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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

Seit dem Tage, wo der Onkel Student mit seinen Freunden zum Besuch
in unsrer Stadt so lustig gesungen hatte: Des Abends spät, des Morgens
früh trink ich mein Glas Krambambuli! seit diesem Tage wollten auch wir
dieses köstliche Naß kennen lernen. Die Herren mit den bunten Bändern
über der Weste hatten uns auf unsre dringenden Fragen versichert, Besseres
auf der Welt gäbe es überhaupt nicht, als Krambambnli. Die armen Stu¬
denten, die so schrecklich viel lernen müßten, könnten nicht gesund bleiben,
wenn sie nicht Krambambuli denken, und einer der Gefragten, dem eine breite
Schmarre über die Wange lief, versicherte ganz ernsthaft, ohne Krambambuli
würde er schon lange tot sein, und wer das tränke, könnte gar nicht sterben.

Wir dachten nun allerdings für uns selbst nicht an den Tod; aber wir
hatten einen Spielgefährten, von dem die Leute sagten, daß er bald sterben
müsse, und deshalb wollten wir nicht allein selbst das Krambambuli kosten,
sondern auch Karl Piening davon mitbringen. So hatten wir es uns lange
vorgenommen, und hatten in dem besten Vertrauen auf den Bruder des kaiserlich
russischen Kutschers in Feldkircher unsre Bestellung darnach einrichten wollen.
Nun fuhren wir betrübt der Stadt wieder zu, ohne eine Flasche Krambambuli!

Karl Piening war schon so lange krank, daß wir fast vergessen hatten,
wie er aussah, wenn er nicht im Bette lag. Wir hatten ihn sehr gern, und
es verging selten ein Tag, wo ihn nicht einer von uns besucht und ihm etwas
erzählt Hütte. Seine Mutter war Wäscherin bei uns; daher kannten wir ihn
so gut. Als er noch gesund war, hatte er uns an den Waschtagen nach¬
mittags besucht, hatte mit uns gevespert und dann gespielt. Er weinte nicht,
wenn es einen Puff setzte, er klatschte anch nicht und ordnete sich still uns
lebhaften Kindern unter. Da wir instinktiv merkten, daß er uns gut war,
so hatten auch wir ihn gern, und als der schweigsame, etwas scheue Knabe-
plötzlich erkrankte, vermißten wir ihn zuerst außerordentlich. Dann aber wurde
es eine stehende Gewohnheit, ihn zu besuchen. Bist du schon bei Karl ge¬
wesen? war eine tägliche Frage, irgend eins von uns erübrigte gewiß einen
Augenblick, vor oder nach der Schulzeit, um an seinem Bette zu sitzen. Manch¬
mal brachten wir ihm auch eine Kleinigkeit mit: einen Apfel, einen Kuchen,
ein Stück Bindfaden; Karl aß aber fast gar nichts, und sür den Bindfaden
hatte er auch nicht mehr so viel Interesse, wie ehemals, wo er noch "Pferdens"
spielte oder den Drachen steigen ließ. Seine Mutter aber sprach immer vom
Tode. Wenn wir eintraten und nach Karl fragten, schüttelte sie den Kopf.
Ja, Pflegte sie zu sagen, heute is er noch da, und morgen auch; abers
in ein paar Wochen geht er seinen Vater nach, der auch die Zehrung
hatte. O, was hab ich mit den durchgemacht, ehe er glücklich in Himmel
war, und nun fängt die Geschichte mit mein klein süßen Jungen ganz von
vorne an! Na, der liebe Gott wird ihn nu all bald zu sich nehmen: da bitt
ich ihn jeden Abend und Morgen um!


Aus dänischer Zeit

Seit dem Tage, wo der Onkel Student mit seinen Freunden zum Besuch
in unsrer Stadt so lustig gesungen hatte: Des Abends spät, des Morgens
früh trink ich mein Glas Krambambuli! seit diesem Tage wollten auch wir
dieses köstliche Naß kennen lernen. Die Herren mit den bunten Bändern
über der Weste hatten uns auf unsre dringenden Fragen versichert, Besseres
auf der Welt gäbe es überhaupt nicht, als Krambambnli. Die armen Stu¬
denten, die so schrecklich viel lernen müßten, könnten nicht gesund bleiben,
wenn sie nicht Krambambuli denken, und einer der Gefragten, dem eine breite
Schmarre über die Wange lief, versicherte ganz ernsthaft, ohne Krambambuli
würde er schon lange tot sein, und wer das tränke, könnte gar nicht sterben.

Wir dachten nun allerdings für uns selbst nicht an den Tod; aber wir
hatten einen Spielgefährten, von dem die Leute sagten, daß er bald sterben
müsse, und deshalb wollten wir nicht allein selbst das Krambambuli kosten,
sondern auch Karl Piening davon mitbringen. So hatten wir es uns lange
vorgenommen, und hatten in dem besten Vertrauen auf den Bruder des kaiserlich
russischen Kutschers in Feldkircher unsre Bestellung darnach einrichten wollen.
Nun fuhren wir betrübt der Stadt wieder zu, ohne eine Flasche Krambambuli!

