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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Volksschulgesetz

so ist in vielen andern eine mit Miasmen erfüllte Luft ganz unentbehrlich.
Wir müssen spüren, daß der Raum, in dem sich die soziale Tragödie abspielt,
niemals gelüftet wird, wir müssen Kohlendnnst, Tabaksqualm, Petroleum,
stickstoffhaltige Speisen, Branntwein, alte Kleider und schmutzige Wäsche riechen,
damit wir in die rechte Stimmung versetzt werden. Das Theater hat ja den
großen Vorzug, nicht nur zu schildern, sondern unmittelbar auf alle Sinne
wirken zu können. Warum will es die Nase, warum die Zunge, die be¬
kanntlich dicke Luft zu schmecken vermag, zu kurz kommen lassen?

Übrigens brauchte auch die Malerei auf dieses Mittel des Ausdrucks
nicht zu verzichten. Ein erfahrner Kunsthändler führte die Liebhaber dicht
an seine Landschaften, damit sie den Wnldesduft einatmen könnten, an den
der Terpentingeruch in der That einigermaßen erinnert. Nichts hindert die
Maler, die ohnehin jetzt mit allen möglichen höllischen Latwergen Hantiren,
den Sicmtiven Essenzen zuzusetzen, die den zur Situation passenden Duft ent¬
wickeln, Rosenöl, Alpenkräüterextrakt und was sonst die hochentwickelte Par¬
fümeric bietet. Wie man sagt, werden die meisten sogenannten Wohlgerüche
aus sehr unappetitlichen Substanzen gewonnen, also würden sich die letztern
auch unverüudcrt anwenden lassen, angemessen den Stoffen, für die unsre
moderne Kunst Vorliebe hat.

Schön allein ist das Wahre, wenn es wahr bis aufs äußerste ist und
den Sinnen nicht schmeichelt! -- so lautet unser Motto, dem folget nach.




Das Volksschulgesetz
i

er neueste Entwurf des preußischen Bvlksschulgesetzes -- wenn wir
nicht irre", ist es der zweiundzwanzigste -.....hat einen keineswegs
freundliche" Empfang gefunden, ist vielmehr einem Sturm der Ent-
rüstung auf der einen Seite und vielen erusten Bedenken auf
der andern Seite begegnet. Und zwar ist dies geschehen, ehe
noch der Wortlaut des Entwurfs vorlag. Mau hat behauptet, daß dieses
Gesetz die Schule bis zur Zeit Raumers und Musters, ja bis zur vorfride-
ricicmischen Zeit zurückwerfe, daß die Staatsoberhoheit zu Gunsten der Kirche
abbaute, und ein bekanntes "Weltblatt" meint, daß man diesem Entwürfe mit
Schamröte im Gesicht gegenüberstehe.


Das Volksschulgesetz

so ist in vielen andern eine mit Miasmen erfüllte Luft ganz unentbehrlich.
Wir müssen spüren, daß der Raum, in dem sich die soziale Tragödie abspielt,
niemals gelüftet wird, wir müssen Kohlendnnst, Tabaksqualm, Petroleum,
stickstoffhaltige Speisen, Branntwein, alte Kleider und schmutzige Wäsche riechen,
damit wir in die rechte Stimmung versetzt werden. Das Theater hat ja den
großen Vorzug, nicht nur zu schildern, sondern unmittelbar auf alle Sinne
wirken zu können. Warum will es die Nase, warum die Zunge, die be¬
kanntlich dicke Luft zu schmecken vermag, zu kurz kommen lassen?

Übrigens brauchte auch die Malerei auf dieses Mittel des Ausdrucks
nicht zu verzichten. Ein erfahrner Kunsthändler führte die Liebhaber dicht
an seine Landschaften, damit sie den Wnldesduft einatmen könnten, an den
der Terpentingeruch in der That einigermaßen erinnert. Nichts hindert die
Maler, die ohnehin jetzt mit allen möglichen höllischen Latwergen Hantiren,
den Sicmtiven Essenzen zuzusetzen, die den zur Situation passenden Duft ent¬
wickeln, Rosenöl, Alpenkräüterextrakt und was sonst die hochentwickelte Par¬
fümeric bietet. Wie man sagt, werden die meisten sogenannten Wohlgerüche
aus sehr unappetitlichen Substanzen gewonnen, also würden sich die letztern
auch unverüudcrt anwenden lassen, angemessen den Stoffen, für die unsre
moderne Kunst Vorliebe hat.

