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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der Überfluß an Gerichtsassessoren

besetzten -- Amtsgerichten die Geschäfte des Amtsanwalts in ihrem jetzigen
Umfange keine ausreichende Thätigkeit für einen Assessor bilden, kann nicht
zweifelhaft sein; werden diese Geschäfte doch von den jetzigen Aintsanwälten
meist nebenbei besorgt und durften in vielen Fällen ein durchschnitt¬
liches Arbeitspensum von einer Stunde täglich nicht übersteigen. Es ist aber
sehr gut möglich, den Geschäftskreis des Amtsanwalts durch Zuweisung andrer
als der bisherigen Aufgaben wesentlich zu erweitern, und es würde dies um
so weniger bedenklich sein, wenn sich das Amt grundsätzlich in den Händen
einer zum Richteramt geeigneten Persönlichkeit befände. Im einzelnen wäre
die Ausdehnung des Geschäftskreises vielleicht in folgenden drei Richtungen
zu empfehlen. Erstens könnten die Amtsanwälte als Vorsteher der jetzt amts¬
gerichtlichen Gefängnisse und zugleich -- was allerdings die Aufhebung des
Absatzes 2 des § 48? der Strafprozeßordnung voraussetzen würde -- als
Strafvollstreckungsbehörde in den Fällen thätig sein, wo jetzt in Preußen
die Strafvollstreckung dem Amtsrichter übertragen ist. Sollte die letztere An¬
ordnung, weil sie, wie bemerkt, erfordern würde, daß die "Klinke" der Reichs¬
gesetzgebung in Bewegung gesetzt würde, nicht angemessen erscheinen, so würde
doch der Amtsanwalt schon als Gefängnisvvrsteher den Amtsrichter angemessen
entlasten. Als "angemessen" ist gerade diese Entlastung um deswillen zu be¬
zeichnen, weil die Übertragung des Amtes des unter den Oberstaatsanwalt
gestellten Gefängnisvvrstehers an den unabhängigen Amtsrichter an sich eine
innerlich widerspruchsvolle, uicht wünschenswerte Einrichtung ist.

Zweitens würde es ein nicht ohne weiteres von der Hand zu weisender
Gedanke sein, an Stelle der Staatsanwaltschaft des Landgerichts die des
Amtsgerichts, also den Amtsnnwalt, zur Negisterbehörde zu bestellen. Dies
dürfte sich um so mehr empfehlen, als schon wiederholt die Frage erörtert
worden ist, ob die Strafregister wegen ihrer unvermeidlichen Ausdehnung nicht
aus praktischen Gründen einer Behörde zu überlassen seien, die für einen
kleinern Bezirk, als den oft recht bedeutenden des Landgerichts, bestellt ist.

Drittens endlich ließe sich sehr wohl eine Verwendung der Amtsanwälte
als vernehmender Behörden im strafrechtlichen Vorverfahren denken. Selbst
wenn man ihnen keine Zwangsbefugnisse für die Ladung und die Zeugnisab-
legung beilegen wollte, wie sie die Gerichte haben, würden doch durch eine
solche Einrichtung sowohl Polizeibehörden wie Amtsgerichte entlastet werden.
Die Polizeibehörden -- besonders die ländlichen, wie im Geltungsbereiche der
neuern Verwaltungsgesetze die Amtsvorsteher, aber auch die kleinern städtischen
Polizeiverwaltuugen ^ empfinden die ihnen obliegende Erledigung der vielen
Requisitionen der Staatsanwaltschaft häufig als eine schwere Belastung (eine
Umfrage in dieser Richtung bei den betreffenden Behörden würde die Richtig¬
keit dieser Annahme vielleicht in überraschendem Maße bestätigen!), was in
nicht seltenen Fällen dazu führt, daß die durch ihre andern Amtsgeschäfte


Der Überfluß an Gerichtsassessoren

besetzten — Amtsgerichten die Geschäfte des Amtsanwalts in ihrem jetzigen
Umfange keine ausreichende Thätigkeit für einen Assessor bilden, kann nicht
zweifelhaft sein; werden diese Geschäfte doch von den jetzigen Aintsanwälten
meist nebenbei besorgt und durften in vielen Fällen ein durchschnitt¬
liches Arbeitspensum von einer Stunde täglich nicht übersteigen. Es ist aber
sehr gut möglich, den Geschäftskreis des Amtsanwalts durch Zuweisung andrer
als der bisherigen Aufgaben wesentlich zu erweitern, und es würde dies um
so weniger bedenklich sein, wenn sich das Amt grundsätzlich in den Händen
einer zum Richteramt geeigneten Persönlichkeit befände. Im einzelnen wäre
die Ausdehnung des Geschäftskreises vielleicht in folgenden drei Richtungen
zu empfehlen. Erstens könnten die Amtsanwälte als Vorsteher der jetzt amts¬
gerichtlichen Gefängnisse und zugleich — was allerdings die Aufhebung des
Absatzes 2 des § 48? der Strafprozeßordnung voraussetzen würde — als
Strafvollstreckungsbehörde in den Fällen thätig sein, wo jetzt in Preußen
die Strafvollstreckung dem Amtsrichter übertragen ist. Sollte die letztere An¬
ordnung, weil sie, wie bemerkt, erfordern würde, daß die „Klinke" der Reichs¬
gesetzgebung in Bewegung gesetzt würde, nicht angemessen erscheinen, so würde
doch der Amtsanwalt schon als Gefängnisvvrsteher den Amtsrichter angemessen
entlasten. Als „angemessen" ist gerade diese Entlastung um deswillen zu be¬
zeichnen, weil die Übertragung des Amtes des unter den Oberstaatsanwalt
gestellten Gefängnisvvrstehers an den unabhängigen Amtsrichter an sich eine
innerlich widerspruchsvolle, uicht wünschenswerte Einrichtung ist.

