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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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solchem Zustande ohne Rücksicht darauf straffällig machen, ob der Trunkne
mit oder ohne fein Verschulden dort betroffen wird. Gesetze nun aber, das
Hervortreten des Trunknen in die Öffentlichkeit wäre nicht nur ohne fein Ver¬
schulden, sondern gegen feinen Willen erfolgt, man hätte ihn z. B, ans einem
Kränzchen auf die Straße geworfen, oder er wäre dadurch, daß sein Haus in
Brand geriet, genötigt gewesen, auf die Straße zu entfliehen, oder ein in ge-
schlossenen Privatfuhrwerk fortgebrachter Trunkner würde durch das Ungeschick
seines Kutschers unigeworfen, fiele aus dem Wagen und würde infolgedessen
auf offner Straße betroffen. Nach 18 würde er der Strafe nicht entgehen
können. Darin aber liegt eine Härte, denn er ist im Grnnde nicht schuldiger
und verdient unser Mitleid in noch höherm Maße, als der Trunkenbold, der
sich in demselben Maße berauschte, aber das Glück hatte, von Unfällen der
geschilderten Art verschont zu bleiben.

Auch das -- in dem entsprechenden Paragraphen (488) des italienischen
Strafgesetzbuchs vom 30. Juni 1869 nicht enthaltene -- Erfordernis, wonach der
Zustand ärgerniserregender Trunkenheit "selbstverschuldet" sein muß, verursacht uns
einiges Kopfzerbrechen. Den Gegensatz zu "selbstverschuldet" bildet "durch andre
verschuldet." Wenn aber wäre Trunkenheit nicht selbstverschuldet? Selbst bei
dem allenfalls zu erwägenden Vorkommnis, daß jemandem von andern ohne
sein Wissen berauschende Stoffe ins Getränk gemischt worden wären, ließe sich
ein Mangel eignen Verschuldens kaum annehmen, dann ist es nicht denkbar,
daß die Wirkung jener Stoffe fo plötzlich eintreten konnte, daß der Trinker
nicht Zeit und Anlaß gehabt haben sollte, mit dem Trinken innezuhalten, bevor
seine Trunkenheit den hohen Grad erreichte, den h 18 voraussetzt. Der einzige
Fall nicht selbstverschuldeter Trunkenheit, den wir ausfindig machen können,
ist der, daß jemand mit unmittelbarer physischer Gewalt durch Einflößuug
von Schnaps, Bier oder Wein berauscht gemacht oder durch schwere Drohungen
veranlaßt worden wäre, sich zu berauschen. Da von derartigen Vorgängen
seit den Zeiten des dreißigjährigen Krieges nichts in die Öffentlichkeit gedrungen
ist, so erscheinen sie einer besondern Berücksichtigung durch den Gesetzgeber
kaum bedürftig, dagegen wohl einige Bedenken gerechtfertigt, ob nicht dnrch die
Hervorhebung des Unterschieds zwischen selbstverschuldeter und nichtselbstver¬
schuldeter Trunkenheit der bei Trunksüchtigen regelmäßig anzutreffenden Wahn¬
vorstellung, ihr Laster sei unverschuldet, neue Nahrung gegeben werden würde.
Oder sollte der Verfasser des Entwurfs in einer Anwandlung von Weichmntig-
keit des Falles gedacht haben, wo ein Unglücklicher durch unverdientes Mi߬
geschick dazu getrieben wurde, Trost in der Flasche zu suchen und diesen in
allzu reichlichem Maße gefunden hat? Man wird diese Hypothese vielleicht
gewagt finden, allein wir dürfen nichts unversucht lassen, den Sinn einer
Strafvorschrift zu enträtseln, die bestimmt ist, uns künftig zur Richtschnur zu
dienen. Deshalb wollen wir es uns auch nicht verdrießen lassen, noch die letzte


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solchem Zustande ohne Rücksicht darauf straffällig machen, ob der Trunkne
mit oder ohne fein Verschulden dort betroffen wird. Gesetze nun aber, das
Hervortreten des Trunknen in die Öffentlichkeit wäre nicht nur ohne fein Ver¬
schulden, sondern gegen feinen Willen erfolgt, man hätte ihn z. B, ans einem
Kränzchen auf die Straße geworfen, oder er wäre dadurch, daß sein Haus in
Brand geriet, genötigt gewesen, auf die Straße zu entfliehen, oder ein in ge-
schlossenen Privatfuhrwerk fortgebrachter Trunkner würde durch das Ungeschick
seines Kutschers unigeworfen, fiele aus dem Wagen und würde infolgedessen
auf offner Straße betroffen. Nach 18 würde er der Strafe nicht entgehen
können. Darin aber liegt eine Härte, denn er ist im Grnnde nicht schuldiger
und verdient unser Mitleid in noch höherm Maße, als der Trunkenbold, der
sich in demselben Maße berauschte, aber das Glück hatte, von Unfällen der
geschilderten Art verschont zu bleiben.