Schön allein ist das Wahre, wenn es wahr bis aufs äußerste ist und
den Sinnen nicht schmeichelt! — so lautet unser Motto, dem folget nach.




Das Volksschulgesetz
i

er neueste Entwurf des preußischen Bvlksschulgesetzes — wenn wir
nicht irre», ist es der zweiundzwanzigste -.....hat einen keineswegs
freundliche» Empfang gefunden, ist vielmehr einem Sturm der Ent-
rüstung auf der einen Seite und vielen erusten Bedenken auf
der andern Seite begegnet. Und zwar ist dies geschehen, ehe
noch der Wortlaut des Entwurfs vorlag. Mau hat behauptet, daß dieses
Gesetz die Schule bis zur Zeit Raumers und Musters, ja bis zur vorfride-
ricicmischen Zeit zurückwerfe, daß die Staatsoberhoheit zu Gunsten der Kirche
abbaute, und ein bekanntes „Weltblatt" meint, daß man diesem Entwürfe mit
Schamröte im Gesicht gegenüberstehe.


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[0251] Das Volksschulgesetz so ist in vielen andern eine mit Miasmen erfüllte Luft ganz unentbehrlich. Wir müssen spüren, daß der Raum, in dem sich die soziale Tragödie abspielt, niemals gelüftet wird, wir müssen Kohlendnnst, Tabaksqualm, Petroleum, stickstoffhaltige Speisen, Branntwein, alte Kleider und schmutzige Wäsche riechen, damit wir in die rechte Stimmung versetzt werden. Das Theater hat ja den großen Vorzug, nicht nur zu schildern, sondern unmittelbar auf alle Sinne wirken zu können. Warum will es die Nase, warum die Zunge, die be¬ kanntlich dicke Luft zu schmecken vermag, zu kurz kommen lassen? Übrigens brauchte auch die Malerei auf dieses Mittel des Ausdrucks nicht zu verzichten. Ein erfahrner Kunsthändler führte die Liebhaber dicht an seine Landschaften, damit sie den Wnldesduft einatmen könnten, an den der Terpentingeruch in der That einigermaßen erinnert. Nichts hindert die Maler, die ohnehin jetzt mit allen möglichen höllischen Latwergen Hantiren, den Sicmtiven Essenzen zuzusetzen, die den zur Situation passenden Duft ent¬ wickeln, Rosenöl, Alpenkräüterextrakt und was sonst die hochentwickelte Par¬ fümeric bietet. Wie man sagt, werden die meisten sogenannten Wohlgerüche aus sehr unappetitlichen Substanzen gewonnen, also würden sich die letztern auch unverüudcrt anwenden lassen, angemessen den Stoffen, für die unsre moderne Kunst Vorliebe hat. Schön allein ist das Wahre, wenn es wahr bis aufs äußerste ist und den Sinnen nicht schmeichelt! — so lautet unser Motto, dem folget nach. Das Volksschulgesetz i er neueste Entwurf des preußischen Bvlksschulgesetzes — wenn wir nicht irre», ist es der zweiundzwanzigste -.....hat einen keineswegs freundliche» Empfang gefunden, ist vielmehr einem Sturm der Ent- rüstung auf der einen Seite und vielen erusten Bedenken auf der andern Seite begegnet. Und zwar ist dies geschehen, ehe noch der Wortlaut des Entwurfs vorlag. Mau hat behauptet, daß dieses Gesetz die Schule bis zur Zeit Raumers und Musters, ja bis zur vorfride- ricicmischen Zeit zurückwerfe, daß die Staatsoberhoheit zu Gunsten der Kirche abbaute, und ein bekanntes „Weltblatt" meint, daß man diesem Entwürfe mit Schamröte im Gesicht gegenüberstehe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/251>, abgerufen am 23.07.2024.