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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

langten, und traten eilig ein. Seine Mutter stand am Fußende seines Bettchens,
und er selbst lag so still, daß wir glaubten, er schliefe. Seine Augen waren
aber weit geöffnet, und als er uns erblickte, winkte er mit der Hand.

Hier ist das echte Krambambuli, sagte ich, mich über ihn beugend, und
er lächelte glückselig.

Das echte, wiederholte er mit leisem Lachen, und morgen -- spiele
ich wieder!

Seine Glieder streckten sich, noch einmal lachte er uns an, dann schloß
er die Augen, und ein starrer Zug trat in sein Gesicht: er war tot. --

Nun spielt Karl mit den Engeln! sagte unser jüngerer Bruder vergnügt,
als der kleine schwarze Sarg bei unserm Hause vorbeigetragen wurde. Und
dieser Gedanke trocknete auch unsre Thränen. Im Himmel zu spielen war
doch noch besser, als auf der Erde Krambambuli zu trinken.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der "Fall Limburg-Stirnen" und die Parteien.

Wie sehr alles,
was geschieht, von den öffentlichen Blättern nur vom Standpunkte des engherzigsten
parteipolitischer Interesses betrachtet wird, und wie wenig Raum innerhalb des
Gesichtskreises derer, die den Beruf in sich fühlen, die öffentliche Meinung zu
vertreten, das allgemeine Interesse und die Erwägungen der Gerechtigkeit finden,
dafür bietet der gegenwärtig lebhaft erörterte "Fall Limburg-Stirnen" einen deut¬
lichen Beweis. Abgesehen von der offiziösen "Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" und
dem, wie in manchem andern Punkte, so auch in diesem von der Regierung offenbar
benutzten "Hamburgischen Korrespondenten" haben wir nirgends eine wirklich
würdige Beurteilung dieser Disziplinarsache gefunden. Von der äußersten Rechten
bis zur äußersten Linken war es dieselbe verfehlte Grundanschauung, von der man
ausging, überall erschien in gleichem oder doch annähernd gleichem Maße der
Gerechtigkeitssinn durch das parteipolitische Interesse getrübt. Während man auf der
Rechten in heftigen Zorn geriet und das Vorgehen gegen einen ungehorsame"
Beamten als eine Verletzung der konservativen Partei bezeichnete, weil dieser
Beamter ein konservativer Landtagsabgeordneter war und die Auslassung, um
deretwegen er zur Verantwortung gezogen werden sollte, den Anschauungen der
Mehrheit dieser Partei entsprach, rieb man sich links vergnügt die Hände und
sagte: "Da habt ihrs! Als unsere Parteigenossen wegen politischer Umtriebe
verfolgt wurden, habt ihr der Regierung zugestimmt. Jetzt zürnt ihr, wenn
sich der Spieß einmal gegen einen der Euern kehrt." Als politisch verfehlt be¬
zeichnet das Organ der Mitte, die "Kölnische Zeitung," die Maßregel, über deren
formelle Unanfechtbarkeit nirgends ein Zweifel besteht, und sie glaubt, oder wie
es wohl von ihrem Standpunkt aus aufrichtiger heißen müßte, sie "hofft," daß
die Maßregel die Strömung gegen den neuen Kurs noch verstärken werde. So


Maßgebliches und Unmaßgebliches

langten, und traten eilig ein. Seine Mutter stand am Fußende seines Bettchens,
und er selbst lag so still, daß wir glaubten, er schliefe. Seine Augen waren
aber weit geöffnet, und als er uns erblickte, winkte er mit der Hand.

Hier ist das echte Krambambuli, sagte ich, mich über ihn beugend, und
er lächelte glückselig.

Das echte, wiederholte er mit leisem Lachen, und morgen — spiele
ich wieder!

Seine Glieder streckten sich, noch einmal lachte er uns an, dann schloß
er die Augen, und ein starrer Zug trat in sein Gesicht: er war tot. —

Nun spielt Karl mit den Engeln! sagte unser jüngerer Bruder vergnügt,
als der kleine schwarze Sarg bei unserm Hause vorbeigetragen wurde. Und
dieser Gedanke trocknete auch unsre Thränen. Im Himmel zu spielen war
doch noch besser, als auf der Erde Krambambuli zu trinken.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der „Fall Limburg-Stirnen" und die Parteien.