Auch das — in dem entsprechenden Paragraphen (488) des italienischen
Strafgesetzbuchs vom 30. Juni 1869 nicht enthaltene — Erfordernis, wonach der
Zustand ärgerniserregender Trunkenheit „selbstverschuldet" sein muß, verursacht uns
einiges Kopfzerbrechen. Den Gegensatz zu „selbstverschuldet" bildet „durch andre
verschuldet." Wenn aber wäre Trunkenheit nicht selbstverschuldet? Selbst bei
dem allenfalls zu erwägenden Vorkommnis, daß jemandem von andern ohne
sein Wissen berauschende Stoffe ins Getränk gemischt worden wären, ließe sich
ein Mangel eignen Verschuldens kaum annehmen, dann ist es nicht denkbar,
daß die Wirkung jener Stoffe fo plötzlich eintreten konnte, daß der Trinker
nicht Zeit und Anlaß gehabt haben sollte, mit dem Trinken innezuhalten, bevor
seine Trunkenheit den hohen Grad erreichte, den h 18 voraussetzt. Der einzige
Fall nicht selbstverschuldeter Trunkenheit, den wir ausfindig machen können,
ist der, daß jemand mit unmittelbarer physischer Gewalt durch Einflößuug
von Schnaps, Bier oder Wein berauscht gemacht oder durch schwere Drohungen
veranlaßt worden wäre, sich zu berauschen. Da von derartigen Vorgängen
seit den Zeiten des dreißigjährigen Krieges nichts in die Öffentlichkeit gedrungen
ist, so erscheinen sie einer besondern Berücksichtigung durch den Gesetzgeber
kaum bedürftig, dagegen wohl einige Bedenken gerechtfertigt, ob nicht dnrch die
Hervorhebung des Unterschieds zwischen selbstverschuldeter und nichtselbstver¬
schuldeter Trunkenheit der bei Trunksüchtigen regelmäßig anzutreffenden Wahn¬
vorstellung, ihr Laster sei unverschuldet, neue Nahrung gegeben werden würde.
Oder sollte der Verfasser des Entwurfs in einer Anwandlung von Weichmntig-
keit des Falles gedacht haben, wo ein Unglücklicher durch unverdientes Mi߬
geschick dazu getrieben wurde, Trost in der Flasche zu suchen und diesen in
allzu reichlichem Maße gefunden hat? Man wird diese Hypothese vielleicht
gewagt finden, allein wir dürfen nichts unversucht lassen, den Sinn einer
Strafvorschrift zu enträtseln, die bestimmt ist, uns künftig zur Richtschnur zu
dienen. Deshalb wollen wir es uns auch nicht verdrießen lassen, noch die letzte


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[0023] Zum (>.runksnchtsg^setzentwnrf solchem Zustande ohne Rücksicht darauf straffällig machen, ob der Trunkne mit oder ohne fein Verschulden dort betroffen wird. Gesetze nun aber, das Hervortreten des Trunknen in die Öffentlichkeit wäre nicht nur ohne fein Ver¬ schulden, sondern gegen feinen Willen erfolgt, man hätte ihn z. B, ans einem Kränzchen auf die Straße geworfen, oder er wäre dadurch, daß sein Haus in Brand geriet, genötigt gewesen, auf die Straße zu entfliehen, oder ein in ge- schlossenen Privatfuhrwerk fortgebrachter Trunkner würde durch das Ungeschick seines Kutschers unigeworfen, fiele aus dem Wagen und würde infolgedessen auf offner Straße betroffen. Nach 18 würde er der Strafe nicht entgehen können. Darin aber liegt eine Härte, denn er ist im Grnnde nicht schuldiger und verdient unser Mitleid in noch höherm Maße, als der Trunkenbold, der sich in demselben Maße berauschte, aber das Glück hatte, von Unfällen der geschilderten Art verschont zu bleiben. Auch das — in dem entsprechenden Paragraphen (488) des italienischen Strafgesetzbuchs vom 30. Juni 1869 nicht enthaltene — Erfordernis, wonach der Zustand ärgerniserregender Trunkenheit „selbstverschuldet" sein muß, verursacht uns einiges Kopfzerbrechen. Den Gegensatz zu „selbstverschuldet" bildet „durch andre verschuldet." Wenn aber wäre Trunkenheit nicht selbstverschuldet? Selbst bei dem allenfalls zu erwägenden Vorkommnis, daß jemandem von andern ohne sein Wissen berauschende Stoffe ins Getränk gemischt worden wären, ließe sich ein Mangel eignen Verschuldens kaum annehmen, dann ist es nicht denkbar, daß die Wirkung jener Stoffe fo plötzlich eintreten konnte, daß der Trinker nicht Zeit und Anlaß gehabt haben sollte, mit dem Trinken innezuhalten, bevor seine Trunkenheit den hohen Grad erreichte, den h 18 voraussetzt. Der einzige Fall nicht selbstverschuldeter Trunkenheit, den wir ausfindig machen können, ist der, daß jemand mit unmittelbarer physischer Gewalt durch Einflößuug von Schnaps, Bier oder Wein berauscht gemacht oder durch schwere Drohungen veranlaßt worden wäre, sich zu berauschen. Da von derartigen Vorgängen seit den Zeiten des dreißigjährigen Krieges nichts in die Öffentlichkeit gedrungen ist, so erscheinen sie einer besondern Berücksichtigung durch den Gesetzgeber kaum bedürftig, dagegen wohl einige Bedenken gerechtfertigt, ob nicht dnrch die Hervorhebung des Unterschieds zwischen selbstverschuldeter und nichtselbstver¬ schuldeter Trunkenheit der bei Trunksüchtigen regelmäßig anzutreffenden Wahn¬ vorstellung, ihr Laster sei unverschuldet, neue Nahrung gegeben werden würde. Oder sollte der Verfasser des Entwurfs in einer Anwandlung von Weichmntig- keit des Falles gedacht haben, wo ein Unglücklicher durch unverdientes Mi߬ geschick dazu getrieben wurde, Trost in der Flasche zu suchen und diesen in allzu reichlichem Maße gefunden hat? Man wird diese Hypothese vielleicht gewagt finden, allein wir dürfen nichts unversucht lassen, den Sinn einer Strafvorschrift zu enträtseln, die bestimmt ist, uns künftig zur Richtschnur zu dienen. Deshalb wollen wir es uns auch nicht verdrießen lassen, noch die letzte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/23>, abgerufen am 23.07.2024.