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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

Bei uns zu Lande, wie der Schleswigholsteiner sagt, sprechen die ein¬
fachen Leute immer in Gegenwart ihrer Schwerkranken vom Tode. Es ist
wohl nicht Mangel an Liebe, der sie anscheinend so gefühllos macht, es ist
der Ausdruck ihrer Naturwüchsigkeit. Das Sterben ist eine selbstverständliche
Folge des Gebvreuwerdeus: warum soll man also den Leuten verschweigen,
was ihnen bevorsteht? Aber der feiner empfindende Mensch sträubt sich doch
gegen diese unbarmherzige Nüchternheit, und selbst wir Kinder mochten Frau
Pienings Reden nicht hören. Karl sah uns dann stets mit seinen hellblauen,
merkwürdig klaren Augen so ernsthaft fragend an, als wenn er in unsern
Gesichtern lesen wollte, ob seine Mutter wahr gesprochen hätte; und wir
standen unbeholfen vor ihm, halb traurig, halb verlegen. Es war kurz nach
dem Winter gewesen, als Karl sich gelegt hatte, nun standen die Störche
schon wieder in großen Versammlungen auf den Wiesen und berieten sich mit
gravitätischen Mienen, ob sie reisen oder ob sie es noch ein paar Tage bei
uns aushalten wollten. Wir erzählten Karl von den Storchen und auch
davon, daß die Felder alle leer wären und daß der Wind drüber führe, und
denn berichteten wir ihm auch einmal, was uns der eine Student vom Kram-
bambuli gesagt hatte: Wer ihn tränke der bliebe immer gesund und brauchte
nicht zu sterben! Karl wiederholte die Worte, richtete sich in seinem Bettchen
aus und sah uns mit aufleuchtenden Augen an. Er hatte immer alles ge¬
glaubt, was wir ihm erzählten -- weshalb sollte er jetzt an unsern Worten
zweifeln, von deren Wahrheit wir doch selbst felsenfest überzeugt waren?

Krambambuli! Wie hübsch klang das Wort! Zuerst vermochte der
kleine Kranke es nicht auszusprechen, bald aber konnte er es eben so gut wie
wir, und wenn seine Mutter vor ihm stand und ihm schluchzend vom Sterben
erzählte, dann blickte Karl in die über seinem Bette spielenden Sonnenstrahlen
und sagte leise vor sich hin: Krambambuli, Krambambuli! Sobald wir wieder
nach Feldkircher fuhren, brachten wir es ihm mit -- das war sicher; den"
der Bruder des kaiserlich russischen Kutschers mußte es haben, davon waren
wir fest überzeugt. Und Karl freute sich so! Er konnte wieder lachen wie
früher, und wenn wir bei ihm saßen und mit ihm plauderten, dann sprachen
wir davon, wie es wohl sein würde, wenn wir niemals krank und niemals
erkältet wären, wie merkwürdig es doch eigentlich sein müßte, wenn wir gar
nicht zu sterben brauchten, und ob wir dann wohl noch immer spielen würden.
Großvater, unsre Eltern und guten Freunde, alle sollten sie Krambambuli
haben; nur der eine Lehrer, der neulich Jürgen gescholten, weil er seine dänische
Lektion nicht gelernt hatte, der durfte keinen Tropfen bekommen! Der konnte
unsertwegen morgen wieder nach Fühnen reisen und sterben, wann es ihm
beliebte. Aber auch für ihn legte Karl ein gutes Wort ein.

Er braucht ja nich so viel zu kriegen, meinte er halb entschuldigend und
doch bittend. Blos ein klein büschen, damit er noch ein klein büschen länger lebt.


Aus dänischer Zeit

Bei uns zu Lande, wie der Schleswigholsteiner sagt, sprechen die ein¬
fachen Leute immer in Gegenwart ihrer Schwerkranken vom Tode. Es ist
wohl nicht Mangel an Liebe, der sie anscheinend so gefühllos macht, es ist
der Ausdruck ihrer Naturwüchsigkeit. Das Sterben ist eine selbstverständliche
Folge des Gebvreuwerdeus: warum soll man also den Leuten verschweigen,
was ihnen bevorsteht? Aber der feiner empfindende Mensch sträubt sich doch
gegen diese unbarmherzige Nüchternheit, und selbst wir Kinder mochten Frau
Pienings Reden nicht hören. Karl sah uns dann stets mit seinen hellblauen,
merkwürdig klaren Augen so ernsthaft fragend an, als wenn er in unsern
Gesichtern lesen wollte, ob seine Mutter wahr gesprochen hätte; und wir
standen unbeholfen vor ihm, halb traurig, halb verlegen. Es war kurz nach
dem Winter gewesen, als Karl sich gelegt hatte, nun standen die Störche
schon wieder in großen Versammlungen auf den Wiesen und berieten sich mit
gravitätischen Mienen, ob sie reisen oder ob sie es noch ein paar Tage bei
uns aushalten wollten. Wir erzählten Karl von den Storchen und auch
davon, daß die Felder alle leer wären und daß der Wind drüber führe, und
denn berichteten wir ihm auch einmal, was uns der eine Student vom Kram-
bambuli gesagt hatte: Wer ihn tränke der bliebe immer gesund und brauchte
nicht zu sterben! Karl wiederholte die Worte, richtete sich in seinem Bettchen
aus und sah uns mit aufleuchtenden Augen an. Er hatte immer alles ge¬
glaubt, was wir ihm erzählten — weshalb sollte er jetzt an unsern Worten
zweifeln, von deren Wahrheit wir doch selbst felsenfest überzeugt waren?

