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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

Weshalb, Karl? Der braucht gar nicht länger zu leben! Solch ekliger
Däne!

Man bloß ein paar Jahre! wiederholte der Kranke und sah uns so
flehend an, daß wir gnädig meinten, wir wollten Herrn Larssen ein halbes
Weinglas voll geben.

Nun standen nur Montag morgen, nachdem wir am Sonntag in Feld¬
kircher gewesen waren, vor Karls Bett wie die armen Sünder. Er hatte sich
bei unserm Kommen aufgerichtet, und sein Atem ging kurz: als er in unsre
Gesichter sah, legte er sich zurück, und ein grauer Schatten zog über sein Antlitz.

Es ist noch nicht da, Karl; aber Herr Meinhard läßt es in Gebinden
aus Lübeck kommen -- du bekommst es sicher!

Er sah uns mit erloschenen Augen an.

Ehe es aus Lübeck kommt, bin ich tot. Mutter sagt es ümmerlos --
lange kann ichs nich mehr machen!

Er sagte das in dem Tone vollständigster Hoffnungslosigkeit, und da auch
wir wußten, daß es manchmal Monate lang dauerte, ehe der Schiffer die
bestellten Waren aus Lübeck brachte, so schwiegen wir betrübt.

Jetzt kam Frau Piening ins Zimmer. Sie sah verweint aus und fuhr
mit der verarbeiteten Hand über das spärliche blonde Haar ihres Kindes.

Erzählt ihm was von Himmel! sagte sie zu uns befehlenden Tones.
Oder wißt ihr da kein Bescheid in? Denn geht man weg!

Aber wir wußten Bescheid im Himmel, und wir begannen zu erzählen --
erst stockend, dann geläufiger von den goldnen Thoren der hochgebauten
Stadt, von den Engeln, die jedem Kinde so freundlich entgegenkämen, von
allem, was uns schon und lieblich aus fremden und eignen Gedanken ein¬
gepflanzt war, davon sprachen wir. Karl lag ganz still und hatte die Augen
geschlossen. Als wir aber leise fortgingen und die Sonne goldig durch die
geöffnete Thür schien, richtete er sich auf und fragte mit schwacher Stimme,
ob wir nicht anderswo Krambambuli bekommen könnten.

Als wir draußen in der frischen Herbstluft standen, sagte Jürgen mit
einemmale, er wollte in die Apotheke gehen und uach Krambambuli fragen.
Ich pflichtete ihm eifrig bei, denn beim Onkel in der Apotheke bekamen wir
alles, was für unsre Gesundheit zuträglich war: saure und süße Säfte, Leber¬
thran und Pfefferminzbonbons, Ricinusöl und Schvkoladenplätzchen; er würde
uns gewiß auch Krambambuli geben oder es wenigstens bereiten können, und
wir waren dumm gewesen, uns nicht gleich an den guten Onkel zu wenden,
der uns schon so manchen Gefallen gethan hatte.

Als ich am andern Morgen zu Karl ins Zimmer trat, hatte ich ihm
eine frohe Nachricht zu bringen. Denke dir, Onkel Anton will uns heute
Krambambuli machen! Gestern hatte er keine Zeit; heute nachmittag soll es
aber fertig sein!


Grenzboten 1 1892 - 24
Aus dänischer Zeit

Weshalb, Karl? Der braucht gar nicht länger zu leben! Solch ekliger
Däne!

Man bloß ein paar Jahre! wiederholte der Kranke und sah uns so
flehend an, daß wir gnädig meinten, wir wollten Herrn Larssen ein halbes
Weinglas voll geben.

Nun standen nur Montag morgen, nachdem wir am Sonntag in Feld¬
kircher gewesen waren, vor Karls Bett wie die armen Sünder. Er hatte sich
bei unserm Kommen aufgerichtet, und sein Atem ging kurz: als er in unsre
Gesichter sah, legte er sich zurück, und ein grauer Schatten zog über sein Antlitz.

Es ist noch nicht da, Karl; aber Herr Meinhard läßt es in Gebinden
aus Lübeck kommen — du bekommst es sicher!

Er sah uns mit erloschenen Augen an.

Ehe es aus Lübeck kommt, bin ich tot. Mutter sagt es ümmerlos —
lange kann ichs nich mehr machen!

Er sagte das in dem Tone vollständigster Hoffnungslosigkeit, und da auch
wir wußten, daß es manchmal Monate lang dauerte, ehe der Schiffer die
bestellten Waren aus Lübeck brachte, so schwiegen wir betrübt.

Jetzt kam Frau Piening ins Zimmer. Sie sah verweint aus und fuhr
mit der verarbeiteten Hand über das spärliche blonde Haar ihres Kindes.

Erzählt ihm was von Himmel! sagte sie zu uns befehlenden Tones.
Oder wißt ihr da kein Bescheid in? Denn geht man weg!

