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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der Stand der Arbeiterbewegung

Hindernisse. An sich ist sie auch weit schwieriger als die politische. Die
Arbeiter sind leichter von dem kaum geheimzuhaltenden Beitritt zu einem
sozialdemokratischen Fachvereine durch die Arbeitgeber abzuhalten. Die Fach¬
vereine können daher nur da Boden fassen, wo die Partei so stark ist, daß die
Zugehörigkeit nicht ohne weiteres einen Grund zur Entlassung abgeben kann.
Aber auch dort haben die Arbeitgeber bei einem für sie günstig verlaufenen
Streik den Arbeitern den Austritt aus dem Fachvereine fast stets zur Bedingung
gemacht. Auf diese Weise ist letzthin wieder der Fachverein der Weber in Lindenau
gesprengt worden. Außerdem bekämpfen sich in Beziehung auf die gewerbliche
Organisation innerhalb der Partei selbst zwei Richtungen. Die lokalen
Großen wollen sich der Zentralisation nicht fügen. Der im letztern Sinne von
der Generalkommission in Hamburg -- die gewerbliche Organisation hat hier ihren
Sitz und nicht wie die politische in Berlin -- ausgearbeitete Organisativns-
entwurf ist fast nirgends gebilligt, sondern in zahlreichen Resolutionen unan¬
nehmbar befunden worden. Die Thatsache, daß trotz der Generalansstands-
kvmmission jede Arbeitseinstellung im vorigen Jahre verloren gegangen ist,
ist ebenfalls geeignet, viele gegen die zentralistische Organisation einzunehmen.
Eine Ausgleichung zwischen Zentralisten und Lokalisten soll ans einem im
nächsten Frühjahre in Halberstndt stattfindenden allgemeinen Gewerkschafts¬
kongreß versucht werden.

Neue Fachvereiue find in der Bildung begriffen in Leipzig unter deu
Holzarbeitern, Schreinern, Metallarbeitern, Korbmachern und Schinicdegesellen,
in Berlin unter den Malern und Schornsteinfegergehilfen, in Braunschweig
unter den Schlächtergehilfen, in Hamburg unter den bei der Pferdebahn be¬
schäftigten Arbeitern, in Bremerhaven unter den Hafenarbeitern. Verbandstage
haben abgehalten die Gold- und Silberarbeiter in Pforzheim, die Bäckergehilfen
in Altenburg, die Zimmerer in Bamberg, die Mechaniker in Hamburg, die
Schuhmacher in Frankfurt a. M, die Nadelarbeiter in Iserlohn. Der allge¬
meine Verband der Gold- und Silberarbeiter zählt jetzt bereits 2200 Mit¬
glieder. Der Verband der Mechaniker soll in den Verband der Metallarbeiter
übergeführt werden. Außerdem wird in Berlin ein Kartell zwischen Bäckern
und Schlächtern angebahnt. Dagegen haben sich wieder die Verbünde der
Schmiede und Former von der allgemeinen Metallarbeiterunivn losgesagt und
wollen eine eigne Union mit dem Sitz in Hamburg bilde".

Die in Hamburg im vorigen Jahre durch aufgesperrte Glasarbeiter ge¬
gründete Gcnvsseuschaftsfabrik scheint zu rentiren und geht damit um, eine
Niederlage in Berlin anzulegen. Desgleichen wollen in Frankfurt n. M. die
Buchdrucker eine solche Fabrik gründen. Bereits sind die Maschinen bestellt. Da¬
gegen ist in Berlin die geplante Genvsfenschaftsbückerei nicht zu stände gekommen.

Die Kontrollmarken, deren Bedeutung wir schon früher einmal erklärt
haben, finden jetzt nicht mehr bloß bei der Hutfabrikation, sondern auch im


Der Stand der Arbeiterbewegung

Hindernisse. An sich ist sie auch weit schwieriger als die politische. Die
Arbeiter sind leichter von dem kaum geheimzuhaltenden Beitritt zu einem
sozialdemokratischen Fachvereine durch die Arbeitgeber abzuhalten. Die Fach¬
vereine können daher nur da Boden fassen, wo die Partei so stark ist, daß die
Zugehörigkeit nicht ohne weiteres einen Grund zur Entlassung abgeben kann.
Aber auch dort haben die Arbeitgeber bei einem für sie günstig verlaufenen
Streik den Arbeitern den Austritt aus dem Fachvereine fast stets zur Bedingung
gemacht. Auf diese Weise ist letzthin wieder der Fachverein der Weber in Lindenau
gesprengt worden. Außerdem bekämpfen sich in Beziehung auf die gewerbliche
Organisation innerhalb der Partei selbst zwei Richtungen. Die lokalen
Großen wollen sich der Zentralisation nicht fügen. Der im letztern Sinne von
der Generalkommission in Hamburg — die gewerbliche Organisation hat hier ihren
Sitz und nicht wie die politische in Berlin — ausgearbeitete Organisativns-
entwurf ist fast nirgends gebilligt, sondern in zahlreichen Resolutionen unan¬
nehmbar befunden worden. Die Thatsache, daß trotz der Generalansstands-
kvmmission jede Arbeitseinstellung im vorigen Jahre verloren gegangen ist,
ist ebenfalls geeignet, viele gegen die zentralistische Organisation einzunehmen.
Eine Ausgleichung zwischen Zentralisten und Lokalisten soll ans einem im
nächsten Frühjahre in Halberstndt stattfindenden allgemeinen Gewerkschafts¬
kongreß versucht werden.