Karl Piening war schon so lange krank, daß wir fast vergessen hatten,
wie er aussah, wenn er nicht im Bette lag. Wir hatten ihn sehr gern, und
es verging selten ein Tag, wo ihn nicht einer von uns besucht und ihm etwas
erzählt Hütte. Seine Mutter war Wäscherin bei uns; daher kannten wir ihn
so gut. Als er noch gesund war, hatte er uns an den Waschtagen nach¬
mittags besucht, hatte mit uns gevespert und dann gespielt. Er weinte nicht,
wenn es einen Puff setzte, er klatschte anch nicht und ordnete sich still uns
lebhaften Kindern unter. Da wir instinktiv merkten, daß er uns gut war,
so hatten auch wir ihn gern, und als der schweigsame, etwas scheue Knabe-
plötzlich erkrankte, vermißten wir ihn zuerst außerordentlich. Dann aber wurde
es eine stehende Gewohnheit, ihn zu besuchen. Bist du schon bei Karl ge¬
wesen? war eine tägliche Frage, irgend eins von uns erübrigte gewiß einen
Augenblick, vor oder nach der Schulzeit, um an seinem Bette zu sitzen. Manch¬
mal brachten wir ihm auch eine Kleinigkeit mit: einen Apfel, einen Kuchen,
ein Stück Bindfaden; Karl aß aber fast gar nichts, und sür den Bindfaden
hatte er auch nicht mehr so viel Interesse, wie ehemals, wo er noch „Pferdens"
spielte oder den Drachen steigen ließ. Seine Mutter aber sprach immer vom
Tode. Wenn wir eintraten und nach Karl fragten, schüttelte sie den Kopf.
Ja, Pflegte sie zu sagen, heute is er noch da, und morgen auch; abers
in ein paar Wochen geht er seinen Vater nach, der auch die Zehrung
hatte. O, was hab ich mit den durchgemacht, ehe er glücklich in Himmel
war, und nun fängt die Geschichte mit mein klein süßen Jungen ganz von
vorne an! Na, der liebe Gott wird ihn nu all bald zu sich nehmen: da bitt
ich ihn jeden Abend und Morgen um!


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[0191] Aus dänischer Zeit Seit dem Tage, wo der Onkel Student mit seinen Freunden zum Besuch in unsrer Stadt so lustig gesungen hatte: Des Abends spät, des Morgens früh trink ich mein Glas Krambambuli! seit diesem Tage wollten auch wir dieses köstliche Naß kennen lernen. Die Herren mit den bunten Bändern über der Weste hatten uns auf unsre dringenden Fragen versichert, Besseres auf der Welt gäbe es überhaupt nicht, als Krambambnli. Die armen Stu¬ denten, die so schrecklich viel lernen müßten, könnten nicht gesund bleiben, wenn sie nicht Krambambuli denken, und einer der Gefragten, dem eine breite Schmarre über die Wange lief, versicherte ganz ernsthaft, ohne Krambambuli würde er schon lange tot sein, und wer das tränke, könnte gar nicht sterben. Wir dachten nun allerdings für uns selbst nicht an den Tod; aber wir hatten einen Spielgefährten, von dem die Leute sagten, daß er bald sterben müsse, und deshalb wollten wir nicht allein selbst das Krambambuli kosten, sondern auch Karl Piening davon mitbringen. So hatten wir es uns lange vorgenommen, und hatten in dem besten Vertrauen auf den Bruder des kaiserlich russischen Kutschers in Feldkircher unsre Bestellung darnach einrichten wollen. Nun fuhren wir betrübt der Stadt wieder zu, ohne eine Flasche Krambambuli! Karl Piening war schon so lange krank, daß wir fast vergessen hatten, wie er aussah, wenn er nicht im Bette lag. Wir hatten ihn sehr gern, und es verging selten ein Tag, wo ihn nicht einer von uns besucht und ihm etwas erzählt Hütte. Seine Mutter war Wäscherin bei uns; daher kannten wir ihn so gut. Als er noch gesund war, hatte er uns an den Waschtagen nach¬ mittags besucht, hatte mit uns gevespert und dann gespielt. Er weinte nicht, wenn es einen Puff setzte, er klatschte anch nicht und ordnete sich still uns lebhaften Kindern unter. Da wir instinktiv merkten, daß er uns gut war, so hatten auch wir ihn gern, und als der schweigsame, etwas scheue Knabe- plötzlich erkrankte, vermißten wir ihn zuerst außerordentlich. Dann aber wurde es eine stehende Gewohnheit, ihn zu besuchen. Bist du schon bei Karl ge¬ wesen? war eine tägliche Frage, irgend eins von uns erübrigte gewiß einen Augenblick, vor oder nach der Schulzeit, um an seinem Bette zu sitzen. Manch¬ mal brachten wir ihm auch eine Kleinigkeit mit: einen Apfel, einen Kuchen, ein Stück Bindfaden; Karl aß aber fast gar nichts, und sür den Bindfaden hatte er auch nicht mehr so viel Interesse, wie ehemals, wo er noch „Pferdens" spielte oder den Drachen steigen ließ. Seine Mutter aber sprach immer vom Tode. Wenn wir eintraten und nach Karl fragten, schüttelte sie den Kopf. Ja, Pflegte sie zu sagen, heute is er noch da, und morgen auch; abers in ein paar Wochen geht er seinen Vater nach, der auch die Zehrung hatte. O, was hab ich mit den durchgemacht, ehe er glücklich in Himmel war, und nun fängt die Geschichte mit mein klein süßen Jungen ganz von vorne an! Na, der liebe Gott wird ihn nu all bald zu sich nehmen: da bitt ich ihn jeden Abend und Morgen um!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/191>, abgerufen am 23.07.2024.