Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Litteratur

Der erste Halbhart der vaterländischen Schriften schließt mit einer im Jahre
1836 gehaltenen Rede gegen das "junge Deutschland." Er untersucht darin,
welche Angriffe die Jungdeutschen Heine, Börne, Mundt und Gutzkow gegen das
Christentum gerichtet hätten, was an diesen Angriffen neu und was wahr sei.
Die Rede, auf die wir namentlich auch unsre Litterarhistoriker aufmerksam
macheu, ist reich an vortrefflichen Bemerkungen. Hase unterscheidet zwischen einer aske¬
tischen und einer hellenischen Lebensgestaltung. Beide hätten in ihrer strengen Ein¬
seitigkeit unsterbliche Werke hervorgebracht; aber erst aus ihrer Verschmelzung er¬
stehe die wahre Humanität. Die Jungdeutschen seien Verfechter der hellenischen
Lebensführung, und zwar der entarteten, die die heitern Tempel der olympischen
Götter in gemeine Freudenhäuser Verkehre. Statt eine Religion der Schönheit und
der Mäßigung verkündigten sie das Evangelium der brutalen Fleischeslust (ganz
wie unsre lüsterne Judenlitteratur, die in diesen Blättern übrigens nicht mit der
Wichtigkeit behandelt werden sollte, wie das Moritz Necker z. B. in seinem Auf¬
satz über Berliner Liebesromane thut, die Grenzboten find für solche Gesellschaft
zu gut!). Nur das wahre christliche Leben enthalte die asketischen und die helle¬
nischen Bestandteile in der richtigen Mischung. In ihr liege daher die wahre
Humanität, zu der sich ein Jude beim besten Willen, und könnte sein Witz Berge
versetzen und hätte er alle Philosophien im Leibe, niemals emporzuschwingen ver¬
möchte. Heine hat der christlichen Religion vorgeworfen, daß sie die Schönheit
der Natur verachte und von einem bösen Wesen ableite. Dazu sagt Hase: "Christus
hielt die Lilien auf dem Felde für schöner als Salomo in seiner Königspracht
und verwies uns auf die Vögel unter dem Himmel, die nicht ackern und nicht in
die Scheuern fahren, als auf die Lehrmeister der rechten frommen Sorglosigkeit.
Obwohl die asketische Volkssitte es empfahl, so wollte Jesus doch nicht, daß seine
Jünger zu Zeiten fasteten, und wenn sich nach seiner Hinwegnahme thun wollten,
so ermahnte er sie, wenigstens nicht viel darauf zu geben und sich nicht mit Kopf¬
hänger vor den Leuten breit zu machen. Derjenige Apostel, der unter allen am
klarsten das Göttliche an der Humanität Jesu ausgesprochen hat, trug doch kein
Bedenken, zu erzählen, daß unser Herr, nachdem er die ersten Schüler gesammelt
hatte, nichts Wichtigeres zu thun hatte, als mit ihnen auf die Hochzeit zu gehen.
Und was hat er daselbst gemacht? Wein hat er gemacht! ich denke nicht, daß
die Hochzeitsgäste bereits in Gefahr waren, vor Durst umzukommen, also dem
Inhalte des Wunders nach hat er die hochzeitliche Freude befördert; Wein hat er
gemacht, die geistigste Blüte, die Dithyrambe des Naturlebens, und als nachher
die Kunde kam, da er wußte, daß er nie wieder trinken werde vom Gewächse des
Weinstocks, da hat er den Wein zum Sinnbilde seiner selbst, zum Träger seiner
lebendigen Gegenwart unter den Seinen gewählt."






Mr die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marqunrt in Leipzig
Litteratur

Der erste Halbhart der vaterländischen Schriften schließt mit einer im Jahre
1836 gehaltenen Rede gegen das „junge Deutschland." Er untersucht darin,
welche Angriffe die Jungdeutschen Heine, Börne, Mundt und Gutzkow gegen das
Christentum gerichtet hätten, was an diesen Angriffen neu und was wahr sei.
Die Rede, auf die wir namentlich auch unsre Litterarhistoriker aufmerksam
macheu, ist reich an vortrefflichen Bemerkungen. Hase unterscheidet zwischen einer aske¬
tischen und einer hellenischen Lebensgestaltung. Beide hätten in ihrer strengen Ein¬
seitigkeit unsterbliche Werke hervorgebracht; aber erst aus ihrer Verschmelzung er¬
stehe die wahre Humanität. Die Jungdeutschen seien Verfechter der hellenischen
Lebensführung, und zwar der entarteten, die die heitern Tempel der olympischen
Götter in gemeine Freudenhäuser Verkehre. Statt eine Religion der Schönheit und
der Mäßigung verkündigten sie das Evangelium der brutalen Fleischeslust (ganz
wie unsre lüsterne Judenlitteratur, die in diesen Blättern übrigens nicht mit der
Wichtigkeit behandelt werden sollte, wie das Moritz Necker z. B. in seinem Auf¬
satz über Berliner Liebesromane thut, die Grenzboten find für solche Gesellschaft
zu gut!). Nur das wahre christliche Leben enthalte die asketischen und die helle¬
nischen Bestandteile in der richtigen Mischung. In ihr liege daher die wahre
Humanität, zu der sich ein Jude beim besten Willen, und könnte sein Witz Berge
versetzen und hätte er alle Philosophien im Leibe, niemals emporzuschwingen ver¬
möchte. Heine hat der christlichen Religion vorgeworfen, daß sie die Schönheit
der Natur verachte und von einem bösen Wesen ableite. Dazu sagt Hase: „Christus
hielt die Lilien auf dem Felde für schöner als Salomo in seiner Königspracht
und verwies uns auf die Vögel unter dem Himmel, die nicht ackern und nicht in
die Scheuern fahren, als auf die Lehrmeister der rechten frommen Sorglosigkeit.
