andrer Konfession über dreißig steigt, kann — wenn sie über
sechzig steigt, soll — eine besondre Schule eingerichtet werden.

Ob hier der Entwurf nicht zu weit geht? Wir wollen uns einen ein¬
zelnen Fall vorstellen, eine Gemeinde gemischten Bekenntnisses von 1800 Seelen.
Dies würde zwei Schulklassen ergeben. Offenbar leisten aber zwei einklassige
Schulen nicht soviel als eine zweiklassige. Nun kann es trotzdem wünschens¬
wert sein, die Kinder nach dem Bekenntnis zu trennen, es kann aber auch
der entgegengesetzte Fall eintreten. In diesem Falle verbietet das Gesetz die
wertvollere zweiklassige Schule. Mau darf nicht sagen: es giebt je> noch
Simultanschnlen genug; was helfe» mir die 503 fremden Simultauschulen,
wenn ich eine solche haben möchte, und das Gesetz verwehrt es? Man darf
sich auch nicht hinter der juristischen Fiktion verbergen, als gebe es nichts
weiter, als die anerkannten Neligionsgenossenschaften. Die beiden christlichen
Neligionsgenvssenschaften dürfen nicht unter einem Dache weilen, aber die
christliche Schule wird die Juden nicht los. Daß auch hier das Kon¬
fessionsprinzip gewahrt werde, ist höchst wünschenswert. Ich möchte wohl
wissen, wie sich die Berliner Schulen nach diesem Gesetze gestalten würden.
Wenn es zur Einrichtung von Judeuschulen führte, das wäre ausge¬
zeichnet.

Auf die Mitwirkung der Kirche beziehen sich folgende Sätze. Die Ein¬
führung neuer Lehrpläne und Schulbücher für den Religionsunterricht erfolgt
im Einvernehmen mit den kirchlichen Oberbehörden. Die kirchlichen Ober¬
behörden sind befugt, sich um der Prüfung durch einen Beauftragten mit
Stimmrecht zu beteiligen. Ist in B^ng auf die Kenntnisse in der Religion
ein Einvernehmen nicht zu erzielen, so ist dein Lehrer das Lehranitszeuguis
mit Ausschluß der Befähigung für den Religionsunterricht zu erteilen. Den
Religionsunterricht in der Volksschule leiten die betreffenden Religionsgesell-
schaften. Mit Erteilung des Religionsunterrichts dürfen nur solche Lehrer
beauftragt werden, welche sich im Besitz eines die Befähigung zur Erteilung
des Religionsunterrichts allssprechenden Lehramtszeugnisses befinden. Der
von den betreffenden Religionsgesellschaften mit der Leitung des Religions¬
unterrichts beauftragte Geistliche oder Religionslehrer hat das Recht, dem
Religionsunterricht in der Schule beizuwohnen, zu berichtigen und Weisungen


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[0254] Das Volksschulgesetz Privatschule freigegeben wird, Punkte, die theoretisch unbedenklich sind, prak¬ tisch aber doch Schaden anrichten können, wenn nicht etwaigem Mißbräuche vorgebeugt wird. Der Entwurf bestimmt, daß bei der Einrichtung der Volksschulen die konfessionellen Verhältnisse der Volksschulen möglichst zu berücksichtigen seien. Soweit nicht am Orte bereits eine anderweite Schulverfassuug besteht, sollen neue Volksschulen nur auf konfessioneller Grundlage eingerichtet werden. Wo die Zahl der Schulkinder einer vom Staate anerkannten Religivusgesellschnft in einer Schule andrer Konfession über dreißig steigt, kann — wenn sie über sechzig steigt, soll — eine besondre Schule eingerichtet werden. Ob hier der Entwurf nicht zu weit geht? Wir wollen uns einen ein¬ zelnen Fall vorstellen, eine Gemeinde gemischten Bekenntnisses von 1800 Seelen. Dies würde zwei Schulklassen ergeben. Offenbar leisten aber zwei einklassige Schulen nicht soviel als eine zweiklassige. Nun kann es trotzdem wünschens¬ wert sein, die Kinder nach dem Bekenntnis zu trennen, es kann aber auch der entgegengesetzte Fall eintreten. In diesem Falle verbietet das Gesetz die wertvollere zweiklassige Schule. Mau darf nicht sagen: es giebt je> noch Simultanschnlen genug; was helfe» mir die 503 fremden Simultauschulen, wenn ich eine solche haben möchte, und das Gesetz verwehrt es? Man darf sich auch nicht hinter der juristischen Fiktion verbergen, als gebe es nichts weiter, als die anerkannten Neligionsgenossenschaften. Die beiden christlichen Neligionsgenvssenschaften dürfen nicht unter einem Dache weilen, aber die christliche Schule wird die Juden nicht los. Daß auch hier das Kon¬ fessionsprinzip gewahrt werde, ist höchst wünschenswert. Ich möchte wohl wissen, wie sich die Berliner Schulen nach diesem Gesetze gestalten würden. Wenn es zur Einrichtung von Judeuschulen führte, das wäre ausge¬ zeichnet. Auf die Mitwirkung der Kirche beziehen sich folgende Sätze. Die Ein¬ führung neuer Lehrpläne und Schulbücher für den Religionsunterricht erfolgt im Einvernehmen mit den kirchlichen Oberbehörden. Die kirchlichen Ober¬ behörden sind befugt, sich um der Prüfung durch einen Beauftragten mit Stimmrecht zu beteiligen. Ist in B^ng auf die Kenntnisse in der Religion ein Einvernehmen nicht zu erzielen, so ist dein Lehrer das Lehranitszeuguis mit Ausschluß der Befähigung für den Religionsunterricht zu erteilen. Den Religionsunterricht in der Volksschule leiten die betreffenden Religionsgesell- schaften. Mit Erteilung des Religionsunterrichts dürfen nur solche Lehrer beauftragt werden, welche sich im Besitz eines die Befähigung zur Erteilung des Religionsunterrichts allssprechenden Lehramtszeugnisses befinden. Der von den betreffenden Religionsgesellschaften mit der Leitung des Religions¬ unterrichts beauftragte Geistliche oder Religionslehrer hat das Recht, dem Religionsunterricht in der Schule beizuwohnen, zu berichtigen und Weisungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/254>, abgerufen am 23.07.2024.