Krambambuli! Wie hübsch klang das Wort! Zuerst vermochte der
kleine Kranke es nicht auszusprechen, bald aber konnte er es eben so gut wie
wir, und wenn seine Mutter vor ihm stand und ihm schluchzend vom Sterben
erzählte, dann blickte Karl in die über seinem Bette spielenden Sonnenstrahlen
und sagte leise vor sich hin: Krambambuli, Krambambuli! Sobald wir wieder
nach Feldkircher fuhren, brachten wir es ihm mit — das war sicher; den»
der Bruder des kaiserlich russischen Kutschers mußte es haben, davon waren
wir fest überzeugt. Und Karl freute sich so! Er konnte wieder lachen wie
früher, und wenn wir bei ihm saßen und mit ihm plauderten, dann sprachen
wir davon, wie es wohl sein würde, wenn wir niemals krank und niemals
erkältet wären, wie merkwürdig es doch eigentlich sein müßte, wenn wir gar
nicht zu sterben brauchten, und ob wir dann wohl noch immer spielen würden.
Großvater, unsre Eltern und guten Freunde, alle sollten sie Krambambuli
haben; nur der eine Lehrer, der neulich Jürgen gescholten, weil er seine dänische
Lektion nicht gelernt hatte, der durfte keinen Tropfen bekommen! Der konnte
unsertwegen morgen wieder nach Fühnen reisen und sterben, wann es ihm
beliebte. Aber auch für ihn legte Karl ein gutes Wort ein.

Er braucht ja nich so viel zu kriegen, meinte er halb entschuldigend und
doch bittend. Blos ein klein büschen, damit er noch ein klein büschen länger lebt.


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[0192] Aus dänischer Zeit Bei uns zu Lande, wie der Schleswigholsteiner sagt, sprechen die ein¬ fachen Leute immer in Gegenwart ihrer Schwerkranken vom Tode. Es ist wohl nicht Mangel an Liebe, der sie anscheinend so gefühllos macht, es ist der Ausdruck ihrer Naturwüchsigkeit. Das Sterben ist eine selbstverständliche Folge des Gebvreuwerdeus: warum soll man also den Leuten verschweigen, was ihnen bevorsteht? Aber der feiner empfindende Mensch sträubt sich doch gegen diese unbarmherzige Nüchternheit, und selbst wir Kinder mochten Frau Pienings Reden nicht hören. Karl sah uns dann stets mit seinen hellblauen, merkwürdig klaren Augen so ernsthaft fragend an, als wenn er in unsern Gesichtern lesen wollte, ob seine Mutter wahr gesprochen hätte; und wir standen unbeholfen vor ihm, halb traurig, halb verlegen. Es war kurz nach dem Winter gewesen, als Karl sich gelegt hatte, nun standen die Störche schon wieder in großen Versammlungen auf den Wiesen und berieten sich mit gravitätischen Mienen, ob sie reisen oder ob sie es noch ein paar Tage bei uns aushalten wollten. Wir erzählten Karl von den Storchen und auch davon, daß die Felder alle leer wären und daß der Wind drüber führe, und denn berichteten wir ihm auch einmal, was uns der eine Student vom Kram- bambuli gesagt hatte: Wer ihn tränke der bliebe immer gesund und brauchte nicht zu sterben! Karl wiederholte die Worte, richtete sich in seinem Bettchen aus und sah uns mit aufleuchtenden Augen an. Er hatte immer alles ge¬ glaubt, was wir ihm erzählten — weshalb sollte er jetzt an unsern Worten zweifeln, von deren Wahrheit wir doch selbst felsenfest überzeugt waren? Krambambuli! Wie hübsch klang das Wort! Zuerst vermochte der kleine Kranke es nicht auszusprechen, bald aber konnte er es eben so gut wie wir, und wenn seine Mutter vor ihm stand und ihm schluchzend vom Sterben erzählte, dann blickte Karl in die über seinem Bette spielenden Sonnenstrahlen und sagte leise vor sich hin: Krambambuli, Krambambuli! Sobald wir wieder nach Feldkircher fuhren, brachten wir es ihm mit — das war sicher; den» der Bruder des kaiserlich russischen Kutschers mußte es haben, davon waren wir fest überzeugt. Und Karl freute sich so! Er konnte wieder lachen wie früher, und wenn wir bei ihm saßen und mit ihm plauderten, dann sprachen wir davon, wie es wohl sein würde, wenn wir niemals krank und niemals erkältet wären, wie merkwürdig es doch eigentlich sein müßte, wenn wir gar nicht zu sterben brauchten, und ob wir dann wohl noch immer spielen würden. Großvater, unsre Eltern und guten Freunde, alle sollten sie Krambambuli haben; nur der eine Lehrer, der neulich Jürgen gescholten, weil er seine dänische Lektion nicht gelernt hatte, der durfte keinen Tropfen bekommen! Der konnte unsertwegen morgen wieder nach Fühnen reisen und sterben, wann es ihm beliebte. Aber auch für ihn legte Karl ein gutes Wort ein. Er braucht ja nich so viel zu kriegen, meinte er halb entschuldigend und doch bittend. Blos ein klein büschen, damit er noch ein klein büschen länger lebt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/192>, abgerufen am 23.07.2024.