Zweitens würde es ein nicht ohne weiteres von der Hand zu weisender
Gedanke sein, an Stelle der Staatsanwaltschaft des Landgerichts die des
Amtsgerichts, also den Amtsnnwalt, zur Negisterbehörde zu bestellen. Dies
dürfte sich um so mehr empfehlen, als schon wiederholt die Frage erörtert
worden ist, ob die Strafregister wegen ihrer unvermeidlichen Ausdehnung nicht
aus praktischen Gründen einer Behörde zu überlassen seien, die für einen
kleinern Bezirk, als den oft recht bedeutenden des Landgerichts, bestellt ist.

Drittens endlich ließe sich sehr wohl eine Verwendung der Amtsanwälte
als vernehmender Behörden im strafrechtlichen Vorverfahren denken. Selbst
wenn man ihnen keine Zwangsbefugnisse für die Ladung und die Zeugnisab-
legung beilegen wollte, wie sie die Gerichte haben, würden doch durch eine
solche Einrichtung sowohl Polizeibehörden wie Amtsgerichte entlastet werden.
Die Polizeibehörden — besonders die ländlichen, wie im Geltungsbereiche der
neuern Verwaltungsgesetze die Amtsvorsteher, aber auch die kleinern städtischen
Polizeiverwaltuugen ^ empfinden die ihnen obliegende Erledigung der vielen
Requisitionen der Staatsanwaltschaft häufig als eine schwere Belastung (eine
Umfrage in dieser Richtung bei den betreffenden Behörden würde die Richtig¬
keit dieser Annahme vielleicht in überraschendem Maße bestätigen!), was in
nicht seltenen Fällen dazu führt, daß die durch ihre andern Amtsgeschäfte


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[0237] Der Überfluß an Gerichtsassessoren besetzten — Amtsgerichten die Geschäfte des Amtsanwalts in ihrem jetzigen Umfange keine ausreichende Thätigkeit für einen Assessor bilden, kann nicht zweifelhaft sein; werden diese Geschäfte doch von den jetzigen Aintsanwälten meist nebenbei besorgt und durften in vielen Fällen ein durchschnitt¬ liches Arbeitspensum von einer Stunde täglich nicht übersteigen. Es ist aber sehr gut möglich, den Geschäftskreis des Amtsanwalts durch Zuweisung andrer als der bisherigen Aufgaben wesentlich zu erweitern, und es würde dies um so weniger bedenklich sein, wenn sich das Amt grundsätzlich in den Händen einer zum Richteramt geeigneten Persönlichkeit befände. Im einzelnen wäre die Ausdehnung des Geschäftskreises vielleicht in folgenden drei Richtungen zu empfehlen. Erstens könnten die Amtsanwälte als Vorsteher der jetzt amts¬ gerichtlichen Gefängnisse und zugleich — was allerdings die Aufhebung des Absatzes 2 des § 48? der Strafprozeßordnung voraussetzen würde — als Strafvollstreckungsbehörde in den Fällen thätig sein, wo jetzt in Preußen die Strafvollstreckung dem Amtsrichter übertragen ist. Sollte die letztere An¬ ordnung, weil sie, wie bemerkt, erfordern würde, daß die „Klinke" der Reichs¬ gesetzgebung in Bewegung gesetzt würde, nicht angemessen erscheinen, so würde doch der Amtsanwalt schon als Gefängnisvvrsteher den Amtsrichter angemessen entlasten. Als „angemessen" ist gerade diese Entlastung um deswillen zu be¬ zeichnen, weil die Übertragung des Amtes des unter den Oberstaatsanwalt gestellten Gefängnisvvrstehers an den unabhängigen Amtsrichter an sich eine innerlich widerspruchsvolle, uicht wünschenswerte Einrichtung ist. Zweitens würde es ein nicht ohne weiteres von der Hand zu weisender Gedanke sein, an Stelle der Staatsanwaltschaft des Landgerichts die des Amtsgerichts, also den Amtsnnwalt, zur Negisterbehörde zu bestellen. Dies dürfte sich um so mehr empfehlen, als schon wiederholt die Frage erörtert worden ist, ob die Strafregister wegen ihrer unvermeidlichen Ausdehnung nicht aus praktischen Gründen einer Behörde zu überlassen seien, die für einen kleinern Bezirk, als den oft recht bedeutenden des Landgerichts, bestellt ist. Drittens endlich ließe sich sehr wohl eine Verwendung der Amtsanwälte als vernehmender Behörden im strafrechtlichen Vorverfahren denken. Selbst wenn man ihnen keine Zwangsbefugnisse für die Ladung und die Zeugnisab- legung beilegen wollte, wie sie die Gerichte haben, würden doch durch eine solche Einrichtung sowohl Polizeibehörden wie Amtsgerichte entlastet werden. Die Polizeibehörden — besonders die ländlichen, wie im Geltungsbereiche der neuern Verwaltungsgesetze die Amtsvorsteher, aber auch die kleinern städtischen Polizeiverwaltuugen ^ empfinden die ihnen obliegende Erledigung der vielen Requisitionen der Staatsanwaltschaft häufig als eine schwere Belastung (eine Umfrage in dieser Richtung bei den betreffenden Behörden würde die Richtig¬ keit dieser Annahme vielleicht in überraschendem Maße bestätigen!), was in nicht seltenen Fällen dazu führt, daß die durch ihre andern Amtsgeschäfte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/237>, abgerufen am 23.07.2024.