Aber wir wußten Bescheid im Himmel, und wir begannen zu erzählen —
erst stockend, dann geläufiger von den goldnen Thoren der hochgebauten
Stadt, von den Engeln, die jedem Kinde so freundlich entgegenkämen, von
allem, was uns schon und lieblich aus fremden und eignen Gedanken ein¬
gepflanzt war, davon sprachen wir. Karl lag ganz still und hatte die Augen
geschlossen. Als wir aber leise fortgingen und die Sonne goldig durch die
geöffnete Thür schien, richtete er sich auf und fragte mit schwacher Stimme,
ob wir nicht anderswo Krambambuli bekommen könnten.

Als wir draußen in der frischen Herbstluft standen, sagte Jürgen mit
einemmale, er wollte in die Apotheke gehen und uach Krambambuli fragen.
Ich pflichtete ihm eifrig bei, denn beim Onkel in der Apotheke bekamen wir
alles, was für unsre Gesundheit zuträglich war: saure und süße Säfte, Leber¬
thran und Pfefferminzbonbons, Ricinusöl und Schvkoladenplätzchen; er würde
uns gewiß auch Krambambuli geben oder es wenigstens bereiten können, und
wir waren dumm gewesen, uns nicht gleich an den guten Onkel zu wenden,
der uns schon so manchen Gefallen gethan hatte.

Als ich am andern Morgen zu Karl ins Zimmer trat, hatte ich ihm
eine frohe Nachricht zu bringen. Denke dir, Onkel Anton will uns heute
Krambambuli machen! Gestern hatte er keine Zeit; heute nachmittag soll es
aber fertig sein!


Grenzboten 1 1892 - 24
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[0193] Aus dänischer Zeit Weshalb, Karl? Der braucht gar nicht länger zu leben! Solch ekliger Däne! Man bloß ein paar Jahre! wiederholte der Kranke und sah uns so flehend an, daß wir gnädig meinten, wir wollten Herrn Larssen ein halbes Weinglas voll geben. Nun standen nur Montag morgen, nachdem wir am Sonntag in Feld¬ kircher gewesen waren, vor Karls Bett wie die armen Sünder. Er hatte sich bei unserm Kommen aufgerichtet, und sein Atem ging kurz: als er in unsre Gesichter sah, legte er sich zurück, und ein grauer Schatten zog über sein Antlitz. Es ist noch nicht da, Karl; aber Herr Meinhard läßt es in Gebinden aus Lübeck kommen — du bekommst es sicher! Er sah uns mit erloschenen Augen an. Ehe es aus Lübeck kommt, bin ich tot. Mutter sagt es ümmerlos — lange kann ichs nich mehr machen! Er sagte das in dem Tone vollständigster Hoffnungslosigkeit, und da auch wir wußten, daß es manchmal Monate lang dauerte, ehe der Schiffer die bestellten Waren aus Lübeck brachte, so schwiegen wir betrübt. Jetzt kam Frau Piening ins Zimmer. Sie sah verweint aus und fuhr mit der verarbeiteten Hand über das spärliche blonde Haar ihres Kindes. Erzählt ihm was von Himmel! sagte sie zu uns befehlenden Tones. Oder wißt ihr da kein Bescheid in? Denn geht man weg! Aber wir wußten Bescheid im Himmel, und wir begannen zu erzählen — erst stockend, dann geläufiger von den goldnen Thoren der hochgebauten Stadt, von den Engeln, die jedem Kinde so freundlich entgegenkämen, von allem, was uns schon und lieblich aus fremden und eignen Gedanken ein¬ gepflanzt war, davon sprachen wir. Karl lag ganz still und hatte die Augen geschlossen. Als wir aber leise fortgingen und die Sonne goldig durch die geöffnete Thür schien, richtete er sich auf und fragte mit schwacher Stimme, ob wir nicht anderswo Krambambuli bekommen könnten. Als wir draußen in der frischen Herbstluft standen, sagte Jürgen mit einemmale, er wollte in die Apotheke gehen und uach Krambambuli fragen. Ich pflichtete ihm eifrig bei, denn beim Onkel in der Apotheke bekamen wir alles, was für unsre Gesundheit zuträglich war: saure und süße Säfte, Leber¬ thran und Pfefferminzbonbons, Ricinusöl und Schvkoladenplätzchen; er würde uns gewiß auch Krambambuli geben oder es wenigstens bereiten können, und wir waren dumm gewesen, uns nicht gleich an den guten Onkel zu wenden, der uns schon so manchen Gefallen gethan hatte. Als ich am andern Morgen zu Karl ins Zimmer trat, hatte ich ihm eine frohe Nachricht zu bringen. Denke dir, Onkel Anton will uns heute Krambambuli machen! Gestern hatte er keine Zeit; heute nachmittag soll es aber fertig sein! Grenzboten 1 1892 - 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/193>, abgerufen am 23.07.2024.