Obwohl die asketische Volkssitte es empfahl, so wollte Jesus doch nicht, daß seine
Jünger zu Zeiten fasteten, und wenn sich nach seiner Hinwegnahme thun wollten,
so ermahnte er sie, wenigstens nicht viel darauf zu geben und sich nicht mit Kopf¬
hänger vor den Leuten breit zu machen. Derjenige Apostel, der unter allen am
klarsten das Göttliche an der Humanität Jesu ausgesprochen hat, trug doch kein
Bedenken, zu erzählen, daß unser Herr, nachdem er die ersten Schüler gesammelt
hatte, nichts Wichtigeres zu thun hatte, als mit ihnen auf die Hochzeit zu gehen.
Und was hat er daselbst gemacht? Wein hat er gemacht! ich denke nicht, daß
die Hochzeitsgäste bereits in Gefahr waren, vor Durst umzukommen, also dem
Inhalte des Wunders nach hat er die hochzeitliche Freude befördert; Wein hat er
gemacht, die geistigste Blüte, die Dithyrambe des Naturlebens, und als nachher
die Kunde kam, da er wußte, daß er nie wieder trinken werde vom Gewächse des
Weinstocks, da hat er den Wein zum Sinnbilde seiner selbst, zum Träger seiner
lebendigen Gegenwart unter den Seinen gewählt."






Mr die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marqunrt in Leipzig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211376"/>
          <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_633"> Der erste Halbhart der vaterländischen Schriften schließt mit einer im Jahre<lb/>
1836 gehaltenen Rede gegen das &#x201E;junge Deutschland." Er untersucht darin,<lb/>
welche Angriffe die Jungdeutschen Heine, Börne, Mundt und Gutzkow gegen das<lb/>
Christentum gerichtet hätten, was an diesen Angriffen neu und was wahr sei.<lb/>
Die Rede, auf die wir namentlich auch unsre Litterarhistoriker aufmerksam<lb/>
macheu, ist reich an vortrefflichen Bemerkungen. Hase unterscheidet zwischen einer aske¬<lb/>
tischen und einer hellenischen Lebensgestaltung. Beide hätten in ihrer strengen Ein¬<lb/>
seitigkeit unsterbliche Werke hervorgebracht; aber erst aus ihrer Verschmelzung er¬<lb/>
stehe die wahre Humanität. Die Jungdeutschen seien Verfechter der hellenischen<lb/>
Lebensführung, und zwar der entarteten, die die heitern Tempel der olympischen<lb/>
Götter in gemeine Freudenhäuser Verkehre. Statt eine Religion der Schönheit und<lb/>
der Mäßigung verkündigten sie das Evangelium der brutalen Fleischeslust (ganz<lb/>
wie unsre lüsterne Judenlitteratur, die in diesen Blättern übrigens nicht mit der<lb/>
Wichtigkeit behandelt werden sollte, wie das Moritz Necker z. B. in seinem Auf¬<lb/>
satz über Berliner Liebesromane thut, die Grenzboten find für solche Gesellschaft<lb/>
zu gut!). Nur das wahre christliche Leben enthalte die asketischen und die helle¬<lb/>
nischen Bestandteile in der richtigen Mischung. In ihr liege daher die wahre<lb/>
Humanität, zu der sich ein Jude beim besten Willen, und könnte sein Witz Berge<lb/>
versetzen und hätte er alle Philosophien im Leibe, niemals emporzuschwingen ver¬<lb/>
möchte. Heine hat der christlichen Religion vorgeworfen, daß sie die Schönheit<lb/>
der Natur verachte und von einem bösen Wesen ableite. Dazu sagt Hase: &#x201E;Christus<lb/>
hielt die Lilien auf dem Felde für schöner als Salomo in seiner Königspracht<lb/>
und verwies uns auf die Vögel unter dem Himmel, die nicht ackern und nicht in<lb/>
die Scheuern fahren, als auf die Lehrmeister der rechten frommen Sorglosigkeit.<lb/>
Obwohl die asketische Volkssitte es empfahl, so wollte Jesus doch nicht, daß seine<lb/>
Jünger zu Zeiten fasteten, und wenn sich nach seiner Hinwegnahme thun wollten,<lb/>
so ermahnte er sie, wenigstens nicht viel darauf zu geben und sich nicht mit Kopf¬<lb/>
hänger vor den Leuten breit zu machen. Derjenige Apostel, der unter allen am<lb/>
klarsten das Göttliche an der Humanität Jesu ausgesprochen hat, trug doch kein<lb/>
Bedenken, zu erzählen, daß unser Herr, nachdem er die ersten Schüler gesammelt<lb/>
hatte, nichts Wichtigeres zu thun hatte, als mit ihnen auf die Hochzeit zu gehen.<lb/>
Und was hat er daselbst gemacht? Wein hat er gemacht! ich denke nicht, daß<lb/>