Wie sehr alles,
was geschieht, von den öffentlichen Blättern nur vom Standpunkte des engherzigsten
parteipolitischer Interesses betrachtet wird, und wie wenig Raum innerhalb des
Gesichtskreises derer, die den Beruf in sich fühlen, die öffentliche Meinung zu
vertreten, das allgemeine Interesse und die Erwägungen der Gerechtigkeit finden,
dafür bietet der gegenwärtig lebhaft erörterte „Fall Limburg-Stirnen" einen deut¬
lichen Beweis. Abgesehen von der offiziösen „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" und
dem, wie in manchem andern Punkte, so auch in diesem von der Regierung offenbar
benutzten „Hamburgischen Korrespondenten" haben wir nirgends eine wirklich
würdige Beurteilung dieser Disziplinarsache gefunden. Von der äußersten Rechten
bis zur äußersten Linken war es dieselbe verfehlte Grundanschauung, von der man
ausging, überall erschien in gleichem oder doch annähernd gleichem Maße der
Gerechtigkeitssinn durch das parteipolitische Interesse getrübt. Während man auf der
Rechten in heftigen Zorn geriet und das Vorgehen gegen einen ungehorsame»
Beamten als eine Verletzung der konservativen Partei bezeichnete, weil dieser
Beamter ein konservativer Landtagsabgeordneter war und die Auslassung, um
deretwegen er zur Verantwortung gezogen werden sollte, den Anschauungen der
Mehrheit dieser Partei entsprach, rieb man sich links vergnügt die Hände und
sagte: „Da habt ihrs! Als unsere Parteigenossen wegen politischer Umtriebe
verfolgt wurden, habt ihr der Regierung zugestimmt. Jetzt zürnt ihr, wenn
sich der Spieß einmal gegen einen der Euern kehrt." Als politisch verfehlt be¬
zeichnet das Organ der Mitte, die „Kölnische Zeitung," die Maßregel, über deren
formelle Unanfechtbarkeit nirgends ein Zweifel besteht, und sie glaubt, oder wie
es wohl von ihrem Standpunkt aus aufrichtiger heißen müßte, sie „hofft," daß
die Maßregel die Strömung gegen den neuen Kurs noch verstärken werde. So


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[0195] Maßgebliches und Unmaßgebliches langten, und traten eilig ein. Seine Mutter stand am Fußende seines Bettchens, und er selbst lag so still, daß wir glaubten, er schliefe. Seine Augen waren aber weit geöffnet, und als er uns erblickte, winkte er mit der Hand. Hier ist das echte Krambambuli, sagte ich, mich über ihn beugend, und er lächelte glückselig. Das echte, wiederholte er mit leisem Lachen, und morgen — spiele ich wieder! Seine Glieder streckten sich, noch einmal lachte er uns an, dann schloß er die Augen, und ein starrer Zug trat in sein Gesicht: er war tot. — Nun spielt Karl mit den Engeln! sagte unser jüngerer Bruder vergnügt, als der kleine schwarze Sarg bei unserm Hause vorbeigetragen wurde. Und dieser Gedanke trocknete auch unsre Thränen. Im Himmel zu spielen war doch noch besser, als auf der Erde Krambambuli zu trinken. Maßgebliches und Unmaßgebliches Der „Fall Limburg-Stirnen" und die Parteien. Wie sehr alles, was geschieht, von den öffentlichen Blättern nur vom Standpunkte des engherzigsten parteipolitischer Interesses betrachtet wird, und wie wenig Raum innerhalb des Gesichtskreises derer, die den Beruf in sich fühlen, die öffentliche Meinung zu vertreten, das allgemeine Interesse und die Erwägungen der Gerechtigkeit finden, dafür bietet der gegenwärtig lebhaft erörterte „Fall Limburg-Stirnen" einen deut¬ lichen Beweis. Abgesehen von der offiziösen „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" und dem, wie in manchem andern Punkte, so auch in diesem von der Regierung offenbar benutzten „Hamburgischen Korrespondenten" haben wir nirgends eine wirklich würdige Beurteilung dieser Disziplinarsache gefunden. Von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken war es dieselbe verfehlte Grundanschauung, von der man ausging, überall erschien in gleichem oder doch annähernd gleichem Maße der Gerechtigkeitssinn durch das parteipolitische Interesse getrübt. Während man auf der Rechten in heftigen Zorn geriet und das Vorgehen gegen einen ungehorsame» Beamten als eine Verletzung der konservativen Partei bezeichnete, weil dieser Beamter ein konservativer Landtagsabgeordneter war und die Auslassung, um deretwegen er zur Verantwortung gezogen werden sollte, den Anschauungen der Mehrheit dieser Partei entsprach, rieb man sich links vergnügt die Hände und sagte: „Da habt ihrs! Als unsere Parteigenossen wegen politischer Umtriebe verfolgt wurden, habt ihr der Regierung zugestimmt. Jetzt zürnt ihr, wenn sich der Spieß einmal gegen einen der Euern kehrt." Als politisch verfehlt be¬ zeichnet das Organ der Mitte, die „Kölnische Zeitung," die Maßregel, über deren formelle Unanfechtbarkeit nirgends ein Zweifel besteht, und sie glaubt, oder wie es wohl von ihrem Standpunkt aus aufrichtiger heißen müßte, sie „hofft," daß die Maßregel die Strömung gegen den neuen Kurs noch verstärken werde. So

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/195>, abgerufen am 23.07.2024.