Neue Fachvereiue find in der Bildung begriffen in Leipzig unter deu
Holzarbeitern, Schreinern, Metallarbeitern, Korbmachern und Schinicdegesellen,
in Berlin unter den Malern und Schornsteinfegergehilfen, in Braunschweig
unter den Schlächtergehilfen, in Hamburg unter den bei der Pferdebahn be¬
schäftigten Arbeitern, in Bremerhaven unter den Hafenarbeitern. Verbandstage
haben abgehalten die Gold- und Silberarbeiter in Pforzheim, die Bäckergehilfen
in Altenburg, die Zimmerer in Bamberg, die Mechaniker in Hamburg, die
Schuhmacher in Frankfurt a. M, die Nadelarbeiter in Iserlohn. Der allge¬
meine Verband der Gold- und Silberarbeiter zählt jetzt bereits 2200 Mit¬
glieder. Der Verband der Mechaniker soll in den Verband der Metallarbeiter
übergeführt werden. Außerdem wird in Berlin ein Kartell zwischen Bäckern
und Schlächtern angebahnt. Dagegen haben sich wieder die Verbünde der
Schmiede und Former von der allgemeinen Metallarbeiterunivn losgesagt und
wollen eine eigne Union mit dem Sitz in Hamburg bilde».

Die in Hamburg im vorigen Jahre durch aufgesperrte Glasarbeiter ge¬
gründete Gcnvsseuschaftsfabrik scheint zu rentiren und geht damit um, eine
Niederlage in Berlin anzulegen. Desgleichen wollen in Frankfurt n. M. die
Buchdrucker eine solche Fabrik gründen. Bereits sind die Maschinen bestellt. Da¬
gegen ist in Berlin die geplante Genvsfenschaftsbückerei nicht zu stände gekommen.

Die Kontrollmarken, deren Bedeutung wir schon früher einmal erklärt
haben, finden jetzt nicht mehr bloß bei der Hutfabrikation, sondern auch im


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[0216] Der Stand der Arbeiterbewegung Hindernisse. An sich ist sie auch weit schwieriger als die politische. Die Arbeiter sind leichter von dem kaum geheimzuhaltenden Beitritt zu einem sozialdemokratischen Fachvereine durch die Arbeitgeber abzuhalten. Die Fach¬ vereine können daher nur da Boden fassen, wo die Partei so stark ist, daß die Zugehörigkeit nicht ohne weiteres einen Grund zur Entlassung abgeben kann. Aber auch dort haben die Arbeitgeber bei einem für sie günstig verlaufenen Streik den Arbeitern den Austritt aus dem Fachvereine fast stets zur Bedingung gemacht. Auf diese Weise ist letzthin wieder der Fachverein der Weber in Lindenau gesprengt worden. Außerdem bekämpfen sich in Beziehung auf die gewerbliche Organisation innerhalb der Partei selbst zwei Richtungen. Die lokalen Großen wollen sich der Zentralisation nicht fügen. Der im letztern Sinne von der Generalkommission in Hamburg — die gewerbliche Organisation hat hier ihren Sitz und nicht wie die politische in Berlin — ausgearbeitete Organisativns- entwurf ist fast nirgends gebilligt, sondern in zahlreichen Resolutionen unan¬ nehmbar befunden worden. Die Thatsache, daß trotz der Generalansstands- kvmmission jede Arbeitseinstellung im vorigen Jahre verloren gegangen ist, ist ebenfalls geeignet, viele gegen die zentralistische Organisation einzunehmen. Eine Ausgleichung zwischen Zentralisten und Lokalisten soll ans einem im nächsten Frühjahre in Halberstndt stattfindenden allgemeinen Gewerkschafts¬ kongreß versucht werden. Neue Fachvereiue find in der Bildung begriffen in Leipzig unter deu Holzarbeitern, Schreinern, Metallarbeitern, Korbmachern und Schinicdegesellen, in Berlin unter den Malern und Schornsteinfegergehilfen, in Braunschweig unter den Schlächtergehilfen, in Hamburg unter den bei der Pferdebahn be¬ schäftigten Arbeitern, in Bremerhaven unter den Hafenarbeitern. Verbandstage haben abgehalten die Gold- und Silberarbeiter in Pforzheim, die Bäckergehilfen in Altenburg, die Zimmerer in Bamberg, die Mechaniker in Hamburg, die Schuhmacher in Frankfurt a. M, die Nadelarbeiter in Iserlohn. Der allge¬ meine Verband der Gold- und Silberarbeiter zählt jetzt bereits 2200 Mit¬ glieder. Der Verband der Mechaniker soll in den Verband der Metallarbeiter übergeführt werden. Außerdem wird in Berlin ein Kartell zwischen Bäckern und Schlächtern angebahnt. Dagegen haben sich wieder die Verbünde der Schmiede und Former von der allgemeinen Metallarbeiterunivn losgesagt und wollen eine eigne Union mit dem Sitz in Hamburg bilde». Die in Hamburg im vorigen Jahre durch aufgesperrte Glasarbeiter ge¬ gründete Gcnvsseuschaftsfabrik scheint zu rentiren und geht damit um, eine Niederlage in Berlin anzulegen. Desgleichen wollen in Frankfurt n. M. die Buchdrucker eine solche Fabrik gründen. Bereits sind die Maschinen bestellt. Da¬ gegen ist in Berlin die geplante Genvsfenschaftsbückerei nicht zu stände gekommen. Die Kontrollmarken, deren Bedeutung wir schon früher einmal erklärt haben, finden jetzt nicht mehr bloß bei der Hutfabrikation, sondern auch im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/216>, abgerufen am 23.07.2024.