die Hochzeitsgäste bereits in Gefahr waren, vor Durst umzukommen, also dem<lb/>
Inhalte des Wunders nach hat er die hochzeitliche Freude befördert; Wein hat er<lb/>
gemacht, die geistigste Blüte, die Dithyrambe des Naturlebens, und als nachher<lb/>
die Kunde kam, da er wußte, daß er nie wieder trinken werde vom Gewächse des<lb/>
Weinstocks, da hat er den Wein zum Sinnbilde seiner selbst, zum Träger seiner<lb/>
lebendigen Gegenwart unter den Seinen gewählt."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Mr die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig<lb/>
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig &#x2014; Druck von Carl Marqunrt in Leipzig</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0208] Litteratur Der erste Halbhart der vaterländischen Schriften schließt mit einer im Jahre 1836 gehaltenen Rede gegen das „junge Deutschland." Er untersucht darin, welche Angriffe die Jungdeutschen Heine, Börne, Mundt und Gutzkow gegen das Christentum gerichtet hätten, was an diesen Angriffen neu und was wahr sei. Die Rede, auf die wir namentlich auch unsre Litterarhistoriker aufmerksam macheu, ist reich an vortrefflichen Bemerkungen. Hase unterscheidet zwischen einer aske¬ tischen und einer hellenischen Lebensgestaltung. Beide hätten in ihrer strengen Ein¬ seitigkeit unsterbliche Werke hervorgebracht; aber erst aus ihrer Verschmelzung er¬ stehe die wahre Humanität. Die Jungdeutschen seien Verfechter der hellenischen Lebensführung, und zwar der entarteten, die die heitern Tempel der olympischen Götter in gemeine Freudenhäuser Verkehre. Statt eine Religion der Schönheit und der Mäßigung verkündigten sie das Evangelium der brutalen Fleischeslust (ganz wie unsre lüsterne Judenlitteratur, die in diesen Blättern übrigens nicht mit der Wichtigkeit behandelt werden sollte, wie das Moritz Necker z. B. in seinem Auf¬ satz über Berliner Liebesromane thut, die Grenzboten find für solche Gesellschaft zu gut!). Nur das wahre christliche Leben enthalte die asketischen und die helle¬ nischen Bestandteile in der richtigen Mischung. In ihr liege daher die wahre Humanität, zu der sich ein Jude beim besten Willen, und könnte sein Witz Berge versetzen und hätte er alle Philosophien im Leibe, niemals emporzuschwingen ver¬ möchte. Heine hat der christlichen Religion vorgeworfen, daß sie die Schönheit der Natur verachte und von einem bösen Wesen ableite. Dazu sagt Hase: „Christus hielt die Lilien auf dem Felde für schöner als Salomo in seiner Königspracht und verwies uns auf die Vögel unter dem Himmel, die nicht ackern und nicht in die Scheuern fahren, als auf die Lehrmeister der rechten frommen Sorglosigkeit. Obwohl die asketische Volkssitte es empfahl, so wollte Jesus doch nicht, daß seine Jünger zu Zeiten fasteten, und wenn sich nach seiner Hinwegnahme thun wollten, so ermahnte er sie, wenigstens nicht viel darauf zu geben und sich nicht mit Kopf¬ hänger vor den Leuten breit zu machen. Derjenige Apostel, der unter allen am klarsten das Göttliche an der Humanität Jesu ausgesprochen hat, trug doch kein Bedenken, zu erzählen, daß unser Herr, nachdem er die ersten Schüler gesammelt hatte, nichts Wichtigeres zu thun hatte, als mit ihnen auf die Hochzeit zu gehen. Und was hat er daselbst gemacht? Wein hat er gemacht! ich denke nicht, daß die Hochzeitsgäste bereits in Gefahr waren, vor Durst umzukommen, also dem Inhalte des Wunders nach hat er die hochzeitliche Freude befördert; Wein hat er gemacht, die geistigste Blüte, die Dithyrambe des Naturlebens, und als nachher die Kunde kam, da er wußte, daß er nie wieder trinken werde vom Gewächse des Weinstocks, da hat er den Wein zum Sinnbilde seiner selbst, zum Träger seiner lebendigen Gegenwart unter den Seinen gewählt." Mr die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marqunrt in Leipzig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/208
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/208>, abgerufen am 23.07.2024.