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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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angeführten Beispiele ein Notfall vorgelegen, die Trunknen aber hätten dies
gemeint, sind sie dann straflos? Oder ist das objektive Vorhandensein eines
Notfalls dafür Bedingung, gemäß dem in Theorie und Praxis vielfach herrschenden,
jedoch keineswegs unbestrittenen Grundsatze, daß es bei bloßen Übertretungen
im Sinne des 29. Abschnitts des deutschen Strafgesetzbuches aus deu Dolus
des Thäters nicht ankomme? Oder ist vielleicht zu unterscheiden, ob die Meinung
des Trnnknen, es liege ein Notfall vor, auf eiuen thatsächlichen Irrtum oder
aus einer falschen Beurteilung der Sachlage beruht; ob, um dies näher zu
erklären, z. B. der Krankenwärter in der irrigen Annahme handelte, das Fieber
des Kranken sei aus 40 Grad, mithin auf eine gefahrdrohende Hohe gestiegen,
während es in Wirklichkeit nnr 38 Grad erreicht hatte und der Kranke sich ohne
Wartung hätte nachhelfen können, oder aber ob der Trunkne, obgleich er die wirk¬
liche Temperatur kannte, aus falscher Beurteilung des Zustandes des Kranken der
Ansicht war, daß dieser seinen Beistand nicht entbehren könne, daß mit andern
Worten ein Notfall vorhanden sei? Endlich noch eine Frage, die auch sür einige der
übrigen Paragraphen in Betracht kommt: welcher Grad von Trunkenheit ist
maßgebend? Der Gesetzentwurf redet von dreierlei Trunkenheit: Trunkenheit
schlechthin, offensichtlicher Trunkenheit und ärgerniserregender Trunkenheit, wobei
es zweifelhaft ist, ob mit dem letztgenannten Beiwort eine Eigenschaft von
Trunkenheit gemeint ist oder ausgedrückt werden soll, daß die Trunkenheit that¬
sächlich ein Ärgernis erregt hat. Aus dieser gelegentlichen Klassifiziruug scheint
jedenfalls soviel hervorzugehen, daß die Trunkenheit nicht stets offensichtlich zu
sein braucht, um dem Truuknen Strafe zuzuziehen. Ist aber auch Augetrunkenseiu
unbedenklich mit inbegriffen?

Bei der Auslegung des h 18 wird unter allen Umständen die Unbestimmt¬
heit der Grenze zwischen ärgerniserregender und nicht ärgerniserregender Trunken¬
heit eine Schwierigkeit bilden. Es entsteht aber zunächst die soeben bereits
angedeutete Frage: Ist unter einem Zustande ärgerniserregender Trunkenheit ein
Zustand zu verstehen, der thatsächlich Ärgernis erregt, oder genügt es, daß er
an sich geeignet ist, Ärgernis zu erregen? Davon würde u. a. die Entscheidung
des Falles abhängen, wenn eine in jenem Zustande befindliche Person an
einem öffentlichen Orte nur von einer sie bejubelnden und umjauchzeuden
Kinderschar angetroffen wird. Oder sollte in diesem Falle die Erregung eines
Ärgernisses angenommen werden, auch ohne daß die, von denen der Trunkne in
solchem Zustande betroffen wurde, ein Ärgernis empfinden?

Nach dem Wortlaute des h 18 soll es schlechthin strafbar sein, wenn jemand
in einem selbstverschuldeten Zustande ürgcrniserregender Trunkenheit betroffen
wird. Vermutlich ist der Versasser des Entwurfs von der Absicht geleitet
worden, daß der Trunkne in solchem Falle auch nicht dnrch Unzurechnungs-
fähigkeit, in die er sich etwa durch gänzliche Trunkenheit versetzt hatte, ent¬
schuldigt sein soll. Dann würde das Betrosfenwerden an öffentlichem Orte in


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angeführten Beispiele ein Notfall vorgelegen, die Trunknen aber hätten dies
gemeint, sind sie dann straflos? Oder ist das objektive Vorhandensein eines
Notfalls dafür Bedingung, gemäß dem in Theorie und Praxis vielfach herrschenden,
jedoch keineswegs unbestrittenen Grundsatze, daß es bei bloßen Übertretungen
im Sinne des 29. Abschnitts des deutschen Strafgesetzbuches aus deu Dolus
des Thäters nicht ankomme? Oder ist vielleicht zu unterscheiden, ob die Meinung
des Trnnknen, es liege ein Notfall vor, auf eiuen thatsächlichen Irrtum oder
aus einer falschen Beurteilung der Sachlage beruht; ob, um dies näher zu
erklären, z. B. der Krankenwärter in der irrigen Annahme handelte, das Fieber
des Kranken sei aus 40 Grad, mithin auf eine gefahrdrohende Hohe gestiegen,
während es in Wirklichkeit nnr 38 Grad erreicht hatte und der Kranke sich ohne
Wartung hätte nachhelfen können, oder aber ob der Trunkne, obgleich er die wirk¬
liche Temperatur kannte, aus falscher Beurteilung des Zustandes des Kranken der
Ansicht war, daß dieser seinen Beistand nicht entbehren könne, daß mit andern
Worten ein Notfall vorhanden sei? Endlich noch eine Frage, die auch sür einige der
übrigen Paragraphen in Betracht kommt: welcher Grad von Trunkenheit ist
maßgebend? Der Gesetzentwurf redet von dreierlei Trunkenheit: Trunkenheit
schlechthin, offensichtlicher Trunkenheit und ärgerniserregender Trunkenheit, wobei
es zweifelhaft ist, ob mit dem letztgenannten Beiwort eine Eigenschaft von
Trunkenheit gemeint ist oder ausgedrückt werden soll, daß die Trunkenheit that¬
sächlich ein Ärgernis erregt hat. Aus dieser gelegentlichen Klassifiziruug scheint
jedenfalls soviel hervorzugehen, daß die Trunkenheit nicht stets offensichtlich zu
sein braucht, um dem Truuknen Strafe zuzuziehen. Ist aber auch Augetrunkenseiu
unbedenklich mit inbegriffen?

Bei der Auslegung des h 18 wird unter allen Umständen die Unbestimmt¬
heit der Grenze zwischen ärgerniserregender und nicht ärgerniserregender Trunken¬
heit eine Schwierigkeit bilden. Es entsteht aber zunächst die soeben bereits
angedeutete Frage: Ist unter einem Zustande ärgerniserregender Trunkenheit ein
Zustand zu verstehen, der thatsächlich Ärgernis erregt, oder genügt es, daß er
an sich geeignet ist, Ärgernis zu erregen? Davon würde u. a. die Entscheidung
des Falles abhängen, wenn eine in jenem Zustande befindliche Person an
einem öffentlichen Orte nur von einer sie bejubelnden und umjauchzeuden
Kinderschar angetroffen wird. Oder sollte in diesem Falle die Erregung eines
Ärgernisses angenommen werden, auch ohne daß die, von denen der Trunkne in
solchem Zustande betroffen wurde, ein Ärgernis empfinden?

Nach dem Wortlaute des h 18 soll es schlechthin strafbar sein, wenn jemand
in einem selbstverschuldeten Zustande ürgcrniserregender Trunkenheit betroffen
wird. Vermutlich ist der Versasser des Entwurfs von der Absicht geleitet
worden, daß der Trunkne in solchem Falle auch nicht dnrch Unzurechnungs-
fähigkeit, in die er sich etwa durch gänzliche Trunkenheit versetzt hatte, ent¬
schuldigt sein soll. Dann würde das Betrosfenwerden an öffentlichem Orte in


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[0022] Zum Trnnksnchtsgesotzentmnrf angeführten Beispiele ein Notfall vorgelegen, die Trunknen aber hätten dies gemeint, sind sie dann straflos? Oder ist das objektive Vorhandensein eines Notfalls dafür Bedingung, gemäß dem in Theorie und Praxis vielfach herrschenden, jedoch keineswegs unbestrittenen Grundsatze, daß es bei bloßen Übertretungen im Sinne des 29. Abschnitts des deutschen Strafgesetzbuches aus deu Dolus des Thäters nicht ankomme? Oder ist vielleicht zu unterscheiden, ob die Meinung des Trnnknen, es liege ein Notfall vor, auf eiuen thatsächlichen Irrtum oder aus einer falschen Beurteilung der Sachlage beruht; ob, um dies näher zu erklären, z. B. der Krankenwärter in der irrigen Annahme handelte, das Fieber des Kranken sei aus 40 Grad, mithin auf eine gefahrdrohende Hohe gestiegen, während es in Wirklichkeit nnr 38 Grad erreicht hatte und der Kranke sich ohne Wartung hätte nachhelfen können, oder aber ob der Trunkne, obgleich er die wirk¬ liche Temperatur kannte, aus falscher Beurteilung des Zustandes des Kranken der Ansicht war, daß dieser seinen Beistand nicht entbehren könne, daß mit andern Worten ein Notfall vorhanden sei? Endlich noch eine Frage, die auch sür einige der übrigen Paragraphen in Betracht kommt: welcher Grad von Trunkenheit ist maßgebend? Der Gesetzentwurf redet von dreierlei Trunkenheit: Trunkenheit schlechthin, offensichtlicher Trunkenheit und ärgerniserregender Trunkenheit, wobei es zweifelhaft ist, ob mit dem letztgenannten Beiwort eine Eigenschaft von Trunkenheit gemeint ist oder ausgedrückt werden soll, daß die Trunkenheit that¬ sächlich ein Ärgernis erregt hat. Aus dieser gelegentlichen Klassifiziruug scheint jedenfalls soviel hervorzugehen, daß die Trunkenheit nicht stets offensichtlich zu sein braucht, um dem Truuknen Strafe zuzuziehen. Ist aber auch Augetrunkenseiu unbedenklich mit inbegriffen? Bei der Auslegung des h 18 wird unter allen Umständen die Unbestimmt¬ heit der Grenze zwischen ärgerniserregender und nicht ärgerniserregender Trunken¬ heit eine Schwierigkeit bilden. Es entsteht aber zunächst die soeben bereits angedeutete Frage: Ist unter einem Zustande ärgerniserregender Trunkenheit ein Zustand zu verstehen, der thatsächlich Ärgernis erregt, oder genügt es, daß er an sich geeignet ist, Ärgernis zu erregen? Davon würde u. a. die Entscheidung des Falles abhängen, wenn eine in jenem Zustande befindliche Person an einem öffentlichen Orte nur von einer sie bejubelnden und umjauchzeuden Kinderschar angetroffen wird. Oder sollte in diesem Falle die Erregung eines Ärgernisses angenommen werden, auch ohne daß die, von denen der Trunkne in solchem Zustande betroffen wurde, ein Ärgernis empfinden? Nach dem Wortlaute des h 18 soll es schlechthin strafbar sein, wenn jemand in einem selbstverschuldeten Zustande ürgcrniserregender Trunkenheit betroffen wird. Vermutlich ist der Versasser des Entwurfs von der Absicht geleitet worden, daß der Trunkne in solchem Falle auch nicht dnrch Unzurechnungs- fähigkeit, in die er sich etwa durch gänzliche Trunkenheit versetzt hatte, ent¬ schuldigt sein soll. Dann würde das Betrosfenwerden an öffentlichem Orte in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/22>, abgerufen am 23.07.2024.